Wer ARD sagt, muss auch BRD sagen

Warum eine Reform des öffentlich-rechtlichen Fernsehens am Beharrungsvermögen der Länder scheitern wird

Tilmann P. Gangloff

Tilmann P. Gangloff ist freiberuflicher Medienfachjournalist.

Wie steht es aktuell um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Nach der Entlassung der RBB-Intendantin Patricia Schlesinger stehen ARD, ZDF und Co. unter Druck, sich zu reformieren. Woran dies Scheitern wird und welche Rolle die Gremlins dabei einnehmen, erläutert Medienfachjournalist Tilmann P. Gangloff.

Online seit 10.02.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/wer-ard-sagt-muss-auch-brd-sagen-beitrag-772/

 

 

Jeder weiß es, keiner tut was: Eine Reform der ARD ist seit Jahren überfällig. Spätestens der Skandal rund um die im August 2022 fristlos entlassene RBB-Intendantin Patricia Schlesinger hat sämtlichen Beteiligten vor Augen geführt, dass es so nicht weitergehen kann. Dank der sogenannten Babyboomer, wie die Angehörigen der geburtenstarken Jahrgänge zwischen 1955 und 1969 genannt werden, können die beiden öffentlich-rechtlichen Hauptprogramme zwar auf einen nach wie vor regen Zuspruch des TV-Publikums verweisen – zumal das Zweite ohnehin seit Jahren unangefochtener Marktführer ist –, aber irgendwann werden die Babyboomer immer weniger, und dann haben ARD und ZDF ein echtes Problem. Die Baustellen sind allerdings schon jetzt offensichtlich.
 

Zu viele TV- und Radiosender

„Wer ARD sagt, muss auch BRD sagen", kalauerten einst die 68er; das Kürzel „BRD“ galt als Sprachgebrauch des Ostens und war im Westen verpönt. Der Spontispruch benennt ein grundsätzliches Hindernis auf dem Weg zu Reformen: Rundfunk ist in Deutschland Ländersache. Wenn sich etwas ändern soll, müssen alle 16 Landtage zustimmen, weshalb sich Modifizierungen des Rundfunkstaatsvertrags meist ewig hingezogen haben. Wer zum Beispiel auf die Idee kommen sollte, die Anzahl der neun ARD-Sender oder der dritten Programme zu verringern, sieht sich mit einem „Gordischen Knoten“ konfrontiert, wie es der Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger formuliert:

Keine Landesregierung wird auf ihr ‚Drittes' verzichten, denn das ist für die meisten die einzige TV-Bühne.“

Er schlägt daher eine Alternative vor: „Es gibt ein drittes Programm für alle, aber mit abendlichen regionalen Fenstern von 19 bis 23 Uhr; tagsüber zeigen die Sender ohnehin überwiegend Wiederholungen.“ Der aktuelle ARD-Vorsitzende, SWR-Intendant Kai Gniffke, möchte lieber den digitalen TV-Sender One einstellen, was vermutlich kaum jemand merken würde. Eine Reduzierung der Hörfunkprogramme wäre hingegen ungleich schwieriger und würde in den betroffenen Sendegebieten umgehend einen Aufschrei nach sich ziehen; dabei äußert sich der journalistische Regionalbezug etwa der Popwelle SWR3 (täglich über 3,3 Millionen Hörerinnen und Hörer) im Grunde nur in den Regionalnachrichten einmal pro Stunde.
 

Die ARD finanziert unter anderem 64 Hörfunkprogramme, 12 Orchester sowie weit über 20.000 Festangestellte. Außerdem betreibt sie neben dem „Ersten" sieben dritte Programme, Tagesschau24, den Bildungskanal ARD alpha und den Wiederholungskanal One; das ZDF verantwortet neben dem „Zweiten" auch ZDFinfo und das ebenfalls vor allem aus Wiederholungen bestehende Neo. 3sat, Phoenix und den Kinderkanal finanzieren beide gemeinsam, Arte zusammen mit France Télévisions und dem französischen Staat. 

 

Die Gremien-Gremlins

Gremlins ist der Titel einer fast 30 Jahre alten Horrorkomödie über kuscheltierkleine Monster, die alles zerstören, was ihnen in die Klauen kommt. Als 2007 ein Wechsel Günther Jauchs zur ARD scheiterte, sprach der Moderator anschließend von „Gremien voller Gremlins". Seither taucht der Begriff immer wieder auf, wenn sich kreative Köpfe über die ARD ärgern. Kürzlich schilderte der Komödiant Kurt Krömer im Interview mit dem „Spiegel“, warum die Zusammenarbeit mit dem Senderverbund so schwierig sei:

Niemand will ein Risiko eingehen, der Apparat ist zu groß, in den Gremien sitzen Gremlins. Es ist eben eine Behörde.“

