Verdachtsjournalismus 1: Fortsetzung

Schönbohm, Böhmermann, das ZDF und Nancy Faeser als Medienereignis

In seiner Sendung vom 7. Oktober 2022 erhob Jan Böhmermann schwere Vorwürfe gegen Arne Schönbohm, den damaligen Chef des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Er arbeite mit Betrieben und Vereinen zusammen, die mit Putin in Verbindung gebracht werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser versetzte ihn kurze Zeit später in eine andere Behörde. Gegen die Vorwürfe wehrt Schönbohm sich nun, die Innenministerin gerät zunehmend in Schwierigkeiten, und jetzt meldet sich Böhmermann zu Wort.

Online seit 12.09.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/verdachtsjournalismus-1-fortsetzung-beitrag-1122/

 

 

Wie bereits berichtet, hat der Anwalt Schönbohms beim ZDF einen Antrag auf Unterlassung der Behauptung beantragt, Schönbohm stünde mit russischen Firmen oder Vereinen in Verbindung, und für den dadurch entstandenen Reputationsverlust eine Entschädigung von 100.000 € gefordert (vgl. Gottberg 2023). Auch gegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser geht er vor (vgl. ebd.). Der Streit zwischen Schönbohm, Faeser und Böhmermann scheint nun zu eskalieren, auch die CDU gießt fleißig Öl ins Feuer. An nachvollziehbaren Fakten oder Argumenten fehlt es allerdings bisher.

Die Ministerin hat sich am 7. September 2023 zum zweiten Mal einer Befragung durch den Innenausschuss des Bundestages entzogen. Die Absage wurde von der Union heftig kritisiert, der nun wiederum vorgeworfen wird, den Streit für den hessischen Wahlkampf zu instrumentalisieren. Faeser tritt am 8. Oktober 2023 als Spitzenkandidatin der SPD zur Wahl in Hessen an. Der Streit um die Versetzung Schönbohms kommt für sie also recht ungelegen.
 

Böhmermann bleibt bei seiner Darstellung

Jetzt äußert sich Jan Böhmermann in den sozialen Netzwerken: „Ein paar abschließende Anmerkungen zu unserer ‚Cyberclown‘-Sendung vom 7.10.2022: Die @zdfmagazin Redaktion bleibt weiterhin bei ihrer Meinung, dass die scharfe Kritik am ehemaligen BSI-Chef angemessen war und ist. Es gab und gibt begründete Zweifel an Kompetenz und Urteilsvermögen von Herrn Schönbohm, einem hohen, für wichtige Sicherheitsfragen verantwortlichen Bundesbeamten. Auch andere Medien und Expert*innen haben diese Bedenken vor uns geäußert.“ (Böhmermann 2023) Neue Erkenntnisse oder Argumente bleibt Böhmermann aber schuldig.
 

Faeser: gestörtes Vertrauen

Nancy Faeser und mit ihr das Bundesinnenministerium rechtfertigen die Entlassung und Versetzung Schönbohms mit einem gestörten Vertrauensverhältnis. Ein kürzlich aufgetauchtes Papier des Ministeriums vom 8. Oktober 2022, aus dem die dpa einige Ausschnitte veröffentlicht hat, benennt etliche Problemfelder. Merkur.de fasst zusammen: „Das Ministerium verweist darin ‚auf Vorwürfe hinsichtlich zu enger Kontakte zu russischen Kreisen und Firmen‘, die in der Fernsehsendung und im Nachgang in diversen Medienberichten laut wurden. ‚Unabhängig davon, wie stichhaltig diese sind und ob diese sich im Ergebnis als zutreffend erweisen werden, ist in der öffentlichen Meinung ein Vertrauensverlust eingetreten, der eine weitere Amtsführung unmöglich macht und die Aufgabenerfüllung des BSI in den Augen der Öffentlichkeit erheblich beeinträchtigt‘, heißt es weiter. Das Ministerium nannte sechs weitere Punkte, bei denen ‚Unzulänglichkeiten‘ das Vertrauen ‚irreparabel erschüttert‘ hätten – darunter ‚mangelnde politische Sensibilität‘, ‚ausufernde Pressearbeit‘ und ‚unzureichende Kooperation mit der Fachaufsicht‘“. (Hyun 2023)
 

