Wie Kinder „Star Trek Prodigy“ rezipieren

Birgit Guth

Birgit Guth ist Head of Insights & Analytics Kids bei SUPER RTL.

Der Sender SUPER RTL ist der Frage nachgegangen, wie Kinder vor dem Hintergrund der vermehrten Streamingnutzung mit horizontal erzählten Stoffen im TV umgehen. Am Beispiel der Serie Star Trek Prodigy (Ausstrahlung ab 04.11.2022 auf SUPER RTL und parallel auf toggo.de und in der TOGGO App) wurde untersucht, wie Kinder mit Spannungsspitzen und Cliffhangern umgehen.

Online seit 04.11.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/wie-kinder-star-trek-prodigy-rezipieren-beitrag-772/

 

 

Kindliche Video-Rezeption ändert sich

Die Kindliche Videorezeption hat durch vielerlei Einflüsse eine deutliche Änderung erfahren. Den größeren Teil ihrer Videozeit verbringen Kinder zwar noch mit linearem Fernsehen – aber viele Inhalte stammen auch von Streamingplattformen bis hin zu YouTube oder TikTok. Online steht den Kindern eine endlos große Menge an Content zur Verfügung. Ganze Serienstaffeln werden am Stück angeboten – und Kinder sind es inzwischen gewohnt, dass alles für sie sofort verfügbar ist.

SUPER RTL hat sich gefragt, ob sich die veränderte Rezeptionssituation auch auf die kindliche Wahrnehmung von Content auswirkt. Konkret geht es um die Serie Star Trek Prodigy und die Frage, wie Kinder einerseits mit Spannungspitzen innerhalb der Story und andererseits mit Cliffhangern am Ende der jeweiligen Episoden umgehen. Beide dramaturgischen Elemente sind Kindern aus dem klassischen Kinderfernsehen nicht unbedingt geläufig. Hier herrscht noch die Prämisse vor, dass jede Episode in sich abgeschlossen erzählt wird. Und dass Angsterzeugung – gerade mit Blick auf sehr junge Zuschauer:innen - unbedingt vermieden werden muss.
 

Star Trek Prodigy ist horizontal erzählt

Die Serie ist eine amerikanische Animations-Sciene-Fiction-Produktion aus dem Jahr 2021, die ganz entfernt anschließt an die real verfilmten Star-Trek-Serien aus den 1970er-Jahren. Sie ist horizontal erzählt – mit einem großen Erzählbogen über 20 Folgen. Gleichzeitig gibt es je Episode eine Geschichte, die sich sowohl auf der Story-Ebene als auch auf der Beziehungsebene abspielt.

Die Protagonisten sind sechs Gefährt:innen, teils possierlich fantasievoll, teils mit menschlichen Zügen, die sich in ihren Rollen noch finden müssen und stark von kindlicher Naivität geprägt sind. Sie tragen durchaus Konflikte innerhalb der Gruppe aus – kämpfen aber im Ernstfall gemeinsam gegen die Bösen. Dabei kommt es teilweise auch zu ängstigenden Szenen und vor allem offenen Enden auf der Story-Ebene.
 

Trailer Star Trek Prodigy. Ab 04.11.2022 bei SUPER RTL und parallel auf toggo.de und der TOGGO App (Foto: RTL/TM & © 2022 CBS Studios Inc. All Rights Reserved)


 

Forschung zeigt auf, wie Kinder die Serie rezipieren

In einer qualitativen Forschung1 wurden 24 Kinder im Alter von 7 bis 11 Jahren zur Rezeption der Serie Star Trek Prodigy beobachtet und befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass das Weltraum-Setting durchaus eine coole Kulisse darstellt, dass für die Kinder aber ganz klar die Figuren im Fokus stehen.

Die Charaktere sind nahbar, unfertig und in der Findungsphase. Sie sind verletzlich und struggeln mit ihrer Identität und Zugehörigkeit. Sie machen Fehler und reagieren unbeholfen – und bieten auch optisch pubertäre Parallelen: ulkig-originelles Aussehen, mehr oder weniger zusammenpassend. Und die Serie dreht sich nicht um einen Helden und seine Sidekicks, sondern stellt vielmehr die Mission einer Gruppe in den Vordergrund

Die haben verschiedene Superkräfte, und gemeinsam schaffen die alles.“

Damit ermöglicht sie den Zuschauer:innen, die Abenteuer gemeinsam mit den Helden zu erleben. Diese abstrakten Teeniehelden bieten die ideale Projektionsfläche zur Orientierung nach oben – ein cooles Entdecken der nächsten kindlichen Entwicklungsstufe.

Star Trek Prodigy wird also vor allem über die Beziehungsebene erzählt. Das schafft eine Sogwirkung – und sorgt auch dafür, dass man mitten in der Staffel einsteigen kann. Die Beziehungsebene bietet Themen für soziale Orientierung. Die Folgen haben stets ein Happy End auf der Beziehungsebene, d. h. die Guten siegen.

