Film – Bild – Emotion

Film und Kunstgeschichte im postkinematographischen Zeitalter

Christoph Wagner, Marcus Stiglegger (Hrsg.)

Berlin 2021: Gebr. Mann Verlag
Rezensent/-in: Michael Wedel

Buchbesprechung

Online seit 12.08.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/film-bild-emotion-beitrag-1123/

 

 

Emotionsforschung zwischen Film und Kunst

Worum es in diesem Sammelband geht, lässt sich nicht leicht sagen. Anstatt einen thematischen Fokus zu benennen oder zumindest eine belastbare Klammer anzubieten, mit der die insgesamt 27 Beiträge des Bandes zusammengehalten werden können, stecken die in seinem Titel arrangierten Begriffe „Film“, „Bild“ und „Emotion“ zusammen mit dem Verweis auf die „Kunstgeschichte“ und das „postkinematographische Zeitalter“ ein Feld ab, dessen Konturen bei fortschreitender Lektüre der einzelnen Texte schnell zu verschwimmen beginnen. In ihren einleitenden Bemerkungen unternehmen die Herausgeber auch gar nicht erst den Versuch, einen roten Faden durch den folgenden Reigen an Einzelstudien zu finden. Vielmehr betonen sie ganz allgemein ihre Absicht „die Methodologien und Fachkulturen von Kunstgeschichte und Filmwissenschaft, Medientheorie und Psychoanalyse in der ästhetischen Analyse konkreter Filmbeispiele, die historisch von der Stummfilmzeit bis in die Gegenwart reichen, in einen interdisziplinären Zusammenhang und Austausch“ (S. 12) zu versetzen.

So lobenswert dieses Bestreben ist, so wenig stellt sich zwischen den einzelnen Beiträgen ein Zusammenhang her, ganz zu schweigen von einem sinnvoll gesteuerten Austausch. Weitgehend unvermittelt stehen rezeptionsästhetische, psychoanalytische und phänomenologische Ansätze neben kunst- und bildwissenschaftlichen Zugängen zu ganz unterschiedlichen Gegenständen aus fast allen Epochen der Filmgeschichte. Inwiefern sie sich thematisch oder heuristisch auf ein „postkinematographisches Zeitalter“ beziehen, ja was genau unter dieser Bezeichnung zu verstehen ist und in welcher Hinsicht sie für einen Dialog zwischen Film-, Kunst- und Medienwissenschaft relevant und erkenntnisfördernd sein könnte, bleibt über weite Strecken unklar. Konkret adressiert und programmatisch als „Herausforderung für Medien-, Kultur- und Kunstwissenschaft“ (S. 504) in Stellung gebracht wird der Begriff erst im abschließenden Beitrag von Ivo Ritzer. In den meisten anderen spielt er keine Rolle.

Viele der im Buch versammelten Texte sind dabei überaus lesenswert. Sie bieten mitunter anregende theoretische Reflexionen etwa zum szenischen Verstehen als emotionale Aktivität (Lothar Mikos), zum medialen Anthropomorphismus (Gertrud Koch) oder zur atmosphärischen Intimität (Marcus S. Kleiner). Es finden sich erhellende Re-Lektüren zumeist bekannter und im Kontext der Analyse filmischer Emotionen breit diskutierter Beispiele wie Panzerkreuzer Potemkin (1925), Ein andalusischer Hund (1929), Psycho (1960) oder Suspiria (1977). Das Kino abseits der transatlantischen Achse zwischen Europa und Nordamerika ist hingegen deutlich unterrepräsentiert; Toru Itos Beitrag über Terayama Shujis Sterben auf dem Lande (1974) bildet hier die Ausnahme. Auch zwei der stärksten Stücke, die aus kunstwissenschaftlicher Perspektive zu dem Band beigesteuert werden, bleiben mit Metropolis (1927) einem weiteren Zentralwerk des westlichen Filmkanons vorbehalten. Auf höchst originelle Weise beschäftigen sich Henry Keazor und Jürgen Müller mit der Architektur bzw. dem Stilmittel des „ästhetischen Grenzübertritts“ (S. 297) in Fritz Langs Science-Fiction-Klassiker. Die Frage nach den emotionalen Wirkungen der in beiden Fällen mit beeindruckender Akribie herausgearbeiteten Merkmale des Films wird jedoch, wenn überhaupt, nur am Rande aufgeworfen.

So deuten noch die überzeugendsten Aufsätze des Sammelbandes auf seine größte konzeptionelle Schwäche. Sie besteht darin, ihn lediglich als Container für alle möglichen Texte zu verstehen, die entweder im weitesten Sinne an der Theorie und Analyse filmästhetisch evozierter Affekte, Emotionen und Gefühle interessiert sind oder Film als Untersuchungsgegenstand einer kunstwissenschaftlichen Betrachtung unterziehen. Ungeachtet der in der Summe erreichten Spannbreite seiner methodischen Zugriffe kann der Band mit Blick auf die emotionszentrierte Filmanalyse wiederum nur sehr bedingt den Anspruch erheben, dieses Forschungsfeld auch angemessen darzustellen. Dem steht entgegen, dass kognitivistische Beschreibungsmodelle, wie sie die filmwissenschaftliche Diskussion in dieser Hinsicht noch immer dominieren, nahezu vollständig ausgeblendet bleiben, das Gewicht vielmehr auf psychoanalytische, phänomenologische und deleuzianisch inspirierte Ansätze verlagert wird. Dass im Zuge der Re-Mobilisierung dessen, was hier etwas eigenwillig unter dem Namen „Filmpsychoanalyse“ (S. 12) figuriert, auch das eher randständige Gebiet einer „Seduktionstheorie des Films“ (ebd.) als eine der „Hauptströmungen“ in der „filmtheoretischen Beschäftigung mit Emotionen“ (ebd.) ausgewiesen und damit unverhältnismäßig aufgewertet wird, dürfte weniger den tatsächlichen Gegebenheiten (inter‑)disziplinärer Diskursverläufe, sondern schlicht persönlichen Präferenzen geschuldet sein. Derartige Gewichtungen vorzunehmen, ist natürlich völlig legitim und steht im Ermessen der Herausgeber. Sie schränken den Gebrauchswert des Bandes jedoch für diejenigen ein, die sich umfassend über das Forschungsgebiet informieren wollen. Auch dies ein Grund, weshalb man das Buch, trotz seiner gediegenen Aufmachung und vielen gelungenen Einzelstücke, am Ende mit gemischten Gefühlen aus der Hand legt.

Prof. Dr. Michael Wedel