Keine Macht den Drogen!

Christina Heinen im Gespräch mit Stephanie Eckhardt

mediendiskurs sprach mit Stephanie Eckhardt, Referentin für Suchtprävention der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) darüber, wie Suchtprävention wirksam sein kann, was die größten Risikofaktoren dafür sind, dass Jugendliche eine Abhängigkeit entwickeln, und welche Rolle die mediale Darstellung von Alkohol- und Drogenkonsum dabei spielt.1

Printausgabe mediendiskurs: 28. Jg., 1/2024 (Ausgabe 107), S. 44-47

Vollständiger Beitrag als:

 


Keine Macht den Drogen war eine Präventionskampagne der BzGA aus den 1990er-Jahren und ist seit 1996 der Name eines aus der Kampagne hervorgegangenen gemeinnützigen Fördervereins für Suchtprävention.



In welchem Alter bilden sich Einstellungen, die den Alkohol- und Drogenkonsum betreffen, heraus? Gibt es besonders sensible Entwicklungsphasen?

Bereits im Grundschulalter werden die Einstellungen von Kindern gegenüber Alkohol- und Zigarettenkonsum entscheidend geprägt. Denn Kinder orientieren sich an dem, was in ihrer Familie üblich ist. Sie lernen durch das, was sie bei ihren Eltern und Geschwistern oder in ihrem Umfeld kennen und beobachten. Mit dem Beginn der Pubertät wollen Kinder eigenständig werden und ihre Grenzen austesten – dies gilt auch für den Substanzkonsum. Mit der Phase des ersten Ausprobierens nimmt die Bedeutung von Gleichaltrigen für die Einstellungen gegenüber Alkohol- und Drogenkonsum deutlich zu.

Welche Rolle spielen dabei Darstellungen von Alkohol- und Drogenkonsum in den Medien?

Die Darstellung des Konsums von Alkohol und Drogen im Fernsehen und auf Social Media kann negative Auswirkungen auf die Entwicklung von Jugendlichen haben. Das gilt insbesondere dann, wenn mögliche Risiken und negative Folgen des Konsums nicht thematisiert und Alkohol- und Drogenkonsum ausschließlich positiv dargestellt werden. Dabei orientieren sich Jugendliche insbesondere an den Personen, die ihre Lebenswelt beeinflussen, also auch in digitalen Medien zu sehen sind.

Häufig wird mit dem Alkohol- oder Drogenkonsum ein bestimmtes Lebensgefühl vermittelt, z. B. Freiheit, Spaß oder Abenteuer, oder eine Charaktereigenschaft transportiert, wie beispielsweise Gelassenheit oder Neugier, mit der sich Jugendliche identifizieren. Eine positive Darstellung des Alkohol- oder Drogenkonsums kann Jugendliche dazu animieren, das Verhalten nachzuahmen. Zur Prävention sollten Alkohol- und Drogenkonsum in den Medien daher auch mit ihren negativen Auswirkungen dargestellt werden.

Aufklärung, aber insbesondere auch die Stärkung der individuellen Persönlichkeit und der Resilienz müssen recht früh beginnen, am besten, bevor Kinder und Jugendliche in Kontakt mit Alkohol und Drogen kommen. Präventionsprogramme wie Eigenständig werden, gefördert u. a. von der BZgA, setzen bereits in der Grundschule an und zielen vor allem auf den Erwerb von Lebenskompetenzen. Kinder und Jugendliche werden so schon früh gestärkt, später dem Gruppendruck zu widerstehen, die positive Darstellung von Alkohol und Drogen in Medien kritisch zu hinterfragen und „Nein“ zu diesen Substanzen sagen zu können.
 


Was sind die größten Risikofaktoren dafür, dass (Kinder und) Jugendliche süchtig werden?

Entstehung und Verlauf psychischer Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen, darunter auch Substanzgebrauchsstörungen, werden von einer Vielzahl von Risiko- und Schutzfaktoren beeinflusst. Zu den Risikofaktoren für Abhängigkeitserkrankungen gehören u. a. die genetische Disposition, psychische Vorerkrankungen wie Depressivität oder Angststörungen sowie Abhängigkeitserkrankungen und andere psychische Probleme der Eltern.

