Drehbuchforschung

Perspektiven auf Texte und Prozesse

Claus Tieber, Jan Henschen, Florian Krauß, Alexandra Ksenofontova (Hrsg.)

Wiesbaden 2022: Springer VS
Rezensent/-in: Joachim Friedmann

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 28. Jg., 1/2024 (Ausgabe 107), S. 92-92

Vollständiger Beitrag als:

Drehbuchforschung

Das 2019 gegründete Netzwerk Drehbuchforschung legt mit diesem Sammelband seine erste Publikation vor – eine notwendige Initiative, gerade aus der Sicht von Drehbuchschreibenden, deren Beitrag zur Filmproduktion in Deutschland, wo eine regiezentrierte Filmrezeption vorherrscht, nicht immer ausreichend wahrgenommen wird.

In zehn Beiträgen wird das Phänomen „Drehbuch“ aus verschiedensten Perspektiven erschlossen. So untersuchen z. B. Sven Grampp und Sophia Stiftinger anhand des Drehbuches der Serie Das Traumschiff die Handlungsmacht nicht menschlicher Akteure im Film, Judith Keilbach und Hanna Surma beleuchten die datengestützte Drehbuchentwicklung für einen Streamingdienst, Nicolas von Passavant vergleicht amerikanische Drehbuchratgeber mit den didaktischen Schriften des französischen Szenaristen Jean-Claude Carrière.

So unterschiedlich und interessant die Beiträge ausfallen, ist doch auffällig, dass der Bezug zur konkreten Drehbucharbeit in der Filmwirtschaft stärker betont werden könnte. So wird im Aufsatz von Grampp und Stiftinger zwar die Rolle von Faxgeräten sowie Bleistift und Radiergummi reflektiert, aber die große Umwälzung, die seitdem durch das computergestützte Verfassen von Drehbüchern ausgelöst wurde, wird nicht berücksichtigt. Keilbach und Surma erwähnen bei ihrer Darstellung nicht, dass die Berücksichtigung des Nutzungsverhaltens von Rezipierenden auch in Europa eine lange Tradition hat – wenn auch nicht unbedingt über digitale Datenerfassung, sondern über das Instrument der Marktforschung. Auch Nicolas von Passavant, selbst ein arrivierter Drehbuchautor, unterschlägt bei seiner durchaus nachvollziehbaren Kritik an dem strukturfixierten Vorgehen der Gurus der amerikanischen Drehbuchratgeber wie McKee und Truby die große Bedeutung, die diese in der Praxis und Lehre der marktorientierten Drehbuchentwicklung haben.

Trotzdem ist ausdrücklich zu begrüßen, dass das Netzwerk Drehbuchforschung dieses Forschungsfeld nun auch in den akademischen Fokus holt – und vielleicht ist auch genau deshalb der Ruf nach Praxisbezug verfehlt. Gerade für den wissenschaftlichen Diskurs ist diese Anthologie ein wichtiger, lange ersehnter Beitrag und damit eine Empfehlung für alle Film- und Medienwissenschaftler.

Prof. Dr. Joachim Friedmann