Was wäre wenn …

„Die Zeitspringer“ ist eine filmische Zeitreise in die Vergangenheit des italienischen Vorkriegsfaschismus

Bernward Hoffmann

Dr. Bernward Hoffmann ist Professor em. für Medienpädagogik an der FH Münster im Fachbereich „Sozialwesen“ und Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF). Er publiziert zu Themen der allgemeinen Medienpädagogik, der (Kinder-)Filmarbeit, der praktischen Medienarbeit und des Jugendmedienschutzes.

Programm Die Zeitspringer
 Abenteuerfilm, IT 2022
SenderSky, ab 09.08.2023

Online seit 08.08.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/was-waere-wenn-beitrag-1124/

 

 

Die Zeitspringer kann man als Science-Fiction-Film einordnen, auch wenn die Zeitreise in die Vergangenheit geht. Denn es handelt sich um eine Zeitmaschine, die in der Gegenwart erfunden wurde, aber im faschistischen Italien des Jahres 1939 als Wunderwaffe verwendet werden soll. „Schon einmal einen italienischen Film gesehen, wo die die Welt retten? Der wär’ doch furchtbar, oder?“, fragt Flebo, der Sprücheklopfer unter den jugendlichen Protagonisten im Film. Dieser Zeitreisefilm ist unterhaltsam und kann für Jugendliche ab 12 Jahren auch Stoff zum Nachdenken abgeben.

Die ersten fünf Minuten bis zum Titelvorspann des Films beginnen mit düsteren Gewaltaktionen. Das erzeugt Spannung, da die Zuschauer diese Aktionen noch nicht einordnen können. Mit der eingeblendeten Jahreszahl 1939 und den Dialogen wird angedeutet, dass es um eine Auseinandersetzung zwischen Faschisten und Widerstandskämpfern im Italien der Vorkriesgszeit geht. Die einen suchen nach der Wunderwaffe, die dem Duce Mussolini helfen soll, die anderen wollen gerade das und den Faschismus überhaupt bekämpfen.

Nach dem Titelvorspann befinden wir uns in der Gegenwart. Die jungen Hauptprotagonisten Max (Matteo Schiavone), Beos Bruder, und seine Freunde Greta (Andrea Wlderk) und Flebo (Fabio Bizzarro) werden in einer jugendaffinen Kirmesszene eingeführt. Auf der Flucht nach einer illegalen Aktion mit einer Drohne landen sie im Labor des verschollenen Bruders Beo (Gianmarco Saurino). Der war als junger Quantenphysiker vor einem Jahr mit seiner Chefin spurlos verschwunden.

Die Jugendlichen setzen versehentlich die vermeintlich unfertige Zeitmaschine in Gang und landen in Italien im Jahr 1939. Die drei Teenager müssen sich im Rom der Vorkriegswirren zurechtfinden. Bald werden sie nicht nur von der Polizei, sondern von den faschistischen Schergen eines ominösen Generals verfolgt. Eine Widerstandsbrigade unter Führung der taffen Lena (Francesca Antonini) hilft ihnen. Gemeinsam wollen sie Beo und die von der korrupten Dottoressa neu entwickelte Zeitmaschine finden und deren Übergabe an Mussolini verhindern. Das bringt einige Verfolgungsjagden, Kampfszenen und Versteckspiele mit sich. „Retten wir die Welt und dann ab nach Hause“, mit solch lockeren Sprüchen kehren die drei Jugendlichen natürlich am Ende in die Gegenwart zurück.
 

Trailer Die Zeitspringer (Sky Cinema, 28.02.2023)



Der Film ist Unterhaltung und sicher kein Lehrstück. Aber er gibt historische Informationen und Einblicke. Kann man daraus etwas lernen oder ergeben sich eher verfälschende Bilder des Faschismus?

Die Teenager, auch die zuschauenden, erleben in Die Zeitspringer ein dunkles Kapitel der Weltgeschichte mit, das sie bis dahin allenfalls aus dem Unterricht kannten. „In dieser Zeit zu leben ist bestimmt nicht leicht“, meint Max. Und Flebo fragt: „Warum ist hier alles so normal, ich denke es herrscht Krieg?“ Greta erwidert: „Deshalb hattest du immer eine miese Note in Geschichte“ – denn der Film spielt noch im Vorkriegsjahr. An mehreren Stellen beendet ein Schlagwort weitere Dialoge: „nicht spoilern“, also keine Geheimnisse ausplaudern. Offene Fragen könnte man aber im Gespräch nach dem Film aufgreifen.

