Wenn Fake News und Hatespeech zum Alltag gehören

Ergebnisse der JIMplus-Studie 2022

Lennart Hesse-Sörnsen

Lennart Hesse-Sörnsen ist Medienwissenschaftler, arbeitet als freier Medienpädagoge und ist Experte für Cybermobbing. Er gibt Workshops für Schüler:innen zu Datenschutz & Fake News und arbeitet im Projektmanagement bei JUUUPORT, einer Beratungsplattform für junge Menschen bei Problemen im Netz. Seit Anfang 2020 ist er Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen.

Jugendliche bewegen sich online vor allem auf Instagram, TikTok und Co. Sie nutzen die Plattformen zur Unterhaltung, Selbstdarstellung und um sich zu informieren. Dass sie mit zunehmendem Alter vermehrt auf Fake News und Hatespeech stoßen, ist eine der Erkenntnisse der JIMplus 2022 zur Mediennutzung der 12- bis 19-Jährigen. Wie nehmen Jugendliche Fake News und diesen Hass im Internet wahr und wie gehen sie damit um?

 

 

Fake News auf Social Media

Für die befragten Jugendlichen sind Fake News in erster Linie Falschinformationen, die bewusst als vermeintliche Wahrheit im Internet verbreitet werden. Über 80 % geben an, bereits auf solche Beiträge gestoßen zu sein – ältere deutlich mehr als jüngere. Corona, Prominente, Politik, „Lügenpresse“ und der Ukraine-Krieg werden altersübergreifend als die Top‑5-Themen genannt.

Die großen Social-Media-Plattformen TikTok und Instagram schätzen die Jugendlichen dabei als besonders anfällig für Fake News ein. Da mag es zunächst widersprüchlich wirken, dass gerade diese Kanäle als Hauptinformationsquellen genutzt werden. Entscheidend ist für die Jugendlichen im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit allerdings die Quelle und nicht die Plattform: So wird vor allem die Tagesschau – die auch auf TikTok und Instagram präsent ist – als besonders glaubwürdiger Nachrichtenkanal angegeben.

Zwei Drittel der Befragten überprüfen zumindest gelegentlich Fake News und schauen in erster Linie, ob andere Quellen über die Nachrichten berichten oder fragen ihre Eltern.

Kennzeichen der Plattformen zur Verifizierung (z. B. blauer Haken bei Instagram) oder die Zahl der Follower:innen gelten weniger als Indikatoren für Glaubwürdigkeit.

 

Hatespeech und die Auswirkungen

Drei Viertel der Befragten geben an, zumindest selten Hatespeech wahrzunehmen. Hier werden besonders die Kommentare und Posts auf den etablierten Social-Media-Plattformen genannt. Die oftmals toxische Atmosphäre in den Kommentarspalten hat direkte Auswirkungen: Ein Drittel hält sich aus Angst vor negativen Reaktionen öffentlich mit der eigenen Meinung zurück. Ebenfalls erstaunlich ist, dass die Mehrheit bereits selbst betroffen war.


Am häufigsten suchen Betroffene Hilfe in persönlichen Gesprächen mit Freund:innen oder der eigenen Familie. Lehrkräfte oder die Polizei werden seltener einbezogen und mit anonymen Beratungsstellen sprechen nur die wenigsten. Ob das z. B. mit einer fehlenden Bekanntheit der Beratungsstellen zusammenhängt oder damit, dass die persönlichen Erfahrungen für ein Gespräch mit einer Hilfestelle als nicht schwerwiegend genug eingestuft werden, wurde in der Studie nicht untersucht.

 

Ignorieren statt Eingreifen

Besorgniserregend ist jedoch, dass Ignorieren die verbreitetste Handlungsstrategie im Umgang mit Hatespeech für Betroffene ist. Obwohl das Handlungsbedürfnis in diesem Fall durch ausgelöste Emotionen wie Wut und Trauer als hoch angegeben wird, handeln die Befragten in den meisten Fällen nicht – insbesondere, wenn niemand aus dem eigenen Umfeld betroffen ist. Ob aufgrund fehlender Kenntnisse im Umgang mit Hatespeech, aus Angst, selbst zum Opfer zu werden oder aus anderen Gründen  – die Ursachen gehen aus der Studie nur im Ansatz hervor und sind vermutlich vielfältig.

Ähnlich verhält es sich beim Thema Fake News: Auch hier machen Jugendliche die Plattform oder andere Nutzer:innen nur selten z. B. durch die Kommentar- oder Meldefunktion auf problematische Beiträge aufmerksam. Nur wenn sie versehentlich selbst Fake News an andere Personen verschickt haben, klären 44 % die Personen häufig und weitere 34 % sie zumindest gelegentlich darüber auf. 

Besonders auffällig sind die unterschiedlichen Handlungsstrategien der Jugendlichen je nach Alter. So machen vor allem die älteren Befragten auf versehentlich verschickte Fake News aufmerksam – egal ob selbst versendet oder erhalten.

 


Medienkompetenz & Verantwortung der Plattformen

Es wird deutlich, wie stark junge Menschen online direkt oder indirekt mit Hatespeech und Fake News konfrontiert werden. Medienkompetenz für die Jugendlichen, aber auch ihre potenziellen Bezugspersonen sind somit von großer Relevanz. Mehr als ein Drittel der Befragten hat das Thema Fake News und mehr als ein Viertel hat das Thema Hatespeech noch nie in der Schule behandelt. Hier gibt es somit noch viel Luft nach oben. Ebenso deutlich macht die Studie die Verantwortung der Social-Media-Anbieter, altersgerechte Kommunikation zu ermöglichen und Hass und Fake News besser einzudämmen.

 

Über die JIMplus-Studie


Die JIMplus 2022 beschäftigt sich mit der Wahrnehmung von Fake News und Hatespeech und wurde am 22. Juli 2022 veröffentlicht. Sie ergänzt die jährlich erscheinende Studienreihe JIM(Jugend, Information, Medien), die durch den Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest (mpfs) herausgegeben wird. Die repräsentative Befragung bildet Trends und Entwicklungen im Medienumgang von Jugendlichen ab. Für die JIMplus 2022 wurden rund 1.000 Jugendliche im Alter zwischen 12 und 19 Jahren aus Deutschland anhand von Online-Interviews, Fragebögen und einem Online-Tagebuch befragt. Die vollständige Studie ist hier verfügbar.


Literatur:

Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs)JIMplus 2022: Fake News und Hatespeech – Fake News und Hatespeech im Alltag von Jugendlichen. Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK), Medienanstalt Rheinland-Pfalz 2022. Abrufbar unter https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/JIMplus_2022/JIMplus_Charts_2022_fuer_Website_pdf.pdf.