„Wir von Fridays for Future fordern immer: Hört auf die Wissenschaft!“
Wie lange bist du schon aktiv bei Fridays for Future?
Seit September 2019 mache ich beim Instagram-Account für Fridays for Future Berlin mit und seit Anfang dieses Jahres koordiniere ich die gesamte Social-Media-Kommunikation für Berlin. Inzwischen mische ich auch bundesweit bei Kampagnen und Messen mit.
Ist es ein großer Unterschied, ob du auf Bundesebene oder für Berlin tätig bist, oder ähneln sich die Strukturen in der Organisation?
Da ich für Berlin alles koordiniere, habe ich hier natürlich eine größere Verantwortung. Ich mache die Posts, ich muss dafür sorgen, dass neue Storys kommen, und kümmere mich um Texte und Shared Pics. Bundesweit arbeiten daran 50 Leute, wodurch für die einzelne Person viel weniger zu tun ist.
Verwertet ihr den Content der Social-Media-Accounts zweifach? Also sowohl auf Bundesebene als auch in Berlin?
Wir versuchen den Content zu verändern, weil viele beiden Accounts folgen. Außerdem ist es wichtig, lokale Beiträge zu bieten: Bilder von Demos, berlinbezogene Themen, Eventankündigungen, sowas eben. Wir versuchen also zu variieren, aber manchmal überschneidet es sich natürlich. Wenn ein globaler Klimastreik ansteht, dann mobilisiert man für dieselbe Demo.
Auf eurem Instagram-Account sprecht ihr sehr viele unterschiedliche Themen an, wie Antidiskriminierung, Flüchtlingshilfe oder auch Feminismus. Gehören diese Themen für euch zusammen? Wie entscheidet ihr, was geteilt wird?
Als Strategieprozess haben wir auf Bundesebene und auch in Berlin eine Selbsteinschätzung vorgenommen. Wie sieht sich die Bewegung selbst? Viele Themen, wie beispielsweise Feminismus, haben mit der Klimakrise zu tun. Sozial schwächer gestellte Menschen – und das sind meistens die Frauen – sind noch stärker von der Klimakrise betroffen. Denn es sind vor allem Frauen, die in den ländlichen Regionen des globalen Südens von einem funktionierenden Ökosystem abhängig sind. Daher ist es total wichtig, das sichtbar zu machen.
Du hast die Verantwortung für die Postings. Hilft dir jemand dabei?
Wir haben eine Social-Media-AG. Coronabedingt laufen da im Moment nur Telkos. Da tauschen wir uns aus: Was lief gut, was lief nicht so gut? Was sollen wir verändern? Welche Posts kamen auf welchen Plattformen gut an? Dann werten wir das aus und entscheiden, was wir ändern können. In der Feedbackrunde schauen wir auch, welche neuen Rubriken vielleicht sinnvoll wären. Wir stellen beispielsweise jede Woche eine Aktivistin der Berliner Ortsgruppe vor. Diese Woche veranstalten wir eine Mahnwache am Invalidenpark, weil derzeit das Kohleausstiegsgesetz beschlossen wird. Dabei versuchen wir immer, das Inhaltliche gut rüberzubringen.
Instagram, Facebook, Twitter – die Plattformen unterscheiden sich. Wie handhabt ihr das in der Contentproduktion?
Die Unterscheidung liegt vor allem in der Zielgruppe. Auf Facebook sind eher ältere und konservativere Leute unterwegs und auf Instagram eher die jungen, etwas hipperen, die uns schon kennen. Auf Instagram kann man daher eine andere, jugendlichere Sprache sprechen. Auf Facebook nutzen wir eine gehobenere Sprache und posten informativere Beiträge, anstatt beispielsweise ein Quiz anzubieten.
Ihr spannt auch prominente Gesichter auf den Kanälen mit ein. Wie wichtig ist das?
Natürlich ist es immer wichtig, aus seiner eigenen Bubble rauszukommen. Wenn man von Prominenten gepusht wird, hilft das extrem, noch mehr Leute zu erreichen. Wir schreiben die allerdings nicht aktiv an, das kommt oft von denen selbst.
Welche Strategien habt ihr noch, um eine große Reichweite zu erzielen?
Ich schaue beispielsweise bei Instagram, wann unsere Follower am aktivsten sind, und setze um diese Uhrzeit die Posts, damit sie von möglichst vielen gesehen werden. Bei den Telkos besprechen wir, welche Posts gut ankommen, und posten diese dann öfter, um eben zielgerichtet Beiträge zu bieten.
Was gefällt dir besonders gut an deiner Position bei Fridays for Future?
