Jugendschutzgesetz

JuSchG, StGB, MStV. Handkommentar

Murad Erdemir (Hrsg.)

Baden-Baden 2024: Nomos Verlagsgesellschaft
Rezensent/-in: Christoph Degenhart

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 28. Jg., 3/2024 (Ausgabe 109), S. 78

Vollständiger Beitrag als:

Handkommentar zum Jugendschutzgesetz

Für seine Kommentierung des Jugendschutzgesetzes hat der Direktor der Medienanstalt Hessen Erdemir, ein praktisch wie wissenschaftlich ausgewiesener Kenner des Rechts des Jugendschutzes, Autoren und Autorinnen vor allem aus dem Umfeld der Landesmedienanstalten (Bornemann, Dankert, Mellage, Ukrow, Waldeck), der Hochschulen und Forschungseinrichtungen (Bernzen, Dreyer, Ehls, Mertens) sowie der Anwaltschaft (Sümmermann [Köln] und Wager [München]) um sich versammelt und selbst als Allein- oder Co-Autor einen erheblichen Anteil der Kommentierungen übernommen, so u. a. zu den relevanten Bestimmungen des StGB. Wenn im Untertitel des Werkes neben JuSchG auch das StGB und der MStV aufgeführt sind, so ist dies insoweit ungenau, als von letzterem lediglich § 11 zu Gewinnspielen kommentiert wird. Nicht besprochen werden Bestimmungen des Jugendmedienschutzstaatsvertrags (JMStV); die Abgrenzungsprobleme, die sich aus dem Nebeneinander von JuSchG und JMStV ergeben, werden bei den jeweils einschlägigen Bestimmungen des JuSchG erörtert.  

Dass es dem Gesetzgeber auf Bundes- wie Länderebene nach wie vor nicht gelungen ist, ein kohärentes Jugendmedienschutzsystem zu entwickeln, stellt die Autoren vor besondere Herausforderungen. So konstatiert etwa Dreyer eine nicht mehr kohärente Anwendung des Entwicklungsbeeinträchtigungsbegriffs zwischen JuSchG und JMStV (§ 10a Rn. 12, § 10b Rn. 18). Die mit der Novelle 2021 mit § 10a JuSchG explizit normierten Schutzziele des Jugendschutzes im Bereich der Medien sieht Dreyer als Konkretisierung eines verfassungsrechtlichen Schutzauftrags und entwickelt auch Anhaltspunkte für die Deutung des reichlich unbestimmten, neu eingeführten Begriffs der persönlichen Integrität. Wenn § 10a von Schutzzielen im Bereich „der Medien“ spricht, so wird damit auf die Legaldefinitionen in § 1 Abs. 2 und 3 für Träger- und Telemedien verwiesen, die Bornemann vom verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG abgrenzen will, den er auch der Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern zugrunde legt. Nur „rundfunkferne Autoren“, zu denen sich auch der Rezensent zu seiner Erheiterung gerechnet sieht, würden die Gesetzgebungszuständigkeit für den Jugendschutz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG auch auf den sektorspezifischen Jugendschutz im Rundfunk erstrecken (§ 1 Rn. 21). Dass Jugendschutz in den Medien nicht nur die Erfüllung eines grundrechtlichen Schutzauftrags darstellt, sondern intensiv in die Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 GG eingreifen kann, im Fall der Kennzeichnungsverbote unverhältnismäßig, wird von Erdemir/Waldeck mit begrüßenswerter Klarheit für das System der Alterskennzeichnung von Filmen dargelegt (§ 11 Rn. 11 ff.).  

Erdemir kommentiert auch einschlägige Bestimmungen des StGB, so des § 131 StGB zur Strafbarkeit von Gewaltdarstellungen, wo er zu Recht betont, dass die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers nicht als Blankovollmacht für grundrechtsbeeinträchtigende Maßnahmen gelten kann (Rn. 8 f.). Für § 184 StGB plädiert der Autor für eine Pornografiebewertung, die dem Paradigmenwechsel in der Sicht auf Nacktheit und Sexualität (Rn. 21), wie er sich im Bereich des Kinos vollzogen hat, Rechnung trägt, unter detaillierter Bewertung von Meilensteinen der Filmkunst. Mit dem „Gesäß-Paragrafen“ des § 184b Abs. 1 Nr. 1c StGB sieht er einen Grenzbereich noch zulässiger Beschreibung tatbestandlichen Unrechts erreicht (§§ 184b, c Rn. 34), mit der „Gesäß-Variante“ des § 184c für Jugendliche eindeutig überschritten (Rn. 49); bedenkenswert auch die Warnung vor einer Strafrechts-Hypertrophie (Rn. 43) im Recht des Jugendschutzes, wo in Bezug auf Jugendliche eine teleologische Normreduktion zur Vermeidung von „verfassungsrechtlich doch sehr bedenklichen Ergebnissen“ vertreten wird.  

Die wenigen beispielhaft aufgeführten Einzelkommentierungen mögen genügen – sie belegen hinreichend, wie die Autoren einerseits ins Detail gehen, andererseits grundsätzlichen Fragestellungen nicht ausweichen. Die Kommentierungen sind durchweg klar aufgebaut und gut lesbar. Sie bringen umfassende und detaillierte Nachweise von Rechtsprechung und Schrifttum, aber auch eine Fülle von Informationen zur Entscheidungspraxis und sprechen nahezu alle relevanten Fragen an. In diesem Zusammenhang sei beispielhaft verwiesen auf die detaillierten Erläuterungen zum Spielhallenbegriff (§ 6 Rn. 44 ff.) und dort zur praktisch relevanten Einordnung von Internetcafés (Rn. 62) durch Ukrow, hilfreich auch dessen umfassende Darstellung der landesgesetzlichen Regelungen zu Rauchverboten und Nichtraucherschutz bei § 10 JuSchG (Rn. 20), zur Feiertagsgesetzgebung (§ 5 JuSchG Rn. 5) oder zu jugendschutzrelevanten Regelungen der Landesglücksspielgesetze (§ 6 JuSchG Rn. 41).  

Zum Gebrauchswert des Kommentars tragen schließlich die im Anhang abgedruckten Texte bei (u. a. die Durchführungsverordnung zum JuSchG, die Grundsätze der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft [FSK] und Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle [USK], Ländervereinbarungen, Leitkriterien und Deskriptoren sowie der Referentenentwurf für das Digitale-Dienste-Gesetz [DDG]).  

Fazit: Der Kommentar ist für Praxis und Wissenschaft uneingeschränkt zu empfehlen. 

Prof. Dr. Christoph Degenhart, Universität Leipzig