Vorhang zu, viele Fragen offen

Claudia Mikat

Claudia Mikat ist Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

Claudia Mikat, Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), über das Zweite Gesetz zur Änderung des Jugendschutzgesetzes, das am 1. Mai 2021 in Kraft treten soll.

Printausgabe tv diskurs: 25. Jg., 2/2021 (Ausgabe 96), S. 1-1

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Immerhin herrscht jetzt Klarheit: Das Zweite Gesetz zur Änderung des Jugendschutzgesetzes hat am 26. März 2021 mit der Zustimmung des Bundesrates die letzte parlamentarische Hürde genommen und soll am 1. Mai 2021 in Kraft treten. Die Neuerungen des Gesetzestextes wurden im Vorfeld von vehementer Zustimmung, aber auch von harscher Kritik begleitet. Während die Verbände, die Kindeswohl und Kinderrechte im Blick haben, die Aufnahme von Interaktionsrisiken, das Konzept der Anbietervorsorge und die Stärkung von Kinderrechten begrüßten, fokussierten sich Anbieter und Selbstkontrollen auf Ungereimtheiten und äußerten Zweifel am gewünschten Effekt und der Durchsetzbarkeit von Maßnahmen.

So sollen Filme und Spiele zukünftig auch auf Internetplattformen mit Alterskennzeichen versehen werden, zusätzlich sollen Inhaltedeskriptoren über die Inhalts- und Interaktionsrisiken informieren. Das gilt aber nicht für alle. Ausgenommen sind neben kleinen Plattformen auch die öffentlich-rechtlichen Mediatheken. Mit Jugendschutzargumenten lässt sich das nicht begründen, schließlich ist das Wirkungsrisiko eines Films auf der einen Plattform so hoch wie auf der anderen. Koproduktionen von Streamingdiensten, privaten und öffentlich-rechtlichen Anbietern werden immer mehr zur Regel. In Zukunft muss Babylon Berlin, gemeinsam von ARD Degeto und Sky produziert, auf Sky‑Q mit Alterskennzeichen und Piktogrammen gekennzeichnet sein, in der ARD-Mediathek dagegen nicht. Wie will man das den Zuschauerinnen und Zuschauern vermitteln?

Darüber hinaus sind weitere Fragen offen: Wird es gelingen, die von Kindern und Jugendlichen stark genutzten Plattformen wie Instagram und Facebook, YouTube und WhatsApp, Netflix oder Amazon Prime zu integrieren? Die Unternehmen haben ihren Sitz in einem anderen EU‑Mitgliedstaat und könnten sich mit Verweis auf das Herkunftslandprinzip den Kennzeichnungspflichten und Vorsorgemaßnahmen entziehen. Ist die (partielle) Kennzeichnungspflicht am Ende kontraproduktiv, weil sie ein Overblocking begünstigt? Wenn massenhaft auch harmlose Inhalte altersdifferenziert zu bewerten sind und aus Zeitdruck oder automatisiert mit „12“ gekennzeichnet würden, wäre das für den Jugendschutz ein Bärendienst. Und warum gibt es keine Übergangsfristen, wenn die wesentlichen Voraussetzungen für eine Umsetzung der neuen Regelungen – eine funktionierende Bundeszentrale, abgestimmte Kennzeichen, Rahmenbedingungen für die Zertifizierung von Jugendschutzbeauftragten – noch gar nicht gegeben sind?

Vor allem aber stellt sich die Frage, warum der Appell, eine gemeinsame Lösung von Bund und Ländern zu finden, kein Gehör fand. Schließlich bleibt der Rundfunk in der Zuständigkeit der Länder, sodass kohärente Regelungen für alle Medien nur gemeinsam und durch Verzahnung von Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und Jugendschutzgesetz gelingen können. Dass es an den Schnittstellen zwischen diesen Regelwerken noch gewaltig knirscht, ist kein Geheimnis. Ein vermeintlich „einheitlicher“ Medienbegriff, der verfassungsgemäß aber gar nicht alle Medien umfassen kann, wird dieses Problem nicht lösen.

Das Gesetz ist gut gemeint und legt die Finger in die richtigen Wunden. Die eigentliche Aufgabe steht aber noch bevor: die stringente Umsetzung. Kohärente und praxistaugliche Regelungen müssen erst noch gefunden werden. Es ist deshalb auch richtig, dass der Bundesrat dazu auffordert, den konstruktiven Dialog über die Weiterentwicklung des Gesetzes fortzuführen. Trotz aller Skepsis: Wir werden dazu beitragen, dass dies im Sinne des Jugendschutzes gelingt.

Ihre
Claudia Mikat