Die Datingshow

Gerd Hallenberger

Dr. habil. Gerd Hallenberger ist freiberuflicher Medienwissenschaftler.

Datingshows verkuppeln mittlerweile ihre Enkelgeneration. Schon seit den 1940er-Jahren gehen junge Paare öffentlich auf Tuchfühlung. Gerd Hallenberger skizziert die Historie.

Printausgabe tv diskurs: 24. Jg., 4/2020 (Ausgabe 94), S. 76-77

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Mit welchem Menschen möchte ich mein weiteres Leben verbringen? Was heute eine Schlüsselfrage für ein glückliches Leben ist, spielte in der Menschheitsgeschichte lange keine nennenswerte Rolle, da die Partnerwahl entweder von anderen und/oder nur unter wenigen infrage kommenden Personen vorgenommen wurde. Erst im 19. Jahrhundert wurde die aktive Partnerwahl häufiger zum Thema – und das in der Regel in jungen Jahren und nur einmal im Leben. Heute ist die Situation dagegen für viele Menschen kompliziert geworden – und daher die Partnerwahl ein attraktives Thema der Medienunterhaltung. Das gilt vor allem für die erste Phase: das Kennenlernen.

Gleich der erste Versuch war ein großer Erfolg und kam wie viele andere Unterhaltungsangebote von der Bühne ins Radio und dann ins Fernsehen. Die Bühne befand sich in einem Kino in Sioux Falls, USA, wo ab 1943 ein kleines Spiel geboten wurde, das auch das Radio übertrug: Je zwei Soldaten bemühten sich um die Gunst einer jungen Frau, der Sieger durfte einen Abend mit ihr verbringen. Beide Parteien konnten sich nicht sehen, weil sie durch eine Wand getrennt waren, die Kommunikation fand per Telefon statt. G. I. Blind Date wurde rasch von anderen Sendern als Blind Date übernommen und kam 1949 ins Fernsehen. Die Geschlechterrollen waren hier noch klar verteilt: Männer wählen aus, Frauen werden ausgewählt. Daran änderte sich zumindest ein wenig, als Produzent Chuck Barris 1965 eine modernisierte Variante als The Dating Game in den USA zum Erfolg machte und gleichzeitig zum weltweit imitierten Prototyp. Immerhin konnte nun gelegentlich auch eine Frau unter mehreren Männern wählen, ausschließlich heterosexuelle Paarungen blieben jedoch die Regel ohne Ausnahme.
 


Dank The Dating Game hat sich auch etabliert, dass die Partnersuche meistens in eine Spielinszenierung eingebettet wird. Eine naheliegende Verbindung, weiß doch schon der deutsche Schlager, dass es sich bei der Liebe um ein seltsames Spiel handelt. Einen Sonderweg hat hier das deutsche Fernsehen eingeschlagen, da der erste Versuch kein Spielelement aufwies. Spätere Heirat nicht ausgeschlossen (1974 – 1981) war eine Talkshow mit Einspielfilmen, und es ging um echte Hilfe bei der Partnersuche. Der DFF und danach der MDR griffen diese Idee später wieder auf: In Je t’aime – wer mit wem? präsentierten sich ab 1990 Singles in professionell produzierten „TV-Annoncen“.

Abgesehen von solchen Ausnahmen bedienen Datingshows jedoch in erster Linie die Unterhaltungsinteressen des Fernsehpublikums – was den Beteiligten in der Regel bewusst ist. Pionier war dabei auch in Deutschland The Dating Game, und zwar die lokale Adaption Herzblatt (ARD ab 1987). Sowohl die Fragen des „Pickers“ wie die Antworten waren redaktionell vorbereitet, damit möglichst witzige Dialoge entstanden. Partnersuche als nur ein Element eines komplexen Formats verwendete ab 1989 mit großem Erfolg die ARD-Show Geld oder Liebe (Moderation: Jürgen von der Lippe): In jeder Folge absolvierten drei männliche und drei weibliche Singles in ständig wechselnden Paarkonstellationen diverse Spiele. Am Ende der Sendung stimmte das Fernsehpublikum per Telefon über das „Traumpaar“ der Sendung ab, und nur, wenn sich beide zuvor nicht für „Geld“, sondern für „Liebe“ entschieden hatten, gab es für sie als Hauptgewinn den Jackpot mit dem erspielten Geld der Sendung.

