Sensibel im öffentlichen Raum

Sorgfalt bei sprachlicher Diskriminierung und ihre Grenzen

Joachim von Gottberg im Gespräch mit Arnd Pollmann

Beziehen sich Begriffe auf Menschen, die von der gesellschaftlichen Norm abweichen, sind damit oft  Abwertungen, Beleidigungen und Ausgrenzung verbunden. Wird die abwertende Haltung durch die Sprache verstärkt oder macht die Wortwahl nur Einstellungen und Vorurteile sichtbar, die tief im Unbewussten verankert sind? Die einen erhoffen sich mit der Vermeidung von unterschwellig diskriminierenden Begriffen einen Abbau von Vorurteilen, die anderen sehen darin Selbstzensur und eine gefährliche Verdrängung, die sich einem offenen Gespräch entzieht. tv diskurs sprach darüber mit dem Philosophen Arnd Pollmann, der Privatdozent an der Universität Magdeburg und leitender Redakteur des Onlinemagazins Slippery Slopes ist.

Printausgabe tv diskurs: 20. Jg., 3/2016 (Ausgabe 77), S. 18-23

Vollständiger Beitrag als:

Angenommen, Sie wollen einen Freund mit schwarzer Hautfarbe zu einer Party mitnehmen. Mit welchem Begriff würden Sie ihn dem Gastgeber gegenüber ankündigen?

In diesem Fall würde ich ganz einfach ankündigen, dass ich gern einen Freund mitbringen möchte, aber ganz auf die Nennung der Hautfarbe verzichten, weil sie bei einer Party überhaupt gar keine Rolle spielt. Das heißt natürlich nicht, dass es manchmal nicht doch Situationen gibt, in denen der Hinweis auf eine möglicherweise „ungewohnte“ Äußerlichkeit der betreffenden Person, z.B. deren Hautfarbe, Körpergröße, Kleidungsgewohnheiten, nicht doch eine Rolle spielen könnte. Dann sollte man sich möglichst daran halten, wie die Person, um die es geht, selbst am liebsten vorgestellt oder angekündigt werden möchte.

Ist unser diesbezügliches Lavieren nicht ein Zeichen dafür, dass wir es nicht schaffen, natürlich und ungezwungen mit solchen Themen umzugehen?

Abgesehen davon, dass man möglichst nicht herumeiern sollte in Situationen, in denen das infrage stehende Persönlichkeitsmerkmal sachlich gar nicht relevant ist: Natürlich lässt sich inzwischen eine allgemeine Verunsicherung in Bezug auf die Thematisierung individueller Unterschiede feststellen, die, wie etwa im Fall von ethnischen Differenzen, in der öffentlichen Debatte als sensibel oder gar problematisch gelten. Es gibt vor allem im „aufgeklärten“, linksliberalen Milieu eine geradezu panische Übervorsicht, hier bloß nicht den richtigen Ton zu verfehlen.

Woher kommt der Begriff „Political Correctness“, kurz „PC“?

Der Begriff der politischen Korrektheit wird seit jeher als ein verächtlich machender Kampfbegriff ins Feld geführt – und zwar von konservativen bis reaktionären Gegnern jener linksliberalen Kräfte, die für mehr sprachliche Sensibilität im Hinblick auf den teils offen, teil versteckt diskriminierenden Gebrauch der Alltagssprache plädieren. Es ist eher selten ein Etikett gewesen, das sich diese sprachsensiblen Diskriminierungskritiker selbst gegeben haben. Es geht hier vielmehr darum, den Befürwortern diskursiver Vorsicht von rechter und sprachapologetischer Seite aus einen polemischen Stempel aufzudrücken.

Die Befürworter der Sprachsensibilität folgen der These, dass Sprache unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst und wir deshalb in der Wortwahl sensibler vorgehen sollten. Durch das Vermeiden bestimmter Begriffe, die Vorurteile enthalten, sollen sich dann auf lange Sicht gesehen auch unsere Einstellungen verändern und unsere Vorurteile abbauen.

