Ein vereinigtes Königreich

Sender, Produzenten und Printverbände reagieren eher skeptisch auf das Modell einer „Supermediathek“

Tilmann P. Gangloff

Tilmann P. Gangloff ist freiberuflicher Medienfachjournalist.

Die Idee ist ebenso reizvoll wie revolutionär: ein Internetportal, das nicht nur Zugang zu den Mediatheken der TV-Sender, sondern auch zu den Inhalten der wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften liefert. Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm sucht derzeit Verbündete für diesen Entwurf einer „Medienbibliothek“, in der auch die Privatsender vertreten sein sollen. Die Resonanz ist positiv; es gibt aber ein Modell, das noch weiter geht.

Online seit 31.08.2018: https://mediendiskurs.online/beitrag/ein-vereinigtes-koenigreich/

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Wer im Internet Sendungen zu einem bestimmten Thema sucht, muss entweder eine externe Suchmaschine nutzen oder alle Mediatheken einzeln abklappern. Immerhin soll es noch in diesem Jahr eine zentrale Anlaufstelle für alle ARD-Sender geben; bislang hat jedes Mitglied des Senderverbunds sein eigenes Süppchen gekocht. „Es wird viel zu sehr in eigenen Königreichen gedacht“, kritisiert Leonhard Dobusch. Der Wissenschaftler lehrt Organisationstheorie an der Universität Innsbruck, ist auf Vorschlag des Chaos Computer Clubs (CCC) Mitglied im ZDF-Fernsehrat für den Bereich Internet und würde die beiden öffentlich-rechtlichen Systeme am liebsten in eine gemeinsame Internet-Zukunft katapultieren. Sein Entwurf ist allerdings nicht mit dem unter dem irreführenden Begriff „Supermediathek“ diskutierten Modell zu verwechseln, in dem der amtierende ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm neben den Angeboten sämtlicher deutscher TV-Sender auch die Inhalte der großen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage anbieten will. Für Dobusch hat die Idee jedoch einen entscheidenden Denkfehler: Wilhelms Medienbibliothek orientiere sich nicht an der Logik einer Internetplattform.

Dobusch, der sein Konzept gemeinsam mit dem Duisburger Politikwissenschaftler Christoph Bieber (ehemals Mitglied des WDR-Rundfunkrats) entwickelt hat, schwebt vielmehr ein öffentlich-rechtliches Pendant zu YouTube und Facebook vor: Die Nutzer wären nicht nur Konsumenten der Programme von ARD und ZDF, sie könnten auf der Plattform auch eigene Inhalte ins Netz stellen. Entscheidender Unterschied zu den kommerziellen Plattformen sei ein öffentlich-rechtlicher Algorithmus, der Inhalte anders sortiert, um eine demokratische Öffentlichkeit zu gestalten. Drei Viertel des Gesamtbudgets (500 Mio. Euro) sollen „nach draußen“ vergeben werden, um zusätzlichen Inhalt für die Plattform herstellen zu lassen.
 

Fernsehen war gestern

Dobuschs Vorschlag kommt zu einer Zeit, da das klassische Fernsehen immer mehr zu einem Medium des letzten Jahrhunderts wird. Der Wissenschaftler geht zwar davon aus, dass das lineare Fernsehen „auf Jahre hinaus seine große Bedeutung behalten und auch entsprechende Reichweiten erzielen“ werde, aber eben nicht bei jüngeren Generationen. Selbst die öffentlich-rechtlichen Mediatheken hätten bei den „Millennials“ keine Chance gegen YouTube oder Facebook.

Gegen die Dominanz der amerikanischen Unternehmen will BR-Intendant Wilhelm mit einer Art „europäischem digitalen Ökosystem“ antreten, das auf der Basis eines gewachsenen Wertesystems gestaltet und fortentwickelt werde. Deshalb, erläutert seine Sprecherin Sylvie Stephan, sei die Bezeichnung „Supermediathek“ irreführend, denn Wilhelms Vorschlag gehe deutlich über den Gedanken einer reinen Mediathek hinaus. Das Modell beschränke sich explizit nicht auf die öffentlich-rechtlichen Sender, sondern umfasse viele Anbieter von Qualitätsinhalten, darunter neben Verlagen und Privatsendern auch Einrichtungen aus Kultur und Wissenschaft.