 



In den 1990er-Jahren nahm die Zahl der Kennenlernshows deutlich zu, gleichzeitig differenzierte sich das Feld aus, etwa durch indirekte Partnersuche – so wollten in Grünschnäbel (1996) Kinder alleinerziehender Mütter oder Väter für diese einen Partner bzw. eine Partnerin finden. Obwohl tatsächlich alte Familienkonzepte und konservative Vorstellungen von Geschlechterrollen längst durch eine vielfältigere gelebte Realität abgelöst worden waren, blieb in Datingshows ein traditionelles Modell verklärter romantischer Liebe als Referenz intakt – und es sollte bis 2003 dauern, dass erstmals in Herzblatt ein Mann einen Mann suchte.

Aber nicht nur bei Datingshows, auch in der wirklichen Welt wurden in den letzten Jahrzehnten immer mehr Varianten des Kennenlernens und der Beziehungsgestaltung sichtbar. Das Resultat: eine massive Zunahme von Ambivalenz. Einerseits leben mehr Menschen längere Zeit als Singles, andererseits sehnen sich viele doch nach einer verlässlichen Partnerschaft. Einerseits gibt es mehr Wahlmöglichkeiten als jemals zuvor, andererseits haben die Suchenden keine Wahl: Sie müssen sich selbst entscheiden. Einerseits ist es toll, so frei wählen zu können, andererseits ist da unweigerlich die Angst vor der falschen Entscheidung. Einerseits geht es mir mit meiner getroffenen Wahl ja gut, andererseits könnte es mir mit einer anderen vielleicht noch besser gehen. Und die Digitalisierung vieler Lebensbereiche hilft hier nur begrenzt weiter, denn auch Tinder und Parship besitzen keinen Algorithmus für Beziehungsglück.

Als Folge dieser realen Ambivalenzen zeigen sich heute auch Datingshows und Artverwandtes sehr ambivalent. Neben Shows, die glaubwürdige Kennenlernsituationen nachstellen, wie etwa First Dates – Ein Tisch für zwei (VOX ab 2018) ein Blind Date im Restaurant, gibt es beispielsweise auch seit vielen Jahren erfolgreiche Produktionen, die aufgrund der für Großstadtmenschen exotischen Protagonisten eher zu ironisch-distanzierter Nutzung einladen wie Bauer sucht Frau (RTL ab 2005) oder gleich an Schadenfreude oder Fremdscham appellieren wie Schwiegertochter gesucht (RTL ab 2007). Außer Beziehungen neu zu stiften, kann das vordergründige Sendungsziel auch ein „Treuetest“ sein wie in Temptation Island – Versuchung im Paradies (RTL ab 2019). Wenn es scheinbar noch um romantische Liebe geht, neigt die Inszenierung so sehr zu kitschiger Übertreibung und zum Rekurs auf erzkonservative Geschlechterrollenbilder, dass das Ergebnis einer Parodie gleicht wie bei Der Bachelor (RTL ab 2003).
 


Der neueste Trend ist das Nackt-Dating: So bekommt in Naked Attraction – Dating hautnah (RTL II ab 2017) die auswählende Person das Angebot an möglichen Partnerinnen oder Partnern nackt in zunächst noch undurchsichtigen Glasbehältern präsentiert, deren Seitenwände schrittweise hochgezogen werden. Das heißt: Zuerst sind die Geschlechtsteile zu sehen, das Gesicht kommt später. Die Auswahl geschieht also wie auf einem Viehmarkt, was drastisch daran erinnert, dass auch der Beziehungsmarkt heute letztlich nur ein Markt ist wie jeder andere.