SKAM/DRUCK International

Eine Jugendserie geht in die Welt

Lothar Mikos

Dr. Lothar Mikos ist Professor für Fernsehwissenschaft an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF.

Die norwegische Jugendserie SKAM erlangte internationale Bekanntheit und hat Fans auf der ganzen Welt. Ihr ist es gelungen, Jugendliche für eine Serie zu begeistern. Der Erfolg blieb in der Fernsehbranche nicht unbemerkt. Seit 2018 wurden auch lokale bzw. nationale Adaptionen produziert – in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Spanien und in den USA. Allerdings war ihnen nicht immer ein großer Erfolg beschieden. DRUCK, die deutsche Version von SKAM, war sehr erfolgreich, sowohl auf YouTube als auch auf der Website von funk, dem öffentlich-rechtlichen Jugendangebot von ARD und ZDF. SKAM und die Adaptionen haben das Jugendfernsehen revolutioniert, da sie mehrere Plattformen für das Erzählen ihrer Geschichten nutzen, wobei vor allem die sozialen Medien eine große Rolle spielen.

Printausgabe tv diskurs: 24. Jg., 1/2020 (Ausgabe 91), S. 4-7

Vollständiger Beitrag als:

SKAM – das Original

SKAM (NRK 2015 – 2017) als eine klassische Fernseh- oder Webserie zu bezeichnen, wäre untertrieben. Onlinedrama wäre sicher die richtige Bezeichnung. Denn die Geschichte wird über mehrere Plattformen hinweg erzählt, über Videoclips, Chatnachrichten und die Social-Media-Accounts der Charaktere (vgl. Sundet 2019, S. 2; Hartmann/Mikos 2020). Der norwegische öffentlich-rechtliche Sender NRK konnte hier auf Erfahrungen mit früheren Produktionen zurückgreifen, die sich an junge Mädchen zwischen 10 und 13 Jahren richteten. NRK wollte jedoch auch ältere Zuschauerinnen und Zuschauer, vor allem 16-jährige Mädchen, erreichen. Die Autorin und Regisseurin Julie Andem wurde beauftragt, ein entsprechendes Konzept zu entwickeln. Die Charaktere sollten der anvisierten Zielgruppe entsprechen.

SKAM dreht sich um eine Gruppe befreundeter Jugendlicher an einem Gymnasium in Oslo. Zu sehen ist, wie sie das Leben zu Hause und in der Schule meistern. Die Serie behandelt dabei universelle Themen wie Identität, Liebe, Freundschaft, Sexualität, Religion und natürlich Scham – was der Serie auch den Titel lieferte. Scham als soziales Gefühl ist kulturell bedingt, kommt in vielen Kulturen vor, und es „gehört zum Wesen des Menschen, sich seiner Nacktheit zu schämen“ (Duerr 1988, S. 12, H.i.O.). Schamgefühle gehen jedoch über Nacktheit hinaus. Tiedemann (2007, S. 10) zählt „Peinlichkeit, Schüchternheit, Schmach und Verlegenheit“ dazu. Sie entwickeln sich in der Pubertät, wenn das Bewusstsein des eigenen Körpers und der eigenen Identität auf kulturelle und gesellschaftliche Normen trifft.
 


In Norwegen wurden zwischen September 2015 und Juni 2017 vier Staffeln mit insgesamt 43 Episoden von unterschiedlicher Länge veröffentlicht. Die deutsche Version DRUCK hatte vier Staffeln mit 40 Episoden.

Jede Staffel von SKAM konzentriert sich auf eine andere Hauptfigur und wird aus deren Perspektive erzählt. Zunächst steht Eva im Mittelpunkt, eine nervöse, aber großherzige 16‑Jährige, die sich mit ihrer alten Clique zerstritten hat und mit Unsicherheiten in ihrer Beziehung zu ihrem Freund Jonas kämpft. Die zweite Staffel ist vor allem auf Noora, eine leidenschaftliche Feministin, ausgerichtet, die sich widerstrebend in den älteren William verliebt. In der dritten Staffel geht es vorrangig um Isak, der mit der Frage der eigenen sexuellen Orientierung konfrontiert wird, als er sich in den älteren Jungen Even verliebt. Die vierte Staffel schließlich fokussiert auf die Muslimin Sana, die immer ihre Meinung sagt und darum kämpft, das richtige Gleichgewicht zwischen ihrer Religion und dem Stadtleben als Teenager mit Freunden, Jungen und Partys zu finden (vgl. Sundet 2019, S. 8). Diese Konstellation der Figuren wurde in den internationalen Adaptionen übernommen.
 

SKAM-Adaptionen

Jede der Adaptionen folgt dem Muster des norwegischen Originals. Die Figuren aus SKAM haben ihre jeweiligen Entsprechungen in den lokalen Versionen. Das Figurenquartett aus Eva, Noora, Isak und Sana findet seine Entsprechung in DRUCK, der deutschen Version, in Hanna, Mia, Matteo und Amira. In der französischen Adaption SKAM France stehen Emma, Manon, Lucas und Imane im Mittelpunkt, in SKAM España sind es Eva, Nora, Lucas und Amira, in SKAM Italia Eva, Eleonora, Martino und Sana, und in der belgischen Fassung wtFOCK heißen die Figuren Jana, Zoë, Robbe und Yasmina. In der amerikanischen Version SKAM Austin entsprechen Megan und Grace den norwegischen Figuren Eva und Noora, während sie in SKAM NL Isa und Liv heißen.