Also, ich finde es cool, dass wir so viele Leute erreichen können und direktes Feedback bekommen. Ich habe auch lange die Mobilisierungs-AG geleitet, wo die Sticker und Plakate hergestellt werden. Wenn da jemandem etwas nicht gefällt, bekommt man das nicht direkt mit. Auf Instagram gibt’s sofort einen Kommentar wie: „Das finde ich scheiße“ (lacht), und dann weiß man eben direkt, was die Zielgruppe möchte, was gut ankommt und was nicht so gut ankommt, und man steht auch im direkten Austausch über Direktnachrichten.
Bekommt ihr viele Hassnachrichten?
Es hält sich in Grenzen. Es war früher schlimmer. Jetzt kommen eher Nachrichten wie: „Das finde ich scheiße“, also gar nichts Inhaltliches.
Ist Hass im Netz gegen Frauen bei euch ein Thema? Hast du beispielsweise Hassnachrichten bekommen, wenn du online für deine Meinung eingetreten bist? Du hast deinen privaten Account nicht öffentlich, richtig?
Auf meinem privaten Account bekomme ich keine Hassnachrichten. Aber in meinem Umfeld sehe ich, dass Aktivistinnen, die weiblich gelesen sind und die öffentlich viel auf ihren Social-Media-Kanälen teilen, sehr stark auf ihr Geschlecht reduziert werden. Da kommen dann schon Kommentare wie: „Ey, du Fotze!“.
Welche Auswirkungen kann das haben?
Ich glaube, das ist einfach strukturell in unserer Gesellschaft etabliert. Die Gesellschaft ist sexistisch und da gilt das irgendwie als normal.
Das ist total schlimm, denn dadurch trauen sich viele sicher nicht, online ihre Meinung zu äußern oder überhaupt am Diskurs teilzunehmen.
Auf jeden Fall. Aber wenn man sich anschaut, wer bei Fridays for Future für die Bewegung steht, dann sind das hauptsächlich weiblich gelesene Personen. Das finde ich sehr cool. Luisa Neubauer, Greta, die haben ein sehr starkes und selbstbewusstes Auftreten. Das gibt vielen mehr Selbstbewusstsein und mehr Kraft, etwas zu posten, weil man Role Models hat, an denen man sich orientieren kann. Die müssen jeden Tag mit Hassnachrichten umgehen, lassen sich davon aber nicht runterziehen. Und wenn man sich darüber austauscht und hört: „Hey, ich bekomme auch solche Hassnachrichten“, dann fühlt man sich damit nicht so allein.
... und kann gemeinsam Strategien entwickeln, damit umzugehen.
Ja.
Wie ist die Geschlechterverteilung bei euch im Berliner Team?
Ich würde sagen, es ist ziemlich ausgeglichen. Es wird auch sehr stark darauf geachtet, wer wie viel Redeanteil hat. Jede und jeder soll zu Wort kommen und wird direkt dazu ermutigt, sodass niemand Angst haben muss, etwas Falsches zu sagen, und einfach ehrlich sein kann. Eine gute Diskussionskultur lernt man supergut auf den Plenen, und auch die gendergerechte Sprache zum Beispiel. Bei mir in der Schule wird darauf überhaupt nicht geachtet, aber auf den Plenen ist das total etabliert.
Um bei euch mitzumischen, kann man sich einfach in WhatsApp- und Telegram-Gruppen hinzufügen lassen. Wird das viel genutzt?
Ja, wir kommunizieren hauptsächlich über Telegram, WhatsApp oder Signal. Es ist megacool, dass man so einfach den Gruppen beitreten kann. Dort erhält man alle Informationen, wird zu Plenen eingeladen und fühlt sich einfach gut aufgenommen.
Wie viele Gruppen habt ihr in Berlin?
Wir haben zwölf Bezirksgruppen. Jede Bezirksgruppe hat zwei Delegierte, die einmal pro Woche zu den Bezirksdelegierten-Plenen gehen. Da werden dann die Entscheidungen getroffen. Es ist also sehr basisdemokratisch organisiert. Theoretisch könnte man sich auch mit seinen zehn Freunden zusammentun und sagen: „Jo, wir wollen jetzt eine AG gründen.“ Und dann kann man das auch direkt machen.
Findest du, die Klimakrise leidet darunter, dass derzeit vor allem Corona in den Medien verhandelt wird?
Also, ich finde allgemein, dass die Coronakrise negative und positive Folgen hat. Negativ ist natürlich, dass Menschen sterben. Aber ganz davon abgesehen, kann man gut sehen, wie eine Gesellschaft, wie eine Regierung mit dieser Krise umgeht. Auf einmal ist es völlig normal, dass jeder Mensch eine Maske trägt. Auf einmal wird der Wissenschaft zugehört. Würde man das auf die Klimakrise umsetzen, wäre es superleicht, diese zu bewältigen. Wir von Fridays for Future fordern immer: Hört auf die Wissenschaft! Alle Forderungen, die wir aufgestellt haben, wurden lange mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ausgearbeitet. In der Coronakrise sieht man, dass es geht. Man kann auf die Wissenschaft hören, man kann wirtschaftlich zurückstecken, um Menschenleben zu retten.