Darüber hinaus zählen dazu ein problematisches Familienklima, fehlende soziale Unterstützung, ein suchtmittelkonsumierender Freundeskreis, die Verfügbarkeit von Substanzen sowie das eigene Konsumverhalten in Bezug auf frühes Einstiegsalter und große Mengen. Ein frühes Einstiegsalter ist ein maßgeblicher Risikofaktor für eine spätere Abhängigkeit. Die Bedeutung der Risikofaktoren für den Einzelfall ist unterschiedlich. Auch wenn mehrere Risikofaktoren vorliegen, bedeutet das nicht zwingend, dass diese Personen abhängig werden.

Ist das Erzeugen von Angst eine wirksame Strategie in der Prävention?

Das Erzeugen von Angst und die Nutzung von Angstbotschaften haben sich in der Suchtprävention nicht bewährt. Eine moderne Suchtprävention sensibilisiert in erster Linie für die Risiken des Konsums und fördert den Nichtkonsum und einen eigenverantwortlichen Umgang. Gestärkt werden Risikobewusstsein und entsprechende Handlungskompetenzen. Darüber hinaus sind Empowerment sowie die Förderung von Lebenskompetenzen wichtige Elemente, damit sich eine Abhängigkeitserkrankung erst gar nicht entwickelt. Die Angebote der BZgA richten sich daher auch an Kinder in der Grundschule oder in Sportvereinen, um die Persönlichkeit der Kinder zu stärken, sodass sie später selbstbewusst „Nein“ zu Alkohol und Drogen sagen können.
 


Das Erzeugen von Angst und die Nutzung von Angstbotschaften haben sich in der Suchtprävention nicht bewährt.


 

Wie kann man Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, ihre Fähigkeiten zur Selbstregulation zu entwickeln bzw. zu verbessern?

Für Kinder – aber auch für Erwachsene – ist die Regulation von belastenden Emotionen nicht immer leicht. Eltern können ihren Kindern dabei helfen, indem sie mit Ritualen Entspannung und Ruhe vermitteln oder feste Ruhezeiten ermöglichen. Darüber hinaus können gemeinsame regelmäßige Bewegung, wie Spaziergänge oder Sport, und vertrauensvolle Gespräche für Kinder und Jugendliche hilfreich sein, um belastende Gefühle zu regulieren. Wichtig ist außerdem, dass Eltern einen funktionalen Umgang mit Belastungen vorleben, indem sie Ruhe bewahren, ihre eigenen Grenzen wahrnehmen und sich bei Bedarf Unterstützung suchen.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der Präventionswissenschaft? Inwiefern haben sich Strategien in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Suchtprävention ist wirksam, wenn abhängig vom Alter mit unterschiedlichen Methoden gearbeitet wird. So ist ein wichtiger Ansatz, in der Schule bei Kindern und jungen Jugendlichen die soziale Kompetenz zu fördern, sie in ihrer Selbstkontrolle zu stärken und ihre Entscheidungs- und Problemlösekompetenz zu üben – und dabei die Eltern miteinzubeziehen – sowie alternative Freizeitangebote zu schaffen. Konsumerfahrene Jugendliche und junge Erwachsene sollten unterstützt werden, ihre Konsummotive kritisch zu hinterfragen. Außerdem sollte deutlich werden, dass riskanter Konsum in ihrer jeweiligen Altersgruppe nicht die Norm ist. Je nach Substanzgruppe kann es besonders hilfreich sein, familienorientiert, also mit Eltern und Jugendlichen gemeinsam, zu arbeiten, um den gegenseitigen Austausch, das Erziehungsverhalten, die Lebenskompetenz sowie die familiären Beziehungen zu verbessern. Dabei sollten auch Werte und Erfahrungen hinsichtlich des Konsums oder der Schulleistung thematisiert werden. Neben diesen Ansätzen der Verhaltensprävention, die das individuelle Verhalten beeinflussen sollen, werden auch verhältnispräventive Maßnahmen gewählt, z. B. Konsumverbote zum Nichtraucher- und Jugendschutz sowie die Preisgestaltung.
 


Suchtprävention ist wirksam, wenn abhängig vom Alter mit unterschiedlichen Methoden gearbeitet wird.


