Mehr Schein als Sein

Die Petition „Ein Film, eine Altersfreigabe“ läuft ins Leere

Claudia Mikat

Claudia Mikat ist Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

Claudia Mikat, Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), über die am 15. August 2022 von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) initiierte Petition „Ein Film, eine Altersfreigabe – Damit Jugendschutz verlässlich bleibt“

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 4/2022 (Ausgabe 102), S. 1-1

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In Zeiten der Desinformation und Scheindebatten ist man gut beraten, Informationen genau und kritisch zu betrachten. Manche „Skandale“ sind künstlich aufgebauscht, manches Problem entpuppt sich bei näherem Hinsehen als weit weniger dramatisch – mit der Figur des Scheinriesen Tur Tur, der umso größer erscheint, je weiter man sich von ihm entfernt, hat Michael Ende hierfür ein einprägsames Bild geschaffen. Auch die am 15. August 2022 von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) initiierte Petition „Ein Film, eine Altersfreigabe – Damit Jugendschutz verlässlich bleibt“ dramatisiert einen Sachverhalt, der nur in den seltensten Fällen überhaupt zum Problem wird. Sie richtet sich gegen eine geplante Neuregelung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV), nach der Altersfreigaben für Trägermedien gemäß Jugendschutzgesetz (JuSchG) nur dann für Rundfunk und Onlinemedien gelten sollen, wenn für dasselbe Produkt nicht bereits Altersfreigaben nach dem JMStV vorliegen. Die Regelung würde es, so die Initiatoren, „Streaming- und Fernsehanbietern ermöglichen, Filme mit FSK-Altersfreigabe abweichend selbst zu bewerten und damit auch jüngeren Kindern bzw. Jugendlichen zu zeigen.“

Das dürfte kaum beabsichtigt sein. Näherliegend ist, dass die Länder ein Problem lösen wollen, das durch veränderte Distributionswege entstanden ist: Weil immer mehr Inhalte zunächst online und im Rundfunk und erst später im Kino oder auf DVD ausgewertet werden, ist die alte Regel hinfällig, nach der eine FSK-Entscheidung für Kino und DVD automatisch auf alle anderen Vertriebswege durchwirkt, weil sie vermeintlich am Beginn der Auswertungskette steht. Heute werden viele serielle Inhalte wie The Handmaid’s Tale oder die Neuverfilmung von Sisi zunächst im Fernsehen ausgestrahlt. Sie werden vor der Ausstrahlung von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) nach ähnlichen Regeln und Kriterien wie bei der FSK geprüft und mit einer Alterskennzeichnung und Sendezeitbeschränkung nach dem JMStV versehen – hier „16 Spätabend-“ bzw. „12 Hauptabendprogramm“. Obwohl die Serien ohne jede Beanstandung bereits ein Millionenpublikum erreicht haben, müssen sie für den Vertriebsweg Kino/DVD erneut geprüft werden – wobei es in Einzelfällen auch zu unterschiedlichen Freigaben kommen kann. Dass diese dann rückwirkend die frühere FSF-Entscheidung übertrumpfen und die Fernsehanbieter binden, ist ein Anachronismus, an dem die JMStV-Änderung rütteln würde. Ein Blick in die Praxis zeigt allerdings, dass Bewertungsunterschiede äußerst selten sind. Die genannten Serien wurden auch von der FSK mit 16 bzw. 12 bewertet – ebenso wie alle anderen 86 Serienepisoden, die im laufenden Jahr von beiden Selbstkontrollen geprüft wurden und von beiden exakt dasselbe Ergebnis erhielten.

Das Ganze ist also nur scheinbar ein Problem und insbesondere keines, das sich Erziehungsberechtigten stellt. Es scheint eher in der Formulierung der geplanten gesetzlichen Regelung zu liegen, da diese Interpretationsspielräume lässt. So sollte die parallele Auswertung möglicher unterschiedlicher Freigaben tatsächlich auf die Fälle beschränkt werden, in denen die Altersstufenbewertungen von anerkannten Selbstkontrolleinrichtungen getroffen wurden – und nicht von Streaming- oder Fernsehanbietern selbst. Eine entsprechende Klarstellung der Länder im geplanten Staatsvertrag wäre hilfreich, sie kann durch eine Petition nicht erreicht werden. Statt Scheindebatten zu führen, sollten die Beteiligten die Frage der Doppelprüfungen ernsthaft angehen: Vielleicht verhält es sich am Ende wie bei Herrn Tur Tur – und das Problem ist tatsächlich kleiner als gedacht.

Ihre
Claudia Mikat