Fernbedienung
Ein bekanntes Zitat des Science-Fiction-Autors und Physikers Arthur C. Clarke (u. a. Verfasser der Textvorlage zum Film 2001: Odyssee im Weltraum) lautet:
Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“
Kaum eine Erfindung des 20. Jahrhunderts veranschaulicht diese These so einleuchtend wie die Fernbedienung. Sah es nicht wie Magie aus, als immer mehr Geräte, vor allem der Unterhaltungselektronik, bedient werden konnten, ohne die Geräte selbst zu berühren? Ohne auch nur in ihrer Nähe zu sein?
Die Magie brauchte allerdings etwas Zeit, um sich zu zeigen, denn zu Beginn der Entwicklung war noch eine Nabelschnur sichtbar. Erste Modelle einer Fernseher-Fernbedienung mit noch wenigen Funktionen tauchten in den USA um 1950 auf, es handelte sich um Kabelfernbedienungen. Nach einigen frühen Versuchen wie dem „Tele-Zoom“ (1948) der Firma Garod zur Bildverbesserung war der erste erfolgreiche Pionier 1950 die Zenith Radio Corporation, die als kostenpflichtiges Extra für 30,00 US-Dollar „Lazy Bones“ („Faulpelz“) anbot. Das war ein kleines Gerät, das dem Handregler einer Autorennbahn ähnelte und mit zwei Knöpfen Senderwechsel und Lautstärkeregelung ermöglichte. Der große Vorteil: Um einen anderen Sender zu suchen oder lästige Werbespots wegzuschalten oder leiser zu stellen, musste man nicht mehr zum Fernseher gehen. Der Nachteil: Durch das Kabel, das TV-Gerät und „Lazy Bones“ physisch verband, gab es im Wohnzimmer eine neue Stolperfalle.
Richtig magisch wurde es erst, als das Kabel entfiel und die Steuerungssignale erstmals 1955 per Licht, dann per Ultraschall übertragen wurden. Auch in diesem Fall fand die Markteinführung in den USA statt – 1956 wurden die ersten „Zenith Space Commander“ produziert. Der Name dieser Fernbedienung war kein Zufall: Für Wunder der Technik war in der Populärkultur Science-Fiction zuständig und die Raumfahrt eines ihrer Kernthemen.
Television Remote Control (1961, Old TV Time, 01.01.2013)
In Deutschland stand ein paar Jahre später am Anfang ebenfalls eine Kabelfernbedienung, und wie in den USA kam vor der TV- die Radio-Fernbedienung. Anders als in den USA gab es hier aber in den 1950er-Jahren keine Gründe für eine rasche Markteinführung von TV-Fernbedienungen: Bei nur einem Fernsehprogramm waren Senderwechsel nicht möglich und das Hauptabendprogramm wurde nicht durch Werbung unterbrochen. Außerdem wurde das Fernsehen erst im nächsten Jahrzehnt zum echten Massenmedium, in den 1950er-Jahren war das Radio viel wichtiger. Die Medienzukunft musste noch etwas warten, was sich auch in der Namensgebung spiegelte: Die 1955 von der Firma Grundig angebotene Radio-Fernbedienung per Kabel verwies nicht auf futuristische Technik, sondern auf ein Kernangebot des Mediums, nämlich Musik – sie hieß „Ferndirigent“.
Bei nur einem Fernsehprogramm waren Senderwechsel nicht möglich und das Hauptabendprogramm wurde nicht durch Werbung unterbrochen.
Wirklich unverzichtbar wurden nun selbstverständlich drahtlose TV-Fernbedienungen in den 1980er-Jahren, als es in Deutschland dank der Zulassung von privatrechtlichem Fernsehen und neuen Technologien immer mehr Sender gab, zwischen denen gewechselt werden konnte – und immer mehr Werbung, die zu umschiffen war. Zugleich konnten immer mehr Funktionen des TV-Geräts per Fernbedienung kontrolliert werden; weitere Bausteine des heimischen Technikparks wurden im Laufe der Zeit ebenfalls mit dieser praktischen Bedienhilfe ausgestattet, neben anderen Geräten der Unterhaltungselektronik beispielsweise Garagentore oder Raumbeleuchtung. Die Folge: TV-Fernbedienungen wurden immer klobiger und komplizierter, generell stieg die Zahl der Fernbedienungen pro Haushalt an. Dieses Problem durch Zwischenlösungen – wie die Umdreh-TV-Fernbedienung (eine einfache Seite mit wenigen Tasten für die tägliche Fernsehnutzung und eine komplizierte mit vielen Tasten für Programmiervorgänge) oder Universal-Fernbedienungen für mehrere unterschiedliche Geräte – zu lösen, hat nicht funktioniert. Letztlich waren es Medienkonvergenz und Digitalisierung, die hier Abhilfe schufen, und das über ein doppeltes Paradoxon: Einerseits gibt es in jedem Haushalt immer mehr Technik, andererseits aber weniger separate Geräte. Einerseits werden immer mehr davon ferngesteuert, andererseits mit immer weniger Fernbedienungen.
Wo früher etwa TV-Apparat, Kabelreceiver, Stereoanlage, CD-Player, Video- und DVD-Rekorder mit je eigenen physischen Fernbedienungen erforderlich waren, kann heute ein einziges Gerät genügen, eventuell mit zusätzlicher Peripherie für bessere Bild- und Tonausgabe. Aus vielen großen Kisten sind wenige kleinere geworden, mit einer halben Ausnahme. Die Displays von Fernsehgeräten haben sich deutlich vergrößert, dafür sind sie so flach, dass man sie sogar an die Wand hängen kann. Für die Steuerung dieser Technik wird oft überhaupt keine Fernbedienung mehr verwendet, sondern kleine Programme auf Minicomputern, die in ihrer Anfangszeit noch „Mobiltelephon“ hießen. Smartphone-Apps ersetzen immer mehr traditionelle Fernbedienungen, falls überhaupt noch Fingerfertigkeit erforderlich ist.
„Voice Control“ bedeutete zunächst nur, dass man morgens seinen Wecker mit einem herzhaft gebrüllten „Ruhe!“ zum Schweigen bringen konnte. Mittlerweile ist Sprachsteuerung in vielen Bereichen selbstverständlich, bevorzugt über digitale Assistenten wie Alexa oder Siri. Das Hantieren mit physischen oder virtuellen Tasten lässt sich aber auch noch auf ganz anderen Wegen ersetzen, nämlich durch Sensoren und Kameras. Einmal programmiert, kann ein erheblicher Teil des heimischen Geräteparks, schlichte Haushalts-geräte eingeschlossen, in Smart-Home-Konzepte integriert werden, eventuell sogar mit eigener Netzanbindung an das „Internet of Things“. Egal, ob Raumlicht, Heizung oder Sicherheit, ob von Musikbegleitung, Lichtinszenierung und Kaffeemaschinenstart begleitete Aufstehrituale oder Vortäuschung von Anwesenheit im Urlaub durch zeitweise Beleuchtung, automatische Betätigung von Rollläden oder timergesteuertes Ein- und Ausschalten des Fernsehers: Das Zeitalter der Fernbedienung war das 20. Jahrhundert, heute geht es um automatisiertes Wohnen – ein Leben mit Algorithmen und Presets.