„Der Preis zeigt, was in Deutschland alles möglich ist.“

Frau El-Maimouni, als Sie vor einigen Monaten das Angebot bekamen, die Verleihung des 60. Grimme-Preises zu moderieren, konnte niemand ahnen, dass Sie auch selbst ausgezeichnet werden. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das erfahren haben?

Ich war bei meinen Eltern, es war einer dieser hektischen Tage, an denen einen lauter alltäglicher Kleinkram zur Verzweiflung bringen kann, zumal auch noch der Nahverkehr gestreikt hat. Aber dann kam dieser Anruf, und plötzlich war alles andere zweitrangig. Das Schönste war, dass ich diesen Moment mit meinen Eltern teilen konnte, zumal mein familiärer Hintergrund für die Auszeichnung eine entscheidende Rolle gespielt hat.

Vom „Gastarbeiterkind“ zur Grimme-Preisträgerin: ein Traum?

Ein Traum auf jeden Fall, aber ich würde es anders formulieren: von der Journalistin beim Düsseldorfer Lokalradio zum Grimme-Preis. Ich bin sehr stolz darauf, dass meine Arbeit gewürdigt wird, gerade für diese in Marokko entstandenen und sehr besonderen Ausgaben der Sendung mit der Maus, die mir sehr am Herzen liegen. Aber Ihre Frage ist natürlich berechtigt.

Meine Geschwister und ich machen uns immer wieder bewusst, wie mutig es von unserem Vater war, Ende der 1960er-Jahre in ein Land zu kommen, das ihm völlig fremd war. Er kannte niemanden, die Kultur war ihm nicht vertraut, die Sprache beherrschte er nicht mal ansatzweise; all’ das hat er auf sich genommen, um sich und seiner späteren Familie eine bessere Zukunft zu ermöglichen.“

Wir Kinder sind das beste Beispiel dafür, wie viel sich innerhalb einer Generation ändern kann, wenn die entsprechenden Bedingungen vorhanden sind. Der Grimme-Preis zeigt, was in Deutschland alles möglich ist.
 

Eine Bilderbuchkarriere

Moderation beim Privatfunk, dann der Wechsel zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, erst Jugendradio, dann Westart, schließlich ttt – titel, thesen, temperamente: Im Rückblick wirkt Ihr Werdegang wie eine Bilderbuchkarriere. War das alles so erhofft?

Im Gegenteil! Aber unsere Eltern haben uns mitgegeben, jede Chance zu nutzen und das Beste daraus zu machen. Eigentlich wollte ich schreibende Journalistin werden, doch dann bin ich beim Radio gelandet. Ich wollte auch gar nicht nach Düsseldorf, aber das war privat und beruflich das Beste, was mir passieren konnte. Als Mädchen aus Duisburg-Meiderich wollte ich immer in einer Weltstadt leben und ein cooles Leben führen; und dann hat mich mein Weg zum SWR nach Baden-Baden geführt. Aber das Jugendradio DasDing hat mir tolle Möglichkeiten geboten, mich weiterzuentwickeln. Am stärksten hat mich allerdings die Arbeit für Funkhaus Europa geprägt, und das nicht nur journalistisch. Das heutige WDR Cosmo war auch für meine Identität und Weltoffenheit ganz entscheidend. Der Sender hat mir geholfen, zu mir selbst zu finden.

Keine dieser Stationen stand auf Ihrer Wunschliste?

Jedenfalls nicht ganz oben, aber ich musste mich nicht verstellen. Das war ohnehin immer mein Ansatz:

Ich arbeite nur für Medien, die ich gut finde und auch selbst konsumiere.“

Ich habe das nie nur des Geldes wegen getan oder weil ich mir davon Vorteile für meine Karriere erhofft habe. Natürlich gehört auch Glück dazu: Durch den Radiopreis ist die Redaktion des WDR-Kulturmagazins Westart auf mich aufmerksam geworden, dank Westart bin ich zu ttt eingeladen worden. Ich musste dabei immer durch eine Casting-Prozedur, mir ist nichts in den Schoß gefallen, doch es war nie mein Ziel, den Deutschen Radiopreis oder den Grimme-Preis zu bekommen. Als ich mit dem Reportagemagazin Neuneinhalb beim WDR-Kinderfernsehen angefangen habe, habe ich mir aber gedacht, wie toll es wäre, auch mal zum Team der Sendung mit der Maus zu gehören, mit der ich aufgewachsen bin.

Wann wussten Sie, dass Sie Journalistin werden wollen?

