„Es ist noch nicht zu spät!“

Christina Heinen im Gespräch mit Lea Grosse

Die Fakten über den Klimanotstand sind den meisten Menschen bekannt, und doch wird bei Weitem nicht genug getan, um die katastrophalen Folgen einzudämmen. Woran liegt das? Läuft etwas in der Kommunikation schief? Auf der Suche nach Antworten haben sich Klimaschützer*innen in den vergangenen Jahren verstärkt der Kommunikationswissenschaft und der Psychologie zugewandt. Die Psychologin Lea Grosse leitet Trainings zur Klimakommunikation. mediendiskurs sprach mit ihr darüber, wie gelingende Kommunikation zum Motor für gesellschaftlichen Wandel werden kann. Eine vertiefende Lektüre zu dieser Frage findet sich im Handbuch Über Klima sprechen.1

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 2/2023 (Ausgabe 104), S. 44-47

Vollständiger Beitrag als:

Warum ist es wichtig, mehr über die Klimakrise zu sprechen?

Weil seit mehreren Jahrzehnten die naturwissenschaftlichen Fakten dazu, dass die Klimakrise extrem bedrohlich ist, auf dem Tisch liegen. Es ist an der Zeit, dass alle Menschen sich dessen endlich bewusst werden und daraus folgend handeln. Das Wissen um den Klimanotstand muss sowohl die Bäckermeisterin, der Klimaschutzmanager als auch das Schulsekretariat in ihr tägliches Tun transformieren. Ins Handeln zu kommen, ist auch aus einer psychologischen Perspektive wichtig, weil das bloße Wissen um die Fakten viele Menschen ohnmächtig zurücklässt.
 


Jeder Zehntelgrad zählt.



In Ihrem Handbuch geht es also weniger um professionelle Kommunikationsstrategien als vielmehr um die Kommunikation unter Einzelpersonen?

Das Handbuch bietet beides. Man bekommt sehr viele Informationen, wie in einem persönlichen Gespräch das Thema aufgegriffen werden kann. Und es gibt Kapitel, in denen besprochen wird, wie das Thema einer breiteren Öffentlichkeit vermittelt werden kann. Es gibt z. B. ein Kapitel, in dem es darum geht, wie Bilder eingesetzt werden können – was für ein persönliches Gespräch wahrscheinlich nicht so eine Relevanz hat.

Inwiefern sollten wir anders über die Klimakrise sprechen?

Noch heute denken wir als Klimakommunikator:innen häufig, es würde ausreichen, die Fakten zu präsentieren. Wie wir jetzt wissen, funktioniert das leider nicht. Der Begriff hierfür ist das Defizit-Modell der Kommunikation – die Annahme, dass mehr Informationen zu mehr Einsicht und ohne weiteres Zutun auch zum richtigen Handeln führen.

Einzelpersonen sind mit psychologischen Barrieren behaftet. Einerseits sprechen sie das Thema nicht an, um Konflikte zu vermeiden. Andererseits wissen sie selbst oft nicht, was sie konkret tun können. Sie spüren, dass sie sich selbst kaum klimafreundlich verhalten. Das schlechte Gewissen verbietet ihnen quasi, mit anderen darüber zu sprechen. Das führt oft zu einer Schweigespirale.

Das Konzept der Schweigespirale beinhaltet ja auch, dass der Eindruck entsteht, es gäbe gar nicht so viele Personen, die das Thema wichtig finden – weil so wenig darüber gesprochen wird …

Ja, das stimmt. Das bedingt sich. Die sozialempirische Forschung belegt aber, dass es für die allermeisten Menschen ein wichtiges Thema ist und sie gern etwas machen würden.

Wie kann man die Kommunikation so verbessern, dass das Thema nicht so viel Angst und Abwehr auslöst?

