Transmedialität

Gerd Hallenberger

Dr. habil. Gerd Hallenberger ist freiberuflicher Medienwissenschaftler.

Intermedialität, Crossmedialität, Transmedialität. Dr. Gerd Hallenberger bringt Licht ins Dunkel der verschiedenen „Medialitäten“.

Printausgabe tv diskurs: 23. Jg., 1/2019 (Ausgabe 87), S. 60-61

Vollständiger Beitrag als:

Wer nicht gerade beruflich mit neueren Medienentwicklungen zu tun hat, kann sich leicht von der Fülle der Präfix-„Medialitäten“ erschlagen fühlen, von denen oft die Rede ist. Neben der Intermedialität gibt es heute auch noch Cross- und Transmedialität, selbst Intramediales wird erörtert. Die Abgrenzung kann mangels unbestrittener und eindeutiger Definitionen auch Profis vor Probleme stellen: Was dem einen noch als Intermedialität erscheint, sieht die andere bereits als Crossmedialität, die der Dritte wiederum bloß für eine Variante von Transmedialität hält. Mittelfristig könnte sich der Begriffswirrwarr dadurch vermindern, dass „Transmedialität“ derzeit zu einer Art Oberbegriff zu werden scheint.

In allen Fällen geht es darum, dass Medien nicht für sich allein stehen, sondern in Beziehung zu anderen – selbst der Begriff der Intramedialität, der Verhältnisse in den Grenzen eines einzelnen Mediums meint, wird erst sinnvoll, wenn es daneben andere gibt. Die Notwendigkeit der Unterscheidung mehrerer Beziehungsformen hat eine logische Ursache: Medienkonvergenz. Wenn sich Medien einander annähern, dann ändern sich ältere Medienbeziehungen, und diese Änderungen sind bedeutsam.

Bei den meisten Verwendungsweisen des Begriffs „Transmedialität“ bietet sich zum besseren Verständnis ein Vergleich mit einem ganz anderen „Trans“ an, dem „Trans-Europ-Express“ der Bahn. Der TEE verkehrte ab 1957 und überschritt Ländergrenzen, musste aber keine bestimmten einzelnen Länder anfahren. Transmediale Angebote sind ebenfalls auf kein bestimmtes einzelnes Medium angewiesen, sondern nur auf technische Verbreitungsmedien an sich. Transmediales „reist“ durch Medien, tut dies heute aber auf andere Weise als früher.

Im Prinzip ist Transmedialität ein Phänomen, das die Mediengeschichte von Anfang an begleitet hat: Worüber erzählt wurde, das wurde oft auch besungen, auf die Bühne gebracht und aufgeschrieben. Mit der Entstehung technischer Verbreitungsmedien, von Medienpublikum und Medienmarkt, begann eine Systematisierung solcher Prozesse – und dank ihrer technischen Grundierung konnten sie auch besser verfolgt werden als früher. Bis heute bieten große Bibliotheken beispielsweise die Möglichkeit, die Herausbildung und Entwicklung populärer Erzählformen nachzuvollziehen. So tauchten Vorformen heutiger fiktionaler Genres erstmals in Printerzeugnissen des 19. Jahrhunderts auf, als Fortsetzungsromane in Publikumszeitschriften, als Groschen- oder Kolportageromane. Im Erfolgsfall wurden sie später als Bücher wiederveröffentlicht und wegen ihres nachgewiesenen kommerziellen Potenzials auf die Reise durch weitere, neuere Medien geschickt – das Buch wurde verfilmt, Vorlage für ein Hörspiel, vielleicht sogar zu einem Comic oder noch später Stoff für das Fernsehen oder ein Videospiel. Was für einzelne Texte gilt, gilt ebenfalls für ganze Genres: Krimi, Western, Science-Fiction und Melodram reisten ebenfalls durch alle jeweils zeitgenössisch verfügbaren Medien, veränderten sich mit der Zeit, dem kulturellen Umfeld und mit den Möglichkeiten, die das betreffende Medium bot.

All dies steht für eine ältere Form von Transmedialität, nämlich der Transmedialität vor der Zeit der Medienkonvergenz. Typisch dafür ist, dass jedes einzelne Artefakt als im Prinzip autonome Einheit wahrgenommen wurde. Natürlich basierte etwa der Film zum Buch auf dem betreffenden Buch und das Buch zum Film auf dem entsprechenden Film, aber beides blieb ein Medienangebot für sich. Die Beziehungen zwischen Film und Buch bieten zwar reichlich Anlass für intermediale Reflexion und gerne auch für Debatten darüber, ob im konkreten Fall das Buch als Buch besser ist als der Film als Film, aber beides ergänzt sich nicht zu einem Dritten. Da bekanntlich ein Buch logischerweise nicht „verfilmt“ werden kann (ein Buch ist ein Buch und ein Film ein Film) und ein Roman immer mehr Stoff enthält als ein Film üblicher Länge, stellt jede Romanverfilmung lediglich das Ergebnis von Selektion und Interpretation dar – der Film verändert den Roman nicht, auch nicht seine Lektüre.

Dank Medienkonvergenz haben wir heute jedoch eine neue Form von Transmedialität, die vor allem durch Transmedia Storytelling bekannt geworden ist. Vorläufer gab es zwar auch schon in vordigitalen Zeiten, aber was damals Einzelfall war, ist nun System. Der Kerngedanke des Systems ist letztlich ganz einfach: Das Ganze ist mehr als die Summe der einzelmedialen Teile. Mit jedem zusätzlich verwendeten Medium kommen nicht nur weitere Geschichten zu einer Kerngeschichte hinzu, sondern unsere Möglichkeiten, mit diesen Geschichten umzugehen, verändern sich qualitativ. Transmedia Storytelling bedeutet nicht, Geschichten in mehreren Medien zu erzählen, sondern die Möglichkeiten jedes Mediums für eigene (Teil-) Geschichten – vielleicht sogar für ein je eigenes Publikum konzipiert – zu nutzen, um eine komplexe „Metageschichte“ zu schaffen. Und alle Teilgeschichten sind gleichrangig.

Anhand dieses Punktes lässt sich auch – nach gängiger Interpretation – die Differenz zwischen Trans- und Crossmedialität veranschaulichen: Crossmediale Strategien wollen den gleichen journalistischen oder werblichen Content effektiv über verschiedene Medien streuen, transmediale Strategien für unterschiedliche Medien unterschiedlichen Content hervorbringen, der sich zu einem virtuellen Gesamtprodukt fügt.

Transmediales Storytelling weiß, dass die immersive Qualität eines Kinoerlebnisses unübertroffen bleibt, serielles Fernsehen dagegen komplexere Geschichten und Personenentwicklung ermöglicht und Games am besten dazu geeignet sind, unbekannte Welten entdeckend kennenzulernen. Erst das Zusammenspiel ermöglicht ein ganzheitliches Erlebnis. Der besondere Reiz liegt genau hier: Es geht nicht in erster Linie um Heldinnen und Helden, um Geschichten, sondern darum, sich nach eigenen Vorstellungen eine aus vielen Puzzleteilen zusammengesetzte fiktionale Welt zu erschließen, die im Prinzip kein Ende kennt und nie auserzählt ist: Transmediales Erzählen schafft einen Erlebnisraum eigener Qualität.