Vertrauenswürdige Vorbilder für Jugendliche?
Influencer*innen als Quelle für Fehlinformationen in sozialen Medien
Ob angesichts von Wahlen, während Krisen oder beim alltäglichen Scrollen durch Newsfeeds – Fehlinformationen, definiert als Behauptungen, die im Widerspruch zu Fakten und Wissen stehen, scheinen speziell im Internet und in sozialen Medien präsent zu sein. Diese Plattformen sind insbesondere bei jungen Menschen als Nachrichtenquellen beliebt. Schon 2018 gaben 71 % der Deutschen an, mehrmals im Monat Fake News gesehen zu haben (Europäische Kommission 2018, S. 12). Zuletzt war während der COVID-19-Pandemie von einer gleichzeitig fortschreitenden Infodemie die Rede, was die zu diesem Zeitpunkt virusartige Streuung von haltlosen Behauptungen und Verschwörungstheorien in Bezug auf die Pandemie im digitalen Raum beschrieb (WHO 2020). Obwohl auch in dieser Periode Fehlinformationen vermutlich nur einen Bruchteil der Informationen auf Plattformen wie Facebook oder YouTube ausmachten (Borges do Nascimento et al. 2022), wurden sie in der Regel häufiger geteilt, was u. a. durch den Sensationscharakter von Falschbehauptungen zu erklären ist (Vosoughi et al. 2018). Auf diese Weise erreichen Fehlinformationen oft ein großes Publikum und können, wie im Fall von COVID‑19, unter anderem individuelle Einstellungen und Verhaltensweisen beeinflussen – was wiederum gesellschaftliche Auswirkungen hat.
Fehlinformationen in sozialen Medien
Dass insbesondere in sozialen Medien Fehlinformationen eine große Rolle spielen, ist auf die Eigenart dieser Plattformen zurückzuführen: Sie basieren primär auf Inhalten, die von den Nutzenden selbst generiert, gelikt und geteilt werden. Normale Bürger*innen können darüber mit eigenen Inhalten zur politischen Meinungsbildung beitragen (Ritzer et al. 2012), was prinzipiell als positive Entwicklung im Sinne einer deliberativen, also am öffentlichen Diskurs orientierten Demokratie zu sehen ist. Da Nachrichten in sozialen Medien aber nur unzureichend geprüft werden (können) und journalistisches Gatekeeping in diesen Informationsräumen kaum stattfindet, besteht gleichzeitig die Gefahr, dass Personen ohne entsprechende Qualifikation das Meinungsbild zu bestimmten Themen durch falsche Behauptungen prägen.
Influencer*innen als (politische) Informationsquelle
Das gilt insbesondere für Personen, die ein breites Netzwerk in sozialen Medien aufgebaut haben und somit eine große Anzahl an Menschen erreichen: sogenannte Influencer*innen. Sie sind von anderen Personen des öffentlichen Lebens – wie bekannten Unternehmer*innen (z. B. Elon Musk), Politiker*innen (z. B. Angela Merkel) oder Prominenten aus klassischen Unterhaltungsbranchen (z. B. Leonardo di Caprio) – in der Hinsicht zu unterscheiden, dass sie allein über soziale Medien bekannt werden (Piehler et al. 2022). Ihnen wird (zumindest anfangs) keine Aufmerksamkeit von Printmedien oder Fernsehen zuteil, wie sie andere reichweitenstarke Medienpersönlichkeiten aufgrund ihres Berufs oder bestimmter Talente erhalten. Stattdessen müssen sich Influencer*innen über „Self-Branding“, intensive Beziehungspflege mit Follower*innen und kontinuierliche Content-Produktion selbst eine Anhängerschaft in den sozialen Medien aufbauen (Piehler et al. 2022). Sie sind in Domänen von Mode über Gaming bis hin zu Gesundheit aktiv. Obwohl ihnen von ihrer Community in diesen Branchen Expertise zugeschrieben wird, fehlt ihnen – aus objektiver Sicht – in vielen Fällen genau diese. Man denke etwa an Louisa Dellert und Rezo, die sich zwar häufig zu politischen Themen äußern, aber keine entsprechenden Qualifikationen wie eine journalistische Ausbildung oder berufliche politische Erfahrung mitbringen, die sie zu Autoritäten in diesem Bereich machen würden. Vermutlich ist ein solcher Status aber auch weniger relevant, wenn junge Menschen auf Informationen von Influencer*innen zurückgreifen. Vielmehr sind Influencer*innen attraktiv als Informationsquellen, weil sie ihrem Publikum subjektive Ratschläge und Einschätzungen vermitteln, statt objektiv über Themen zu berichten.
