Als Laie im Kampf gegen das Coronavirus

Sebastian Pertsch

Sebastian Pertsch ist Journalist, Nachrichtenredakteur, Sprecher und Sachbuchautor. Er betreibt zusammen mit Udo Stiehl die sprach- und medienkritische „Floskelwolke“.

Citizen Science heißt das Zauberwort, wenn Laien einen wertvollen Beitrag für die Wissenschaft leisten. Mit Apps wie Rosetta@home und Folding@home kann jede bzw. jeder mit einem eigenen Computer die Forschung unterstützen – auch das Virus Sars-CoV‑2 ist beim verteilten Rechnen, dem sogenannten Volunteer-Computing, im besonderen Fokus.

Printausgabe tv diskurs: 24. Jg., 3/2020 (Ausgabe 93), S. 52-53

Vollständiger Beitrag als:

„Für Volunteer-Computing stehen viele Programme zur Auswahl. Rosetta@home ist dabei mein Lieblingsprojekt. Es basiert auf der Software BOINC der Universität Berkeley, welche von den Erfindern von SETI@home geschrieben wurde“, sagt Andreas Rieke, besser bekannt als And.Ypsilon von den „Fantastischen Vier“.

Während des Interviews bewegt Rieke die Webcam durch seinen „Maschinenraum“, wie er ihn nennt. Wüsste man nicht um seine hauptberufliche Arbeit als Musiker, Soundtüftler und Produzent, bei der ohnehin viel Technik erforderlich ist, dann würde man meinen, er befände sich in einem großen Serverraum im Keller. Im Hintergrund türmen sich die Racks mit viel Equipment, vielen Reglern und Schiebern – und sein zentraler Computer lässt gerade Moleküle berechnen und zeigt sie auf seinem riesigen Bildschirm an. Ein Hobby in einem privaten Headquarter, aber mit ernstem und wichtigem Hintergrund.

Die Erforschung ist häufig auch ein verdammt hartes Rechenproblem in der Wissenschaft. Die Vorhersage eines Schachspiels ist dagegen ein Kinderspiel“,

meint Rieke und ergänzt: „Es ist ungefähr so, als würde man auf einem unbekannten Planeten Hunderttausende blinde Fallschirmspringer absetzen, die nur tasten und vorankriechen können. Ihr Ergebnis, wie tief die tiefste Stelle ist, die sie gefunden haben, müssen sie aber zu einer zentralen Instanz melden können, sonst kann kein Gesamtergebnis zustande kommen.“

SETI@home zählt zu den ersten großen wissenschaftlichen Projekten dieser Art und gilt zudem als Initialzündung für Volunteer-Computing und mit dem universal nutzbaren Programm BOINC auch als technische Grundlage für zahlreiche weitere Projekte. Neben der Astrophysik, die beispielsweise die kosmische Hintergrundstrahlung analysiert, helfen andere Programme bei der Krankheitsbekämpfung von Krebs, Parkinson oder Alzheimer. Andere berechnen wiederum Klimaprognosen oder entwickeln die Quantenchemie weiter. Jedes naturwissenschaftliche Ressort unterhält – meist organisiert von Universitäten – ein Volunteer-Computing zu aktuell relevanten Themen.
 

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„Man sollte sich natürlich mit dem Thema und dem Computerprogramm auseinandersetzen“, findet Andreas Rieke. Aber dies sei ein kleines Opfer. „Die Vorhersage, Proteinstrukturen und Proteinbindungen aus einer Aminosäuresequenz treffen zu können, ist ein sehr wichtiges Thema in der gesamten Biologie“, ergänzt Rieke auch mit Blick auf das Coronavirus.

Ein weiteres populäres Programm ist Folding@home von der Stanford University, dessen Basis zwar nicht auf BOINC basiert, aber auch schon 20 Jahre im Einsatz ist und auf vielen Betriebssystemen läuft. Laut Projektleiter Greg Bowman wird das Programm aktuell – auch dank des Augenmerks auf Corona – auf mehr als 3,5 Mio. Geräten für die Proteinstrukturvorhersage genutzt. Als im April 2020 die Erforschung der Proteinfaltung des Virus begann, war die Rechenleistung aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer 15-mal stärker als der schnellste Supercomputer der Welt. Oder um es noch eindrücklicher zu formulieren: Folding@home hatte mehr Power als die stärksten 500 Supercomputer zusammen.

