„E-Sport an Schulen kann das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken“

Die E-Sport-Organisatorin Chiara Haller über ein Grundschulprojekt in Berlin

Achim Fehrenbach im Gespräch mit Chiara Haller

Seit 2021 finden an der Klecks-Grundschule in Pankow sogenannte Grundschul-Workshops Medienkompetenz statt. Ins Leben gerufen wurden diese Workshops von drei Mitgliedern des 1. Berliner eSport-Clubs. Chiara Haller, Nils Lemke und Fabian Mittelstädt besuchen 5. und 6. Klassen, um mit den Schüler:innen über deren Internet- und Gaming-Erfahrungen zu sprechen. Ein Interview mit Chiara Haller, die zugleich 1. Vorsitzende des E‑Sport-Vereins ist.

Online seit 10.01.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/e-sport-an-schulen-kann-das-zusammengehoerigkeitsgefuehl-staerken-beitrag-772/

 

 

Frau Haller, worum geht es in den Workshops?

Bei dem Projekt geht es hauptsächlich darum, mit den Kindern die Vorteile, Nachteile und Gefahren der digitalen Medien zu erarbeiten. Wir halten keinen Vortrag, sondern tauschen uns viel aus, beantworten Fragen und leiten die Diskussion. Es ist außerdem der ideale Ort für Kinder, offen zu reden – über Bedürfnisse, Sorgen, Freude oder Erfahrungen in Bezug auf digitale Medien. Das Thema E‑Sport kommt natürlich auch nicht zu kurz. Die Kinder sind sehr interessiert daran, was genau E‑Sport ausmacht, wie man E-Athlet:in wird und welche Akteure sonst noch im E‑Sport vertreten sind. Anhand von Beispielen im E‑Sport versuchen wir, den Kindern den richtigen Umgang mit Menschen im Internet zu zeigen. Außerdem gehen wir darauf ein, wie realistisch der Traum vom E‑Sportler- oder Influencer-Dasein ist.

Sprechen wir zunächst über Online-Games im Allgemeinen. Wie gehen Sie im Workshop an dieses Thema heran?

Wir sprechen mit den Kindern über die eigene Erfahrung und das eigene Verhalten – speziell in Situationen, in denen es spielerisch nicht gut läuft. Wir lassen sie reflektieren: Was fühlen sie dabei? Wie bringen sie ihre Gefühle zum Ausdruck? Sind diese hinderlich, zum Beispiel für ihre Teammitglieder oder den weiteren Erfolg des Spiels? Oft erkennen die Kinder selbst, dass die bessere Lösung ist, ruhig und konzentriert zu bleiben. Beleidigungen oder toxisches Verhalten bringen niemandem etwas. Team-Mates, die gerade schlecht spielen, spielen nicht deshalb besser, weil sie beleidigt werden. Es bringt auch nichts, wenn man das bei gegnerischen Teams macht. Die Kinder verstehen sichtlich, dass sie so nicht behandelt werden wollen, also sollten sie dieses Verhalten auch nicht selbst an den Tag legen. Außerdem hilft der Vergleich zum regulären Sport oder zu Gruppenaufgaben in der Schule. Hier erkennen sie schnell, dass Flaming und Ausrasten nicht zielführend sind.

Sie sprechen auch über Influencer. Worum geht es da konkret?

Wir sprechen mit den Kindern über die Influencer, die sie gerne verfolgen und regelmäßig schauen. Wir fragen die Kids: Was sind positive Eigenschaften deines Lieblings-Influencers – und was negative? Wie sollte man sich online verhalten? Hier möchten wir schauen, ob die Kinder die Show aus dem Internet von der realen Welt unterscheiden können. Außerdem sprechen wir darüber, welche Influencer gute Vorbilder sind – und was man sich lieber nicht abgucken sollte. Wichtig ist uns, den Kindern nichts zu verbieten oder vorzuschreiben. Wenn sie jemandem gerne zuschauen, der beim Spielen ausrastet und seine Tastatur kaputtmacht, dann können wir dagegen nichts tun. Aber wir können den Schüler:innen vor Augen halten, dass das kein normales Verhalten ist, das man sich abschauen sollte. Sie können es zu Unterhaltungszwecken schauen, aber sich nicht als Vorbild nehmen.

Etliche Kinder und Jugendliche träumen davon, E‑Sport-Profis zu werden. Wie kann hier ein realistisches Bild der Berufschancen vermittelt werden?

Hier haben wir ein eigenes Beispiel aus unserem Verein. Eines unserer Mitglieder hatte es in StarCraft II in die Top 100 aller Spieler geschafft und war äußerst engagiert. Er wurde sogar zu einer E‑Sport-Organisation eingeladen, um sich dort unter Beweis zu stellen. Leider hat es an der Stelle nicht gereicht, um E-Athlet zu werden und davon zu leben. Er hatte das Talent und das Glück, aber vor Ort fehlte die Leistung. Genau das bringen wir den Kindern bei: Zum Traumberuf E‑Sportler:in gehören jede Menge Faktoren, die sie nicht beeinflussen können. Um davon leben zu können, braucht man Talent, Leistung – aber auch Glück. Wir erklären: Wenn das Talent da ist und die Leistung stimmt, müssen sie trotzdem noch das Glück haben, entdeckt zu werden. Oder: Wenn das Talent da ist und sie das Glück hatten, entdeckt zu werden, muss trotzdem noch die Leistung geliefert werden – wie bei unserem Mitglied.

