Wie Medien ihrer Verantwortung in der Klimakrise endlich gerecht werden können

Sara Schurmann

Sara Schurmann ist freie Journalistin, Autorin und Journalismus-Trainerin. 2020 schrieb sie einen offenen Brief an die Branche, um eine Diskussion über die Klimaberichterstattung anzustoßen; im Sommer 2021 gründete sie das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland mit. 2022 erschien ihr erstes Buch Klartext Klima, im gleichen Jahr wählte die Jury des „Medium Magazins“ sie zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres.

Die letzte Generation, die einen Klimakollaps noch abwenden kann, das sind nicht nur die Aktivist*innen, die sich festkleben, sondern wir alle. Der Journalismus kann vom Teil des Problems zum Teil der Lösung werden, ohne dabei die eigenen Grundsätze zu verletzen. Im Gegenteil.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 2/2023 (Ausgabe 104), S. 30-33

Vollständiger Beitrag als:

Viele Eltern, die sich in den vergangenen Jahren entschieden haben, Nachwuchs zu bekommen, hoffen wohl darauf, dass ihren Kindern eine relativ stabile und sichere Zukunft bevorsteht. Das ist, wissenschaftlich eindeutig, nicht der Fall. Selbst wenn wir es schaffen, die Erderhitzung auf global 1,5 Grad zu begrenzen, wird sich unser Leben in den kommenden zehn, 20, 30 Jahren massiv verändern. Ob wir die Erderhitzung auf einem Level stoppen, an das wir uns als Menschheit noch halbwegs anpassen können, darüber entscheiden wir in diesem Jahrzehnt. Im Moment entscheiden wir uns jeden Tag dagegen, das Nötige und Mögliche überhaupt zu versuchen.

Die Aktivist*innen der sogenannten Letzten Generation versuchen, darauf aufmerksam zu machen. Berichtet wird oft jedoch nur über ihre Aktionen, den Kontext liefern Beiträge nicht immer mit. Wenn doch, dann oft genug in einem Konjunktiv, der nicht nur ein Zitat anzeigt, sondern auch: Distanz zum Inhalt der Aussage. „Sie sagen, sie seien die letzte Generation, die den unumkehrbaren Klimakollaps noch abwenden könne“ – Formulierungen wie diese sind im doppelten Sinne irreführend. Die Aktivist*innen sprechen nicht davon, dass sie die letzte Generation sind, sie meinen uns alle. Auch wird die Aussage so in den Raum gestellt, als könnte man sie nicht überprüfen. Das ist merkwürdig, denn die Kurven im aktuell sechsten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) sind eindeutig, die Forschung zu Kipppunkten immer besser gesichert (Armstrong McKay u. a. 2022).
 


Die bekannten wissenschaftlichen Fakten lassen sich auch deswegen so gut verdrängen,  weil medial so unzureichend darüber berichtet wird.



Die erste Climate Literacy Survey der Allianz hat 2021 in einer repräsentativen Studie herausgefunden, dass in Deutschland weniger als die Hälfte der Bevölkerung eine halbwegs realistische Vorstellung davon hat, wie schnell genau umfassende Maßnahmen umgesetzt werden müssen, um die Emissionen zu stoppen und dramatische, irreversible Schäden abzuwenden (Subran u. a. 2021). Die bekannten wissenschaftlichen Fakten lassen sich auch deswegen so gut verdrängen, individuell wie gesellschaftlich, weil medial so unzureichend darüber berichtet wird.

Hungersnöte und verheerende Extremwetter sind für heutige Kindergartenkinder keine ferne theoretische Bedrohung, sondern ihre derzeit wahrscheinlichste Zukunftsperspektive. Aber auch 60- und 70-Jährige werden die Folgen der Klimakrise in den kommenden Jahren persönlich spüren, etwa anhand von zerstörerischem Starkregen und Stürmen, Hitzewellen, Trinkwasserengpässen und einem beispiellosen Waldsterben. Politisch und medial wird die Klimakrise oft trotzdem noch immer als relative ferne und diffuse Bedrohung diskutiert. Dabei zählt jeder Tag, wenn es darum geht, sich auf die schon heute unvermeidbaren Folgen vorzubereiten und gleichzeitig alles zu tun, um die Erderhitzung auf einem Level zu stoppen, an das wir uns überhaupt anpassen können.
 

