#ThemToo?
Weibliche Rollenbilder in internationalen Musikvideos
Sexismus pur – diesen Eindruck gewinnen wohl die Betrachter jener genretypischen Hip-Hop-Musikvideos, in denen leicht bekleidete Frauen als visuelles Beiwerk tanzen oder schlicht nur anwesend sind, um die (nahezu ausschließlich) männlichen Vokalisten zu bewundern. Seit Längerem ist bestätigt, dass die frauenfeindliche Welt der Rap-Musikvideos primär von Darstellerinnen bevölkert wird, die als Sexobjekte gezeigt werden (vgl. Conrad u.a. 2009). Wirkungsstudien gaben erste Hinweise darauf, dass sich diese Objektifizierung negativ auf die Einstellungen von jungen männlichen Erwachsenen zur Sexualität und zu sexueller Belästigung auswirken kann (vgl. z.B. Aubrey u.a. 2011) – wenngleich die Einflüsse sexuell aufgeladener Musikvideos auf die Stereotypen Jugendlicher von der konkreten Konstellation aus Musikgenre, Geschlecht und Prädispositionen abhängt (vgl. van Oosten u.a. 2015).
Auch für andere Bereiche der gegenwärtigen Populärkultur (wie etwa die Computerspielszene) wird ein erhebliches Ausmaß an Sexismus (und auch Rassismus) diagnostiziert, „mit einer nach wie vor nur schwer vorstellbaren Intensität von Beleidigungen, Hacking und gewaltvollen Belästigungen“ gegenüber Frauen („Gamergate“; vgl. Richter 2019). Die Diagnose erstaunt angesichts des intensiven öffentlichen Diskurses um die sexuelle Gewalt zumeist gegen Frauen in der Unterhaltungsbranche, die unter dem Schlagwort „#MeToo“ seit Oktober 2017 verhandelt wird. Diese Debatte hat längst auch die Musikvideoindustrie erreicht, wie die Kontroverse um die kürzlich ausgestrahlte Michael-Jackson-Dokumentation Leaving Neverland und die groß angelegte Jackson-Ausstellung in der Bundeskunsthalle belegt, deren Absage im Raum stand (vgl. Heiser 2019).
Für die Ermöglicher sexistischer Strukturen hat die Beauty-Bloggerin Anubha Charan den Begriff „#ThemToo“ geprägt1, und aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage, ob und wie speziell die Musikvideoindustrie als ein mediales Genre, das wegen seiner Frauendarstellungen seit Anbeginn unter kritischer Beobachtung stand (vgl. zusammenfassend Lewis 1993, bes. Anm. 1, S. 126), auf diesen gesellschaftlichen Diskurs reagiert hat. In einer standardisierten Inhaltsanalyse wurden daher weibliche Rollenbilder in internationalen Musikvideos zwischen den Jahren 2008 und 2018 verglichen, also vor und nach Aufkommen der #MeToo-Debatte. Mit einer gewissen Berechtigung wäre zu vermuten, dass sich der durch diese Debatte angestoßene Wandel im Umgang der Kulturindustrie mit den in ihr tätigen Frauen auch in den von ihr hervorgebrachten Produkten niederschlägt, um dem Eindruck eines „#ThemToo“ entgegenzuwirken.
Da der betreffende Diskurs zudem im Kontext einer globalen Bewegung zur Verbesserung von Frauenrechten zu verorten ist, die über die westliche Welt auch muslimisch und hinduistisch geprägte Staaten im Nahen Osten und Asien betrifft, schließt die Analyse Medienprodukte aus sieben kulturell unterschiedlich geprägten Regionen ein. Die übergeordnete Forschungsfrage lautet, ob sich der Anteil antiemanzipatorischer oder ermächtigender („empowerment“) Rollenbilder und die sexualisiert-objektifizierende Darstellung von Frauen einerseits zwischen 2008 und 2018 und andererseits im globalen Vergleich verändert haben. Um zu belastbareren Aussagen über die Trends im Kultur- und Langzeitvergleich zu gelangen, wurde der standardisierten Inhaltsanalyse einer Vollerhebung aller jeweils verfügbaren „Top 50“-Musikvideos pro Land und Zeitpunkt der Vorzug gegeben vor einer exemplarischen Tiefenanalyse einzelner Videos.
Forschungshintergrund
Schon eine der ersten Studien kurz nach Aufkommen des Musikfernsehens – der Sender MTV ging in den USA ab 1981 auf Sendung, ab 1987 in Europa – kam zu einem ernüchternden Fazit hinsichtlich der Rolle von Frauen in den Videoproduktionen:
Females are portrayed as submissive, passive, yet sensual and physically attractive. Sexism is high when we break down videos into traditional male and traditional female narratives“ (Vincent u.a. 1987, S. 941).
