Frauen: ausgeblendet
Im Rahmen einer Studie der Universität Rostock* wurden unter der Leitung von Prof. Dr. Elizabeth Prommer und Dr. Christine Linke über 3.000 Stunden Fernsehprogramm und über 880 Kinofilme analysiert. Finanziert wurde die Studie über eine erstmalige Kooperation der Fernsehsender mit den Filmförderungen (ARD, ZDF, ProSiebenSat.1, RTL, Film- und Medienstiftung NRW, FilmFernsehFonds Bayern [FFF Bayern], Filmförderungsanstalt [FFA]), initiiert durch die Schauspielerin Maria Furtwängler. Es handelt sich um die erste und größte repräsentative Studie zur Darstellung von Frauen und Männern im deutschen Fernsehen und Kino, über alle Genres und Programmsparten hinweg. Ziel der Studie war die Ermittlung von weiblichen und männlichen Geschlechterdarstellungen im deutschen Fernsehen und Kino.
Das Fernsehen wurde mit einer standardisierten Inhaltsanalyse einer Stichprobe von 14 Tagen (zwei künstliche Wochen aus zufällig ausgelosten Tagen: zwei zufällige Montage, zwei zufällige Dienstage etc.) repräsentativ für das deutsche Fernsehprogramm des Jahres 2016 untersucht. Dabei wurden 17 Vollprogramm- und vier Kindersender analysiert. Insgesamt flossen also 14 Sendetage, 3.164 Stunden Sendezeit, 5.637 Einzelprogramme mit 17.349 gemessenen zentralen Figuren in die Analyse ein. In der Analyse wurden die untersuchten Einzelprogramme in die Programmsparten Fiktion, Fernsehinformation und nonfiktionale Unterhaltungsformate unterteilt. Für jede Programmsparte wurden die sie auszeichnenden Figuren gemessen. Das waren entweder Protagonistinnen und Protagonisten im fiktionalen Bereich oder Hauptakteurinnen und ‑akteure im Informationsbereich und in der nonfiktionalen Unterhaltung (zur genauen Definition vgl. Prommer/Linke 2019, S. 39).
Männer erklären uns die Welt – Frauen werden ausgeblendet
Die Auswertung ergab: Frauen sieht man in deutschen audiovisuellen Medien seltener. Über alle Fernsehprogramme hinweg kommen auf eine Frau zwei Männer. Diese Ergebnisse sind für alle Sender und fast alle Genres gleich. Nur Telenovelas und Daily Soaps sind repräsentativ für die tatsächliche Geschlechterverteilung in Deutschland, sprich ca. 51 % Frauen und 49 % Männer. Allerdings machen diese Formate nur 3 % aller Sendungen aus.
Wenn Frauen auftreten, dann als junge Frauen. Ab dem 30. Lebensjahr verschwinden Frauen sukzessive vom Bildschirm. Das gilt für alle Sender und über alle Formate und Genres hinweg. Bis zu einem Alter von 30 Jahren kommen Frauen öfter (Unterhaltungsformate fiktional und nonfiktional) oder etwa gleich oft wie Männer vor. Ab Mitte 30 verändert sich dies, dann kommen auf eine Frau zwei Männer; ab 50 Jahren kommen auf eine Frau drei Männer.
Im Kinder- wie auch im Erwachsenenfernsehen erklären uns Männer die Welt (ausführlich zum Kinderfernsehen siehe Prommer/Linke/Stüwe 2017). Insgesamt ist in der Fernsehinformation von den Hauptakteurinnen und ‑akteuren nur jede dritte weiblich. Bei den Expertinnen und Experten dominieren die Männer (zu 80 % in der Information). Auch die Stimmen aus dem Off sind überwiegend männlich (70 % in der Information und 96 % in der nonfiktionalen Unterhaltung).
Wo sind die Expertinnen?
Acht von zehn Expertenfunktionen besetzen Männer, sowohl in Informationssendungen als auch in Unterhaltungsshows. Dieses Fehlen der Expertinnen wollten wir besser verstehen und haben es genauer untersucht. Eine Erklärung wäre, dass es möglicherweise weniger Frauen gibt, die als Expertinnen zur Verfügung stehen, weil in diesen Berufen und Themenfeldern kaum Frauen arbeiten. Ein Argument, das wir bei Diskussionen mit Medienmacherinnen und ‑machern häufig hörten, war: „Was sollen wir machen: Der Bürgermeister oder Außenminister ist nun mal männlich.“
Um festzustellen, ob genügend Frauen als Expertinnen zur Verfügung stehen, haben wir die Daten des Statistischen Bundesamtes zur Geschlechterverteilung in den verschiedenen Berufen herangezogen und zusätzlich bei den jeweiligen Berufsverbänden wie etwa der Bundesärztekammer, den Anwaltskammern, dem Deutschen Juristinnenbund recherchiert.
