Fake News

Olaf Selg

Dr. Olaf Selg ist freier Publizist und engagiert sich u.a. in der Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien (AKJM) im Bereich „Medienbildung“.

Der Begriff „Fake News” scheint seit Kurzem omnipräsent zu sein. Was sind Fake News? Wer verbreitet sie mit welcher Absicht, und was bedeutet das für unsere heutige Gesellschaft? Der vorliegende Beitrag geht nicht nur diesen Fragen nach, sondern gibt auch Hinweise, wie man verhindern kann, auf Falschmeldungen hereinzufallen.

In tv diskurs 80, 2/2017 befasst sich auch Vera Linß mit dem Phänomen Fake News.

Online seit 21.03.2017: https://mediendiskurs.online/beitrag/fake-news/

Vollständiger Beitrag als:

Als im Jahr 64 der „Große Brand“ in Rom wütete, vermutete man, der damalige Kaiser Nero habe das Feuer legen lassen, um Platz für Neubauten zu schaffen. Nero wiederum bezichtigte – wohl als Ablenkungsmanöver – die Christen der Brandstiftung und ließ etliche von ihnen hinrichten. Beide Versionen sind als verschiedene „Wahrheiten“ in die Annalen eingegangen. Heute halten Historiker einen ungewollten Brandausbruch, wie er damals leider an der Tagesordnung war, für die wahrscheinlichste Ursache des Großfeuers.

Am 22. November 1939 ließ der „Völkische Beobachter“, das „Kampfblatt“ der NSDAP, zu einem Attentatsversuch auf Hitler verlauten: „Täter: Georg Elser – Auftraggeber: Britischer Geheimdienst“. Dass ein Einzeltäter für den Anschlag verantwortlich gewesen sein könnte, wäre zu blamabel für den nationalsozialistischen Überwachungsstaat gewesen. Inzwischen wird Georg Elser für seinen mutigen Versuch, Hitler im Alleingang zu beseitigen, entsprechend gewürdigt.

Als die „Koalition der Willigen“ Anfang 2003 den Irak-Krieg begann, begründete sie dies mit der Existenz von Massenvernichtungswaffen in der Armee des Diktators Saddam Hussein. Aber welche Beweise dafür gab es tatsächlich?

Diese Fälle zeigen: Fake News gab es schon immer. Sie „funktionieren“ dann am besten, wenn sie in Zusammenhängen formuliert werden, in denen Ereignisse oder Handlungen von Personen aufgrund von Vorerfahrungen und Vorurteilen zumindest für einen Teil des Publikums möglich erscheinen und diese Personen sich nicht in unterschiedlichen Medienangeboten informieren. Das Vorkommen von Fake News, ihre Funktionen, ihre Ausgestaltung und damit ihre mögliche täuschende Wirkung sind vielfältig, die Übergänge zu anderen Formen von Teil- oder Unwahrheiten fließend.

Versuch einer Typologie

Fake News können in allen Medienangeboten als Text, Ton, Bild bzw. Video auftreten. Besonders prädestiniert für ihre Verbreitung ist das Internet mit seinen vielfältigen Informations- und Kommunikationskanälen. Neben Nachrichtenportalen sind dies z.B. soziale Netzwerke mit ihren unzähligen Userprofilen bzw. Social Bots (= von Computern erzeugte künstliche Identitäten) sowie Blogs, Mikroblogging-Dienste, Foren, Chats, Kommunikations-Apps und die Kommentarfunktion auf vielen Websites. Sie sind einfach zugänglich und relativ leicht technisch handhabbar, sodass selbst komplexere Fälschungen eine schnelle Verbreitung finden. Die Filterfunktion professioneller Journalisten bzw. Redaktionen ist vielfach außer Kraft gesetzt, und die Masse an Userprofilen und -kommentaren ist anbieterseitig kaum mehr zu kontrollieren (und das ist in vielen Fällen auch gar nicht gewollt).

Falschmeldungen dienten und dienen – teilweise auf ausgefeilten Propagandastrategien basierend – der manipulativen Untergrabung einer unerwünschten oder der Festigung einer bestehenden (politischen) Macht. Die eigene Überhöhung geht dabei oft mit der Abwertung der Gegner einher (siehe „Völkischer Beobachter“ oder „Neues Deutschland“, zu DDR-Zeiten die Propaganda-Zeitung der SED).

