Endstation „betreute Freiheit“?
Zum Wandel des Freiheitsbegriffs im Zeitalter künstlicher Intelligenzen
Freiheit ist ein betreuungsintensiver Begriff. Weitverzweigte Verwandtschaftsverhältnisse mit Angehörigen der freiheitsliebenden Begriffsfamilie – Autonomie, Selbstbestimmung, Souveränität – fordern zusätzlich heraus. Gerade als es Expert*innen für unsere Zivilisation – von Philosoph*innen über Gesellschaftswissenschaftler*innen bis Künstler*innen – gelungen war, Ambivalenzen und Inkongruenzen des Freiheitsbegriffs sichtbar zu machen, änderten sich die Spielregeln dramatisch. Mehr oder weniger überraschend tauchte künstliche Intelligenz (KI) als Star im Drama der Digitalisierung auf und wirbelte durcheinander, was uns lieb und heilig war. Nun bleibt nichts anderes übrig, als den sowieso schon semantisch promisken Freiheitsbegriff neu zu überdenken. Wie also wirkt sich die schleichende Gewöhnung an KI auf unsere Freiheit aus?
Freiheit ist nichts, was sich algorithmisch optimieren ließe.“
Im Freilandlabor der experimentellen Gesellschaft werden Antworten gerade unter Realbedingungen erprobt. Technologieversprechen und Fortschrittserwartungen spielten bei dieser Art von Zukunftsdesign schon immer eine tragende Rolle. Doch seitdem KI alltagspraktisch wurde und sich vom medialen Passepartout der Hollywood-Blockbuster oder TV-Spielfilme – von A. I. (2001) über I, Robot (2004) zu Ich bin dein Mensch (2021) – emanzipierte, stellen sich neue Fragen zu Erweiterungen oder Einschränkungen unserer Freiheit(en). Vor diesem Hintergrund sollten wir uns nicht von den allzu verheißungsvollen Spekulationen über KI blenden lassen. Freiheit ist nichts, was sich algorithmisch optimieren ließe. Ein Optimum ist noch lange kein Ziel. Als kultureller Wert und qualitativer Zielhorizont lässt sich Freiheit gerade nicht optimieren, sondern nur fortlaufend aushandeln und gemeinsam gestalten. Leben bedeutet mehr, als Probleme zu lösen und Prozesse effizienter zu machen. Leider geht die Unterscheidung zwischen einem qualitativen Ziel und einem quantitativen Optimum gerade verloren, während die Welt zunehmend in einen Zahlenraum verwandelt wird. Was bislang Freiheit war, rückt infolgedessen vom kulturellen Zentrum in die Peripherie. Und was angesichts des „erweitert intelligenten“ Zugangs zur Welt stellvertretend für (die Idee der) Freiheit ins Zentrum wandert, ist noch weitgehend offen. Vor allem aber wird unsere Leitvorstellung von Freiheit davon abhängen, in welche Beziehung wir uns zu KI setzen.
KI als Werkzeug
KI-Anwendungen werden häufig als innovatives und adaptives Werkzeug betrachtet. Das ist irreführend und gefährlich. Schon lange beschwören zahlreiche Dagegen-Narrative eine negative, meist apokalyptische Zukunft durch KI herauf. Seit Terminator (1984) präsentieren medial inszenierte Zukunftserzählungen KI als destruktives Werkzeug, als Feind, gegen den es anzukämpfen gilt, weil am Ende viel, vielleicht sogar die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel steht. In politisch-ökonomischen Kontexten wird KI hingegen überwiegend als konstruktives Werkzeug betrachtet, mit dem sich – so die Hoffnung – zahlreiche Arbeitsfelder optimieren lassen. Anpassungsnarrative entwerfen eine Zukunft, aus der KI ebenso wenig wegzudenken ist wie Elektrizität. Die gesellschaftswissenschaftliche Pointe besteht jedoch darin, dass dieser Denkrahmen auch dafür genutzt wird, um auszutesten, bis zu welchem Grad sich gesellschaftliche Werte verändern lassen. Ob autonomes Fahren oder KI in der Rolle des Künstlers – stets geht es in (offenen oder verdeckten) Akzeptanztests um die Frage, wie viel Souveränitätsverluste wir widerstandslos hinnehmen. In gesellschaftlichen Übungsfeldern entstehen gegenwärtig nicht nur neue soziale Konventionen, Selbstbilder und Erwartungshaltungen. Was zeitgleich erodiert, ist der Freiheitsbegriff. Vorsicht vor der Werkzeug-Illusion ist daher geboten: KI ist kein „neutrales“ Werkzeug, sondern vielmehr ein Medium des Weltzugangs. KI ist keine Technik, sondern ein welterzeugendes und weltveränderndes Phänomen. Wir müssen erst noch lernen, wie sich das auf unser Freiheitsstreben auswirkt.