Die Mitglieder dieser Gremien sind größtenteils Vertreter der Politik. Von Rundfunk, kritisiert Joachim von Gottberg, bis 2018 Geschäftsführer der von den Privatsendern finanzierten Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und zuletzt Professor für Medienwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hätten sie keine Ahnung: „Sie besitzen eine reine Symbolfunktion und folgen ohnehin meist den Intendantinnen und Intendanten.“ Der Wissensstand dieser Leute, ergänzt der Medienpublizist Lutz Hachmeister, „entspricht dem des ganz normalen TV-Publikums.“ Das erklärt auch ihr Versagen im Fall Schlesinger. Der Leiter des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik plädiert daher dringend dafür, die Gremien auszulagern, zu professionalisieren und vor allem ihre Zusammensetzung zu ändern. Das wiederum würde den Einfluss der Politik erheblich schmälern, weshalb Hallenberger das Ansinnen für nicht realisierbar hält. Wer einen Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen; aber in diesem Fall haben die Frösche das Sagen.
 

Das Programm

Zu viele Krimis und zu viel Sport im Ersten, zu viel Ausflugsfernsehen und zu viele Kochsendungen in den Dritten: Allen kann man es nie recht machen, weshalb Gottberg das Angebot „im Großen und Ganzen eigentlich ganz in Ordnung“ findet. Trotzdem fordert Hallenberger, eine Reform müsse das Programm in den Mittelpunkt stellen:

Viele ARD-Sender sind derart mit sich selbst beschäftigt, dass sie gar keine Zeit haben, sie auch noch um die Qualität ihrer Sendungen zu kümmern.“

Die ist in der Spitze unbestritten hoch, wie nicht zuletzt die regelmäßigen Auszeichnungen beim Grimme-Preis belegen. Trotzdem taucht immer wieder die Frage auf, ob sich ARD und ZDF nicht auf die Bereiche Information, Bildung und Kultur konzentrieren sollten, das sei doch ihr eigentlicher Auftrag. Hinter der Diskussion stecken nicht zuletzt die Privatsender, die im Fall eines Unterhaltungsmonopols natürlich größere Zuschauer*innenzahlen hätten. Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat allerdings bereits 1986 entschieden (und später nochmals bestätigt), dass auch Unterhaltung Teil der öffentlich-rechtlichen Grundversorgung sei. Hachmeister, einst Direktor des Grimme-Instituts, gibt dennoch die Maxime aus, dass die Beitragsmittel in erster Linie für den eigentlichen Geschäftszweck verwendet werden sollten, also die Produktion von Filmen, Serien, Dokumentationen und Reportagen. Dafür seien entsprechende Vorgaben und Regularien zu entwickeln. In den Anstalten säßen jedoch „zu viele Leute, die es offenbar als ihre oberste Pflicht betrachten, Projekte zu verhindern“. Deshalb empfiehlt er, dass ein Teil des Rundfunkbeitrags in einen Fonds oder eine Stiftung fließen soll, mit deren Hilfe zum Beispiel schwierig zu finanzierende Projekte unterstützt werden könnten. Generell sei der Wettbewerb im öffentlich-rechtlichen System zu erhöhen, um es auch international konkurrenzfähig zu halten.
 

Jung, divers & mega Programm: der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ZDF MAGAZIN ROYALE, 04.11.2022)



Die Gehälter

„Salary-Cap", frei übersetzt Höchstlohn, ist ein Begriff aus den nordamerikanischen Profiligen. Die Gehaltsobergrenze soll gewährleisten, dass auch die weniger gut betuchten Clubs mit den reichen Teams mithalten können. Als ersten Reformschritt überhaupt, fordert Hallenberger, sollte auch die ARD ein „Salary-Cap“ einführen:

Es ist nicht einzusehen, dass einzelne Intendanten mehr verdienen als der Bundeskanzler.“

Die ARD begründet die außertarifliche Vergütung der Führungskräfte mit der Herausforderung, die sie zu bewältigen hätten: „Wer eine der Landesrundfunkanstalten der ARD leitet, trägt sehr viel Verantwortung: für das Programm, für bis zu 4.000 feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und teilweise mehrere Standorte im Sendegebiet sowie im Ausland.“ Die Höhe der Vergütungen orientiert sich an der Größe des jeweiligen Senders; Tom Buhrow :(WDR) verdient als Chef des größten ARD-Senders mit über 400.000 Euro am meisten. Fairerweise muss allerdings angemerkt werden, dass die Geschäftsführer großer Privatsender wie RTL oder ProSieben deutlich höhere Gehälter beziehen.
 