Es zeigt sich: Auch in den Berufsfeldern, in denen Frauen in der Realität überrepräsentiert sind, bleiben sie im Fernsehen vergleichsweise unterrepräsentiert. So zeigt das Fernsehen ein veraltetes Bild von Lebenswelten und ein verzerrtes unserer gesellschaftlichen Realität.
Im Detail: In der Realität ist die Hälfte der Richterstellen mit Richterinnen besetzt, die Hälfte der Staatsanwaltsstellen mit Staatsanwältinnen. Da aber mehr Männer als Frauen als freie Rechtsanwälte arbeiten, haben wir die Summen anteilig gemittelt und kommen auf eine Geschlechterverteilung im Berufsfeld „Recht“ von 42 % Frauen und dementsprechend 58 % Männern. Sieht man sich die Anzahl an Expertinnen im Bereich „Recht“ in den Informationssendungen an, so kommen Frauen fast nur halb so oft vor wie im echten Leben (24 %). Ähnlich sieht es im Bereich „Gesundheit und Pflege“ aus. Die Bundesärztekammer weist aus, dass im Jahr 2016 die Hälfte aller Medizinerinnen und Mediziner Ärztinnen sind. In einem Feld, in dem Frauen so leistungsfähig und stark sind, dass sogar die ersten männlichen Universitätsprofessoren eine Männerquote für die Studienzulassung fordern (Pospiech 2018), ist im TV eine drastische Unterrepräsentanz zu verzeichnen. Im Bereich „Gesundheit und Pflege“ sehen wir Frauen also seltener als im echten Leben. Wer schon einmal in einem Krankenhaus oder in einem Seniorenheim war, weiß, dass die überwiegende Mehrheit des Pflegepersonals weiblich ist. Gewichten wir die verschiedenen Berufsgruppen, so sind drei Viertel der Personen, die im Gesundheitsbereich und in der Pflege arbeiten, weiblich. Ein anderes Bild zeigt sich bei den Expertinnen. Hier sind Frauen nur mit 28 % vertreten: Sie sind also zu 300 % unterrepräsentiert, kommen also dreimal seltener vor als in der Realität.
Das gleiche Bild zeigt sich im Bereich „Bildung“. Ein Blick in die Schulen zeigt: Im Kollegium überwiegen meistens die Lehrerinnen, oft leiten Frauen die Schulen und es gibt viel mehr Erzieherinnen als Erzieher. In der Summe sind Frauen mit 70 % sehr stark im Bereich „Bildung“ tätig. Als Expertinnen für diesen Bereich sind sie wieder unterrepräsentiert: Nur 29 % sind Frauen, 71 % sind Männer. Das heißt, Männer kommen in diesem Berufsfeld im Fernsehen mehr als doppelt so oft vor wie in der Realität. Dieses überproportionale Vorkommen von Männern zieht sich durch alle Bereiche, sei es der Finanzsektor, der Dienstleistungssektor oder Berufe im Verkauf.
Es gibt ein paar Ausnahmen: Im Bereich „Politik und Verwaltung“ kommen Frauen annähernd so oft vor wie im echten Leben. Wir sehen 25 % Frauen als Expertinnen im Fernsehen, während tatsächlich 2017 ca. 33 % der im Bereich „Politik“ arbeitenden Personen weiblich waren. Zwar erscheinen im Fernsehen weniger Politikerinnen als in der Realität, aber der Unterschied ist nicht so ausgeprägt wie in anderen Bereichen. Auch in den Berufsfeldern „Sicherheit und Polizei“ sowie in den MINT-Berufen werden Frauen ungefähr der Realität entsprechend gezeigt.
Der Altersgap des Fernsehens verstärkt den Effekt, dass Frauen als Expertinnen unterrepräsentiert sind. In einem Alter, in dem Frauen für ihre Berufsfelder durch langjährige Erfahrung Expertinnen sein könnten, also ab 50 Jahren, kommen sie im Fernsehen kaum noch vor. Ab 50 Jahren liegt der Anteil der Expertinnen bei 18 %, bei den über 60-Jährigen bei 14 %.