Fake News können auch als Konvention (z.B. als „Spaßmeldungen“ am 1. April jeden Jahres) unterhaltsame sowie als Satire zugleich entlarvende, aufklärerische Absichten haben (z.B. Sendungen und Internetangebote von extra 3 und heute show), wobei diese Fake News in der Regel durch ihre Rahmung (hier: das Datum 1. April oder die Sendeformate) als solche erkennbar bleiben.

Weniger drastisch in ihrer unmittelbaren politischen Wirkung, gleichwohl aber folgenreich sowohl für betroffene Personen(‑gruppen) als auch für das gesellschaftliche Bewusstsein waren und sind Fake News schon immer Elemente insbesondere von Boulevardmedienangeboten. Hier sollen Aufmerksamkeit und damit höhere Verkaufs- bzw. Klickzahlen erzielt werden (vgl. z.B. Darnton 2017).

Das Spektrum der Urheber ist breit: Neben Privatpersonen, die insbesondere in sozialen Netzwerken Gerüchte streuen, stehen gewerbsmäßige Fake-News-Produzenten. Sie verdienen Geld mit Werbeeinnahmen über ihre Websites, wo sie gezielt „News“ mit reißerischen, alarmistischen Schlagzeilen setzen, oder sie verbreiten auftragsgemäß Meldungen über ihre Social-Media-Profile. Auf diese Weise haben im letzten US-Wahlkampf z.B. die mazedonische Kleinstadt Veles und auch Einzelpersonen als möglicherweise das Wahlergebnis beeinflussende Fake-News-Produzenten zweifelhafte Berühmtheit erlangt (vgl. Ladurner 2016, Reinbold 2017).

Fake News – ein unscharfer Begriff

In diesem Zusammenhang ist festzustellen: Es ist nicht immer klar, was mit Fake News genau gemeint ist. Mit diesem Begriff werden inzwischen viele verschiedene falsche Verlautbarungen bezeichnet. Darunter können sowohl frei erfundene Inhalte bzw. falsche Tatsachenbehauptungen verstanden werden als auch – in einem fließenden Übergang – Teilwahrheiten und die tendenziöse Umdeutung unstrittiger Fakten bzw. des wahren Kerns einer Nachricht (gängige Praxis z.B. der „Bild“-Zeitung, vgl. Studie von Arlt/Storz 2011).

Zur Strategie der Verbreitung von Lügen – die inzwischen mit fast schon bewundernswerter Unverschämtheit als „alternative Fakten“ sprachlich „geadelt“ werden (vgl. Minkmar 2017) – gehören auch die gezielte üble Nachrede und das Streuen von Gerüchten, was schon in den Kontext von Rufmord bzw. Mobbing fällt.

Fake News lassen sich daher vielleicht am pointiertesten beschreiben, indem man anhand von Definitionen des Nachrichtenbegriffs feststellt, was sie nicht sind: „Die Nachricht ist eine faire und verständliche Information über Tatsachen, die für Leser oder Hörer erstens neu sind (zugespitzt im englischen Wort für die Nachricht, news) und zweitens eines von beiden: wichtig […] oder interessant, selbst wenn das Ereignis mich nicht betrifft […]“ (Schneider/Raue 1996, S. 54) oder „Die Nachricht ist eine direkte, kompakte und möglichst objektive Mitteilung über ein neues Ereignis, das für die Öffentlichkeit wichtig und interessant ist“ (Schwiesau/Ohler 2003, S. 11).

Für den aktuellen Diskurs muss ebenfalls deutlich gemacht werden: Es geht insgesamt nicht um unabsichtliche Missverständnisse und versehentliche oder vorschnelle Falschmeldungen (z.B. „Terrorwarnungen“ bei unklaren Gewaltakten, insbesondere in der „Live“-Berichterstattung), es geht nicht um Inhalte, die man noch mit dem alten Begriff „Zeitungsente“ verniedlichen konnte, sondern es geht um bewusste, mit einer bestimmten (bösartigen) Absicht veröffentlichte falsche bzw. gefälschte „Nachrichten“. Diese täuschen Sachverhalte vor, die nicht zutreffen, und können zu Veränderungen im persönlichen sowie gesellschaftlichen Meinungsbild und damit zu fatalen Reaktionen führen – von Veränderungen im individuellen Wahlverhalten bis hin zu Konsequenzen im politischen Handeln ganzer Staaten und Staatenverbünde (siehe oben Irak-Krieg).