Böhmermann-Sendung war nicht ausschlaggebend

Faeser bemüht sich, die Abberufung Schönbohms nun nicht mehr mit den Vorwürfen aus der Böhmermann-Sendung zu begründen: „Im Interview mit Bild hatte Faeser auf Nachfrage behauptet, die Ablösung habe nichts mit der Böhmermann-Story zu tun gehabt. ‚Nein, es ging um Vertrauen. Die Cybersicherheit ist so wichtig, dass hier keine Zweifel bestehen dürfen‘, so Faeser.“ (Ebd.) Fragwürdig ist allerdings, dass Faeser die Recherche des eigenen Ministeriums zu Schönbohms Verwicklungen, in der sich alle Vorwürfe als nichtig erwiesen hatten, scheinbar nicht akzeptierte. Dies geht aus einem internen Vermerk eines hohen Beamten des Ministeriums hervor: „Sie […] war sichtlich unzufrieden. Sie fand Dinge, die wir ihr zugeliefert haben, zu ‚dünn‘ – wir sollten nochmals (das) Bundesamt für Verfassungsschutz abfragen und alle Geheimunterlagen zusammentragen.“ (Brodbeck 2023)
 

CDU fordert Aufklärung

Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der CDU, fordert Aufklärung: „Das war ein klarer Arbeitsauftrag und wir wissen nicht, was dann danach genau passiert ist. Und deswegen nährt das den Verdacht, dass sie durchaus gewillt war, auch den Verfassungsschutz für die Frage gegenüber Herrn Schönbohm zu instrumentalisieren.” Faeser widerspricht in der gleichen Sendung: „Manchmal kriege ich Informationen, die reichen mir nicht aus, und dann sage ich, ich möchte den kompletten Vermerk sehen. Das ist ein ganz normaler Vorgang, das mache ich tagtäglich und das hat mit dem Verfassungsschutz nichts zu tun. Und ich will es auch noch einmal ausräumen: Selbstverständlich benutze ich nicht den Verfassungsschutz zur Abfrage über Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das wäre grob rechtswidrig. Und im Übrigen will ich einmal für die Behörde sagen, das würden die auch nie mit sich machen lassen.“ (Ebd.)
 

Schönbohm stand schon vorher unter Beobachtung

Es scheint so, dass Faeser Schönbohm schon vor der Böhmermann-Sendung loswerden wollte. Golem.de berichtet: „Das Bundesinnenministerium hat offenbar schon im Laufe des Jahres 2022 Material gegen den damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, gesammelt. ‚Uns liegt in der Tat eine E-Mail einer Ministeriumsmitarbeiterin vom 10. Juni 2022 vor, aus der sich ergibt, dass schon seinerzeit eine Liste mit angeblichen Verfehlungen unseres Mandanten erstellt worden war‘, teilte Schönbohms Anwalt Christian Winterhoff am 11. September 2023 auf Anfrage von Golem.de mit. Er bestätigte damit Medienberichte, wonach das Bundesinnenministerium bereits im Laufe des Jahres 2022 ein Dossier über Schönbohm erstellt haben soll.“ (Greis 2023) In Berlin direkt konkretisierte Winterhoff seinen Vorwurf: „Das Ganze ist insofern pikant, als Herr Schönbohm nie Gelegenheit hatte, sich zu diesen Vorwürfen zu äußern.“ (Brodbeck 2023)  

Quellen:

Böhmermann, J.: Beitrag in Mastodon, 10.09.2023. Abrufbar unter edi.social (letzter Zugriff: 11.09.2023)

Brodbeck, K.: Nancy Faeser und der Fall Schönbohm. In: Berlin direkt, 10.09.2023. Abrufbar unter www.zdf.de (letzter Zugriff: 11.09.2023)

Gottberg, J. v.: Verdachtsjournalismus 1: Arne Schönbohm will Schmerzensgeld vom ZDF wegen Böhmermann-Vorwürfen. In: mediendiskurs.online, 04.09.2023. Abrufbar unter mediendiskurs.online (letzter Zugriff: 11.09.2023)

Greis, F.: Böhmermann-Sendung. Ministerium sammelte schon länger Material gegen Schönbohm. In: Golem.de, 11.09.2023. Abrufbar unter www.golem.de (letzter Zugriff: 11.09.2023)

Hyun, B.: Faeser wieder in Bedrängnis? Internes Dokument wirft Fragen zum Fall Schönbohm auf. In: Merkur.de, 10.09.2023. Abrufbar unter www.merkur.de (letzter Zugriff: 11.09.2023)