Auf der Storyebene geht es um die Fantasiewelt, in die man sich reinträumen kann. Und natürlich um Planeten, Namen, Star-Trek-Fachsprache, Catchphrases und „Politisches“: Wo, wie, wann passiert etwas? Wie kam es zu dieser Situation und wie wird es weitergehen? Das ist wichtig für das Fantum (holt auch mitschauende Eltern ab) und essenziell für die langfristige Bindung an die Serie. Es schreckt aber auch unerfahrenere und/oder zu junge Kinder ab, die mit den komplizierten Details nichts anfangen können.

Um den Geschichten wirklich folgen zu können, braucht es Empathie auf Seiten der Zuschauer:innen. Sie müssen es schaffen, sich in die Lage anderer hineinzuversetzen. Ohne die Reife, mit den Charakteren mitzufühlen, fehlt ein wichtiger Grund, an der Serie dranzubleiben, auch wenn ein Reiz des Coolen und Unverständlichen bestehen bleibt. Zu junge Kinder werden gar nicht erst in den Sog gezogen, sie schalten gedanklich schnell ab. Daher besteht eher nicht die Gefahr, dass Spannungsspitzen zu sehr belasten.
 

Cliffhanger wirken auf zwei Ebenen

Kindern ist der Unterschied zwischen linearem TV und Streaming oft nicht klar. Sie gehen davon aus, dass man Serien jederzeit schauen kann, auch mehrere Folgen hintereinander. Das bedeutet aus Kindersicht: Nach einem Cliffhanger kann unmittelbar die nächste Folge geschaut werden (hier gibt es, wenn überhaupt, nur eine Limitierung von der Elternseite).

Trotzdem gibt es erste Erfahrungen mit dem Warten: auf die nächste Staffel, ein Prequel oder die nächste erlaubte Gelegenheit. Dieses Frustpotenzial kennen Kinder, aber gleichzeitig besteht auch ein gewisser Reiz im Durchhalten! Der Belohnungsaufschub ist auch eine Entwicklungs-Challenge („Ich kann die Spannung schon aushalten“). Und Kinder streben in der Regel ganz intuitiv die nächste Entwicklungsstufe an. Natürlich muss die „Belohnung“ fürs Warten gut vorstellbar sein: groß genug und nah genug. Das klappt, wenn die Kinder eine starke Bindung an die Serie haben und der Cliffhanger Spannung versprochen hat.

Die Cliffhanger bei Star Trek Prodigy spielen sich auf der Story-Ebene ab. Man möchte wissen, wie die Geschichte weitergeht (und muss die Spannung da aushalten), doch auf der Beziehungsebene ist am Ende jeder Folge alles geklärt – ein wichtiger Erleichterungsmoment am Episodenende.
 

Richtige Spannung entsteht erst durch Spitzen

Kindern begegnet heutzutage Vieles außerhalb ihrer Alterszone – sie sind eine große Range gewohnt. Und Spannung steht eben auch für coolen und erwachsenen Content. Auch bei Star Trek Prodigy erleben die Kinder spannende Momente. Aber: Die Auflösung erfolgt stets kindgerecht. Auf eine Spannungsspitze folgt ein deutlicher Erleichterungsmoment, der Klarheit über Gut und Böse schafft. Konflikte und Spannungen auf der Beziehungsebene werden noch innerhalb der Folge gelöst; auf der Story-Ebene sind Cliffhanger aber durchaus eine Option. Die Redaktion bei SUPER RTL hat sich entschieden, auf Outlooks am Ende einer Episode zu verzichten. Stattdessen bietet man den Kindern zu Beginn jeder Folge einen Recap an („was bisher geschah“).
 

Fazit: Fantasiewelt als Puffer

Das Weltraum-Setting hat zwei große Vorteile: Die vielfältigen Figuren bieten zahlreiche Möglichkeiten zur Identifikation – und die Fantasiewelt bietet einen natürlichen Puffer vor zu viel Spannung. Star Trek Prodigy zieht die Kinder in die Geschichte rein und rückt durch die horizontale Erzählweise näher ran an eine „Netflix-Rezeptionsverfassung“. Trotzdem ist sie kindlich genug und schafft durch ausreichend Entlastungsmomente eine gute Balance.

 

Anmerkungen:

1) Durchführung durch september – Strategie & Forschung, Köln – im Auftrag von Insights & Analytics SUPER RTL, August 2022

Sendeplatz: ab 4.11.2022 um 19.45 Uhr auf SUPER RTL im Fernsehen; parallel auf toggo.de und in der TOGGO App.

Die Serie Star Trek Prodigy wurde von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) ab 6 Jahren freigegeben (siehe ProgrammInfos auf fsf.de).