 

Wie hat sich der Konsum von Alkohol und von Drogen durch (Kinder und) Jugendliche in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt bzw. verändert?

Die Ergebnisse der seit den 1970er-Jahren wiederholt durchgeführten BZgA-Repräsentativ­befragungen zum Substanzkonsum von jungen Menschen zeigen, dass sich die Verbreitung des Substanzkonsums in diesem langen Zeitraum nicht stetig verändert, sondern in Wellen verlaufen kann. So ist das Rauchen unter Jugendlichen von den 1970ern bis in die 1990er-Jahre zunächst zurückgegangen und dann wieder angestiegen. Seit Beginn der 2000er-Jahre ist bis zum Jahr 2021 ein starker und kontinuierlicher Rückgang des Zigarettenrauchens zu beobachten. Auch bezogen auf den Alkoholkonsum zeigt sich bei 12- bis 17‑jährigen Jugendlichen in den letzten zwei Jahrzehnten ein positiver Trend. Immer mehr 12- bis 17‑Jährige haben Alkohol noch gar nicht ausprobiert. Außerdem sind der regelmäßige Alkoholkonsum und das Rauschtrinken im Vergleich zu den 2000er-Jahren zurückgegangen. Der Cannabiskonsum Jugendlicher ist seit 2011 angestiegen, er liegt derzeit aber noch deutlich unter dem Niveau der 2000er-Jahre. Dass Prävention positiv auf den Substanzkonsum Jugendlicher wirken kann, zeigt der starke Rückgang des Rauchens bis 2021 in dieser Altersgruppe.

Ab wann spricht man von Sucht, was ist ein bloßer Drogengebrauch oder Ausprobieren von Drogen?

Ein problematischer Konsum entwickelt sich oftmals über einen längeren Zeitraum und unbemerkt. Ob eine Person süchtig wird oder nicht, ist von verschiedenen Faktoren abhängig, z. B. von bestimmten Eigenschaften der Person und den individuellen Lebensumständen. Das Risiko, eine Abhängigkeit zu entwickeln, ist beispielsweise erhöht, wenn der Konsum genutzt wird, um Belastungen und negative Gefühle wie Stress, Ärger, Wut oder Trauer zu verdrängen. Eine Abhängigkeit ist eine nach den internationalen Klassifikationssystemen ICD‑11 und DSM‑5 anerkannte Erkrankung, die anhand bestimmter Kriterien ärztlich diagnostiziert wird. Betroffene spüren u. a. einen starken inneren Drang, eine bestimmte Substanz zu konsumieren, können das Konsumverhalten nicht mehr kontrollieren oder konsumieren weiter, obwohl der Substanzkonsum bereits negative Folgen wie Beziehungsprobleme, Probleme in der Schule oder in der Ausbildung oder Schulden hat.
 


Ein problematischer Konsum entwickelt sich oftmals über einen längeren Zeitraum und unbemerkt.


 

Aus welchen Gründen hat die Prävention des Rauchens in den vergangenen Jahrzehnten so gut funktioniert und zu einer so deutlichen Verringerung des Nikotinkonsums geführt?

Die BZgA und viele weitere Akteure betreiben bereits seit vielen Jahren Aufklärungsarbeit, die maßgeblich dazu beigetragen hat, ein Bewusstsein für das Risiko des Nikotinkonsums und die Vorteile eines Rauchverzichts zu schaffen. Durch qualitätsgesicherte und kostenlose Angebote zur Prävention und für den Rauchausstieg konnten viele Menschen erreicht werden. Dabei beginnen Präventionsprogramme bereits in der Grundschule, um zu verhindern, dass junge Menschen überhaupt zu Nikotinprodukten greifen. In der Prävention kommt es jedoch nicht nur auf Maßnahmen an, die auf das individuelle Verhalten abzielen. So haben u. a. auch Werbeverbote, Rauchverbote, Preissteigerungen oder das Verbot von aromatisiertem Tabak dazu beigetragen, vor allem Tabakrauchen weniger attraktiv zu machen.
 

Anmerkung:

1) Das Gespräch fand in Schriftform statt.

 

Stephanie Eckhardt ist Referentin für Suchtprävention der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).

Christina Heinen ist Hauptamtliche Prüferin in den Prüfausschüssen der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).