Spin-off

Gerd Hallenberger

Dr. habil. Gerd Hallenberger ist freiberuflicher Medienwissenschaftler.

Gerd Hallenberger erklärt, was ein „Ableger“ im Filmbereich ist.

Printausgabe tv diskurs: 23. Jg., 3/2019 (Ausgabe 89), S. 66-67

Vollständiger Beitrag als:

Wer eine besonders hübsche Pflanze besitzt, macht gern Ableger. Im besten Fall wächst und gedeiht die neue Pflanze und sorgt ebenfalls für viel Freude. Außer in der Natur kennt man auch in der Wirtschaftswelt „Ableger“, und zwar in Gestalt von Unternehmensabspaltungen, von Ausgründungen und Tochterunternehmen. Gerne werden sie als Spin‑offs bezeichnet, mit dem gleichen Begriff also, der für die „Ableger“ von Medienangeboten verwendet wird.

In allen drei Fällen folgt die Produktion von Ablegern der gleichen Logik: Wenn etwas schon einmal geklappt hat, lassen sich daraus vielleicht weitere Erfolge entwickeln. Geht es um Medieninhalte, kommt dabei ein besonderer Druck ins Spiel: Die Erarbeitung neuer oder gar neuartiger Angebote ist in allen audiovisuellen Medien mit erheblichem Kapitaleinsatz bei nur schwer kalkulierbaren, aber im Normalfall nicht besonders großen Erfolgschancen verbunden. Auf jeden Hit in jedem Medium kommen eine Vielzahl von Flops. Daher sind alle Strategien zur Risikominimierung bei Neuproduktionen äußerst willkommen – und neben Remakes, Serialisierung und der Verwendung von Erfolgen aus anderen Medien stellt die Entwicklung von Ablegern eine der wichtigsten dar.

So modern der Begriff klingt, Spin‑offs sind kein neues Phänomen oder auf audiovisuelle Medien beschränkt. Im Zeitschriftenbereich beispielsweise ist die zielgruppen- und themenspezifische Erweiterung der Kernmarke durch Ableger ebenfalls vertraut – so wurde ab Ende der 1980er‑Jahre die Jugendzeitschrift „Bravo“ um zusätzliche Angebote wie „Bravo Girl“ und „Bravo Sport“ ergänzt, zum Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ gehören etwa auch die Ableger „Spiegel Geschichte“ und „Spiegel Wissen“. Wenn heute von Spin‑offs die Rede ist, geht es vor allem um fiktionale Produktionen, und auch hier gibt es ältere Beispiele, wie etwa bei Heftromanen.

Als der Pabel Verlag in der BRD in den 1950er‑Jahren das Genre „Science-Fiction“ etablieren wollte, wurde das Kernangebot, die Reihe Utopia, bald um weitere Produkte ergänzt, den Utopia-Großband, den Utopia-Krimi und das Utopia-Magazin. Hierbei handelte es sich noch eher um klassische Markenpflege, da die allermeisten veröffentlichten Geschichten in sich abgeschlossen, also nicht Teil einer Fortsetzungserzählung waren. Etwas anderes probierte dann im gleichen Genre der Moewig Verlag. Die 1961 gestartete Heftromanserie Perry Rhodan erwies sich als so erfolgreich, dass der Verlag 1969 einer weiteren Hauptperson eine Ablegerserie gab, nämlich Atlan.

Neben dem Problem der Markenpflege – der Ableger musste qualitativ und in für beide wichtigen inhaltlichen Bereichen der Urserie ähnlich sein – kam hier ein weiteres hinzu, das für alle Spin‑offs von zentraler Bedeutung ist: logische Konsistenz. Urprodukt wie Ableger spielen in der gleichen fiktionalen Welt, bei allen Schnittpunkten ist auf Widerspruchsfreiheit zu achten. Wenn also eine Figur in beidem zum gleichen behaupteten Zeitpunkt auftritt, muss sie über identisches Wissen verfügen und die gleiche Biografie haben. Wenn aber dieselbe Nebenfigur auftritt, die der Protagonistin mal vertraut, mal unbekannt ist, reagiert das engagierte Publikum äußerst verärgert. Das Beispiel klingt simpel, aber die Probleme für jede Produktion werden rasch massiv, wenn es sich um komplexe Erzählungen in komplexen Welten handelt.

Besonders schwierig wird es dabei im Genre „Science-Fiction“, da die erzählten Geschichten oft in vollständig erfundenen Welten spielen und die Problemlösungen oft nicht weniger vertrackt sind als die Konsistenzprobleme. Bei Star Trek, einem bislang sieben Fernsehserien und über zehn Kinofilme umfassenden Komplex, wurden die Gestaltungsmöglichkeiten für Autoren und Regisseure dadurch erweitert, dass die Idee eines einheitlichen Star Trek-Universums aufgegeben wurde. Mit dem elften Kinofilm wurde einfach eine alternative Zeitlinie (die „Kelvin-Zeitlinie“) eingeführt, die eine Weiterarbeit ohne Berücksichtigung des gesamten bisherigen Star Trek-Weltwissens erlaubt.

Gleichzeitig werden im Star Trek-Universum aber auch Regeln berücksichtigt, die in allen Genres nützlich sind: Ortswechsel begründen Spin-offs, Charaktere schaffen Kontinuität. Im Unterschied zu Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert hat das Spin‑off Deep Space Nine einen zentralen Handlungsort, eine Raumstation. Ein weiterer Ableger, Raumschiff Voyager, spielt in einem völlig anderen Raumsektor. Abgesehen von der gemeinsamen Backstory sorgen Auftritte einzelner Charaktere und außerirdischer Rassen in allen drei Produktionen für Zusammenhalt.

Das gleiche Rezept verbindet beispielsweise die Sitcoms Cheers und Frasier: Der Psychiater Dr. Frasier Crane war zunächst eine beliebte Figur in Cheers, nach Ende der Serie zog er von Boston nach Seattle um, bekam eine Radiosendung – und das war die Geburtsstunde von Frasier, verkörpert vom selben Darsteller. Nach dem Erfolg der Primetime-Soap Dallas wurde dagegen in den USA ein Spin-off mehrere Jahre parallel ausgestrahlt: Knots Landing. Dessen Protagonist war ein dritter Ewing-Bruder, der als schwarzes Schaf der Familie nicht auf der Southfork Ranch, sondern in Kalifornien lebte. Gelegentliche Auftritte von Dallas-Akteuren in Knots Landing sollten den Erfolg des Ablegers fördern.
 

Hin und wieder wird ein Ableger sogar populärer als das Original, so bei den Animationsfilmen Wallace & Gromit. Die Nebenfigur Shaun, ein Schaf, war es, die später zum eigentlichen Star wurde. Manchmal reicht aber auch das Konzept an sich, um Ableger zu begründen – etwa bei CSI, wo auf CSI: Vegas bislang drei weitere Reihen folgten. Dieses Modell wird heute auch als Franchise bezeichnet.

Ein weiterer Weg, Spin‑offs zu entwickeln, sind Prequels – also Nachfolgeproduktionen, die Vorgeschichten erzählen, wie Young Sheldon bei The Big Bang Theory. Diese Variante von Spin‑offs hat den besonderen Reiz, dass man völlig ohne die Darsteller der Ausgangsproduktion auskommen kann – und als Konsequenz auch nicht auf deren vielleicht hohe Gagenforderungen eingehen muss.