Das ist das Interessante an der Debatte: Es geht um das richtige Verständnis des Verhältnisses von Sprache und Wirklichkeit. Dazu gibt es abweichende Interpretationen. Die einen behaupten, dass die Sprache die Wirklichkeit bloß „abbildet“. Das ist die eher konservative und herkömmliche Sicht. Die andere Seite behauptet, dass die Wirklichkeit selbst durch die Verwendung von Sprache erst konstituiert und konstruiert wird. Das bedeutet: Die Art und Weise, wie wir über die Wirklichkeit reden, lässt diese Wirklichkeit nicht unberührt. Deshalb kann eine sensiblere Sprache auch zu einer sensibleren Welt führen.

Der Diskurs über Political Correctness handelt aber nicht nur von sprachlicher Vorsicht, sondern auch von sprachlichen Tabus.

Zunächst muss man ganz generell sagen: Die Gedanken mögen frei sein, aber die öffentliche Rede ist es nicht. Man mag dies von freiheitsliebender oder libertärer Sicht aus beklagen, doch wer sich in der Öffentlichkeit die vermeintliche Freiheit nimmt, andere Menschen zu beleidigen und zu diskriminieren oder auch Volksverhetzung zu betreiben, überschreitet moralische und manchmal auch strafrechtliche Grenzen. Ich denke, dass selbst die verbohrtesten Sprachapologeten und Gegner der politischen Korrektheit nicht wirklich in einer Welt würden leben wollen, in der es überhaupt gar keine ethischen Sprachbarrieren gäbe.

Allerdings stehen sich im Streit um die Political Correctness zwei sehr gegensätzliche Positionen gegenüber, die – wie mir scheint – beide richtig sind. Die erste Position folgt der eben schon erwähnten These, dass unsere Sprache, das Reden über die Wirklichkeit, nicht nur unser Denken beeinflusst, sondern damit auch die Wirklichkeit selbst. Daher sollten wir diffamierende, diskriminierende und kränkende Ausdrücke für bestimmte Minderheiten vermeiden und zugunsten möglichst „neutraler“ Begriffe überwinden. Aber die Gegenthese, dass ein Zuviel an Sprachhygiene, übertriebener Sprachvorsicht, an öffentlicher Zensur oder gar Tabuisierung die öffentliche Debatte lähmen und das politische Klima vergiften kann, erscheint mir ebenso plausibel. Abgesehen davon, dass entsprechende Sprachverbote nicht unbedingt der Wahrheitsfindung dienen: Sie sind antidemokratisch und führen in der zunehmend hysterisierten Öffentlichkeit eher zu Feigheit, Opportunismus und Rückzug statt zu Offenheit, Respekt und Toleranz.

Wie verhält es sich Ihrer Meinung nach mit dem viel diskutierten Beitrag von Jan Böhmermann über Erdogan? Hier handelte es sich um eine Satire, die in extremer Form beleidigend war und nicht nur türkische, sondern auch deutsche Vorurteile sehr bediente.

Diese Kunstaktion, diese Satire von Jan Böhmermann, war ein politisch und ästhetisch komplexes Ereignis und in gewisser Weise auch genial. Es ist schwer möglich, diese Kunstaktion zu bewerten, wenn man nicht die unterschiedlichen ästhetischen und rhetorischen Ebenen auseinanderhält, auf denen diese Satire – in den Augen der einen sehr gut und in den Augen anderer weniger gut – funktioniert hat. Ich erwähnte bereits, dass die Gedanken frei sein mögen, aber für die öffentliche Rede andere Gesetze gelten. Es ist zu begrüßen, dass wir bestimmte ethisch-moralische Sprachbarrieren haben, an die man sich im Alltag zu halten hat. Der Clou der Satire von Jan Böhmermann bestand nur gerade darin, mit der Zitation eines fiktiven Schmähgedichts darauf hinzuweisen, wo genau die Grenzen zwischen einer legitimen Satire und einer illegitimen, weil beleidigenden Schmähung liegen. Böhmermann selbst hat in der Sendung ja immer wieder darauf hingewiesen, dass damit eine Grenze dessen, was man in der Öffentlichkeit sagen darf, überschritten ist. Und die satirisch-dialektische Botschaft lautete: Manchmal ist es nur möglich, diese Grenze zu markieren und zu bestätigen, indem man sie satirisch missachtet. Das ist von den meisten Kritikern gar nicht verstanden worden, weil sie vorschnell davon ausgingen, dass sich Böhmermann das Schmähgedicht zu eigen macht. Aber das Schmähgedicht wurde lediglich vorgeführt, um die Grenze des Unerträglichen aufzuzeigen. Und politisch reagierte der Journalist und Medienmensch Böhmermann damit auf die ebenfalls unerträgliche Reaktion Erdogans auf eine vergleichsweise harmlose Satire des NDR-Magazins Extra 3, in deren Folge der deutsche Botschafter in Ankara einbestellt worden war.