KI ist keine Technik, sondern ein welterzeugendes und weltveränderndes Phänomen. Wir müssen erst noch lernen, wie sich das auf unser Freiheitsstreben auswirkt.“
KI als Assistent
In der „Assistenzgesellschaft“ mutiert das Technologieversprechen zur digitalen Kolonialisierung unserer Lebenswelt. Immer mehr KI-Anwendungen nehmen hierbei eine umfassende Assistenzrolle ein. Quest-Narrative präsentieren KI als Schlüssel, mit dem sich jedes Schloss öffnen lässt. Auch hier ist Vorsicht geboten. Die digitalen Gurus, die KI auf Jahrmärkten der Hoffnung anhand von hochspekulativen Heilsbotschaften anpreisen, sind nur selten an der Idee politischer Freiheit interessiert. Es ist erschreckend, wie gut zeitgenössische KI-Verheißungen zu radikallibertären Gesellschaftstheorien passen. Prominente KI-Apologeten wie Elon Musk oder Peter Thiel lassen sich offensichtlich von der ultra-minimalen Staatstheorie von Robert Nozick, dem Vordenker des Radikalliberalismus, beeinflussen. Doch Techno-Utopien sind nicht mit Freiheit gleichzusetzen. Gesellschaft ist keine Maschine, Menschen sind mehr als konditionierbare Wesen. Werden soziale Prozesse exklusiv durch Scores, Rankings oder Indizes repräsentiert, verliert sich jede Form von Individualität. Leben wird zunehmend differenzempfindlich, abweichungssensibel und damit erklärungsbedürftig. So verblasst gleichzeitig die Grundlage unseres Freiheitsverständnisses. Je umfassender KI die (von uns!) zugewiesene Assistenzrolle ausfüllt, desto irreversibler wird die Komfortfalle, in die wir Optimierungssüchtigen freiwillig tappen.
KI als Partner
KI-basierte Lernavatare oder Erinnerungsbots sind Beispiele für die komplexeste Form der Mensch-Maschine-Interaktion: Partnerschaft. Im Kontext von Aufbruchsnarrativen wird von einer „guten“ KI erzählt, die im besten Fall den Weg zu einer besseren Zivilisation ebnet. Einer der wenigen Filme, die eine Zukunft in Gesellschaft von KI utopisch verhandeln, ist das feinfühlige Drama Finch (2021). Darin wird gezeigt, worin die letzten Unterschiede zwischen Mensch und Maschine liegen. Andernorts locken uns maschinell-intelligente Sozialpartner, etwa in Form von Arbeits- oder Pflegerobotern, bereits in die Subjektivierungsfalle. Welche Verwirrungen entstehen, wenn Menschen mit subjektsimulierenden Maschinen gleichgesetzt werden, zeigen (noch immer sehenswerte) Filme wie Blade Runner (1982) oder Her (2013). Gleichzeitig kann der KI-Forscher Hiroshi Ishiguro bereits eine Entwicklungslinie menschenähnlicher Roboter aufweisen, darunter Geminoide, also Androiden, die bestimmten Menschen ähnlich sehen (z. B. ihm selbst). Für die Apologeten der neuen KI-Verheißungslehre ist das jedoch noch längst nicht der Endpunkt. In einer konsumistisch gesättigten, wunschlosen Welt müssen neue, ultimative Bedürfnisse geschaffen werden. Hierbei bilden sich ethische Freihandelszonen heraus, in denen Funktionen wichtiger werden als Freiheitswerte. In der Partnerrolle entscheidet KI z. B. automatisch über Leben und Tod, sei es im Bereich der Palliativmedizin (End-of-Life-Entscheidungen) oder im Drohnenkrieg – gezeigt etwa im Film Eye in the Sky (2015). Als ultimative Verheißung lockt jedoch Unsterblichkeit. Während für den KI-Pionier Hans Moravec „Körperausschaltung“ und „Geisttransplantation“ die ultimative Metamorphose darstellten, spielen Filme wie Tron (1982), Serien wie Black Mirror (2011) oder Upload (seit 2020) diese Verheißungslehre zwischen Apokalypse und Comedy durch. Und machen uns Zuschauende ein klein wenig zu Posthumanisten.
Auch außerhalb dieser fiktiven Welten stellen sich weitreichende Fragen: Bedeutet Freiheit am Ende vielleicht nur noch, selbst über sein Opfer bestimmen zu dürfen? Wo liegt der Fluchtpunkt, wenn es um den Verlust unserer Entscheidungsautonomie geht? Lohnt es sich gar, ganze Gesellschaften durch algorithmische Rationalität zu optimieren? Wenig überraschend hat die Vorstellung von einer KI als neuem Leviathan eine lange Traditionslinie. Bereits der KI-Pionier Norbert Wiener träumte von einer totalen Regierungsmaschine. Spekulationen über eine „starke“ KI (= Superintelligenz) gehören zum zeitgenössischen Verkündungsrepertoire digitaler Evangelisten. Deren Idee von „precision government“ basiert auf numerisch-metrischer Optimierung. Was dabei am Ende entsteht, ist eine Art von betreuter Freiheit für Menschen, denen man die eigene Zukunft nicht mehr anvertrauen möchte. Brauchen wir als subjektive und emotionale Wesen wirklich die Hilfe von objektiven Maschinen? – Ja, sagen die Vordenker. Ist erst einmal KI als „guter Diktator“ für das Redesign von Gesellschaft verantwortlich, kann auf (zeitraubende) diskursive Rationalität und auf die Freiheit des politischen Dissenses verzichtet werden. In Filmen wie Transcendence (2014) oder Singularity (2017) werden höchst spekulative Rollenzuschreibungen einer „starken“ KI als Natur-, Klima- oder Planetenretter und somit die Verheißungen eines globalen künstlichen Gehirns durchgespielt. Betrüblich ist nur, dass bei dieser techno-deterministischen Variante des kybernetischen Regierens die Freiheit des Menschen höchstens noch als zu regulierender Parameter vorkommt. Wenn Menschen nicht gleich ganz überflüssig werden – jedenfalls in ihrer Rolle als Bürger*innen, wie in der Film-Trilogie Matrix inszeniert.