In dem gut 80 Jahre umfassenden Zeitsprung des Films werden Medien der Gegenwart in die Vergangenheit transportiert. Max bringt ein Handy mit leerem Akku wieder zum Laufen. Kann das funktionieren? Die Teenager erklären der Widerstandskämpferin Lena, was Videospiele sind: so etwas wie Filme, bei denen man die Charaktere kontrollieren kann; man hat mehrere Leben und kann das immer wieder neu spielen. „Dann sind die Videospiele bloß Blödsinn“, kommentiert Lena.

Flugblätter werden aus einem Flugzeug abgeworfen, eine Form massenmedialer Kommunikation in der Geschichte. Deren Text ist italienisch und die Schlagzeile wird als Untertitel eingeblendet: „Juden sind die Feinde des Vaterlandes“. Diese Information kann natürlich nur angereichert und verbunden für (jugendliche) Zuschauer zu Wissen werden.

Die Zeitspringer werfen die durchaus philosophische Frage auf: „Was wäre, wenn der Duce den Krieg gewonnen hätte?“ Oder allgemeiner: Was wäre, wenn man die Geschichte ändern könnte bzw. was ist überhaupt Geschichte – eine Zeitreise? Lena zieht diesen Vergleich: „Touristen reisen nur aus Langeweile. Wenn sie ein paar Fotos gemacht haben, fahren sie wieder nach Hause. Ihr seid aber die, die auf den Fotos sind. Ihr seid Reisende.“
 


Freigegeben ab …
 

Der Film wurde ab 12 Jahren freigegeben. Neben der Einleitungssequenz, die zwar düster ist, aber kaum eine nachhaltige Ängstigung bei Jugendlichen bewirken dürfte, gibt es einige Kampfszenen. Darin setzen sich die mutigen Teenager u. a. mit Unterstützung der antifaschistischen Kämpferin Lena und ihres Vaters gegen die faschistischen Schergen durch. Die Kampfszenen, einzelne Tötungsdarstellungen und im Fall der korrupten Dottoressa der Tod durch Verbrennen sind für Jugendliche ab 12 Jahren als choreografiertes Action- und Stuntspektakel zu entschlüsseln. So ist die brennende Gestalt nur schemenhaft zu sehen und einige duellartige Kampfszenen werden nur im Schattenriss gezeigt. Die Trennung der Charaktere in gute und böse ist nahezu plakativ gezeichnet. Das geht bis ins ironisch Lächerliche, wenn die bösen Schergen alle und jederzeit Gasmasken tragen, also gar nicht als menschliche Individuen zu erkennen sind. Nur der namenlose General hat ein Gesicht, aber dieses ist von Narben übersäht und fast zur Maske hin entstellt; für Jugendliche ist das eine filmische Charaktermaske ohne ängstigende Wirkung. Die jugendlichen Protagonisten als potenzielle Identifikationsfiguren sind an keiner Stelle wirklich gefährdet; sie werden geschützt, denn „sie sind unsere Zukunft“. Auch der Soundtrack mit aktueller Pop-Filmmusik lenkt die Wirkung in Richtung Actionspektakel.

Etwa in der Filmmitte gibt es eine schöne ironische Szene. Die Jugendlichen geraten auf der Flucht – „Überall Faschisten und wir bleiben mit dem Auto liegen“ – unfreiwillig auf die Bühne einer Musikvorführung vor Parteigenossen. Flebo stimmt einen Song aus der Serie Haus des Geldes an: „Bella Ciao“, eigentlich ein Lied aus dem italienischen Widerstand, das die Parteigenossen stumpf mitsingen. Der dabei gezeigte „Hitlergruß“ der Faschisten fällt in diesem Fall nicht unter das gesetzliche Verbot der Verwendung nationalsozialistischer Symbole; in dieser Szene ist das im fiktional historischen Rahmen des Films eindeutig ironisch negativ konnotiert.

„Man darf nicht die Vergangenheit ändern“, zitiert Max seinen Bruder Beo. Deshalb muss er in einer berührenden Abschiedsszene den Tod seines Bruders akzeptieren und kann ihn nicht zurück in die Gegenwart beamen. Und auch der Abschied in der jungen Beziehung zwischen Lena, die in der Geschichte zurückbleibt, und Greta, die in die Gegenwart zurückkehrt, ist bewegend. Beim Abschied stellen sie fest, dass beide dasselbe Amulett tragen. „Bitte sag mir, dass ich nicht deine Großmutter bin“, sagt Lena. Und Greta antwortet: „Nein! Das Halsband hat meiner Großmutter gehört, aber sie hat es von einer Partisanin bekommen“ – „nicht spoilern“!
 

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

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