Unzureichende Klimaberichterstattung ist ein globales strukturelles Problem

Dafür, dass dies in der Berichterstattung nicht konsequent so klar eingeordnet wird, gibt es vielfältige Gründe. Es geht nicht darum, dass einzelne Journalist*innen keinen guten Job machen würden, es handelt sich um ein globales strukturelles Problem. Und es ist wichtig, darüber zu reden, denn wer die Ursachen kennt, kann es beheben.

In vielen Redaktionen fehlt es an grundlegendem Faktenwissen zur Klimakrise. Das ist kein Wunder, kaum jemand hat dies im Studium oder der Journalismusausbildung gelernt. Die vergangenen Jahrzehnte war Klima vor allem Thema einiger weniger Fachredakteur*innen; eine Arbeitsteilung, die in anderen Gebieten sinnvoll ist, die Bedeutung der Klimakrise aber grundlegend verkennt. Die Klimakrise ist kein Thema neben anderen, dem wir auf der medialen Bühne Platz bieten. Sie bedroht die Bühne, die Welt an sich, unsere Lebensgrundlagen und unsere Zivilisation. Denn die Erderhitzung zerstört die Stabilität unseres Klimasystems und damit die Bedingungen, die überhaupt erst ermöglicht haben, dass sich unsere Gesellschaften dahin entwickeln, wo sie heute sind.

Um das einmal ganz klar zu sagen: Es gibt Kolleg*innen, die auch in den Politikredaktionen seit Jahrzehnten immer wieder deutlich auf die Auswirkungen und Gefahren der Klimakrise hinweisen. Nur werden deren klimafaktenbasierte Artikel von anderen Journalist:innen allzu oft als eine Perspektive in einem möglichen Spektrum begriffen. Zu wenigen scheint klar, dass ein Großteil der Journalist*innen diese Klimafakten einfach ignoriert und so den Eindruck von der Gefahr der Klimakrise stark verzerrt.


Journalist*innen haben gesellschaftlich eine komplizierte Doppelrolle

Journalist*innen nehmen gesellschaftlich in der Klimakrise eine komplizierte Doppelrolle ein. Einerseits spiegeln wir das Bewusstsein der Öffentlichkeit, andererseits prägen wir die Bewusstwerdung entscheidend mit. Oder hemmen sie sogar (Schurmann/Dohm 2021).

Die Klimakrise ist eine Dimension, ein Querschnittsthema und auf zwei Arten mit fast allen Bereichen verknüpft. So gut wie jede politische oder wirtschaftliche Entscheidung hat einerseits Auswirkungen auf die Klimakrise, feuert sie also weiter an – oder bremst sie ab. Andererseits ist die Krise mittlerweile so akut, dass sie sich schon bald auf alles auswirken wird: auf die Sicherheit der eigenen Kinder, auf unsere Rente, unser Zuhause und unsere Lebensmittelversorgung.
 


Gesellschaftliche Kompromisse sind möglich, wenn Menschen das Ausmaß und die Dringlichkeit der Krise begreifen.



Anstatt die vorhandenen Verbindungen überall dort aufzuzeigen, wo sie eine Rolle spielen, werden sie medial immer wieder ignoriert. Das ermöglicht, sie auch politisch und gesellschaftlich so konsequent zu verdrängen und Handeln immer wieder in die Zukunft zu verschieben.