Dabei ließ sich ein aus der populären Unterhaltungsindustrie gut bekanntes Schema wiedererkennen: die Frau als zweidimensionales, hirnloses Dekor, oft in der Erscheinung des „dummen Blondchens, der Sexbombe oder des winselnden Opfers“ (Pingree u.a. 1976, S. 194). Sexismus schlug sich schon damals nicht nur in einem sexy Auftreten der Frau (verführerisch und anzüglich, in Unterwäsche oder spärlich bekleidet) und deren Objektifizierung (insbesondere durch die Betonung einzelner Körperteile in Großaufnahme) nieder, sondern auch in der Reduktion auf ein reines Beiwerk der männlichen Protagonisten (vgl. Vincent u.a. 1987; Sommers-Flanagan u.a. 1993).
Einerseits dominierte also eine stereotype Frauendarstellung – „a large percentage of female characters wore revealing clothing and that they initiated and received sexual advances more often than males“ (vgl. Seidman 1992 anhand von 182 Musikvideos auf MTV). Gleichzeitig betonten aber Untersuchungen, dass selbst in den Frühzeiten des Musikfernsehens diese eindimensionale, schematische Charakterisierung keineswegs auf alle Frauenrollen zutraf. Schon damals war mitunter die selbstbewusste, die Situation bestimmende Frau anzutreffen, selbst wenn sie gleichzeitig als Sexobjekt dargestellt wurde (vgl. Vincent u.a. 1987, S. 755). Speziell in den 1990er-Jahren diente das Genre dann ebenso als Ausgangspunkt für ein weibliches Streben nach Macht und Autonomie, mit Bewegungen wie der „girl power“ rund um die britische Band „Spice Girls“. Im Musikfernsehen prallten also unterschiedliche Rollenbilder aufeinander – von der Subordination bis hin zum Aufbegehren gegen die patriarchalische Interpretation von Weiblichkeit (vgl. Dibben 1999). Auch die vermehrte Präsenz von Frauen als Interpretinnen und Hauptcharaktere der Clips gab wichtige Impulse für eine emanzipatorische Girl-Kultur (vgl. Lewis 1993, S. 120 – 124).
Aktuelle Studien über die Rollenbilder in Musikvideos kommen zu dem Schluss, dass Frauen trotzdem noch stärker als ihr männlicher Widerpart als Sexobjekte präsentiert werden und ein sexuell aufforderndes Verhalten zeigen; ein genrespezifisches Muster, das stärker in R&B/Hip-Hop- bzw. Pop-Videos auftaucht, weniger bei Country-Titeln (vgl. Aubrey/Frisby 2011). Frauen in Musikvideos entsprechen fast immer dem dominanten Schönheitsideal und stellen deutlich mehr Sexualität zur Schau als Männer, fassen sich selbst häufiger erotisch an, tanzen lasziv, werfen mit heißblütigen Blicken um sich und ihre Kleidung ist dabei deutlich seltener neutral (vgl. Arnett 2002; Jhally/Killoy/Bartone 2007; Wallis 2010; Aubrey/Frisby 2011). Sängerinnen inszenieren sich in zwei Dritteln der Videos nach den typischen Dimensionen der Selbstobjektifizierung: „Body exposure, gaze, dance, and dress“, insbesondere im Pop- oder Hip-Hop-Genre (Frisby/Aubrey 2012).
Ein erst kürzlich veröffentlichter Bericht über eine Mehrmethodenstudie zur Geschlechterdarstellung in deutschen und US-amerikanischen Musikvideos, die neben einer Inhaltsanalyse auch standardisierte und qualitative Erhebungen unter jugendlichen Nutzerinnen und Nutzern einschloss (vgl. Götz/Eckhardt Rodriguez 2019), bestätigt weitgehend die Befunde der internationalen Studien: Überwiegend werden Musikvideos aus einer männlichen Perspektive erzählt und spielen häufig in einer reinen Männerwelt, die Frauen nur als Beiwerk kennt, die durch Kleidung und Gesten sexualisiert sind; außerdem werden sie öfter in Kameraeinstellungen gezeigt, die sich auf entsprechende Körperteile (Gesäß, Brust) fokussieren. Auch wenn im Vergleich „die Hypersexualisierung der Frauenkörper in der US-amerikanischen Musikkultur sehr viel stärker präsent [ist] als in Deutschland“ (ebd., S. 2) – die weibliche Objektifizierung war in den über 300 untersuchten Videos aus den „Top 100“-Charts beider Länder von 2015 und 2016 allgegenwärtig.