Die Mediatheken

2007 war das Geburtsjahr einer neuen Ära. Zehn Jahre zuvor hatte Netflix mit dem Postversand von DVDs für das schleichende Sterben der Videotheken gesorgt, nun bot es diesen Service übers Internet an. Fortan konnten Kunden Kinofilme zu jeder Tages- und Nachtzeit anschauen. Fünf Jahre später begann das amerikanische Unternehmen, eigene Serien zu produzieren; viele Jahre stand Netflix etwa dank House of Cards mit Kevin Spacey für höchste Qualität in diesem Bereich. Mit Amazon, Apple und Disney schickten sich weitere Konzerne an, dem klassischen Fernsehen das Wasser abzugraben. ARD und ZDF reagierten mit ihren Mediatheken: das Beste von gestern, jederzeit abrufbar. Die Angebote erfreuen sich zwar eines stetig wachsenden Zuspruchs, sind aber nicht fit für die Zukunft. Hachmeister fordert daher:

Das öffentlich-rechtliche System braucht eine starke, leicht auffindbare Internet-Plattform, und zwar über die ‚Mediatheken' hinaus. Die bisherigen Zulieferungen zu YouTube, Tiktok oder Facebook sind nicht systemkonform.“

Deshalb, ergänzt Hallenberger, sei es wichtig, „jetzt die entsprechenden Weichen zu stellen und dem jüngeren Publikum zusätzlich zur Mediathek, die ja dem Prinzip der Leihbücherei entspricht, ein App-Modell anzubieten, in das die digitalen Netzwerke bereits integriert sind.“ Als ersten Schritt erwartet Gottberg jedoch, dass ARD und ZDF ihre Mediatheken zusammenlegen, was ZDF-Intendant Norbert Himmler allerdings strikt ablehnt. Aus Sicht der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage käme dieses „Joint-Venture“ vermutlich ohnehin einem Alptraum gleich. Bei den Printmedien herrscht schon seit Jahren großer Unmut darüber, dass ARD und ZDF mit ihren ausführlichen Nachrichten im Internet kostenlos zur Verfügung stellen, was es auf den Seiten der Verlage zu großen Teilen nur gegen Bezahlung gibt.
 

Ausblick

Eine Fusion der Mediatheken wäre allerdings wesentlich leichter zu realisieren als die von Buhrow vorgeschlagene Integration des Mainzer Senders in die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland, wie der volle Name der ARD lautet. Das hat offenbar ohnehin niemand ernstlich vor, zumal auch ZDF-Intendant Norbert Himmler diesem Gedanken in einem dpa-Gespräch eine klare Absage erteilt hat. Die Alternative, eine schon seit längerem geforderte Privatisierung des ZDF, hält Gottberg hingegen für unrealistisch:

Kein privates Unternehmen könnte sich die horrenden Pensionszahlungen leisten.“

Tatsächlich enden die Zahlungen vor allem für die Führungskräfte nicht mit der Pensionierung: Die Intendanten und Direktoren beziehen laut NDR-Recherchen zum Teil sechsstellige Ruhegelder pro Jahr, mitunter bis ans Lebensende. Beim ZDF, heißt es, lägen die entsprechenden Rückstellungen allein für die sechsköpfige Führungsspitze bei 20 Millionen Euro. Immerhin hat die ARD ihre Altersversorgung unter Federführung des SWR vor sechs Jahren grundlegend reformiert. Die Höhe der Betriebsrenten ist gedrosselt worden, was beim gesamten Senderverbund laut SWR bis 2024 zu Einsparungen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro führen werde.

Eine andere Frage, die immer wieder gestellt wird, bezieht sich auf die diversen Ensembles der ARD; die Gemeinschaft leistet sich immerhin zwanzig Orchester, Chöre und Jazzbands. Die Gemeinschaft begründet dies unter anderem mit ihrem Kulturauftrag; immerhin hat die SWR-Bigband gerade erst den begehrten Musikpreis Grammy gewonnen. Außerdem setzten sich diese Ensembles für die musikalische und medienpädagogische Bildung von Kindern und Jugendlichen ein. Daher gibt es auch prominente Fürsprecher; der Deutsche Musikrat zum Beispiel pflegt umgehend alle Hebel in Bewegung zu setzen, wenn ein Sender öffentlich überlegt, zwei Orchester zusammenzulegen (wie es der SWR 2016 getan hat). Hallenberger ist ohnehin wenig zuversichtlich, dass sich in absehbarer Zeit etwas Grundsätzliches ändern werde: Es gibt ein großes Beharrungsvermögen, denn alle Beteiligten haben viel zu verlieren.“ Krömer vergleicht das klassische öffentlich-rechtliche System mit der Titanic: Der Maschinenraum stehe längst unter Wasser, aber im Tanzsaal werde noch Champagner getrunken.
 

Quellen:

ARD: Gehälter und Vergütungen in der ARD. In: Die ARD, 20.12.2022. Abrufbar unter: www.ard.de (Letzter Zugriff: 07.02.2023)

Gösmann, S./Ringle, A./Freund, R.: Warum sich der neue ARD-Chef Kai Gniffke klar gegen eine Fusion mit dem ZDF ausspricht. In:  Kress News, 02.01.2023. Abrufbar unter: kress.de (Letzter Zugriff: 07.02.2023)

Außerdem persönliche Interviews mit den erwähnten Personen.