In den Niederlanden fiel eine dritte Staffel den Kürzungen des Budgets zum Opfer. Während alle Adaptionen auf vier Staffeln angelegt waren, geht bisher nur die französische Version darüber hinaus, indem zwei weitere Staffeln für 2020 geplant sind. Die US-amerikanische Version fiel der mangelnden Akzeptanz zum Opfer. Es war die erste Originalserie, die seit dem 27. April 2018 auf der neuen Plattform Facebook Watch gezeigt wurde. Während die anderen Adaptionen die Jugendlichen des gesamten Landes ansprechen sollen, hat SKAM Austin eher lokalen Charakter.
 


Die verschiedenen Versionen mussten kulturell und sozial angepasst werden. Das bezog sich einerseits auf die Schultypen, andererseits aber auch auf kulturelle Eigenheiten und Rituale. Während die norwegische, die deutsche, die französische, die italienische und die spanische Version an Gymnasien in den jeweiligen Hauptstädten angesiedelt sind (Oslo, Berlin, Paris, Rom und Madrid), spielen die belgische und die niederländische Adaption lediglich in größeren Städten (Antwerpen und Utrecht).

Das norwegische Original wie auch die nationalen Versionen waren nicht nur beim jungen Publikum erfolgreich. In Norwegen verfolgte ein Fünftel der Bevölkerung die Jugendserie. Mit diesem Erfolg können die Adaptionen der anderen Länder zwar nicht mithalten. In Deutschland hat die Serie auf YouTube aber immerhin 376.000 Abonnentinnen und Abonnenten (Stand: 13.12.2019). Während die erste Folge inzwischen 2,4 Mio. Mal angesehen wurde, hat die letzte Folge der vierten Staffel noch 437.067 Zuschauer. DRUCK war nicht nur auf YouTube zu sehen, sondern auch auf der Website von funk, dem Jugendangebot von ARD und ZDF, sowie auf ZDFneo. Daneben wurden aber auch andere Plattformen wie Instagram, Snapchat, Tumblr und WhatsApp bespielt.
 

Transmediale Echtzeiterzählung

Die Besonderheit von SKAM und den lokalen Adaptionen ist, dass es eine Onlineserie ist, deren Geschichte auf verschiedenen Plattformen erzählt wird. Dadurch ist eine sogenannte Echtzeiterzählung möglich. Die Videoclips werden täglich zu verschiedenen Zeiten auf der Website oder auf YouTube veröffentlicht. Dazwischen gibt es immer wieder einmal Instagram-Posts, Instagram-Stories oder WhatsApp-Nachrichten. Für DRUCK gab es z.B. 21 Instagram-Profile der verschiedenen Figuren (vgl. Hartmann/Mikos 2019). Die Videoclips werden zu wöchentlichen Episoden zusammengefasst, die auf ZDFneo, funk oder YouTube zu sehen sind. Alle Elemente sind bereits im Drehbuch festgehalten. Das bedeutet: Das Drehbuch umfasst nicht nur das, was in den Videoclips zu sehen ist, sondern auch das, was auf den verschiedenen sozialen Medien wann zu lesen ist. Das Drehbuch wird daher begleitet von einem Veröffentlichungsplan, dem sogenannten Publishing Plan.

Auf diese Weise werden die Prinzipien des transmedialen Erzählens, wie sie Elizabeth Evans (2011, S. 38) definiert hat, befolgt: eine zeitliche Kohärenz, eine narrative Kohärenz sowie eine Kohärenz der Autorenschaft. So entsteht die Echtzeiterzählung, die das charakteristische Element von SKAM und allen Adaptionen ist. Dadurch ist die Serie eng an das Alltagsleben ihrer Zuschauerinnen und Zuschauer geknüpft: Jeden Tag können sie etwas Neues aus dem Leben der Serienfiguren erfahren.
 

Schlussbemerkung

Neben der Echtzeiterzählung durch die Einbindung von Websites, Videoplattformen und verschiedenen sozialen Medien, die eine globale Verbreitung ermöglichen – eine Facebook-Gruppe SKAM Vietnam z.B. beschäftigt sich mit allen Versionen –, war für den internationalen Erfolg die Zusammenarbeit des norwegischen Senders NRK mit der deutschen Verleihfirma Beta Film wichtig. Die Firma handelte nicht nur die Lizenzen für die Länder aus, sondern ist in Deutschland und Italien auch an den Produktionsfirmen beteiligt, die die lokalen Versionen hergestellt haben. In Belgien und den Niederlanden war Beta Film direkt als Co-Produzent tätig.

Der internationale Erfolg von SKAM/DRUCK in allen Versionen beruht einerseits auf der Distributionsstrategie von Beta Film und andererseits auf dem innovativen Konzept der Echtzeiterzählung mit der Einbindung von sozialen Medien wie Facebook, WhatsApp oder Instagram. Die Serie ist praktisch dorthin gegangen, wo ihr jugendliches Publikum ist.
 

Literatur:

Duerr, H. P.: Nacktheit und Scham. Der Mythos vom Zivilisationsprozess (Band 1). Frankfurt am Main 1988

Evans, E.: Transmedia Television. Audiences, New Media and Daily Life. New York/London 2011

Hartmann, C./Mikos, L.: The Cultural Transformation of SKAM into DRUCK, the German adaptation. Vortrag auf der ECREA Television Studies 2019 conference „The Youthification of Television and Screen Culture“. Universität Groningen, 24.10.2019

Hartmann, C./Mikos, L.: Der Adaptionsprozess von DRUCK. In: F. Krauß/M. Stock (Hrsg.): Teen TV: Repräsentationen, Lesarten und Produktionsweisen aktueller Jugendserien. Wiesbaden 2020 (im Druck)

Sundet, V. S.: From ‚Secret‘ Online Teen Drama to International Cult Phenomenon: The Global Expansion of SKAM and its Public Service Mission. In: Critical Studies in Television, 14/2019, S. 1 – 22

Tiedemann, J. L.: Die intersubjektive Natur der Scham. Dissertation. Berlin 2007