Die Zerstörung der CDU. (Rezo ja lol ey, 18.05.2019)
Influencer*innen als parasoziale Meinungsführer*innen
Damit einhergehend lassen sich Influencer*innen als Meinungsführer*innen beschreiben (Katz/Lazarsfeld 1955). Diese können als thematisch interessierte Personen in sozialen Gruppen definiert werden, die weniger informierten Mitgliedern ihre Ansichten zu Themen mitteilen und Einfluss auf die Meinungsbildung dieser Personen haben können. Zwar befinden sich Influencer*innen nicht im direkten sozialen Umfeld junger Menschen, nähern sich aber durch parasoziale Beziehungen als quasifreundschaftliche Kontakte diesem Vertrautenkreis an (Berryman/Kavka 2017). Parasoziale Beziehungen sind als einseitige Beziehungen zwischen Rezipient*innen und Medienpersonen zu verstehen, die seitens des Publikums mit dem Gefühl verbunden sind, eine Medienperson gut zu kennen (Horton/Wohl 1956). Influencer*innen können parasoziale Beziehungen etwa durch Einblicke in ihr Privatleben, direkte Publikumsansprache oder interaktivem Austausch mit ihrer Community stärken.
(Politische) Einflussnahme durch parasoziale Meinungsführerschaft
Studien sowohl im Kurzzeit- als auch im Langzeitverlauf zeigen, dass der parasoziale Kontakt auch die Aufnahmebereitschaft für „ernstere“ Themen fördern kann: Wenn junge Menschen sich durch Influencer*innen direkt angesprochen fühlen – also parasoziale Interaktionen erleben – können diese Medienpersönlichkeiten Einfluss auf das politische Interesse ihrer Follower*innen ausüben (Schmuck et al. 2022). Die Fähigkeit, Interesse für Politik zu wecken, ist aber nur eine der Stärken, von denen Influencer*innen als parasoziale Meinungsführer*innen zehren können (Stehr et al. 2014). Ihnen wird ebenso eine soziale Orientierungsfunktion zugeschrieben sowie die Gabe, komplexe Themen einfach darstellen zu können. Das lässt sich auf ihren Status als gut informierte aber doch nahbare Personen, die nicht Teil eines abgehobenen politischen Systems sind, zurückführen. Diese Eigenschaften können durchaus positive Effekte wie eine gesteigerte politische Selbstwirksamkeit und Teilhabe von jungen Menschen zur Folge haben. Allerdings besteht ebenso das Risiko, dass Influencer*innen als Laien, ob bewusst oder unbewusst, falsche Informationen mit ihrem Netzwerk teilen.
Fehlinformation und Jugendliche
Die Verbreitung von Fehlinformationen in sozialen Medien stellt generell ein Problem dar. Doch besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche, da ihnen häufig das notwendige Werkzeug fehlt, um vertrauenswürdige Quellen und Informationen identifizieren zu können. Sie haben einerseits weniger Erfahrung mit politischen Themen als Erwachsene und nutzen andererseits soziale Medien deutlich intensiver. So gelten junge Menschen als wichtigste Zielgruppe von Influencer*innen (Harff et al. 2022). Das liegt nicht zuletzt daran, dass im frühen Jugendalter das sogenannte Persuasionswissen, das Wissen um Überzeugungsversuche durch andere, weniger stark ausgeprägt ist (Reijmersdal/Dam 2020), was die Beeinflussbarkeit (durch persuasive Medieninhalte) weiter erhöht. Gleichzeitig sind Influencer*innen in dieser Altersgruppe wichtige Vorbilder (Zimmermann et al. 2022). Schon wegen ihres kommerziellen Erfolgs rufen sie bei ihrem Publikum soziale Aufwärtsvergleiche hervor, Nachahmer-Effekte nicht ausgeschlossen. Obwohl die Skepsis gegenüber Influencer*innen mit dem Alter steigt, scheinen ihnen junge Menschen ein gewisses Grundvertrauen entgegenzubringen: Eine deskriptive Studie zur politischen Meinungsbildung anhand von YouTube-Videos zeigt, dass nur wenige junge Menschen glauben, dass Influencer*innen Fake News verbreiten (Zimmermann et al. 2022).