Es lässt sich also festhalten: Frauen kommen insgesamt seltener vor, sie treten vor allem auch in Berufsfeldern nicht als Expertinnen in Erscheinung, in denen eigentlich genügend Frauen arbeiten und als Expertinnen vorhanden wären (siehe Abb. 1)
Frauen in der Fernsehfiktion
Wir haben nach der gleichen Logik auch Fernsehserien, Soap-Operas und Fernsehfilme untersucht. Auch dort haben wir alle Protagonistinnen und Protagonisten, wenn möglich, den Berufsfeldern zugeordnet, in denen sie in ihren erfundenen Geschichten arbeiten. Hier sei erwähnt, dass Autorinnen und Autoren die Freiheit hätten, mehr Politikerinnen oder Chefärztinnen in ihre Drehbücher zu schreiben. Gleichzeitig muss man hier betonen, dass Fiktion per se nicht die Realität abzubilden hat.
Aber: Das Bild hinkt auch hier erschreckend der Realität hinterher. Frauen kommen auch in der Fiktion seltener in den Berufsfeldern vor als im realen Leben. Es gibt z.T. um die Hälfte weniger Bankerinnen, Juristinnen, Ärztinnen und Krankenschwestern, weniger weibliche Verwaltungsangestellte, weniger Lehrerinnen und weniger Erzieherinnen als im echten Leben. Die einzigen Ausnahmen bilden die vielen Kommissarinnen der Krimiserien. Im Bereich „Sicherheit“ sind Protagonistinnen in fiktionalen Sendungen mit 28 % stärker repräsentiert (fast doppelt so oft) als im realen Leben (15 %). Gleich häufig wie in der Realität kommen sie aber im Bereich „Mode/Kunst/Lifestyle“ vor.
Ansonsten allerdings kommen Frauen in den erdachten Geschichten des Fernsehens in allen Lebensbereichen seltener vor als im echten Leben. Sogar als Schülerinnen und Studentinnen sind sie unterrepräsentiert. In der Realität besteht die Hälfte der Schülerschaft aus Schülerinnen – genauso wie bei den Studierenden. Aber im Fernsehen sind nur 38 % weiblich (siehe Abb. 2).
Ein Teufelskreis?
Interessant sind hier die Verstärkereffekte: Je verzerrter das Bild ist, das wir im Fernsehen unter den Expertinnen und Experten in Informationssendungen sehen, desto ungleicher ist die Darstellung in der Fiktion. Das bedeutet, Frauen kommen im Fernsehen sowohl in den Informationssendungen als auch in den fiktionalen Sendungen nicht der Realität entsprechend vor. Zwar müssen erfundene narrative Geschichten die Realität nicht abbilden, aber es ist auffällig, wie verzerrt das Bild der Realität ist, dadurch dass systematisch in vielen Bereichen ausgeblendet wird. Wir können daher die These formulieren, dass die Frau im Fernsehen nur einen kleinen Korridor an Möglichkeiten und Gestaltungsräumen hat, in dem sie vorkommen und agieren kann. Der Mann im TV jedoch ist in einer Vielzahl und Vielfalt an individuellen Entwürfen, Themen und Handlungsräumen dargestellt. Er ist alt und jung, hat viele Berufe und Funktionen. Es scheint, als ob die Drehbuchautorinnen und ‑autoren sowie die Redaktionen das in der Fernsehinformation gezeigte Gesellschaftsbild übernehmen, also die rückständigen Darstellungen als vermeintliche Realität widerspiegeln. Dies trägt zu einer weiteren Verzerrung in der Fiktion bei und führt mit zu einer unzureichend vielfältigen Repräsentation einer 2019 viel diverseren Gesellschaft.
Anmerkung:
* Das Buch zur Studie Ausgeblendet. Frauen im deutschen Film und Fernsehen von Elizabeth Prommer und Christine Linke ist 2019 im Herbert von Halem Verlag erschienen.
Literatur:
Pospiech, P.: Qualität kommt von Qual. In: Forschung & Lehre, 4/2018/25, S. 285
Prommer, E./Linke. C.: Ausgeblendet. Frauen im deutschen Film und Fernsehen. Köln 2019
Prommer, E./Linke, C./Stüwe, J.: Is the future equal? Geschlechterrepräsentationen im Kinderfernsehen. In: TELEVIZION, 2/2017/30, S. 4 – 10. Abrufbar unter: www.br-online.de (letzter Zugriff: 16.09.2019)