Wie lässt sich das in Relation zu anderen Berufen setzen?

Wir bringen den Kids näher, dass es viel effektiver und belohnender ist, die gleiche Arbeit und Zeit zum Beispiel in die Schule zu stecken, weil die guten Noten durch Fleiß viel sicherer erreicht werden. Andererseits möchten wir zeigen, dass der E‑Sport nicht nur aus den E-Athlet:innen besteht, sondern eine sehr facettenreiche Branche ist. Mit ihren Handys haben die Kids jederzeit kleine Computer dabei, die ihnen unfassbar viele Möglichkeiten bieten. Sie können sich als Kamerafrau, Fotograf, Journalistin oder Musikproduzent ausprobieren. Auch diese Berufe werden im E‑Sport gesucht. Die Zeit, die sie in die Übung investieren, ist sehr gut angelegt.

Wie kann E‑Sport den Schulunterricht bereichern?

E‑Sport an Schulen kann das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. Außerdem lässt sich Digitalkompetenz dadurch spielerisch fördern. Es gibt immer mehr Berufe im Digitalbereich. Gerade Kinder aus einkommensschwachen Familien, die sonst keinen Zugang zu Computern beziehungsweise Technik haben, können über E‑Sport-Projekte an Schulen spielerisch abgeholt werden. E‑Sport-Profis oder Leute aus dem Breitensport können im Unterricht Beispiele und Erfahrungsberichte geben. Außerdem lassen sich über E‑Sport-Projekte gut Online-Communities organisieren. Für jede Schule kann zum Beispiel ein Discord-Channel erstellt werden, in dem dann beispielsweise auch Theaterstücke oder Schüler-Events organisiert und beworben werden. Darüber hinaus bietet E‑Sport eine gute Gelegenheit, Inklusion und Diversität zu leben. Den Kindern ist es egal, welche Nationalität, Herkunft oder Beeinträchtigung ihre Mitspieler:innen haben. Auch Kinder im Rollstuhl oder Mädchen können sehr gut Videospiele spielen. Der E‑Sport kann also diese Vorurteile beseitigen.

Der eSport-Bund Deutschland (ESBD) setzt sich seit langem dafür ein, dass E‑Sport den Status der Gemeinnützigkeit erhält. Wie stark würde Ihr Projekt davon profitieren?

Wenn E‑Sport und wir als Verein gemeinnützig sind, dann haben wir deutlich mehr und leichteren Anspruch auf Fördermittel. Das würde uns bei der Monetarisierung des Projekts sehr helfen. Außerdem könnten wir einfacher mit anderen Vereinen kooperieren, die uns bei dem Projekt unterstützen, aber nicht ihre Gemeinnützigkeit verlieren wollen. Bisher haben wir alle Workshops ehrenamtlich ausgerichtet, weil wir keine staatlichen Fördermittel hatten. Wir wollten auch kein Geld von den Eltern verlangen – und schon gar nicht von den Kids. Weil wir aber – neben unserer Vereinstätigkeit – auch noch Student:innen, Werkstudent:innen und Arbeitnehmer:innen sind, konnten wir nur eine begrenzte Anzahl Workshops veranstalten. Nun haben wir aber einen Sponsor gefunden, der unsere Referent:innengelder zahlt. Der Sponsor wird nicht explizit in den Workshops erwähnt, weil wir nicht schamlos Werbung vor den Kindern machen wollen. Er gibt uns aber dennoch die Möglichkeit, mehr Workshops und auch Elternabende zu veranstalten.
 

Weitere Infos zum Grundschul-Workshop Medienkompetenz gibt es auf der Website des 1. Berliner eSport-Clubs.

Die Workshops des 1. Berliner eSport-Clubs gehören zu den Beispielen für E-Sport- und Gaming-Projekte in der Jugendmedienbildung, die Achim Fehrenbach in seinem Beitrag Spielerisch Medienkompetenz erwerben hier auf mediendiskurs.online vorstellt.

 

 

Chiara Haller ist seit 2020 Vorsitzende des 1. Berliner eSport-Clubs. Nach ihrer Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau arbeitete sie als Eventmanagerin in der E-Sport-Branche. Zurzeit studiert sie Nachhaltiges Management mit dem Schwerpunkt „Soziale Nachhaltigkeit“ an der TU Berlin.

Achim Fehrenbach lebt und arbeitet als freier Journalist in Berlin. Er schreibt vor allem über Digital- und Schulthemen.