Wäre es nicht geschickter gewesen, er hätte es vom Namen her abstrakt gehalten, allerdings indirekt klargemacht, dass es sich um Erdogan handelt?

Wir sprechen hier natürlich auch über die Grenze zwischen Moral und Recht. Ich persönlich bin der Meinung, dass der Autokrat Erdogan, moralisch betrachtet, alle möglichen Beleidigungen verdient hat; auch wenn das Recht gute Gründe haben mag, das anders zu sehen. Man könnte als Satiriker zwar subtiler Kritik üben, aber manchmal gilt eben auch, dass auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört. Erdogan hat inzwischen über 2.000 Beleidigungsklagen angezettelt. Er hat z.B. eine junge Frau verklagt, die ihm nicht die nötige Ehrerbietung zeigte, als seine Staatskarosse an dem Café vorbeifuhr, in dem sie saß. Das muss man sich einmal vorstellen: Diese junge Frau kommt jetzt vielleicht ins Gefängnis! Wie soll man sich gegen solche Machthaber wehren – wenn nicht, indem man auch mal richtig draufhaut? Hätte Böhmermanns Kunstperformance mit mehr Subtilität gearbeitet, wäre der Eindruck auf den türkischen Staatspräsidenten zweifellos geringer ausgefallen. Politische Satire hat den alleinigen Zweck, die Mächtigen zu verspotten. Man muss sich klarmachen, dass es sich in diesem Fall um eine Satire handelt, die eine Staatskrise ausgelöst hat. Wenn das gelingt, dann kann es sich per se gar nicht um eine misslungene Satire handeln.

Immerhin hat Böhmermann Mediengeschichte geschrieben. Wahrscheinlich wird das Beispiel jedes Mal wieder verwendet, wenn man jemandem verdeutlichen möchte, wie eine rechtliche Einordnung von Satire funktioniert.

In der Politischen Philosophie diskutiert man seit jeher mit Blick auf Diktatoren die Frage nach einem „Recht auf Widerstand“, das bis hin zum politisch motivierten „Tyrannenmord“ reichen mag. Im Vergleich dazu ist der türkische Autokrat noch recht harmlos davongekommen.

Im Fall „Böhmermann“ ist der Diskurs darüber, was geht und was nicht, entscheidender als die Beantwortung der Frage, ob er verurteilt wird.

Es ist wichtig, zwei Diskurse nicht miteinander zu vermischen: Da gibt es zum einen den öffentlichen Diskurs über konkrete politische Probleme, in dem zunehmend auch die Klage über ein Zuviel an Political Correctness eine Rolle spielt. Davon zu unterscheiden ist der spezifisch künstlerische, satirische Diskurs über den angemessenen Umgang mit politischer Macht. Das sind zwei sehr unterschiedliche Diskussionsräume, in denen vielleicht auch unterschiedliche Gesetzmäßigkeiten und Regeln gelten. Es könnte z.B. sein, dass der künstlerische Diskurs über den angemessenen Umgang mit Willkürherrschaft unmittelbar einen Verzicht auf Political Correctness erforderlich macht, obgleich das für den politischen Diskurs insgesamt gerade nicht gilt, ja, dort sogar fatal wäre.

Norbert Bolz vertritt die Meinung, dass wir durch PC bestimmte Themen, Vorurteile und Antihaltungen nicht äußern dürfen und dadurch in unser Unbewusstes verdrängen. Ergebe sich dann eine Gelegenheit, die Schranken fallen zu lassen – etwa im Kontext von Pegida –, bräche es viel stärker als vorher aus uns heraus.