Bürger*innenräte zu Klimapolitik, wie sie in Frankreich vom Staat nach den sogenannten Gelbwesten-Protesten abgehalten und in Deutschland unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler erprobt wurden, zeigen, dass man diesen Mechanismus durchbrechen kann. Ganz normale, repräsentativ ausgewählte Bürger*innen haben dort über klimapolitische Maßnahmen beraten und Vorschläge für die Politik formuliert, nachdem sie von Expert*innen eingehend über die Dringlichkeit der Krise und effektive Lösungen aufgeklärt worden waren. Die Ergebnisse: in beiden Fällen überraschend weitreichend und verglichen mit dem aktuellen politischen Diskurs vermeintlich radikal.

Das zeigt, dass gesellschaftliche Kompromisse möglich sind, wenn Menschen das Ausmaß und die Dringlichkeit der Krise begreifen und sie – ausgehend von einem ähnlichen Verständnis für das Problem – gemeinsam nach Antworten suchen. Um der Klimakrise angemessen begegnen zu können, seien vor allem Bildung und Aufklärung zentral, betonen auch die Teilnehmer*innen der Räte. Das Ausmaß der Krise sei ihnen so nicht bewusst gewesen.
 

Wir können nicht angemessen reagieren, wenn wir das Ausmaß der Krise verdrängen

Daraus ergibt sich ein Problem für die demokratische Entscheidungsfindung, denn um Krisen zu lösen, sind informierte Abwägungen zentral. Nur wenn wir Ausmaß und Dringlichkeit einer Krise realistisch einschätzen, können wir angemessen und schnell genug darauf reagieren. Mit einer aggressiven Grippe gehen wir anders um als mit einem neuartigen tödlichen Virus, mit einem grundlegenden, aber vergleichsweise fernen Problem anders als mit einer akuten Krise. Kipppunkte kennen keine Kompromisse.

In Demokratien braucht es für entsprechende Entscheidungen dennoch Mehrheiten: im Parlament, aber grundsätzlich auch in der Bevölkerung. Daher reicht es nicht, wenn ein Großteil der Bürger*innen anerkennt, dass der Klimawandel ein ernsthaftes Problem ist, aber nur einer kleinen Gruppe bewusst ist, wie schnell umfassende Maßnahmen umgesetzt werden müssen, um die Krise noch abzubremsen.

Das heißt nicht, dass Journalist*innen unkritisch über Aktionen berichten sollten, die versuchen, auf dieses Problem aufmerksam zu machen. Man kann das Anliegen der Letzten Generation richtig finden, ihre Mittel aber dennoch kritisieren. Man kann – und sollte – selbst das Anliegen kritisch hinterfragen. Wenn dabei herauskommt, dass Aktivist*innen auf ein relevantes Problem hinweisen, dann muss Journalismus das aber auch entsprechend einordnen.

Wir begegnen Klimapolitik-Themen stattdessen oft mit klassischem Politikjournalismus. Politikjournalismus geht im Wesentlichen davon aus, dass es zu einem Thema mehrere legitime politische Meinungen gibt. Diese einander gegenüberzustellen, erzeugt dieser Logik folgend Ausgewogenheit in der Berichterstattung, manche Journalist*innen würden das sogar als „Objektivität“ bezeichnen. Objektivierbarkeit im Sinne des Wissenschaftsjournalismus ist jedoch etwas anderes. Dafür wäre es zur Beurteilung politischer Maßnahmen in einer Krise mit naturwissenschaftlich mess- und modellierbaren Folgen entscheidend, die wissenschaftlichen Fakten, die dem Problem zugrunde liegen, konsequent als Maßstab heranzuziehen. Das jedoch geschieht nicht in ausreichendem Maße.
 

Klimapolitische Positionen müssen konsequent journalistisch eingeordnet werden

Zur Aufgabe des Journalismus gehört es, die Politik zu kontrollieren und Lobbynarrative zu kennen, offenzulegen und einzuordnen. Stattdessen präsentieren wir Verzögerungstaktiken immer wieder als eine mögliche, legitime Perspektive, verwechseln sie – im Bestreben, jede Seite zu hinterfragen – mit kritischem Journalismus und reproduzieren sie allzu oft sogar (Schulzki-Haddouti 2020). Das bremst den Diskurs – und damit das Handeln.