Fake News als Teil einer Strategie

Fake News erscheinen derzeit deutlich als Teil einer gesellschaftspolitisch-nationalistischen Umdeutungsstrategie. Es erscheint im Rahmen dieser Strategie der mit dem größten Selbstverständnis vorgetragenen Lügen nur folgerichtig, dass gerade Personen und Organisationen, die selbst Fake News in die Welt setzen, andere der Falschmeldungen bzw. Lügen bezichtigen (vgl. z.B. Trump via Twitter am 24.02.1017 und Tagesschau.de am 22.01.2017 zur Zuschaueranzahl bei der Amtseinführung des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump). Es ist erkennbar, dass „etablierte“ Politiker und „seriöse“ Medien über Trumps teils ganz offensichtliche und groteske Manipulationsversuche entsetzt sind. Gerade dieses Vorgehen schafft aber weitere Popularität, weiteren Zuspruch bei den eigenen Anhängern. Deutsche Trump-Fans sagen beispielsweise: „Das finde ich eben so klasse bei dem, dass der so verrückt ist, der ist anders“ (vgl. Spiegel.de am 28.02.2017) – in einer von komplexer Political Correctness überforderten Teilöffentlichkeit gilt „Verrücktsein“ als Markenzeichen.

Dieses Anderssein, dieses neue „Alternativsein“ in Worten und Taten geschieht noch nicht unbedingt auf einem Niveau, das offensichtlich nicht mehr mit der bestehenden Verfassung oder einer freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar und damit rechtswidrig wäre. Wohl aber billigt es kurzfristig bisher unpopuläre Meinungen und (gewalttätige) Handlungsweisen und fördert auf längere Sicht Einstellungs- und Werteänderungen, sodass sich die bis dato für eine breite Mehrheit selbstverständlichen Konventionen für ein demokratisches Klima verschieben. Die Achtung der Menschenwürde, die Pressefreiheit, die Orientierung an Fakten sowie Fairness im Umgang miteinander gelten dann immer weniger als selbstverständlich. Allerdings ist damit nicht gesagt, dass Fake News alleine die größte Gefahr für eine Gesellschaft sind, die auf demokratischen Prinzipien beruht (vgl. Studie von Allcott/Gentzkow 2017).

Fake News werden in den Augen vieler Menschen aber gerade auch durch „seriöse“ Medien geschaffen – indem diese nur bestimmte „politisch korrekte“ Themen und Meinungen zulassen und damit ihre Funktion als „Gatekeeper“ einseitig auslegen würden (z.B. angeblich nur einseitige Berichterstattung in der Flüchtlingsfrage und über die Wählerschaft der AfD). Daraus resultiert u.a. der Vorwurf der „Lügenpresse“, denn dieses Teilpublikum und einige Medien gewichten die Frage, ob und wie über bestimmte Themen berichtet werden soll, offenbar grundsätzlich anders.

Gegenmaßnahmen

Die Rolle des Internets ist bei der derzeitigen Welle von Fake News entscheidend. Nicht nur, dass Fälschungen leicht unterzubringen und für viele schwer zu durchschauen sind. Sie stehen dort möglicherweise in einem, auch durch Algorithmen bedingten, sich selbst verstärkenden Kontext (die Auswirkungen der als Filterblase bzw. Echokammer bezeichneten Effekte werden allerdings unterschiedlich bewertet, vgl. z.B. Behrens 2016, Kinkel/Less 2017). Jedoch ist ebenfalls festzustellen, dass eine einseitige Information gewollt wird: Man glaubt denjenigen, denen man glauben will – dies ist häufig eine emotionale Entscheidung und kein Ergebnis von Zufall oder Unwissenheit. Voraussetzung für die Entlarvung von Fake News ist daher ein kritisches Bewusstsein.