In dieser These steckt eine interessante psychoanalytische Annahme: Durch Tabuisierung bestimmter Sprachinhalte werden diese „vergessen“ und ins kollektive Unbewusste verdrängt, nur um eines Tages umso eruptiver und aggressiver wieder daraus hervorzubrechen. Diese These arbeitet mit einer Art Zeitzünder, mit einer zeitversetzten Explosion. Ich bin mir aber unsicher, ob diese These auch auf das Geschehen zutrifft, mit dem wir es momentan zu tun haben, und zwar mit einer wechselseitig hysterisch aufgeladenen Atmosphäre gegenseitiger Rechthaberei, in der man sehr viel unmittelbarer, als Bolz das annimmt, aggressiv aufeinander reagiert. Auch meine These dazu operiert mit einer psychoanalytischen Prämisse, indem sie auf die Kategorie der Hysterie zurückgreift: Wir können diagnostizieren, dass die Öffentlichkeit insofern schwer beschädigt oder gar „kaputt“ ist, als das Gesprächsklima beidseitig höchst neurotisch, eben hysterisch, aufgeladen ist. Besser noch lässt es sich biologisch und mit Peter Sloterdijk so ausdrücken: Beide Seiten sind diskursiv „immungestört“. Zwanghaft rechthaberische Reaktionen auf der einen Seite lösen unmittelbar zwanghafte Überreaktionen auf der anderen Seite aus. Aber beide Seiten stoßen sich nicht etwa ab, sondern ziehen sich magisch an und verstricken sich so unwiderruflich in einen wortgewaltigen Exzess, in eine Symbiose des rechthaberischen Krawalls.

Ist hier ein Ausweg erkennbar?

Bleiben wir im Bild der Immunstörung, so gibt es Dinge, die auf jeden Fall nicht funktionieren. Nehmen wir die reaktionären Sprachapologeten auf der rechten Seite, wie man sie etwa im Achgut.com-Blog von Henryk M. Broder und anderen Autoren findet. Dort wird unentwegt auf sarrazineske Weise gegen die politische Korrektheit des linksliberalen Milieus gewettert. Man wird aber die kritisierte sprachliche Übersensibilität des PC-Lagers nicht schon dadurch bekämpfen können, dass man umso grobschlächtiger sprachliche Klischees bemüht, auf die die Gegenseite dann wiederum nur hypersensibel reagieren kann. Diese Desensibilisierungsstrategie mag bei einer echten Pollenallergie wirken, aber kaum mit Blick auf die diskursive Immunschwäche, mit der wir es derzeit zu tun haben. Zugleich hat man es auf der anderen Seite – und auch das kann einen als neutralen Beobachter sehr nervös machen – sehr oft mit einem sprachlichen Alarmismus zu tun, ja, mit einer rhetorischen Planierraupenattitüde, die über alles hinwegfährt, was auch nur von Ferne den Anschein von Sexismus, Rassismus, Eurozentrismus, Imperialismus etc. erweckt. Was aber auch nicht helfen wird – und damit kommen die Einstellungen und das Gesprächsverhalten jener in den Blick, die beiden Lagern kritisch gegenüberstehen –, ist eine öffentliche Vermeidungshaltung, eine vorschnelle Bereitschaft zum Rückzug aus hitzigen Diskussionen, die aus der Furcht resultiert, zum Opfer des nächsten Shitstorms zu werden. Dieser vorauseilende Gehorsam erinnert mich manchmal an den Reinlichkeitswahn vieler moderner Eltern, die glauben, dass sie ihre Kinder möglichst von jeder Art von Schmutz und Dreck fernhalten müssen, um fiese Krankheiten zu vermeiden, letztlich aber gerade dadurch zu einem vermehrten Aufkommen von Immunschwächen beitragen. Ich glaube, auch im Streit gilt, wie so oft im Leben, dass wir uns zwar wechselseitig schonen sollten, aber eben auch nicht zu sehr, denn unsere diskursiven Abwehrkräfte wachsen mit unseren Herausforderungen.

Wir fühlen uns manchmal – das ist auch einer der Vorwürfe – wie in einer Art Selbstzensur, dass man ständig überlegen muss, ob man dieses oder jenes so sagen kann. Nehmen wir das Beispiel „Vorurteile gegenüber Flüchtlingen“. Da stehen sich zwei Lager gegenüber, die weniger aus einer rationalen Betrachtung heraus reagieren, sondern eher wie der Pawlow’sche Hund: Die einen reagieren mit Panik, wenn sie hören, dass 1 Million Flüchtlinge im Jahr nach Deutschland kommt. Die anderen reagieren sofort mit dem Reflex, dass es sich um arme Menschen handelt, die in unserem Land aufgenommen werden müssen.

