Science-Fiction

Gerd Hallenberger

Dr. habil. Gerd Hallenberger ist freiberuflicher Medienwissenschaftler.

Gerd Hallenberger erklärt, was das Science-Fiction-Genre ausmacht.

Printausgabe tv diskurs: 23. Jg., 4/2019 (Ausgabe 90), S. 66-67

Vollständiger Beitrag als:

Science-Fiction

Fiktionale Erzählungen über fantastische Phänomene gibt es seit Jahrtausenden, aber eine ganz besondere Variante wurde erst durch die Aufklärung möglich. Während etwa in Sagen, Märchen und heutiger Fantasy das fantastische Element einfach so da ist und eine Begründung dafür weder notwendig noch möglich ist, setzt Science-Fiction die prinzipielle rationale Erklärbarkeit des Phänomens voraus. Damit eine Geschichte als Science-Fiction akzeptiert wird, muss ihr fantastischer Kern nicht tatsächlich wissenschaftlich erklärt werden, der halbwegs plausibel klingende Anschein ist aber unverzichtbar. Was umgekehrt auch bedeutet, dass hier durchaus Hexen auftreten können, sofern ihre besonderen Fähigkeiten etwa als Folge von Genmutation erklärt werden.

Typisch für das Genre ist jedoch anderes. Science-Fiction beschäftigt sich in der Regel mit einer Zukunft, die wesentlich von technischen Innovationen geprägt ist. Und es ist immer die „Zukunft“ einer bestimmten Gegenwart, weshalb Zukunftsbilder schnell altern. Zur Ikonografie des Genres gehören beispielsweise humanoide Roboter und Raumschiffe sowie außerirdische Wesen, die mithilfe solcher Raumschiffe entweder die Erde besuchen oder von irdischen Astronauten besucht werden. Mehr als nur Ausnahmen sind aber auch Science-Fiction-Geschichten, die in der Vergangenheit spielen (die per Zeitmaschine erreicht wird), einer alternativen Gegenwart oder einer Zukunft, in der nicht technischer Fortschritt, sondern etwa Umweltzerstörung, biologische Veränderungen des Menschen oder gesellschaftlicher Wandel die entscheidende Differenz zu heutiger Realität verursachen.

Blendet man verschiedene Vorgeschichten aus, liegen die Anfänge der Science-Fiction im 19. Jahrhundert, und wie bei vielen anderen Genres fiktionaler Unterhaltung begann ihre Karriere in Printmedien jenseits der anerkannten Hochkultur, also in Heftroman und Unterhaltungsmagazin. Ihre Popularität führte dazu, dass auch neue technische Medien rasch auf das Genre setzten, etwa Film, Radio (in Form des Hörspiels) und Fernsehen – nicht zuletzt durch die Adaption literarischer Vorlagen.
 


Obwohl bereits geschriebenes und gesprochenes Wort in den Köpfen des Publikums nachhaltige Bilder hervorrufen kann, entstammen die bekanntesten Bildwelten der Science-Fiction audiovisuellen Medien. So nutzte schon der professionelle Zauberer und Filmpionier Georges Méliès Stoffe von Jules Verne, um das illusionistische Potenzial des neuen Mediums auszuprobieren, etwa in Le voyage dans la lune (1902). Seitdem hat das Genre dem (Kino-) Film immer wieder geholfen zu demonstrieren, wozu die zeitgenössische Tricktechnik fähig ist. Von frühen Film-Serials wie Flash Gordon über Barbarella, 2001: Odyssee im Weltraum und Star Wars bis zu Matrix, I, Robot und Avatar haben herausragende Kinoproduktionen immer wieder bewiesen, dass sie nicht nur Geschichten erzählen, sondern dazu eine ganz eigene virtuelle Welt erschaffen können.
 


Dank zunächst deutlich größerer finanzieller Möglichkeiten des Kinofilms sowie überlegener Wiedergabequalität war das Genre auch in der Medienkonkurrenz mit dem Fernsehen nützlich. Während Science-Fiction-Filme schon in den 1950er-Jahren beeindruckende Bilder boten, konnte das Fernsehen lange Zeit nicht mithalten. Erst musste die technische Reichweite wachsen, damit mehr Geld aus Werbung oder Gebühren zur Verfügung stand, außerdem sahen aufwendige Produktionen im Kino auf Großleinwänden und in CinemaScope ungleich besser aus, als sie es auf den zunächst sehr kleinen Fernsehbildschirmen und in Schwarz-Weiß getan hätten.

Trotzdem gab es im Fernsehen der USA schon früh erste Science-Fiction-Serien, wenn auch in einem Programmsegment mit ohnehin kleineren Budgets – dem Kinder- und Jugendfernsehen. Auf Captain Video and His Video Rangers (ab 1949) folgten bald andere Serien, Science-Fiction für ein erwachsenes Publikum konnte sich erst mit Star Trek (ab 1966) etablieren. Typisch für Fernsehproduktionen des Genres blieben weiterhin kreative Ideen zur Senkung der Produktionskosten: Wie spart man Geld für Kostüm und Maske? Die Außerirdischen sehen genauso aus wie wir, aber sie haben einen abstehenden kleinen Finger (The Invaders, ab 1967). Wie spart man Geld für futuristische Fortbewegungsmittel? Die unglaubliche Raum-Zeit-Maschine sieht aus wie eine britische Polizei-Notrufzelle der 1960er-Jahre (Doctor Who, ab 1963).
 


Dank verschiedener Umstände verlor das Genre ab den 1950er-Jahren allmählich den Status eines Randphänomens. Dass die Zukunft der Menschheit im Guten (Verbesserungen in Verkehrswesen, Haushalt, Massenmedien) wie im Schlechten (Gefahr eines Atomkrieges) von technischem Fortschritt abhing, wurde offensichtlich und Themen und Ikonografie der Science-Fiction mehrheitsfähig. Egal, ob Atombombentests urzeitliche Monster wie Godzilla aufschreckten oder die Bedrohung des Westens durch die Sowjetunion als Bedrohung der Menschheit durch Außerirdische erzählt wurde, Science-Fiction lieferte die passenden Bilder zum aktuellen Thema. Der Trend erfasste alle Kulturbereiche, von der Pop-Art bis zur Popmusik. Schon 1956 lautete der Ausstellungstitel einer wegweisenden Londoner Pop-Art-Ausstellung „This Is Tomorrow“, und zehn Jahre später entdeckten viele Bands, dass sich mit den neuen elektronischen Instrumenten Geräusche wie von Raumschiffen erzeugen lassen (Pink Floyd: Interstellar Overdrive) und auch Drogenerfahrungen gut in Bildern des Genres formuliert werden können (Grateful Dead: Dark Star).

Die Rolle des wichtigsten Lieferanten fantastischer Bilder hat die Science-Fiction nach Star Wars allmählich verloren. Heute assoziiert man mit Fantastik eher quasimittelalterliche Fantasywelten wie Der Herr der Ringe oder Game of Thrones, die Abenteuer des Nachwuchszauberers Harry Potter und Superhelden wie die aus dem Marvel Cinematic Universe. Der Gedanke an unsere Zukunft macht offenbar Angst, und Wissenschaft und Technik können uns nicht mehr retten – nur Zauberer und Superhelden und die Flucht in imaginäre Vergangenheiten bieten wenigstens noch Trost.