Risikofaktoren für Fehlinformation durch Influencer*innen
Obwohl viele Influencer*innen ihre Popularität dazu nutzen, seriöse Botschaften aus den herkömmlichen Medien zu teilen – beispielsweise indem sie zum Impfen animieren – können diese Social-Media-Berühmtheiten aber auch zur Streuung von Fehlinformationen und Verschwörungserzählungen beitragen (Abidin et al. 2021). Doch welche jungen Menschen beziehen Informationen über „ernste“ Themen wie COVID‑19 von Influencer*innen? Eine mehrwellige Befragung von 16- bis 21 Jährigen während der COVID‑19-Pandemie in Deutschland deutet darauf hin, dass Influencer*innen von jungen Menschen vorrangig als alternative Nachrichtenquelle genutzt werden (Schmuck/Harff 2022): Jugendliche, die Informationen über COVID‑19 von Influencer*innen ausgesetzt waren, betrachteten diese als wichtigere Informationsquelle und Rollenvorbild für den Umgang mit COVID‑19, wenn sie eine gewisse Skepsis gegenüber offiziellen Quellen wie der Regierung oder den traditionellen Medien hegten. Bezogen Jugendliche zudem Informationen von Influencer*innen, die offen den empfohlenen COVID‑19-Maßnahmen widersprachen, schlug sich dies in geringeren Impfintentionen nieder.
Kontrollierte Experimentalstudien zur Wirkung von Fehlinformation durch Influencer*innen gibt es bisher kaum. Sie stellen die Wissenschaft vor methodische Herausforderungen, da die Beziehungen zu Influencer*innen oft individuell sind und sich erst nach und nach aufbauen. In der bestehenden Forschung wurden unterschiedliche Methoden angewandt, um realistische Rezeptionssituationen nachzubilden: Wenn Rezipient*innen beispielsweise gebeten werden, sich vorzustellen, dass verschiedene Nachrichten von vertrauten Influencer*innen stammen würden, zeigt sich, dass alle Informationen – korrekte und falsche – als glaubwürdiger eingeschätzt werden (Wasike 2022). Eine weitere Variante, parasoziale Beziehungen in Experimenten zu berücksichtigen, aber sich nicht auf das Vorstellungsvermögen der Rezipienten stützen zu müssen, ist es, die Teilnehmenden über mehrere Tage Posts von fiktiven Influencer*innen auszusetzen. Mit diesem Ansatz konnte in einer Studie mit jungen Frauen in Belgien gezeigt werden, dass es keine generelle Empfänglichkeit für Fehlinformationen durch Influencer*innen gibt. Stattdessen erhöhten Faktoren wie etwa die wahrgenommene Ähnlichkeit zu den Influencer*innen das Risiko, nach Rezeption von Fehlinformationen offiziellen Informationen stärker zu misstrauen (Harff et al. 2022).
Schutz vor Fehlinformation von Influencer*innen
Die bisherigen Befunde lassen vermuten, dass Influencer*innen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf ihre Community ausüben können. Sie unterstreichen daher die Notwendigkeit von Studien, die sich lösungsorientiert mit möglichen Schutzmaßnahmen etwa durch medienkompetenzstärkende Interventionen auseinandersetzen.
Faktoren, die der Beeinflussung durch Fehlinformation entgegenwirken können, lassen sich aus dem Modell der differenziellen Empfänglichkeit für Medienwirkungen von Valkenburg und Peter (2013) ableiten. Dem Modell zufolge erklärt sich die unterschiedlich ausgeprägte Vulnerabilität für Medienwirkungen von Personen durch dispositionelle, entwicklungsbedingte und soziale Einflussfaktoren.