Das ist richtig. Ich glaube, dass diese verworrene Situation auch aufseiten derjenigen, die sich nicht unbedingt einem dieser beiden Lager zuordnen würden, zunehmend für Frustrationen sorgt. Dieser Frust beruht auf dem Umstand, dass es derzeit viele gravierende Probleme gibt, wir aber zunehmend gar nicht mehr über diese sachlichen Probleme selbst diskutieren. Vielmehr streiten wir unentwegt auf der Metaebene darüber, wie wir über diese Dinge reden sollten. Ich will das kurz erläutern: Die antidiskriminatorische Sprachkritik, für welche das Etikett der Political Correctness steht, trat ursprünglich an, uns sprachlich zu sensibilisieren, damit wir im Diskurs nicht ständig wieder über Begriffe stolpern, die ganz bestimmte Betroffenengruppen verletzen könnten. Der Diskurs sollte möglichst neutralisiert werden gegenüber potenziell verletzenden Begrifflichkeiten, damit wir nicht immer von der Sachebene auf die besagte Metaebene wechseln müssen. Längst aber hat diese Debatte dazu geführt, dass wir fast nur noch auf der Metaebene über die vermeintlich korrekte Verwendung von Worten sprechen und fast gar nicht mehr über die Dinge selbst. Dies sorgt für Frustration, aber auch für aggressive Trotz- und Abwehrreaktionen. Die Debatte um das Für und Wider der Political Correctness ist, wenn man es etwas polemisch ausdrücken will, immer auch eine Debatte über sprachliche Manieren – darüber, wie in der Öffentlichkeit zu reden sei. Und es ist kein Geheimnis, dass sich viele Menschen nicht nur ungern das Wort ganz generell verbieten lassen, sie wollen auch nicht ständig von einer Sprachpolizei darauf hingewiesen werden, dass ihr Sprachverhalten nicht korrekt ist und dass die Worte, die sie unreflektiert verwenden, andere verletzen könnten – oder kurz: dass sie sich unmanierlich verhalten. Das wiederum ruft im Lager derjenigen, denen man ständig auf die Finger klopft, fast notwendig kindische Trotzreaktionen hervor.

Im Jugendschutz geht es immer wieder darum, ob Filme ab 6 oder 12 Jahren freigegeben werden können, in denen Wörter wie „Fuck“ vorkommen. In Großbritannien ist man viel strenger als in Deutschland. Dennoch haben wir dort oder auch in den USA viele solcher „Fucks“ – und das in allen möglichen Spielarten. Es scheint also, als habe die Reglementierung nicht wirklich viel genutzt.

Die Debatte um die Verwendung von Schimpfwörtern und die Frage, inwiefern man Kinder und Jugendliche von dieser Art fluchender Rede fernhalten soll, ist meiner Ansicht nach eine andere, hat aber natürlich auch etwas mit der Debatte um Political Correctness zu tun. In der PC-Diskussion geht es weniger um Schimpfwörter, sondern überwiegend um klassifikatorische Adjektive und Substantive, mit denen wir vermeintlich diskriminierte Minder- oder auch Mehrheiten etikettieren. Selbstverständlich: Vor meinem eigenen Kind vermeide auch ich das Fluchen, weil ich nicht möchte, dass es diese Wörter übernimmt und dann in der Kita hinausposaunt. Zugleich aber wäre ich in Filmen und Fernsehserien doch sehr gegen eine übermäßig glatte und insofern korrekte Sprache. Hier geht es nicht um öffentliche Diskurse, sondern um Geschichten aus dem Leben, die man keineswegs von aller Leidenschaft und allem Ärger über das Leben reinigen sollte. Das wäre todlangweilig. Und überhaupt müsste man sich einmal genau anschauen, warum man z.B. das Wort „Fuck“ aus den Medien halten will; weil es ursprünglich aus einem sexuellen Kontext stammt. Wenn es heute aber als Schimpfwort benutzt wird, hat sich die ursprüngliche Bedeutung vollends verflüchtigt. Es ist einfach nur noch ein Kraftausdruck, mit dem man sich Luft verschafft. Ich glaube, vor so einem sprachlichen Symbol, das sich von seiner ursprünglichen Bedeutung längst gelöst hat, braucht man sich nicht mehr zu fürchten.