In einem Interview mit der französischen Zeitung „Le Monde“ erklärt Wilhelm, warum der Zeitpunkt für ein derartiges Projekt historisch günstig sei. In Zeiten von „Fake News“ und Desinformationen im Netz finde bei vielen Menschen ein Bewusstseinswandel statt: „Es wächst der Wunsch, gegen Falschinformationen vorzugehen und personenbezogene Daten besser zu schützen.“

Erster logischer europäischer Partner ist für den Intendanten des Bayerischen Rundfunks Frankreich: „Was uns in der Fernseh- und Luftfahrtindustrie gelungen ist, könnte doch auch in der digitalen Welt gelingen.“ Wilhelm schwebt laut Stephan „ein kohärentes Produktangebot vor, das Video- und Textinhalte eigens anbietet, erweiterte Funktionalitäten rund um den Medienkonsum zur Verfügung stellt, die Möglichkeit zum Austausch mit dem Publikum enthält und darüber hinaus Datensicherheit über alle Anwendungsfälle von Suche über Konsum bis Interaktion garantieren kann“; also eine Art YouTube, „gepaart mit Elementen à la Facebook und einer guten Suchfunktion, das Ganze aber mit einem transparenten Algorithmus.“

Eine gemeinsame Plattform der Qualitätsanbieter ist auf europäischer Ebene offenbar leichter durchzusetzen als in Deutschland. Hierzulande müssten laut Wilhelm „eine Reihe rechtlicher Entscheidungen getroffen werden: Kartellrecht, Urheberrecht, Telekommunikationsrecht. So etwas ist in Europa leichter möglich.“ Das Projekt hätte nicht zuletzt den Charme einer großen Reichweite, die laut Wilhelm „vor allem für die werbetreibenden privaten Partner der Plattform wichtig“ wäre.

Genau darin sieht Dobusch jedoch ein grundsätzliches Manko, weshalb die Beteiligung von Privatsendern nur ein letzter Schritt sein dürfe. In seinem Modell gehe es darum, „wie Inhalte auf eine ganz bestimmte Weise aufbereitet, kuratiert und sortiert werden, die keinen kommerziellen Bedingungen unterworfen sind. Wir brauchen eine Alternative, die es den Beitragszahlern erlaubt, Inhalte zugänglich zu machen, ohne sich der restriktiven verwertungsgetriebenen Logik kommerzieller Plattformen zu unterwerfen. Ich wüsste nicht, wie das gelingen könnte, wenn man Privatsender mit dazunimmt, denn die streben selbstverständlich eine Klick-Maximierung an.“ Dobusch vermutet, die Privatwirtschaft sei nur deshalb eingeladen, damit sie nicht wegen Wettbewerbsverzerrung gegen das Projekt vorgehe.
 

Ein exklusiver Club?

Einigen der potenziellen Partner, die Wilhelm gern mit ins Boot holen würde, sind die Pläne ohnehin noch zu unausgegoren. Aus Sicht von Stephan Scherzer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Zeitschriftenverleger (VDZ), wirft die „noch wenig konkrete Idee einer ‚Supermediathek’“ vor allem Fragen auf: „Wie soll dem User ein gebührenfinanziertes Programm­angebot auf einer Plattform mit Tausenden von Verlagsangeboten, die sich allesamt am Leser- und Werbemarkt finanzieren müssen, präsentiert werden? Kann so eine Plattform allen Verlagsangeboten diskriminierungsfreien Zugang ermöglichen oder handelt es sich um einen exklusiven Club?“ Scherzer hält es zwar für richtig, „die Gemeinsamkeiten der Kreativbranche im Kontext der Digitalmonopole zu betonen“, fragt sich aber, wie ernst es mit der Gemeinschaft sei: „Das werden wir aktuell an der Position der Öffentlich-Rechtlichen zur EU-Copyright-Direktive sehen. Hier geht es nämlich an die Substanz.“ Davon abgesehen wartet man beim VDZ wie auch beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) („grundsätzlich offen und gesprächsbereit“) erst einmal darauf, wie die konkreten Vorstellungen Wilhelms zu seiner Mediathek aussehen werden.

