Coolness

Gerd Hallenberger

Dr. habil. Gerd Hallenberger ist freiberuflicher Medienwissenschaftler.

In dieser Folge des Medienlexikons geht es um „Coolness“.

Printausgabe mediendiskurs: 28. Jg., 3/2024 (Ausgabe 109), S. 66-67

Vollständiger Beitrag als:

Es gibt Wörter, die gefühlt in aller Munde sind.Aber wenn man darüber nachdenkt, was genau damit gemeint ist, wird das Bild schnell unscharf. Im Falle von „Coolness“ ist eine gewisse Unschärfe anscheinend sogar ein wesentliches Merkmal: Oft ist es leichter, sich darüber zu einigen, wer oder was „cool“ ist als über die Gründe dafür.

Im heutigen metaphorischen Sinn ist das Wort in den USA seit etwa 90 Jahren nachweisbar, in Deutschland wurde es erst mit dem „Cool Jazz“ geläufig. Meist wird es zur Kennzeichnung von Menschen verwendet, entweder ihrer Person und Persönlichkeit insgesamt oder ihrem Auftreten oder Aussehen. „Cool“ können auch künstlerische Leistungen sein, Kleidungsmode eingeschlossen. Andere, nicht ästhetische Phänomene sind in der Regel nicht als „cool“ etikettierbar. So gilt beispielsweise das Fernsehen bei Marshall McLuhan zwar als „kühles“ Medium, aber „cool“ war das Fernsehen eigentlich nicht. Das Gleiche trifft auch auf alle anderen Medien nach deren Etablierung zu. In seiner Anfangszeit ist das Internet vielleicht noch einigen Menschen als cooles Medium erschienen, aber nur dann. Und TikToks Phase der Coolness war bereits kaum mehr messbar.

Im weitesten Sinn kann „cool“ aber auch lediglich meinen, dass man etwas irgendwie gut findet. Präzisere Bestimmungen, was Coolness – im engeren Sinn – ausmacht, fallen nicht so leicht. Und das hat mit zwei Vorgeschichten zu tun. Lange bevor das Wort in Gebrauch kam, war das heute damit Gemeinte vor allem eine Strategie, die bestimmten Gruppen half, sich zu schützen. Dass das Wort in seiner heutigen Verwendungsweise zunächst in afroamerikanischem Slang auftauchte, ist kein Zufall, denn es waren Sklaven in den USA, die sich vor ihren „Besitzern“ und deren Gewalt dadurch zu schützen versuchten, dass sie ihre Wut und ihre Gefühle insgesamt hinter einer Maske verbargen, womit sie gleichzeitig füreinander durch passiven Widerstand eigene Stärke demonstrieren konnten. Niemand konnte sehen, was in ihnen vorging, und bis heute gehört ein Stück Undurchschaubarkeit essenziell zur Coolness dazu. Später war in Europa eine ähnliche Strategie für eine andere Personengruppe ebenfalls nützlich. Nach außen demonstrierte Emotionslosigkeit war auch ein wichtiges Merkmal des Dandys, dessen nicht nur ästhetische Selbstinszenierung gleichermaßen seine Verachtung für die ihn umgebende Gesellschaft wie auch sein Insistieren auf radikale Individualität zum Ausdruck bringen sollte.

Diese Vorgeschichten geben einen Hinweis darauf, warum „Coolness“ so viel mit Widersprüchen, sogar Paradoxien, zu tun hat. Die zur Schau gestellte Kälte verbirgt und schützt innere Wärme: Was „cool“ ist, kann gleichzeitig „hot“ sein – intensiv, interessant, wichtig. Die kühle Oberfläche verspricht geradezu, dass dahinter etwas ganz anderes liegt. Aber das ist nicht für jede(n) gedacht. Das Coole operiert im Widerstand, sei es im ästhetischen oder politischen, manchmal sogar in beiden. Es beharrt auf Individualität und Eigensinn, widersetzt sich sowohl herrschenden Eliten wie gesellschaftlichem Mainstream. Trotzdem ermöglicht es auch Gemeinschaftsbildung, symbolisch oder real. Wer seine Codes kennt, kann andere Menschen als das erkennen, was sie sind, sodass sich Unterdrückte, Ausgegrenzte, Angehörige von Minderheiten verbinden können – oder sich wenigstens nicht mehr so isoliert und allein fühlen müssen.

Daraus ergibt sich auch, dass dort, wo „cool“ nicht bloß als Synonym für „gut“ verwendet wird oder käuflich erwerbbare Objekte kennzeichnet, immer eine gewisse Ambivalenz im Spiel ist. Das im Nachhinein als „cool“ gelesene Verhalten amerikanischer Sklaven beruhte nicht auf ihrer freien Entscheidung, sondern war Notwehr in einer rassistischen Gesellschaft. Coole Filmhelden, vom Film noir bis beispielsweise zu diversen James-Bond-Interpretationen, sind keine glücklichen Menschen. Sie sind oft verbittert, traurig, etwas Wichtiges fehlt in ihrem Leben oder sie haben es verloren. Coolness ist bei ihnen nicht Erfolgsrezept, sondern Überlebensstrategie. Coolness ist nicht ohne Einsamkeit zu haben – im besten Fall können sich darin andere Einsame wiedererkennen. Für coole Musik gilt Ähnliches: Nicht gleich Einsamkeit, aber Individualität des Ausdrucks kennzeichnen etwa Pioniere des „Cool Jazz“ wie Lester Young oder Miles Davis.

Musik und Film sind ohnehin die Kulturbereiche, die als wichtigste Medien der Inszenierung und Demonstration von Coolness dienen. Hier waren auch die ersten sogenannten „Kings of Cool“ zu finden: Dem Schauspieler Steve McQueen und dem Multitalent Dean Martin wurde der Eindruck von Leichtigkeit und Lässigkeit bescheinigt – was in erster Linie bedeutete, dass sie die Arbeit dahinter unsichtbar machen konnten. Zunächst gab es nur „Kings“, denn Coolness war erst einmal eine Männerdomäne. Der Befund überrascht nicht, denn wir haben es hier mit patriarchalisch geprägten Gesellschaften zu tun, außerdem gilt das Verstecken eigener Gefühle als besonderes männliches Talent.

Als „cool“ bezeichnete Frauen waren beim Film anfangs Ausnahmen und kamen fast nur in den Rollentypen „Femme fatale“ oder „Diva“ daher. Die vielleicht berühmteste von allen: Marlene Dietrich. In der populären Musik blieben coole Frauen lange Zeit ebenfalls selten. Aber inzwischen nimmt die Zahl der Nachfolgerinnen beispielsweise von Billie Holiday, Juliette Gréco, Patti Smith, Grace Jones und Lana Del Rey erkennbar zu.


Im Unterschied zu angelsächsischen Ländern wird in Deutschland „cool“ vor allem in Jugendsprache verwendet, was ehemalige Jugendliche höheren Alters einschließt. Als strategische Option für Heranwachsende ist Coolness gleich aus mehreren Gründen attraktiv: Sie hilft, sich gegenüber elterlicher Autorität zu behaupten, eigene Unsicherheit zu verbergen und die Position in der Peergroup zu verbessern. Denn was gibt es Besseres als die Projektion von Stärke, Autonomie und Unverletzlichkeit?

Was für wen konkret als „cool“ gilt, wird zwar kontinuierlich neu ausgehandelt, aber etwas stand immer schon fest: Wer von sich selbst behauptet, cool zu sein, ist es definitiv nicht.