Neben den bereits erwähnten entwicklungsbedingten Faktoren wie dem Alter (Zimmermann et al. 2022) deuten erste Befunde darauf hin, dass die Kommunikation mit Eltern über das digitale Medienverhalten einen Puffer darstellen kann, der Jugendliche – zumindest in der frühen Adoleszenz – vor negativen Einflüssen von Influencer*innen schützt (Schmuck 2021). Generell ist Aufklärung über Influencer*innen als Informationsquelle ein vielversprechender Weg zur Vorbeugung der Verbreitung von Fehlinformation in den sozialen Medien. Die hohe Glaubwürdigkeit, die Influencer*innen zugeschrieben wird, besteht eben häufig zu Unrecht. Das Wissen darum, dass die meisten Influencer*innen nur „normale“ Menschen sind, deren Expertise zumeist auf selbst erworbenen Kompetenzen statt einer formalen Ausbildung beruht, könnte zur einer kritischeren Mediennutzung von Jugendlichen beitragen. Organisationen und Stakeholder wie Schulen sind daher gefordert, die Medienkompetenz von Jugendlichen – und ihren Eltern – in Bezug auf Influencer*innen als potenzielle Quellen von Fehlinformation zu stärken.
Literatur:
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Berryman, R./Kavka, M.: ‘I guess a lot of people see me as a big sister or a friend’: The role intimacy in the celebrification of beauty vloggers. In: Journal of Gender Studies, Ausgabe 26, 3/2017, S. 307–320
Borges do Nascimento, I. J./Pizarro, A. B./Almeida, J. M./Azzopardi-Muscat, N./Gonçalves, M. A./Björklund, M./Novillo-Ortiz, D.: Infodemics and health misinformation: a systematic review of reviews. In: Bulletin of the World Health Organization, Ausgabe 100, 9/2022, S. 544–561
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Harff, D./Bollen, C./Schmuck, D.: Responses to social media influencers’ misinformation about COVID‑19: A pre-registered multiple-exposure experiment. In: Media Psychology, Ausgabe 25, 6/2022, S. 831–850
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Katz, E./Lazarsfeld, P. F.: Personal influence. The part played by people in the flow of mass communications. Glencoe 1955
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Reijmersdal, E.A. van/Dam, S.van: How Age and Disclosures of Sponsored Influencer Videos Affect Adolescents’ Knowledge of Persuasion and Persuasion. In: Journal of Youth and Adolescence, Ausgabe 49, 2020, S. 1531–1544. Abrufbar unter: https://doi.org/10.1007/s10964-019-01191-z (letzter Zugriff: 28.11.2022)
Ritzer, G./Dean, P./Jurgenson, N.: The coming of age of the prosumer. In: American behavioral scientist, Ausgabe 56, 4/2012, S. 379–398
Schmuck, D.: Following social media influencers in early adolescence: Fear of missing out, well-being and supportive communication with parents. In: Journal of Computer-Mediated Communication, Ausgabe 26, 5/2021, S. 245–264
Schmuck, D./Harff, D.: Role models or bad examples? Influencers’ communication about COVID‑19, youths’ risk perceptions and vaccination intentions. Präsentiert bei der 105. jährlichen Konferenz der Association of Education for Journalism and Mass Communication, Detroit 2022
Schmuck, D./Hirsch, M./Stevic, A./Matthes, J.: Politics – simply explained? How influencers affect youth’s perceived simplification of politics, political cynicism, and political interest. In: The International Journal of Press/Politics, Ausgabe 27, 3/2022, S. 738–762
Stehr, P./Leißner, L./Schönhardt, F./Rössler, P.: Parasoziale Meinungsführerschaft als methodische Herausforderung. Entwicklung eines Fragebogeninstruments zur Messung des Einflusses von Medienpersonen auf die politische Meinungs- und Einstellungsbildung. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, Ausgabe 62, 3/2014, S. 395–416
Valkenburg, P./Peter, J.: The differential susceptibility to media effects model. In: Journal of Communication, Ausgabe 63, 2/2013, S. 221–243
Vosoughi, D./Roy, D./Aral, S.: The spread of true and false news online. In: Science, Ausgabe 359 (6380), 2018, S. 1146–1151
Wasike, B.: When the influencer says jump! How influencer signaling affects engagement with COVID-19 misinformation. In: Social Science & Medicine, Ausgabe 315, 09.11.2022
World Health Organisation: Managing the COVID‑19 infodemic: Promoting healthy behaviours and mitigating the harm from misinformation and disinformation. In: www.who.int, 23.09.2020. Abrufbar unter: https://bit.ly/3oTiP9v (letzter Zugriff: 28.11.2022)
Zimmermann, D./Noll, C./Gräßer, L./Hugger, K. U./Braun, L. M./Nowak, T./Kaspar, K.: Influencers on YouTube: A quantitative study on young people’s use and perception of videos about political and societal topics. In: Current Psychology, Ausgabe 41, S. 2022, 6808–6824
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