Die Implikationen der Erderhitzung und wissenschaftlich gesicherter Klimafakten werden in großen Teilen der Politik- und Wirtschaftsberichterstattung noch immer einfach ignoriert. Obwohl die Klimakrise schon heute alles und alle betrifft, werden die vorhandenen Verbindungen und Zusammenhänge journalistisch zu selten sichtbar gemacht. Steigendes Wirtschaftswachstum etwa wird immer wieder als gute Nachricht weggemeldet, ohne transparent zu machen, dass es noch immer auch steigende Emissionen mit sich bringt. Bei sportlichen Großveranstaltungen wurden in den vergangenen Jahren selbstverständlich Aspekte wie die Einhaltung von Menschenrechten, Korruption oder die Corona-Hygienemaßnahmen mitberichtet, um die Klimabilanz des Events oder die Auswirkungen der klimatischen Bedingungen auf die Spiele geht es oft nicht. Wird über Bauprojekte berichtet, stellen sich die wenigsten Journalist*innen die Frage, inwiefern das Projekt mit den Klimazielen vereinbar oder ob der Bau auf die klimatischen Bedingungen in den nächsten Jahrzehnten überhaupt vorbereitet ist.
 


Herausforderungen und Probleme sind real, darauf hinzuweisen, ist wichtiger Teil unseres Jobs.



Es geht nicht darum, politische Diskurse zu unterbinden, im Gegenteil: Um die Klimakatastrophe abzuwenden, müssen innerhalb kürzester Zeit unzählige Entscheidungen getroffen werden, die heute öffentlich noch nicht einmal ansatzweise ausreichend diskutiert werden. Journalismus kann und muss diese Auseinandersetzung und Entscheidungsfindung maßgeblich mit ermöglichen und begleiten. Konstruktiver Journalismus ist hier zentral. Der Ansatz bedeutet nicht etwa, positive oder optimistische Beiträge zu produzieren, sondern zusätzlich zum Problem mögliche Lösungen mitzuberichten und einzuordnen. Zusätzlich zum Was?, Wer?, Wie?, Wo? und Warum? schaut man hier auch auf „Was nun?“ oder „Wie weiter?“.

Es geht nicht darum, dass Journalist*innen klimapolitische Maßnahmen bejubeln. Herausforderungen und Probleme sind real, darauf hinzuweisen, ist wichtiger Teil unseres Jobs. Aber die wesentliche Frage ist, wie wir sie gesellschaftlich überwinden und lösen, sowohl sozial gerecht als auch technisch und wirtschaftlich. Um erwiesenermaßen notwendige Maßnahmen nicht nur zu zerreden, fehlen in der Berichterstattung oft zwei wichtige Dimensionen: Kontext und konstruktive Ausblicke. Welche Möglichkeiten, welche Alternativen gibt es? Wie können sie funktionieren, wo liegen Hürden und Beschränkungen? Indem wir unser Wissensdefizit in den Redaktionen aufarbeiten und den Fokus auf Handlungsmöglichkeiten verlagern, kann Journalismus vom Teil des Problems zum Teil der Lösung werden. Einfach, indem wir unseren Job machen.
 

Literatur:

Armstrong McKay, D. u. a.: Exceeding 1.5°C global warming could trigger multiple climate tipping points. In: Science, 661/2022/337. Abrufbar unter: https://www.science.org

Schulzki-Haddouti, C.: Nicht ich. Nicht jetzt. Nicht so. Zu spät: Mit welchen Argumentationsmustern Klimaschutz gebremst wird. In: klimafakten. de, 03.09.2020. Abrufbar unter: https://www.klimafakten.de

Schurmann, S./Dohm, L.:Die Klimakrise ist nicht ein weiteres Problem auf der Bühne. Sie bedroht die ganze Bühne. In: Übermedien, 23.08.2021. Abrufbar unter: https://uebermedien.de

Subran, L. u. a.: Allianz Climate Literacy Survey: Time to leave Climate Neverland. 27 October 2021. München/Paris 2021. Abrufbar unter: https://www.allianz.com