Methodik
Für eine darüber hinausgehende Bestandsaufnahme zur Darstellung von Frauen in internationalen Musikvideos, die speziell die vermittelten Rollenbilder stärker einbezieht, wurde eine standardisierte Bildinhaltsanalyse von insgesamt 519 einzelnen Clips aus den Jahren 2008 (222) und 2018 (297) durchgeführt. Um die wenigen Einsichten aus anderen als der US-amerikanisch dominierten Musikszene zu vertiefen, wurden – neben den USA als Referenzregion – für jedes der beiden Jahre die „Top 50“ der regionalen Charts in Deutschland, Russland, China, Indien/Pakistan, Indonesien und Lateinamerika erhoben.2 Analyseeinheit war dabei nicht die jeweilige Frauenfigur, sondern eines von zwölf vordefinierten Rollenbildern (vgl. Abb. 1), da in den inhaltlich z.T. immer komplexer werdenden Narrativen der Videos oft dieselbe weibliche Person verschiedene Rollenbilder verkörperte. Ironische Brechungen dieser Rollenbilder wurden in den Narrativen so gut wie nie angetroffen und sind bei der Analyse zu vernachlässigen; vereinzelte Verletzungen etablierter Rollenbilder (vgl. Bechdolf 1999) wurden in die sinngemäß zutreffendste Kategorie eingeordnet.
Abb. 1: Weibliche Rollenbilder in Musikvideos 2008 – 2018 (Anteilswerte)
Die Auswertung beruht letztendlich auf insgesamt n = 1.137 codierten weiblichen Rollenbildern, für die außerdem u.a. jeweils der Kleidungsstil, der Figurtyp, der Grad des „ male gaze“ (Objektifizierung bzw. sexualisiertes Verhalten), Alter und Aggressions- bzw. Opferstatus (in Erweiterung des Kategoriensystems von Aubrey/Frisby 2011) festgehalten wurden. Hierfür entstand ein visuelles Codebuch mit Bildprototypen, denn die Codierung erfolgte rein auf der Bildebene durch zwölf Codiererinnen und Codierer aus sechs Sprachregionen, die jeweils eine zufällige Auswahl von Videos aus allen sieben Ursprungsregionen bearbeiteten.3
Ausgewählte Befunde
Bündige Antworten auf die oben formulierte Forschungsfrage sind Abb. 1 und Tab. 2 (Zeitvergleich) bzw. Tab. 1 und Abb. 2 (Regionenvergleich) zu entnehmen: Betrachtet man zunächst die aus der Forschungsliteratur abgeleiteten weiblichen Rollenbilder, so erscheinen die Unterschiede zwischen den Jahren 2008 und 2018 überraschend gering (Abb. 1). Die Verschiebungen bewegen sich im niedrigen Prozentbereich, und für das Auftreten „selbstbewusster und emanzipierter Frauen“ ergibt sich etwa ein Zuwachs von gerade 0,5 %. Ähnliche marginale Anstiege sind für weitere, eher selbstbestimmte Figuren wie die „Schönheit“ oder die „Verführerin“ zu verzeichnen, kaum messbare Reduktionen für die „aggressiven Kämpferinnen“ oder die „fürsorglichen Helferinnen“.
Tab. 1: Rollenbilder in Musikvideos unterschiedlicher Regionen
Nennenswerter erhöht sich hingegen der Anteil jener Rollenbilder, die einen deutlich antiemanzipatorischen Charakter aufweisen und im Sample überhaupt am häufigsten codiert wurden. Zuweilen mag man das Casting von „Frauen als Beiwerk oder Accessoire“ noch als genretypisch verbuchen – in Musikvideos tauchen Personen jedweden Geschlechts als Backgroundsängerinnen und -sänger, Tänzerinnen und Tänzer oder in Nebenrollen auf. Dennoch erstaunt der Anstieg der Rollen, die die Frau als passives Objekt der männlichen Begierde zeigen, gerade vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte doch sehr. Der Blick auf die Musikvideos, die in den verschiedenen regionalen Kulturkreisen produziert wurden (vgl. Tab. 1), belegt teilweise erhebliche Unterschiede in den Ländern zum US-amerikanisch dominierten Mainstream in der Unterhaltungsindustrie.
