Greenfluencing

Susanna Endres, A. Kristina Steimer

Sich sozial zu engagieren, das Klima zu schützen, für Nachhaltigkeit einzustehen – eben Gutes zu tun –, scheint im Trend zu liegen und beim Publikum anzukommen. Wie ernst sollte man jedoch die Selbstinszenierung als „Weltretter:in“ von Social-Media-Akteur:innen nehmen? Geht es tatsächlich darum, „das Richtige“ zu tun? Oder eher um Profit und Image? Nicht zuletzt der Fall um den Influencer Fynn Kliemann und die hierauf folgende Empörungswelle, die durch die Satiresendung ZDF Magazin Royale1 ausgelöst wurde, zeigen die medienethische Bedeutung einer solchen Frage: Die vorgebrachten Vorwürfe liefen dem aufgebauten Image des Influencers als „Weltverbesserer“ massiv zuwider, die Erwartungshaltung wurde enttäuscht, das positive Gesamtbild dekonstruiert.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 2/2023 (Ausgabe 104), S. 52-55

Vollständiger Beitrag als:

Auftritte auf Social-Media-Plattformen stellen für Influencer:innen eine lukrative Einkommensquelle dar. Es scheint naheliegend, dass gerade das Wissen um derartige ökonomische Zusammenhänge das Publikum dazu animiert, an Medienschaffende, die zu sozialen oder Nachhaltigkeitsthemen arbeiten, besonders „strenge“ moralische Maßstäbe anzulegen. Aus medienethischer Sicht bleibt zu hinterfragen, ob es die individuellen Verdienste um ein Thema tatsächlich schmälert, wenn die dahinterstehende Intention in erster Linie darin bestehen sollte, mit dem produzierten Content Geld zu verdienen. Auf den Punkt gebracht: Ist für eine medienethische Beurteilung des Influencing-Handelns die Intention oder das Resultat ausschlaggebend? Und in Bezug zu welchen normativen Annahmen stehen Bezahlung und eine moralisch als gut zu beurteilende Intention einander eigentlich entgegen? Fragen wie diese verweisen auf moralphilosophische „Klassiker“ zur Handlungsmotivation. Diese wird in der Ethik differenziert betrachtet. Deutlich wird dies z. B. in der Gegenüberstellung deontologischer und konsequentialistischer Theorien, die jeweils für die Bewertung einer Handlung entweder deren Intention und die zugrunde liegende Gesinnung oder die Folgen einer Handlung betrachten (Fenner 2020, S. 161). Eine allgemeingültige ethische Bewertung und Einordnung lässt sich mit Blick auf die vorliegende Frage nach der Handlungsmotivation jedoch kaum vornehmen. Ein detaillierter Blick auf die im Netz aktiven Sinn- und Greenfluencer:innen erscheint geboten.
 

Fynn Kliemann: SCHEISSE bauen (DIY) (ZDF MAGAZIN ROYALE, 06.05.2022)



Greenfluencing

„Greenfluencing“ verweist auf den Begriff „Influencing“: Unter Influencer:innen versteht man Personen, die sich über digitale Kanäle wie z. B. Social-Media-Plattformen ein breites Netzwerk erarbeitet haben und eine große Zielgruppe erreichen. Sie verfügen häufig über hohe kommunikative Kompetenz, Glaubwürdigkeit und Fachwissen zu einem bestimmten Themensegment. Der Begriff „Greenfluencing“ spezifiziert Influencer:innen in einem solchen Wortsinn als Personen, die sich schwerpunktmäßig in den Bereichen „Nachhaltigkeit“ und „Klimaschutz“ engagieren (Koinig/Diehl 2022, S. 20).

In der Praxis lassen sich eine Vielzahl von recht unterschiedlichen Greenfluencer:innen finden. Die Motivation, die Hintergründe, das Auftreten und auch die Organisation der auf Social-Media-Plattformen auffindbaren Kanäle sind vielfältig. Die Medienrealität der Social Media zeigt Greenfluencing-Content in Audio, Bild, Film und Text. Bei den Akteur:innen handelt es sich u. a. um ausgebildete Umweltwissenschaftler:innen und Aktivist:innen, teils auch in Kooperation mit Wirtschaft und Politik – so z. B. mit der Initiative der Bundesregierung KlimaGesichter oder dem Eiscremekonzern Ben & Jerry’s unter dem Schlagwort „Climate Just’Ice Now“. Die Werte und normativen Ideen, die dabei weithin thematisiert werden, lassen sich grob in vier Kategorien gliedern.