Kommen wir noch einmal auf die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln zu sprechen. Es geht um die sexuellen Übergriffe und die Tatsache, dass die Polizei über die Nationalität der Täter zunächst nichts gesagt hat. Das Interessante ist, dass sie damit eigentlich eine Vorgabe des Presserates erfüllt hat. Danach soll die Nationalität des Täters nur dann genannt werden, wenn diese Information von Relevanz ist.

Mit diesem Problem sind wir auf unsere Ausgangsfrage mit der Party und dem schwarzen Freund zurückverwiesen. Fraglich war auch hier, ob das betreffende Persönlichkeitsmerkmal von sachlicher Relevanz ist. Um das entscheiden zu können, brauchen wir ein geschultes Urteilsvermögen und ausreichend Informationen über den Kontext. Im Gegensatz zu der besagten Party, so meine ich, wäre jedoch im Fall der Silvesternacht von Köln die Erwähnung des Migrationshintergrundes der mutmaßlichen Straftäter sehr wohl relevant gewesen. Teilweise handelte es sich ja tatsächlich um Flüchtlinge, die in den Monaten zuvor im Zuge der sogenannten Flüchtlingswelle nach Deutschland gekommen waren. Die damalige Diskussion über die Merkel’sche Flüchtlingspolitik und deren Folgen wurde seinerzeit in der breiten Öffentlichkeit so heftig geführt, dass es geradezu aberwitzig anmutete, den Migrationshintergrund der Täter zu verschweigen. So hat man nicht zuletzt auch dem Vorwurf der „Lügenpresse“ auf ganz unheilvolle Weise Vorschub geleistet, nur um dann im Nachhinein zu behaupten, dies sei eine Umsetzung von Vorgaben des Presserates gewesen. Letzteres habe ich, ehrlich gesagt, den Verantwortlichen einfach nicht abgenommen. Vielmehr stand wohl die gut gemeinte Hoffnung im Raum, ein weiteres Anwachsen der Hysterie mit Blick auf die Folgen der Flüchtlingskrise verhindern zu können. Das hat nicht nur nicht funktioniert, sondern ist kontraproduktiv nach hinten losgegangen.

Ich kann auf der einen Seite das Ansinnen der Polizei sehr gut verstehen. Natürlich will man verhindern, durch die Veröffentlichung eines singulären Falles mit krassen Ausmaßen Öl in das Feuer derjenigen zu gießen, die ohnehin sagen, durch die Flüchtlinge nehme die Kriminalität zu. Auf der anderen Seite finde ich es problematisch, dass man es der Presse oder dem jeweiligen Journalisten anheimstellt, zu entscheiden, was relevant ist.

Es ist tatsächlich nicht Aufgabe der Polizei oder der Medien, das wechselseitig aufgeladene Diskursklima strategisch zu entschärfen. Was mich in jenen Tagen aber noch viel mehr aufgeregt hat, das war die im linksliberalen Milieu weitverbreitete Bereitschaft, das Problem von vornherein durch den Hinweis „wegzudiskutieren“, man habe es keineswegs bloß mit einem Problem islamischer Männer, sondern generell mit einem Problem „besoffener“ Männer zu tun; so wie sich diese ja auch auf dem Oktoberfest tummeln. Damit wurde suggeriert, dass es sich exakt um die gleiche Form von sexualisierter Gewalt handelt. Der rhetorische Endzweck dieser Strategie des „Whataboutism“ war in meinen Augen offenkundig: Das linksliberale Milieu hatte es plötzlich mit einem Konflikt zwischen zwei biografisch oftmals tief verwurzelten Grundüberzeugungen zu tun, der viele Interpreten der Vorkommnisse zu zerreißen schien. Da ist zum einen die linksliberale Weltoffenheit gegenüber Menschen aus fremden Kulturen, und da ist zum anderen der ebenfalls linksliberale Feminismus, der sich entschieden gegen jede Form von Gewalt gegenüber Frauen wendet. Zwischen diesen beiden Grundüberzeugungen ergaben sich in Köln schmerzhafte Kollisionen, mit denen man ganz persönlich erst einmal umgehen musste. Und gelegentlich neigt man dann dazu, beide Augen zuzudrücken, um ein Problem gar nicht erst zu sehen. Was ich aus soziologischer und sozialpsychologischer Sicht an dieser vorschnellen Pauschalisierung männlicher Gewalt so schädlich und auch wissenschaftlich unredlich fand, ist die damit einhergehende unkritische Enddifferenzierung: Wenn man versuchen will, sexualisierte Gewaltdelikte zu verstehen – ob auf dem Münchener Oktoberfest oder aber auf der Kölner Domplatte –, dann ist es wichtig, neben den allgemeinen Aspekten beider Phänomene jeweils eben auch die gravierenden Unterschiede zu eruieren. Dass es entsprechende Unterschiede gibt, zeigt sich schon daran, dass sexuelle Attacken auf Frauen in der Öffentlichkeit eine in Teilen der arabischen Welt offenbar „populäre“ Strategie sind, Frauen dazu zu bewegen, die Öffentlichkeit zu meiden und daheimzubleiben. Die Übergriffe auf einem bayerischen Volksfest folgen ersichtlich einer anderen Logik.