Tab. 2: Darstellung weiblicher Rollenbilder (Bildebene, in % der Rollenbilder pro Jahr)
Ähnlich lässt sich auch der Anteil sexualisiert-objektifizierender Darstellungen im Zeit- und Regionenvergleich ermitteln. Dem Trend entsprechend stiegen zwischen 2008 und 2018 die Anteilswerte in allen vier codierten Indikatoren z.T. deutlich an (vgl. Tab. 2): In fast einem Drittel aller Rollenbilder agierte die Frau mit einer offenkundig erotischen Ausstrahlung („sexiness“; vgl. Menninghaus u.a. 2019), die Kamera fing in etwa einem Fünftel der Fälle Körperteile in Nahaufnahme mit einem „male gaze“ ein, und eine Objektifizierung der jeweiligen Frau (Karsay u.a. 2018) war immer noch bei etwa jeder sechsten Rolle anzutreffen. Ein stabiler Anteil tritt dabei leicht bekleidet auf, d.h. in Unterwäsche, Bikini oder (selten) nackt. Diese Merkmale sind aber zwischen den regionalen Musikkulturen nicht gleich verteilt – Videos aus Lateinamerika stellen Frauen besonders sexualisiert-objektifizierend dar, während dies in chinesischen und indonesischen Clips eine große Ausnahme bildet. Möglicherweise hat sich hier der Einfluss der globalisierten Musikbranche noch nicht auf die kulturell anders geprägten regionalen Videostile ausgewirkt. Die Anteile in Deutschland und Russland entsprechen in etwa den genannten Durchschnittswerten, in den USA sind die Werte immer noch leicht erhöht (vgl. Abb. 2). Unter den in den nationalen Charts vertretenen Musikgenres sind es erwartungsgemäß der Rap und der besonders in Lateinamerika beliebte Reggaeton, die sich durch einen „male gaze“ in den zugehörigen Videos auszeichnen.
Abb. 2: Anteil sexualisierter Darstellungen nach Regionen
Fazit
Frauen sind in der globalen Musikindustrie deutlich unterrepräsentiert, wie jüngst eine Analyse der Herstellungsbedingungen von „Top 100-Billboard“-Hits in den USA zeigte: Zwischen 2012 und 2017 bewegte sich der Anteil von Künstlerinnen, insbesondere aber Produzentinnen und Songwriterinnen auf einem konstant niedrigen Niveau, das sich auch in den letzten Jahren kaum verändert hat (vgl. Smith u.a. 2018). Auch wenn solche Zahlen für andere Länder nicht verfügbar sind, legt dies zumindest die Annahme nahe, dass in der Musikwirtschaft generell männliche Verantwortliche dominieren. Vielleicht lässt sich damit erklären, dass in unserer Analyse von Musikvideos zu den „Top 50-Chart“-Hits in sieben unterschiedlichen Weltregionen keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass sich die Darstellung weiblicher Rollenbilder anlässlich der #MeToo-Debatte grundlegend verändert hätte: Frauen besitzen möglicherweise zu wenig Einfluss in der Branche, um einen Wandel in der Entwicklung von musikalischen Produkten nachhaltig anstoßen zu können. Insbesondere gilt dies hinsichtlich der nach wie vor weitverbreiteten Präsentation von Frauen als passive Objekte männlicher Begierde – und obwohl selbstverständlich zugestanden werden muss, dass auch männliche Verantwortliche geschlechtergerechte Videos produzieren können, ist nach unseren Daten der klassische „male gaze“ immer noch weitverbreitet.
Einschränkend sei angemerkt, dass die standardisierte Untersuchung der Musikvideos ausschließlich auf der Bildebene mögliche gegenläufige Tendenzen in deren Text und Subtext nicht berücksichtigen kann; eine solche Vertiefung war hier durch das internationale Codiererteam nicht zu leisten. Auch weiter gehende narrative Bezüge zur regionalspezifischen Populärkultur, musikwissenschaftliche Hintergründe oder Spezifika von Musikvideos (im Vergleich zu anderen Ausdrucksformen audiovisueller Kultur) standen nicht im Fokus der vorliegenden Untersuchung, die sich auf die generellen Trends in der Visualisierung weiblicher Rollenbilder konzentriert. Entsprechende Befunde müssten in vermutlich eher qualitativen Erhebungen nachgetragen werden. Auch kann der vorliegende aggregierte Vergleich zwischen zwei Messzeitpunkten keine kurvilinearen Zusammenhänge aufdecken – möglicherweise ist der aktuelle Stand von 2018 sogar bereits Ausdruck eines Rückgangs nach einem zuvor weitaus stärkeren Anstieg bis 2017. Außerdem erlaubt die Studie keinen Vergleich mit männlichen Rollenbildern, weil sie nur weibliche Figuren in den Videoclips erfasste.