Ganz ähnlich äußert sich ein Sprecher der Mediengruppe RTL Deutschland: „Grundsätzlich sind wir offen für Kooperationen und Allianzen, wenn sie zu unserem Geschäftsmodell passen und wenn sie rechtlich darstellbar sind. Wir konzentrieren uns konsequent auf unsere eigene Strategie, den Ausbau von TV Now, und möchten dabei nicht an Geschwindigkeit verlieren. Das schließt aber nicht aus, dass wir auch Gespräche führen.“

Bei ProSiebenSat.1 hat man ebenfalls eigene Pläne. Das Unternehmen hat gerade erst den gemeinsamen Aufbau einer Streaming-Plattform mit dem US-Konzern Discovery bekannt gegeben. Das Angebot soll neben der senderübergreifenden Mediathek der ProSiebenSat.1-Familie (7TV) auch das Portal Maxdome (Video on Demand) sowie den Eurosport Player enthalten, über den Discovery seine Rechte an den Spielen der Fußballbundesliga auswertet. Die Plattform soll in der ersten Jahreshälfte 2019 starten und in den ersten zwei Jahren zehn Millionen Nutzer gewinnen. Zu Wilhelms Modell heißt es aus der Konzernzentrale: „Mit der direkten Einladung an ARD, ZDF und RTL zum Beitritt hat ProSiebenSat.1 die Wichtigkeit einer offenen Plattform bekräftigt.“

Von ZDF-Intendant Thomas Bellut kommt dagegen eine deutliche Absage: „Das ZDF wendet viel Kraft auf, um die eigenen Onlineangebote kontinuierlich zu modernisieren und noch mehr Nutzer der ZDF-Mediathek zu gewinnen. Ein überzeugendes Modell für eine ‚Supermediathek’ sehe ich nicht. Eine neue Mediathek braucht einen Betreiber, sie braucht erhebliche Investitionen. Das ist weltfremd.“ Angesichts der Debatte über die Höhe des Rundfunkbeitrags werde sich das ZDF mit Forderungen zurückhalten, eine neue Organisation aufzubauen. Bellut hält es zudem für „fern jeder Praxis, Zuständigkeiten für klassische Inhalte einerseits und die digitale Aufbereitung und Verbreitung anderseits aufzuteilen“.

Differenziert reagiert auch die Allianz der deutschen Film- und Fernsehproduzenten. „Wir halten es für absolut notwendig, dass die öffentlich-rechtlichen Sender auch non-linear verfügbar sind und unterstützen sie darin“, sagt Oliver Castendyk, Leiter der Sektionen Entertainment und Dokumentation. Problematisch werde es, wenn die Verweildauern einzelner Produktionen so lang seien, dass sie bestimmte kommerzielle Auswertungen unmöglich machten oder erschwerten. Der Medienrechtsanwalt ergänzt das Thema um den Aspekt einer entgeltlichen Mediathek: „Die Produzentenallianz hat sich früher als jeder andere Marktteilnehmer für das Modell ‚Germany’s Gold’ ausgesprochen, bei dem ARD, ZDF und die Produzenten eine gemeinsame VoD-Plattform betrieben hätten. Hätte das Kartellamt dies nicht verhindert, dann gäbe es jetzt auch ein starkes deutsches SVoD- und TVoD-Angebot und nicht nur Netflix und Amazon Prime.“