Unsere Eltern haben uns früh vermittelt, wie wichtig Nachrichten sind. Fernsehen und Radio waren schon immer meine Lieblingsmedien, deshalb war ich bereits als Kind überzeugt: Es muss extrem cool sein, da zu arbeiten. Wenn ich die Mini Playback Show gesehen habe, wollte ich nie einer der Gäste sein, sondern immer Marijke Amado.
 

Infokasten:
Siham El-Maimouni (39) wurde in Duisburg als Kind marokkanischer Eltern geboren und lebt heute in Düsseldorf. Sie hat Politik- und Verwaltungswissenschaft sowie Soziologie studiert. Ihr Volontariat absolvierte sie bei Antenne Düsseldorf. Nach einigen Moderationsjahren beim SWR-Jugendprogramm Das Ding arbeitet sie seit 2010 für den WDR. Den Anfang machte Funkhaus Europa (heute Cosmo). Seit 2014 gehört sie zum Moderationsteam der Sendung mit der Maus, außerdem präsentiert sie die Magazinsendungen Westart und Westpol sowie seit 2021 einmal im Monat ttt – titel, thesen, temperamente. 2015 wurde sie mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet. Die Grimme-Preise werden 26. April verliehen.

„Wo kommst du eigentlich her?“

Wie ist die „Marokko-Maus“ entstanden?

Die Idee, im Rahmen einer „Sommerreise“ der Sendung mit der Maus die ursprüngliche Heimat meiner Eltern und die Kultur der Berber vorzustellen, hatten die langjährige Maus-Autorin Birgit Quastenberg und ich schon vor vielen Jahren. Ich werde ständig gefragt, wo ich eigentlich herkomme. Ich antworte dann: „aus Düsseldorf“. Wenn es eine Nachfrage gibt, sage ich: „Geboren und aufgewachsen bin ich in Duisburg.“ Ich weiß natürlich, worauf die Leute hinauswollen, und wenn sie mir sympathisch sind, erzähle ich, dass meine Eltern aus Marokko stammen. Birgit hat das oft mitgekriegt und deshalb vorgeschlagen, dass wir die Sendung mit dieser Frage beginnen. Wir haben gehofft, dass wir damit viele Menschen abholen, die wie ich eine internationale Familiengeschichte haben; und dass wir auch all’ jene ansprechen, die diese Frage stellen.

Es ist eine ganz einfache Frage und meist nicht böse gemeint, gilt aber als Merkmal für alltäglichen Rassismus, weil sie die Befragten auf ihr Äußeres und ihr Anderssein reduziert. Empfinden Sie das auch so?

Mit der Neugier an sich habe ich kein Problem, aber wenn Menschen wie ich, die in den Augen vieler Leute nicht „deutsch“ aussehen, weil sie dunkle lockige Haare und eine dunklere Hautfarbe haben, täglich mehrmals gefragt werden, wo sie herkommen, setzt sich irgendwann unbewusst fest, dass man nicht dazugehört.

Es ist daher sehr wichtig, die Leute dafür zu sensibilisieren, dass diese Frage verletzen kann.“

Im Ausland erlebe ich das anders. In den USA zum Beispiel wird nach den Wurzeln der Familie gefragt, aber in Deutschland heißt es immer: „Wo kommst du her?“
 

Wie war das in Ihrer Kindheit?

Überhaupt kein Thema. Wir sind sehr behütet aufgewachsen und waren alle im Schwimmverein. Ich kann mich an keine diskriminierenden Erfahrungen erinnern. Auf meinem Meidericher Gymnasium gab es ohnehin viele Kinder mit internationaler Familiengeschichte, da hat niemanden interessiert, welche Wurzeln die Eltern haben.

Seit einigen Jahren ist Diversität vor der Kamera auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein wichtiges Thema. Tun die Sender in dieser Hinsicht genug?

Erst mal denke ich doch, dass ich meine Moderationsaufgaben nicht wegen meines familiären Hintergrunds bekommen habe; inhaltliche Fragen sollten immer im Vordergrund stehen. Das Fernsehen, sowohl das öffentlich-rechtliche wie auch das private, kann wegen der digitalen Medien allerdings auch gar nicht anders, als sich breiter aufzustellen: Heutzutage ist niemand, der „irgendwas mit Medien“ machen will, auf einen Sender angewiesen. Davon abgesehen könnte Diversität auch hinter der Kamera noch viel selbstverständlicher werden. Bei Funkhaus Europa habe ich gelernt, wie bereichernd das für einen Sender sein kann. Entscheidend ist jedoch, dass alle die gleichen Chancen haben.