Wenn man sich als Klimakommunikator:in versteht, erkennt man die Dringlichkeit und ist frustriert ob der Langsamkeit des nötigen Wandels. Was hier helfen kann, ist, sich selbst bewusst zu machen, dass es einen langen Atem und ein Wandel seine Zeit braucht. Es wird nicht alles in fünf Jahren klimaneutral sein. Das sollte man auch anderen zugestehen. In der konkreten Kommunikation heißt das, auf andere Personen nicht mit vorgefertigten Annahmen zu deren Meinung zuzugehen und sie quasi vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Das funktioniert nicht, da die Personen sich dann eher angegriffen fühlen und mit Reaktanz reagieren.
 


Es kann nicht Sinn der Sache sein, die Klimadebatte zu emotionalisieren, aber es sollte mehr Raum sein, sich über Emotionen auszutauschen.



Oft ist es wirksamer, einer Person, die Zweifel oder Schwierigkeiten hat, sich klimaschützend zu verhalten, zuzuhören. Man sollte herausfinden, woher die Widerstandsargumente kommen und Verständnis und Wertschätzung signalisieren. Nur so ist ein Dialog realisierbar, der wiederum die Möglichkeit eröffnet, gemeinsame Ziele oder Lösungsideen zu definieren.

Emotionen haben in den letzten Jahren auch bei diesem Thema einen anderen kommunikativen Stellenwert bekommen – vor allem seit der Fridays for Future-Bewegung. Es ist aber herausfordernd, mit und über Emotionen zu kommunizieren. Es kann nicht Sinn der Sache sein, die Klimadebatte zu emotionalisieren, aber es sollte mehr Raum sein, sich über Emotionen auszutauschen. Das machen wir viel zu wenig. Es gibt kaum Austauschräume, in denen offen kommuniziert wird, dass man frustriert oder wütend ist. Das hat nicht einmal etwas mit der Klimakrise zu tun, sondern wir leben in einer Gesellschaft, in der das allgemein nicht zur sozialen Norm gehört.

Sind Emotionen nicht ein wichtiges Scharnier, um vom ersten Schock in ein späteres Handeln zu kommen? So empfinde ich das zumindest: Nur wenn man das Ganze emotional an sich heranlässt, empfindet man die Dringlichkeit, etwas an seinen Gewohnheiten zu ändern.

Dieser Gedanke greift auf sehr alte philosophische Debatten zurück. Rationales Gehirn gegen emotionales Gehirn. Lange Zeit war man der Annahme, Diskurse müssten rational sein – Emotionen hätten da keinen Platz. Das hat sich klar verändert. Zu Recht! Wut oder Frustration sind gute Beispiele dafür. Wut als eine negative Emotion sollte man laut gesellschaftlicher Konvention nicht haben, aber Wut kann mich sehr antreiben, mich zu engagieren, z. B. aktiv zum politischen Handeln beizutragen.

Wenn ich Wut nicht in Handeln umsetzen kann, wenn ich sie nur für mich behalte, wird sie eher Depressionen o. Ä. auslösen …

Ja, das stimmt.

An wen richten sich die Kommunikationstrainings-Module, die Sie in Ihrem Handbuch beschreiben?

Im Prinzip an alle Zielgruppen. Wir finden, dass es in allen Berufsgruppen nötig ist, anders über die Klimakrise zu kommunizieren. Aber vor allem im Gesundheitsbereich bzw. in der sozialen Arbeit halten wir es für notwendig, mehr Kommunikation darüber zu verankern.

Warum gerade da?

Weil es ein interessanter politischer und gesellschaftlicher Hebel sein kann. Im Gesundheitsbereich merkt man am ehesten, dass die Klimakrise auch in Deutschland angekommen ist, sie stellt eine reale Bedrohung für unsere Gesundheit dar. Aber der Zusammenhang wird im derzeitigen Gesundheitssystem noch nicht berücksichtigt. Es gibt z. B. für stärkere Hitzesommer keine gesundheitlichen Einrichtungen, was ein Problem ist.

Wir sehen hier Bedarf für schnelle Veränderungen, da Gesundheit natürlich jeden Einzelnen betrifft.