Dennoch geben die Daten zweifellos Anlass, die Frage nach der #ThemToo-Verantwortung der Musikvideobranche gerade gegenüber ihrer jugendlich geprägten Zielgruppe deutlich zu formulieren. Zwar ist es schwierig, hier einen konkreten Handlungsbedarf zu definieren, zumal dessen Adressaten nicht einfach zu bestimmen sind und bislang nur erste Hinweise zu möglichen Auswirkungen der Zerrbilder von Frauen in Musikvideos auf männliche Nutzer vorliegen (vgl. Aubrey u.a. 2011; Kistler/Lee 2009). Erst kürzlich gaben allerdings in einem repräsentativen Sample von 13- bis 19-jährigen Jugendlichen in Deutschland 75 % der Mädchen an, sie wollten so aussehen wie die in Videos gezeigten Sängerinnen, und 74 % der Jungen möchten gerne eine Freundin haben, die so aussieht – die hypersexualisierten Frauenbilder (die von den Befragten oft als ein Indiz für Stärke der Protagonistinnen gedeutet werden) üben also anscheinend durchaus eine Vorbildfunktion aus (vgl. Götz/Eckhardt Rodriguez 2019).
Tatsächlich scheinen frauenverachtende Darstellungen essenziell für einen gewissen Habitus und den damit verbundenen Lebensstil, den die Musikvideos zelebrieren – und ebenso wenig wie andere Produkte der Unterhaltungsindustrie sind diese verpflichtet, gesellschaftliche Wirklichkeiten realitätsnah zu dokumentieren oder sich für sozialen Wandel zu engagieren. Festzuhalten bleibt gleichwohl, dass die #MeToo-Debatte bislang anscheinend weitgehend spurlos an den Produkten einer Branche vorbeigegangen ist, von der man eigentlich eine gewisse Sensibilität gegenüber diesem Phänomen erwarten müsste.
Anmerkungen:
1) Charan, A.: #MeToo: Is it enough? Or is it now time for #ThemToo?. In: The Beauty Gipsy, 2018. Abrufbar unter: https://thebeautygypsy.com/
2) Da die in den jeweiligen Ländern produzierten Musikvideos immer auch in Nachbarstaaten mit sprachlicher Nähe konsumiert werden, ist im Beitrag jeweils von Regionen rund um die einzelnen Länder die Rede. Die Differenz in der Fallzahl zu nmax = 7 Regionen * 2 Zeitpunkte * 50 Videos = 700 ergibt sich aus der Tatsache, dass nicht zu allen Chart-Hits Videos existierten bzw. insbesondere die aus dem Jahr 2008 nicht mehr online verfügbar waren. 2018 berücksichtigen die Charts auch Download- und Streamingabrufe.
3) Als Kontexteinheit bei Codierproblemen konnte ausnahmsweise die Textebene herangezogen werden, für die dann muttersprachliche Codierer bei Nachfragen zur Verfügung standen. Die berechneten Übereinstimmungswerte (Holsti) betrugen für die Identifikationsreliabilität der Rollenbilder .92, für die Intercoderreliabilität .87 bis 1.00 bei den formalen Variablen auf der Ebene des Videos und .74 bis .88 bei den inhaltlichen Variablen pro Rollenbild.
Literatur:
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Aubrey, J. S./Frisby, C. M.: Sexual Objectification in Music Videos: A Content Analysis Comparing Gender and Genre. In: Mass Communication and Society, 4/2011/14, S. 475 – 501
Aubrey, J. S./Hopper, K. M./Mbure, W.: Check That Body! The Effects of Sexually Objectifying Music Videos on College Men’s Sexual Beliefs. In: Journal of Broadcasting & Electronic Media, 3/2011/55, S. 360 – 379
Bechdolf, U.: Verhandlungssache ‘Geschlecht’: Eine Fallstudie zur kulturellen Herstellung von Differenz bei der Rezeption von Musikvideos. In: A. Hepp/R. Winter (Hrsg.): Kultur – Medien – Macht. Wiesbaden 1999, S. 213 – 226
Conrad, K./Dixon, T./Zhang, Y.: Controversial Rap Themes, Gender Portrayals and Skin Tone Distortion: A Content Analysis of Rap Music Videos. In: Journal of Broadcasting & Electronic Media, 1/2009/53, S. 134 – 156
Dibben, N.: Representations of femininity in popular music. In: Popular Music, 3/1999/18, S. 331 – 355
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