Ist das wertvoll oder kann das weg?
Der Public-Value-Gedanke hat mit dem Ende 2020 verabschiedeten Medienstaatsvertrag (MStV) und den neuen Regelungen für Medienplattformen und Benutzeroberflächen Einzug in die Medienregulierung gehalten. Er sieht eine privilegierte Auffindbarkeit von Medieninhalten vor, die mutmaßlich einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten und einen Wert für die Öffentlichkeit besitzen. Worin aber besteht der Wert für die Öffentlichkeit und wer legt ihn nach welchen Kriterien fest? Für die öffentlich-rechtlichen Sender fallen laut Gesetzgeber alle Inhalte automatisch in die Rubrik „Public Value“, für die privaten Sender dagegen definieren die Landesmedienanstalten, welche Inhalte sich mit diesem Qualitätssiegel schmücken dürfen, weil sie „in besonderem Maß einen Beitrag zur Meinungs- und Angebotsvielfalt“ leisten. Relevant ist vor allem der Anteil an nachrichtlicher Berichterstattung, an regionalen oder barrierefreien Angeboten, an europäischen Werken und Angeboten für junge Zielgruppen sowie das Verhältnis von Eigen- und Fremdproduktionen oder von ausgebildeten und auszubildenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Welche konkreten Inhalte am Ende diese Kriterien erfüllen, bleibt abzuwarten. Die Landesmedienanstalten werden das Ausschreibungsverfahren für diese Auswahl ab September 2021 starten, die eingegangenen Anträge prüfen und am Ende eine Liste mit den Angeboten veröffentlichen, die durch die Anbieter von Benutzeroberflächen in der bestimmten Reihenfolge umzusetzen sind.
Der Umsetzungsprozess wird sich noch eine Weile hinziehen. Unterdessen fallen auch die privaten Sender bereits heute durch neue Initiativen auf, die die Kriterien für Public Value klar erfüllen. Große Sender starteten eine Nachrichtenoffensive und konnten prominente Journalistinnen und Journalisten für sich gewinnen. Linda Zervakis wechselte zu ProSieben, wo auch das erste Interview mit der Kanzlerkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen Annalena Baerbock geführt wurde, das erste Triell zur Bundestagswahl werden Pinar Atalay und Peter Kloeppel im August 2021 bei RTL moderieren. Dokumentationen über Corona, Rechtsextremismus oder Lebensmittelverschwendung, Themenabende über Rassismus oder sexuellen Kindesmissbrauch, erspielte Sendezeit für Seenotrettung oder den Kampf gegen sexuelle Belästigung: Die Beispiele aus den TV-Programmen der privaten Fernsehsender zeigen, dass politische und gesellschaftlich relevante Themen heute eine größere Rolle einnehmen als noch vor wenigen Jahren.
Diese Entwicklung ist vermutlich weniger auf die regulatorische Public-Value-Debatte zurückzuführen, sondern mehr ein Ergebnis veränderter gesellschaftlicher Wert- und Erwartungshaltungen, auch aufseiten der Zuschauerinnen und Zuschauer. Die Coronakrise und das zunehmende Bewusstsein für Fake-Kommunikation haben das Bedürfnis nach Information und verlässlicher Orientierung deutlich verstärkt. MeToo, Fridays for Future und zunehmender Rechtspopulismus haben die Sensibilität für Sexismus, Umweltthemen und Nachhaltigkeit oder Gefährdungen der Demokratie erhöht. Die plurale Gesellschaft fordert zunehmend Diversität und Gleichberechtigung ein – auch in der medialen Repräsentation. Die Bandbreite der relevanten Themen zeigt, dass sich Public Value nicht auf traditionelle Informationsformate beschränkt. Auch Unterhaltung ist von gesellschaftlichem Nutzen, nicht nur zur Stärkung der Resilienz, sondern auch zur Orientierung. Vielfalt kann sich auch in Dating- oder Tanzshows zeigen, politische oder historische Information lässt sich auch in Serien und Spielfilmen vermitteln, und auch in Realityformaten kann eine sozialverträgliche Kommunikationskultur vorgeführt werden – es ist eine Frage der Haltung. Wie ernst es die Unternehmen mit dem Gemeinwohl meinen, wird sich daher nicht allein am Ausbau des Informationssektors zeigen, sondern auch und vor allem an der Ausrichtung des Gesamtprogramms.
Es bleibt abzuwarten, ob wir derzeit einen echten Wertewandel erleben oder nur eine Welle der politischen Korrektheit. Trotzdem gilt für den Moment: Unternehmen entwickeln neue Informationsformate, die Casts werden diverser und inklusiver, man schaut heute anders auf die Darstellung von Minderheiten oder auf die Produktionsbedingungen für Schutzbedürftige. Und es gibt mehr Angebote, die den Gemeinsinn ansprechen, anstatt ihn zu spalten – eine grundsätzlich erfreuliche Entwicklung.
Ihre Claudia Mikat