 

Aus der Grimme-Preis-Begründung für Maus-Spezial: Marokko-Maus (Preisträgerinnen: Siham El-Maimouni und Birgit Quastenberg):

„Hier bereist nicht einfach jemand ein interessantes Land, sondern erzählt persönliche Geschichten, die für Deutschland als Einwanderungsgesellschaft bedeutsam sind. Es entsteht dadurch ein Einblick, der frei ist von touristischen oder ‚exotischen’ Perspektiven. Die handwerklichen, kulturellen und geografischen Aspekte werden nicht einfach nur dargestellt, sondern mit persönlichem Hintergrund verknüpft und somit nachvollziehbar und authentisch. […] Siham El-Maimouni präsentiert die einzelnen Geschichten gut gelaunt und kenntnisreich. […] Die Jury wünscht sich eine Fortsetzung der Reihe mit Reisen in andere so genannte ‚Herkunftsländer’, bei denen die Zusehenden Menschen begleiten, die dort familiäre Wurzeln haben, persönliche Einblicke gewähren und überraschende Geschichten erzählen.“ Die zweiteilige Sendung gibt es in der ARD-Mediathek.

Die Lage wird immer dramatischer

Es gibt Strömungen in der Gesellschaft, die Menschen wie Sie am liebsten zurück in ihre Heimat schicken wollen, und damit ist nicht Duisburg-Meiderich gemeint. Wie erleben Sie das?

Ich gehöre zu den wenigen Journalisten, die weder bei Facebook noch bei TikTok oder auf Instagram öffentlich aktiv sind. Von daher kann man mich dort auch nicht angreifen. Mir ist aber klar, dass ich als Moderatorin nicht in das Weltbild bestimmter Ideologien passe. Für diese Leute spielt es überhaupt keine Rolle, dass ich aus Duisburg stamme, akzentfrei deutsch spreche, pünktlich meine Steuern zahle und nun sogar den Grimme-Preis bekomme. Manchmal werde ich beleidigt, wenn ich für das Kinderfernsehen in der Fußgängerzone mit dem ARD-Mikro unterwegs bin. Die Lage für Journalisten ist in den letzten Jahren ohnehin immer dramatischer geworden, auch ohne besonderen familiären Hintergrund.

Macht Ihnen die Entwicklung im Land Angst?

Als Bürgerin mit internationaler Familiengeschichte macht mir das in der Tat sehr große Angst. Viele aus meinem Freundeskreis fragen sich, was sie machen sollen, wenn sie sich hier nicht mehr sicher fühlen. Mein Vater ist damals nach Deutschland eingeladen worden, das Land hat Menschen wie ihn gebraucht. Die Nachkommen dieser sogenannten Gastarbeiter leben seit Jahrzehnten hier, sie fühlen sich als Deutsche, aber es wird ihnen immer wieder vermittelt:

Du gehörst hier nicht her, und wir wollen dich hier auch nicht haben.“

Es muss uns Medienschaffenden gelingen, alle Menschen zu erreichen und besser zu informieren.

„Ich könnte das“

In der Laudatio des Deutschen Radiopreises wurden Sie als „Radiofrau mit großer Zukunft“ gepriesen. Diese Zukunft ist nun Gegenwart. Wovon träumen Sie heute? Von den Tagesthemen?

Das Radio war meine erste große Liebe und ist es immer noch. Wenn das Fernsehen mich aus irgendeinem Grund nicht mehr haben will, würde ich zum Lokalradio zurückkehren und wäre auch da glücklich. Träume hatte ich eigentlich nie, und wenn, dann habe ich öffentlich nicht darüber gesprochen. Vor zehn Jahren hätte ich mich nie getraut zu sagen „Ich möchte mal ttt moderieren.“ Ich würde mich freuen, wenn ich dabei helfen könnte, die Formate, für die ich jetzt tätig bin, weiterzuentwickeln. Die digitale Transformation ist aktuell die größte Herausforderung für das öffentlich-rechtliche Fernsehen; diesen Übergang möchte ich gern mitgestalten. Aber was die Tagesthemen angeht, weiß ich heute im Unterschied zu früher: Ich könnte das.

Werden Sie sich wie einst Harald Schmidt den Grimme-Preis selbst überreichen?

Das war tatsächlich mein zweiter Gedanke, als ich über die Auszeichnung informiert wurde: Wie kriege ich das hin, ohne dass es unglaublich narzisstisch wirkt? Ich bin nur eine Preisträgerin von vielen und keineswegs die wichtigste, außerdem genieße ich als Moderatorin an diesem Abend schon genug Aufmerksamkeit, deshalb will ich unbedingt den Eindruck vermeiden, meine Auszeichnung sei der Höhepunkt der Veranstaltung.