Während die Installation und Einrichtung von Rosetta@home und Folding@home relativ einfach und schnell sind, sollte dennoch beachtet werden, dass die Teilnahme auch etwas kostet: zwar keine Mitgliedsgebühr, wohl aber Stromkosten. Denn wenn die Programme aufdrehen und die CPU und GPU unter Volllast arbeiten, können gut und gerne ein paar 100 Euro mehr pro Jahr anfallen. Allerdings lässt sich einstellen, wie intensiv der heimische Rechner mitmachen soll. Beispielsweise kann dem Programm nur gestattet werden, während der Abwesenheit und dann auch nur minimal Leistungen zur Verfügung zu stellen – dann wären es nur wenige Euro pro Monat.

Andreas Rieke sieht das als „Spende für die Wissenschaft“, denn es sei „ein ernster Beitrag mit tatsächlicher wissenschaftlicher Arbeit, die sonst nur von staatlicher Seite durchgeführt werden könnte – oder eben von Konzernen, die die Forschungsergebnisse meist geheim halten. Aus meiner Sicht ein wichtiger Faktor, bei dem man sich fragen muss, ob es nicht allein schon deshalb sinnvoll wäre, die offene Forschung zu unterstützen.“

Ein weiterer Ansporn dürfte sicherlich auch die Möglichkeit sein, sich in Gruppen zusammenzuschließen, um dann mit anderen Teams – zumindest passiv – zu wetteifern mit dem Ziel, in den Ranglisten nach oben zu klettern. Je mehr Berechnungen durchgeführt werden, desto mehr Punkte gibt es auch. Die User- und Gruppenstatistiken sind öffentlich. „Ich gucke außerdem ab und zu, ob ich mal wieder einer der Glücklichen war, mit meinem Rechner die beste Vorhersage gemacht zu haben und wie oft das schon passiert ist“, zeigt sich Rieke begeistert.

Neben den beiden aufgeführten Programmen, die lediglich im Hintergrund laufen, gibt es auch das kostenfreie Computerspiel Foldit von der University of Washington: eine Art Puzzle, dessen Ziel es ist, ein Protein bestmöglich zu falten. Die spielerische Herangehensweise hat aber ebenfalls einen ernsten Hintergrund. Auch hier werden die Analysen wissenschaftlich zur Forschung genutzt – und die Masse an Nutzerinnen und Nutzern ist hier ebenfalls der Schlüssel zum Erfolg.

Andreas Rieke beteiligt sich ehrenamtlich als wissenschaftlicher Laie seit 2008 und ist sich abschließend sicher:

Citizen Science ist ein wichtiger Nutzen für die Gesellschaft.“
 

SETI – englisches Akronym für die „Suche nach außerirdischer Intelligenz“ – hat sich seit den 1960er-Jahren der wissenschaftlichen Aufgabe verschrieben, u.a. mit Radioteleskopen nach Signalen im Weltall zu suchen, die nicht menschlichen und nicht irdischen Ursprungs sind. Weil die Datenmengen zu groß und die Berechnungen zu aufwendig für die damaligen Computerleistungen waren, entstand kurz vor der Jahrtausendwende das populäre SETI@home. Dieses verteilte die schier unendlichen Aufgaben und ließ sie von Freiwilligen auf der ganzen Welt bewältigen. Jede bzw. jeder konnte mit dem eigenen PC mitmachen, das Programm lief z.B. als Bildschirmschoner. Mehrere Millionen Menschen beteiligten sich – und genau das ist der Clou am verteilten Rechnen: Die Masse macht’s! Mehr als 2 Mio. Jahre Rechenzeit erbrachte allein die Erforschung außerirdischen Lebens.