Viele sehen die Klimakrise als nicht so akut an.
Die Klimakrise ist eine supergroße Krise für die gesamte Menschheit. Die Erde wird sich erholen, die ist schon so lange da, aber wir werden uns nicht erholen, und wir werden dann vielleicht nicht mehr da sein. Die Klimakrise ist eine konkrete Krise, die uns alle bedroht. Das sehen aber viele Leute leider nicht. Bei Corona ist es superdirekt: Die Person hat Corona. Aber man sieht eben nicht direkt den eigenen CO2-Fußabdruck. Und der hat so einen großen Einfluss auf die Umwelt. Das ist das Problem bei der Corona- und der Klimakrise: Die Coronakrise ist im Jetzt und Hier sichtbar, aber die Klimakrise nur bedingt. Wir sehen zwar, dass in Brandenburg die Felder abbrennen, dass alles trocken ist, der Borkenkäfer sich verbreitet und die Wälder sterben, aber man führt dies nicht auf sich selbst zurück. Man sagt nicht: „Der Borkenkäfer ist jetzt hier, weil ich letztes Jahr zehnmal nach Mallorca geflogen bin“, sondern man sagt: „… weil der Sommer so warm war.“
Das stimmt. Seit den 80er-Jahren weiß man von der Klimakrise, aber es war immer so weit weg. Und heute handelt die Regierung immer noch so, als hätten wir ewig Zeit.
Die Bundesregierung unterstützt jetzt Klimaschänder wie Fluggesellschaften und die RWE. Das ist ein riesiges Problem. Wir können uns jetzt nicht für die nächsten zehn Jahre verschulden und dann in drei Jahren merken, dass wir das Geld brauchen, um die Klimakrise zu bewältigen. Das Ganze verzehnfacht sich, wenn wir es nicht jetzt angehen. Daher muss man in der momentanen Krise richtig handeln und richtig investieren, aber das wird nicht gemacht.
Immerhin wurde die Abwrackprämie nicht eingeführt.
Ja, das ist natürlich sehr gut, dass die nicht eingeführt wurde. Aber allgemein finde ich es sehr fragwürdig, dass man überhaupt an so etwas denkt. Warum sollte ich Geld bekommen, wenn ich mir ein neues Auto kaufe? Ich finde das so abwegig, dass man sich überhaupt dagegenstellen muss!
Trotz der coronabedingten Einschränkungen wolltet ihr demonstrieren und habt euch tolle Aktionen überlegt, wie die Plakatablage vor dem Bundestag. Kannst du dazu etwas erzählen?
Der physische Streik konnte ja nicht stattfinden. Wir hatten schon vor den offiziellen Regierungsmaßnahmen Streiks abgesagt, weil Sicherheit an oberster Stelle steht. Deswegen haben wir uns alternative Aktionen überlegt. Denn es ist natürlich immer noch wichtig, wohin wir das Geld geben, wie wir mit der Krise umgehen. Um das zu reflektieren, haben wir nur die Schilder ohne Menschen vor den Bundestag gelegt. So war jeder doch Teil einer riesigen Aktion.
Ihr habt zurzeit auch noch viele Aktionen geplant.
Genau. Jetzt gerade wird das Kohleausstiegsgesetz besprochen, deshalb machen wir hier in Berlin am Invalidenpark eine Mahnwache über mehrere Tage. Wir haben eine Fahrraddemo im Regierungsviertel geplant, um darauf aufmerksam zu machen, dass man nachhaltig denken und nachhaltige Entscheidungen treffen muss – auch in dieser Krise. Daher #fighteverycrisis, weil es eben wichtig ist, jede Krise zu bewältigen und daraus zu lernen.
Was ist denn die Galerie des Scheiterns?
Wir haben eine Ausstellung gemacht, wo man darüber informiert wird, was alles falsch läuft und welche Handlungen genau falsch sind. Es gibt Politikerinnen und Politiker, die die nachhaltige Energiewende abgewendet haben. Und dort wird eben dargestellt, welche Leute in Machtpositionen gerade unsere Zukunft verspielen.
Solche Aktionen sind natürlich super, um sie in Social Media zu teilen.
Genau.
Liebe Lilith, vielen Dank für das Interview!
Lilith Rein (Foto: privat)
Eva Maria Lütticke (Foto: privat)