Wenn Klimakommunikation nur aus einer aktivistischen Bubble heraus stattfindet, gibt es immer Menschen, die sich ideologisch überhaupt nicht mit diesen Menschen identifizieren können und deswegen eine Kommunikation blockieren. Aber Gesundheit ist für jeden wichtig.

Was sollte sich in der journalistischen Berichterstattung zum Klimanotstand ändern?

Einerseits, dass es mehr Berichterstattung gibt. Damit meine ich nicht einzelne Artikel, sondern dass die Klimakrise immer integrativ bei allen Themen mitgedacht werden muss, z. B. in Sportberichten. Sportredakteur:innen könnten z. B. über die Klimabilanz im Fußball berichten oder darüber, wie sich Extremwetterereignisse auf internationale Wettkämpfe auswirken.
 


Es gibt zu viel negative Berichterstattung über die Klimakrise und zu wenig positive Texte zu gelungenem Klimaschutz.



Ein zweiter Punkt, der sich ändern müsste, ist die Art und Weise der Berichterstattung. Derzeit werden eher Sorgen geschürt. Das löst Angst aus, die wiederum Handeln blockiert. Der Leitgedanke „when it bleeds, it leads“, je dramatischer in der Darstellung, desto mehr Leserschaft, ist für die Klimaberichterstattung – und für die Berichterstattung generell sicherlich auch – sehr kontraproduktiv.

Wenn ich über die Dringlichkeit berichte, was ja durchaus notwendig ist, sollte gleichzeitig immer eine Handlungsoption aufgezeigt werden.

Und nicht zuletzt gibt es noch zu viel negative Berichterstattung über die Klimakrise und zu wenig positive Texte zu gelungenem Klimaschutz. Es gibt viele Initiativen und auch Einzelpersonen, die sich einsetzen. Viele, viele Gemeinden und Kommunen wollen klimaneutral werden. Da ist sehr viel lösungszentriertes Wissen vorhanden, das über Berichterstattung geteilt werden sollte.

Es ist notwendig, immer wieder klarzumachen, dass die Situation gerade sehr bedrückend ist, aber es noch nicht zu spät ist. Was heißt das überhaupt, „zu spät“? – Damit setzt sich die Klimadebatte gerade sehr auseinander. Das geframte Ziel von 1,5 Grad Celsius wird zwar immer unwahrscheinlicher, aber es ist besser, das Ziel auf 1,6 oder 1,7 Grad zu korrigieren, als zu verzweifeln. Jeder Zehntelgrad zählt. Es ist ja nicht an einem Punkt zu spät – und dann ist es vorbei! Sich das bewusst zu machen, ist ein sehr bestärkender Gedanke.

Haben Sie ein journalistisches Beispiel, wo das schon gut gelingt?

Ein gutes Beispiel für gelingende Klimaberichterstattung ist für mich der Newsletter des „Guardian“. Darin werden, angenehm verteilt, gute und weniger gute Nachrichten publiziert. Ich kann mich einerseits informieren, welche kleinen und großen Initiativen es schon gibt – was viel Hoffnung erweckt. Und andererseits gibt es die nicht so guten Nachrichten zum Thema. Diese Mischung hält mich auch davon ab, Nachrichten ganz generell zu vermeiden, denn nur negative Berichte sind schwer ertragbar und setzen Vermeidungsstrategien in Gang.
 

Anmerkung:

1) Schrader, C.: Über Klima sprechen. Das Handbuch. München 2022. Abrufbar unter: https://klimakommunikation.klimafakten.de
 

Der Inhalt dieses Interviews steht mit der menschengemachten Klimakrise in Zusammenhang. Die Auseinandersetzung damit kann belastende Gefühle wie Sorge, Angst oder Wut auslösen. Aber man kann etwas tun.

Wie viel Aktivismus bringt, lässt sich hier ausrechnen: https://www.climate-handprint.de

Und hier umsetzen:
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https://letztegeneration.de
​​​​​​​https://www.bundesregierung.de

 

Die Psychologin Lea Grosse leitet Trainings zur Klimakommunikation.

Christina Heinen ist Hauptamtliche Prüferin in den Prüfausschüssen der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).