Erstens wird, beispielsweise mit dem Slogan „Climate Just’Ice Now“, Gerechtigkeit als Wert insbesondere mit Blick auf eine damit verbundene Intersektionalität adressiert. Entsprechende Kanäle verweisen damit auf den Anspruch, dass Klimagerechtigkeit notwendig auch mit sozialer Gerechtigkeit insbesondere in globaler Perspektive zusammenhängt.

Zweitens wird die normative Idee von Good News vertreten. Das heißt, eine positive Medienberichterstattung steht im Fokus. Entsprechende Kanäle bringen sich gegen das sogenannte Doomscrolling in Stellung. Sie bieten ein Gegenangebot zum Konsumieren von Negativ- und Krisenmeldungen auf den Newsfeeds und die damit verbundene Frustration. So legen z. B. Accounts wie Pique Action, The Joy Report oder The Garbage Queen den Fokus dezidiert auf „climate solutions“.

Drittens soll es um die Vermittlung von Bildung und, normativ damit verbunden, Inspiration gehen, wie der TikTok-Kanal EcoTok sinnbildlich zeigt, der von verschiedenen Greenfluencer:innen bespielt wird.

Viertens steht schließlich die anthropologische Idee des Menschseins überhaupt zur Disposition. Wie es beispielsweise @queerbrownvegan formuliert, stellt es einen Wert dar, eine Idee von der eigenen Zukunft zu haben, auf die sich gestaltend zu beziehen möglich ist: „Wanting to hear about climate solutions isn’t false hope. It’s our birthright as humans to feel empowered, connected, and have a vision of the future. Awareness of climate solutions help all of that become a reality“.


Medienethische Perspektiven auf den Trend „Greenfluencing“

Wie kann man den Trend „Greenfluencing“ aus medienethischer Sicht analysieren und bewerten? Moral bezieht sich allgemein auf die Frage, in Bezug auf welche normativen Annahmen sich Orientierung im Handeln finden lässt. Das, was bei der Suche danach herauskommt, muss allerdings normativ immer auch strittig bleiben – um begründbar anstatt nur glaubbar zu sein. Dies trifft nicht nur in Bezug auf einzelne konkrete Werte wie z. B. Gerechtigkeit zu, sondern ist auch hinsichtlich der Legitimierung von Moral selbst der Fall, wie es etwa der Schlusssatz aus Camus’ Der Fall zum Ausdruck bringt: „[…] es wird immer zu spät sein. Zum Glück!“
 

The Eco-Creators Helping the Climate Through Social Media | Zahra Biabani (TED, 25.07.2022)



Die Frage, ob in Anbetracht der gegenwärtigen Weltlage Optimismus oder doch eher das Aufgeben von Hoffnung moralisch angeraten ist, impliziert ein Spannungsfeld, aus dem einer der einflussreichsten Greenfluencing-Kanäle, EcoTok, sein normatives Selbstverständnis schöpft. Wie eine der EcoTok-Creator:innen in einem TedTalk2 zur Motivation hinter dem Kanal konstatiert, soll Moral gegenwärtig insbesondere eine Frage der Entscheidung zwischen „Climate Optimism“ und „Climate Anxiety“ sein: „Climate Optimism“ soll dazu befähigen, ins Handeln zu kommen – und dies, über neue Medien, insbesondere fernab „ausgetretener Pfade“, etablierter Gatekeeper:innen und bereits bestehender machtvoller sowie einflussreicher Interessengruppen aus Politik oder Wirtschaft, sondern stattdessen in „spontane[r] Interaktion mit vernetzten Informationen“ (Münker 2012, S. 46), die jede:r mit dem Smartphone alltäglich in der Hosentasche bei sich tragen kann.
 


Braucht es Vorwissen über Umweltthemen? Anders gefragt: Ist die Klimakrise auch eine Bildungskrise?



Allerdings entstehen dabei neue Interessengruppen, die medienethische und philosophische Anschlussfragen aufwerfen. Was muss z. B. aufseiten der User:innen gegeben sein, um überhaupt „influenct“ werden zu können? Braucht es dazu Vorwissen über Umweltthemen? Anders gefragt: Ist die Klimakrise auch eine Bildungskrise? Es scheint beispielsweise für die Handlungsmotivation durch Greenfluencing-Content zu einem Pro-Umwelt-Verhalten förderlich zu sein, bereits über ein Vorwissen zu Umweltthemen zu verfügen (Knupfer u. a. 2023).

Nicht zuletzt rückt bei der Beurteilung entsprechender Kanäle auch die Person der bzw. des Greenfluencer:in in den Fokus. Offenbar spielt bei der Beurteilung von Greenfluencing-Content nicht nur die Reichweite, die ein Inhalt online erlangt, eine Rolle. Vielmehr kommt auch der Glaubwürdigkeit der bzw. des Content-Creator:in eine zentrale Bedeutung zu (Boerman u. a. 2022). Nicht selten lassen sich daher auch Kommunikationsstrategien des Greenfluencing online abbilden, die sich in der persönlichen Ansprache und im Gewähren von privaten Einblicken konstituieren. Entsprechende persönliche Faktoren werden insbesondere mit Blick auf die Eingangsfrage relevant: Glaubwürdigkeit und Transparenz werden wichtig, wenn es um die Frage nach der Handlungsmotivation geht. Was zählt: die Intention oder das Resultat?
 