Der Presserat hat angesichts dieser Ereignisse darüber nachgedacht, diese Norm zu ändern, sich dann jedoch dagegen entschieden. Hätten Sie dem Presserat zu einer Klarstellung oder Differenzierung im Hinblick auf die Frage, wann die Information über eine ethnische Herkunft relevant ist, geraten?

Aus philosophischer Sicht ist die Behauptung, dass etwas von „Relevanz“ sein muss, dass, wie der Presserat sagt, „ein begründbarer Sachbezug“ bestehen muss, zwar wichtig, aber doch begrifflich unterbestimmt. Dieser Hinweis reicht in seiner Allgemeinheit offenbar nicht schon aus, um diejenigen, die diese Anweisung in ihrer Arbeit operationalisieren sollen, ethisch zu orientieren. Was fehlt, sind detaillierte und damit konkrete Relevanzkriterien, die sich nach Art einer Checkliste abarbeiten ließen. Ich nehme an, dass man mit zwei, drei versierten Kolleginnen und Kollegen nur einen Nachmittag bräuchte, um diese Relevanzkriterien schriftlich zu fixieren.

Als Resümee unseres Gesprächs habe ich den Eindruck, dass wir uns darin einig sind, dass es letztlich nicht darum geht, die Sprachsensibilität komplett abzuschaffen oder weiter zu unterstützen, sondern es geht um Differenzierung.

Ja, es geht um Differenzierung. Ich hatte ja bereits gesagt, dass ich beiden Positionen etwas abgewinnen kann: Wir müssen uns sprachlich sensibilisieren für versteckte Diskriminierungen, die in den Worten, die wir beim alltäglichen Sprechen verwenden, verborgen sein mögen. Zugleich gilt aber auch die Warnung vor zu viel Sprachhygiene oder gar sprachlicher Tabuisierung und Zensur. Wenn man diese beiden Anliegen gleichermaßen wichtig findet, dann zwingt uns das zur Differenzierung: Wir haben Probleme, über die wir streiten, wir brauchen Lösungen, wir sind uns nur nicht einig, welche Lösungen das sind. Aber in der Regel sind wir uns sehr wohl einig, dass wir Lösungen brauchen; z.B. mit Blick auf die Flüchtlingskrise. In diesen öffentlichen Auseinandersetzungen geht es um sehr viel, und wir sollten uns dabei nicht allzu sehr schonen. Wir müssen uns herausfordern, provozieren, infrage stellen, kritisieren – ohne jedoch den Gesprächsabbruch zu riskieren. Dies dient nicht zuletzt auch der Stärkung unserer verbalen Abwehrkräfte. Und nichts, wie mir scheint, wäre nachteiliger als eine allgemeine hysterische Verkrampfung des Diskurses, die es uns letztlich unmöglich machte, offen über die Probleme selbst zu sprechen.

Arnd Pollmann ist Philosoph und lehrt als Privatdozent an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

Joachim von Gottberg ist Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und tv-diskurs-Chefredakteur.