Brauchen wir als subjektive und emotionale Wesen wirklich die Hilfe von objektiven Maschinen? – Ja, sagen die Vordenker. “
Aber wäre das eigentlich so schlimm? Sind wir nicht mit zu viel Freiheit überfordert? Nie wurde das Doppelgesicht der Freiheit deutlicher skizziert als vom Sozialpsychologen Erich Fromm, der in seinem Buch Die Furcht vor der Freiheit zeigte, welche engen Grenzen das eigene Sicherheitsbedürfnis und der Wunsch nach Zugehörigkeit immer wieder setzen. Gibt es vielleicht neben dem angeborenen Wunsch nach Freiheit auch eine instinktive Sehnsucht nach Unterwerfung? Lassen sich Menschen überhaupt vor etwas schützen, nach dem sie sich insgeheim sehnen? Im Film Ex Machina (2015) wird ein Turing-Test gezeigt, der in genau diesem Sinne aus dem Ruder läuft. Die latente Angst vor der Freiheit korrespondiert hervorragend mit neuen Schrumpfformen von Freiheit, die sich im Umfeld von KI-Anwendungen etablieren und deren äußere Form permanent medial verhandelt wird.
Bleibt abschließend zu klären, ob wir uns in Zukunft mit einer algorithmisch betreuten Freiheit zufriedengeben sollten und ob das Terrain der schleichend erodierenden Freiheiten überhaupt zurückzugewinnen wäre. Angst sollte uns weniger der unheimliche Verwirklichungshorizont einer (rein spekulativen) Superintelligenz machen, sondern vielmehr die Unfähigkeit der Menschen, sich kollektiv auf erstrebenswerte Werte und Ziele zu einigen. Um den Wandel des Freiheitsbegriffs im Zeitalter von KI zu verstehen, benötigen wir gerade jetzt alle Arten von Zukunftserzählungen: Mediale Inszenierungen und intellektuelle Debatten in Form von Gegennarrativen sind wertvoll. Dagegen-Narrative dämpfen zu hohe Technik- und Zukunftserwartungen. Sie verhelfen dem öffentlichen Diskurs zu mehr Balance. Anpassungsnarrative bieten hingegen Orientierung, fördern Verständnis und hegen das Neue durch Gewöhnung an neue Praktiken und soziale Konventionen ein. Als ambitionierte Versprechungen trösten wiederum Quest-Narrative mit ihren Heilsversprechen auf Basis einer elaborierten technologischen Leistungsschau. Schließlich erzeugen Aufbruchsnarrative ein Quäntchen Zukunftseuphorie in ansonsten hoffnungslosen Zeiten.
Um den Wandel des Freiheitsbegriffs im Zeitalter von KI zu verstehen, benötigen wir gerade jetzt alle Arten von Zukunftserzählungen: Mediale Inszenierungen und intellektuelle Debatten in Form von Gegennarrativen sind wertvoll.“
Für jeden Typus von Zukunftserzählung finden sich mediale Beispiele. Gut so! Denn der Freiheitsbegriff muss mit den technischen Möglichkeiten mitwachsen, anstatt nostalgisch konserviert zu werden. Medial vermittelte KI-Narrative leisten hierzu einen unschätzbaren Beitrag. Wichtig ist nur, dass das zukünftige gesellschaftliche Freiheitsnarrativ trotz aller Metamorphosen durch die Kontinuität unseres Begehrens getragen wird. Nur diejenigen, die ein Programm abarbeiten, werden ohne Freiheit auskommen. Denn darum geht es bei Freiheit: Effizienz ist auf Dauer keine Lebensform für Menschen. Fortschritt ist ein humanitäres, kein rein technologisches Projekt. Sinn, nicht Rechenleistung ist die Mangelware des 21. Jahrhunderts. Selbstverzweckung ist etwas anderes als Freiheit. Keine Freiheit ist wichtiger, als selbst eine Entscheidung treffen zu müssen. Bleiben wir diesen Grundannahmen treu, gestalten wir Freiheit. Optimieren lässt sie sich hingegen nicht. Zum Glück.
Weiterführende Literatur:
Selke, S.: Technik als Trost. Verheißungen Künstlicher Intelligenz. Bielefeld 2023