Medienpädagogische Anschlusspunkte

Deutlich wird, dass der Umgang und die Einordnung von Greenfluencing vielschichtig ist. Zugleich gewinnen entsprechende Fragen mit Blick auf die Klimakrise und den Diskurs darüber, wie Klimathemen in medialen und pädagogischen Kontexten behandelt werden können und sollen, eine immer größere Relevanz. Wie könnte eine entsprechende Förderung in der medienpädagogischen Praxis aussehen? Um die unterschiedlichen Dimensionen des Themas zu diskutieren, wurden im Rahmen eines Seminarangebots an der Hochschule für Philosophie München im Sommersemester 20223 vier kurze social-media-taugliche Filme erstellt, die flexibel in verschiedenen schulischen wie außerschulischen Kontexten eingesetzt werden können. Die Videos zeigen exemplarisch vier Facetten des Themas auf:

  1. Wie werden Greenfluencer:innen wahrgenommen und der Trend gewertet?
  2. Welche Bedeutung haben Plattformaffordanzen für die Vermittlung von zielgruppenspezifischen Inhalten?
  3. Wie kann die Werturteilskompetenz im Umgang mit medialen Vorbildern gefördert werden?
  4. Wer ist verantwortlich für eine gelingende Diskussionskultur auf Social Media?

Alle Videos stehen für den Einsatz in der Praxis auf der Internetseite des Zentrums für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft zur Verfügung.4 Sie sollen dazu dienen, Gesprächsanlässe zu generieren, und dazu anregen, selbst in die Medienproduktion zu kommen.

 



Anmerkungen:

1 Das Video Fynn Kliemann: SCHEISSE bauen (DIY)des ZDF Magazin Royale ist auf YouTube abrufbar unter: https://www.youtube.com.

2 Das Video zum TedTalk The Eco-Creators Helping the Climate Through Social Mediavon Zahra Biabani ist auf YouTube abrufbar unter: https://www.youtube.com.

3 Das Seminar wurde von Prof. Dr. Claudia Paganini und A. Kristina Steimer geleitet. Wir danken allen beteiligten Studierenden herzlich für ihre engagierte Teilnahme, insbesondere Etayaa, Weiser, Morell, Beer, Muth, Khedri, Knothe und Wirz.

4 Die Videos sind abrufbar unter: https://zemdg.de.
 

Literatur:

Boerman, S. C./Meijers, M. H. C./Zwart, W.: The Importance of Influencer-Message Congruence When Employing Greenfluencers to Promote Pro-Environmental Behavior. In: Environmental Communication, 7/2022/16, S. 920–941. Abrufbar unter: https://www.tandfonline.com

Fenner, D.: Ethik. Wie soll ich handeln? Tübingen 20202

Knupfer, H./Neureiter, A./Matthes, J.: From social media diet to public riot? Engagement with „greenfluencers“ and young social media users’ environmental activism. In: Computers in Human Behavior, Februar 2023/139, S. 1–12. Abrufbar unter: https://doi.org/10.1016/j.chb.2022.107527

Koinig, I./Diehl, S.: GreenfluencerInnen – eine neue Form der Nachhaltigkeitskommunikation?. In: A. S. Kümpel/C. Peter/A. Schnauber-Stockmann/F. Mangold (Hrsg.): Nachhaltigkeit als Gegenstand und Zielgröße der Rezeptions- und Wirkungsforschung. Aktuelle Studien und Befunde. Baden-Baden 2022, S. 19–40. Abrufbar unter: https://doi.org/10.5771/9783748926436-19

Münker, S.: Die Sozialen Medien des Web 2.0. In: D. Michelis/T. Schildhauer (Hrsg.): Social Media Handbuch: Theorien, Methoden, Modelle und Praxis. Baden-Baden 2012, S. 45–55

 

Susanna Endres ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft. Sie promoviert an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zum Thema „Medienethische Bildung im digitalen Zeitalter“ im Schnittfeld zwischen Medienethik und Medienpädagogik.

A. Kristina Steimer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München, wo sie derzeit zum Thema „Die Angst, nicht man selbst zu sein. Kierkegaards Reflexionsphilosophie am Beispiel ‚Selfie‘“ (AT) promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Existenzphilosophie, Digital Culture, Animal Media Studies und Social Media.