Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit des bewegten Bildes in der Gegenwartskunst

Nina Steinmüller

München 2021: Wilhelm Fink Verlag
Rezensent/-in: Michael Wedel

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 4/2022 (Ausgabe 102), S. 84-84

Vollständiger Beitrag als:

Zeit und Geschichtlichkeit in der Medienkunst

Das Buch zieht eine Reihe von klugen Schlussfolgerungen aus der bereits vor einiger Zeit diagnostizierten „historiografischen Wende in der Kunst“ (S. 1). In vier Fallstudien zu Videos und Installationen von Douglas Gordon, Tacita Dean, Mark Lewis und James Coleman geht es der Frage nach, inwiefern die Zeitformen des bewegten Bildes in der Medienkunst der Gegenwart eine vielschichtige Reflexionsbewegung darüber in Gang setzen, wie Geschichte sich im Raum geteilter ästhetischer (Zeit-)Erfahrung konstituiert. Steinmüllers Ansatz greift dabei weit über Bezüge zu dargestellten historischen Sachverhalten hinaus. Mit Reinhart Koselleck versteht sie unter „Geschichtlichkeit“ vielmehr „die Bedingungen der Möglichkeit von Geschichte überhaupt“ (S. 8). Die damit angesprochene Relativität historischer Bewusstseinsbildung wendet Steinmüller konsequent auf die Verhandlung und Vermittlung unterschiedlicher Zeitlichkeiten an, durch die Geschichte „als bildliches Phänomen […] mittels ästhetischer Praktiken sicht- und erfahrbar gemacht wird“ (S. 10). Dabei liefert Steinmüller Argumente für eine Problematisierung der entlang der Dichotomie von Stillstand und Bewegung gedachten Leitdifferenz zwischen Fotografie und Film und demonstriert die Stichhaltigkeit ihrer Revision am Beispiel der „verborgenen“ Bewegung der Pose in Werken von Coleman und Dean. Andere Analyseschwerpunkte bilden der künstlerische Umgang mit Found Footage bei Coleman, Gordon und Dean sowie die heterochrone Darstellung architektonischer und landschaftlicher Umgebungen bei Lewis und Dean. Die sorgfältigen Analysen sind in eine umsichtig geführte Theoriediskussion eingebettet, weshalb die gut geschriebene Arbeit auch über ihren Gegenstandsbereich hinaus eine anregende Lektüre bietet.

Prof. Dr. Michael Wedel