Insgesamt erscheinen drei Schritte notwendig:

1. Die Überprüfung der rechtlichen Handhabe gegen Fake News:   
Während es aktuell Überlegungen für ein Gesetz gegen die Verbreitung von Fake News und Hate Speech in Sozialen Netzwerken gibt, sind viele Inhalte, die dort oder anderswo verbreitet werden, schon jetzt strafbewehrt (z.B. Verleumdung, Volksverhetzung, Leugnung des Holocaust). Speziell der Jugendschutz scheint im Zusammenhang mit Fake News nicht gesondert gefordert zu sein. Die in den gesetzlichen Grundlagen und den Regularien der Kontrolleinrichtungen im Jugendschutz formulierten Sachverhalte und Kriterien sind im Prinzip ausreichend, um jugendgefährdende bzw. sozialethisch desorientierende Inhalte und Angebote, mit denen insbesondere Kinder und Jugendliche konfrontiert werden könnten, zu überprüfen und ggf. zu sanktionieren. Die Überprüfung steht und fällt allerdings mit der Finanzierung von personellen und technischen Möglichkeiten. Notwendig ist in diesem Zusammenhang ebenfalls eine größere Bereitschaft der besonders betroffenen Inhalte-Anbieter zur Zusammenarbeit (insbesondere Facebook).

2. Die professionelle Entlarvung von Fake News (mehr dazu siehe den Beitrag von Vera Linß in tv diskurs 80, erscheint Ende April 2017)

3. Darüber hinaus sollten sich möglichst alle Medien- bzw. Internetnutzer/-innen mit Methoden zur Entlarvung dieser Inhalte auskennen. Die Forderung nach weiteren Maßnahmen zur Medienbildung sind nur folgerichtig (vgl. z.B. Studie des Instituts für Jugendkulturforschung 2017). Diese Angebote sollten sich aber nicht auf junge Nutzerinnen und Nutzer beschränken, Checklisten für unterschiedliche Zielgruppen finden sich z.B. unter:           
Spiegel.de: Tipps für den Online-Alltag: So entlarven Sie Fakes im Internet      
Klicksafe.de: Fakt oder Fake? Warum die Vermittlung von Informationskompetenz immer wichtiger wird

Literatur:

Allcott, H./Gentzkow, M.: Social Media and Fake News in the 2016 Election. In: Stanford University; http://web.stanford.edu, Januar 2017 (Zugriff: 16.03.2017)

Arlt, H.-J./Storz, W.:  Drucksache „Bild“ – Eine Marke und ihre Mägde. Die „Bild“-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010. Eine Studie der Otto Brenner Stiftung. Frankfurt/a.M. 2011 In: https://www.otto-brenner-shop.de (Zugriff: 16.03.2017)

Behrens, C.:  Der Mythos von der Filterblase. In: Süddeutsche Zeitung; http://www.sueddeutsche.de, 28.11.2016 (Zugriff: 16.03.2017)

Darnton, R.:  The True History of Fake News. In: The New York Review of Books; http://www.nybooks.com, 13.02.2017 (Zugriff: 16.03.2017)

Institut für Jugendkulturforschung 2017: Gerüchte im Web. Aktuelle Studie zum Umgang von Kindern und Jugendlichen mit Gerüchten im Netz. In: Saferinternet.at. Das Internet sicher nutzen!; https://www.saferinternet.at, 27.01.2017. Direkter Download der Studie (Zugriff: 16.03.2017)

Kinkel, N./Less, B.:  Wie geht’s raus aus der Facebook-Filterblase? In: NDR.de; http://www.ndr.de, 12.01.2017 (Zugriff: 16.03.2017)

Ladurner, U.:  Stadt der Lügner. In: Zeit Online; http://www.zeit.de, 18.12.2016 (Zugriff: 16.03.2017)

Minkmar, N.:  Zur Zeit: Alternative Fakten. In: Der Spiegel 5/2017, S. 113

Reinbold, F.:  Der Fake-News-König bereut sein Tun. In: Spiegel Online, 14.03.2017; http://www.spiegel.de (Zugriff: 16.03.2017)

Schneider, W./Raue, P.-J.:  Handbuch des Journalismus. Reinbek bei Hamburg 1996

Schwiesau, D./Ohler, J.:  Die Nachricht in Presse, Radio, Fernsehen, Nachrichtenagentur und Internet. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis. München 2003

Spiegel Online:  Deutsche Trump Fans: „Finde ich klasse, dass der so verrückt ist“, 28.02.2017 (Zugriff: 16.03.2017)

Tagesschau.de:  Die National Mall bei der Vereidigung Obamas (2009) und Trumps (2017), 22.01.2017 (Zugriff: 16.03.2017)

Trump, D.:  Twitter-Account, 24.01.2017 (Zugriff: 16.03.2017)