Wölfe im Schafpelz

Wie Medienkompetenz gegen Extremismus hilft

Tilmann P. Gangloff

Tilmann P. Gangloff ist freiberuflicher Medienfachjournalist.

Erwachsene gehen davon aus, dass Jugendliche besonders anfällig für Verlockungen aller Art sind: Nikotin, Drogen, Pornografie – und politischer Extremismus. Der beste Schutz gegen Verführungen aller Art ist Aufklärung. Bei Rauschmitteln gilt das schon seit Jahrzehnten. Angesichts von immer geschickter verpackten Lockangeboten extremistischer Gruppierungen in den „sozialen Medien“ setzt sich die Erkenntnis durch, dass Schulen auch in dieser Hinsicht aktiv werden müssen.

Online seit 26.11.2018: https://mediendiskurs.online/beitrag/woelfe-im-schafpelz/

Vollständiger Beitrag als:

Jugendliche brauchen ganz konkrete Medienkompetenz, die es ihnen ermöglicht, das Propagandamaterial als solches zu entlarven“, sagt Maya Götz.

Die Medienwissenschaftlerin ist Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) in München. Kinder und Jugendliche würden heutzutage „auf unterschiedliche Weise mit Extremismus und Rassismus konfrontiert“. Oftmals fehle ihnen jedoch das Wissen, „um Vorurteile, rassistische Stereotype und extremistische Inhalte zu hinterfragen.“

Extremistische Organisationen treten offenbar besonders gern über die sogenannten sozialen Netzwerke an Jugendliche heran. In einer Untersuchung der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) gaben 40 % der Befragten im Alter von 14 bis 19 Jahren an, sie seien in letzter Zeit in Kontakt mit extremistischen Inhalten gekommen; fast 20 % häufig oder sogar sehr häufig. Junge Menschen sind laut Götz besonders gefährdet, weil sie nach Identität suchen:

Sie wollen wissen, wie sie diese Welt zum Besseren verändert können. Also geben sie solchen Angeboten oftmals ein ‚Like’, ohne zu ahnen, wer sich hinter dem Material verbirgt. Es besteht die Gefahr, dass sie auf diese Weise in eine Filterblase geraten, weil sie nun immer mehr propagandistische Informationen aus einer Denkrichtung erhalten und andere Meinungen scheinbar nicht mehr existieren; das kann zu einer Veränderung des Weltbilds und zur Radikalisierung führen.“


So geht Medien

Zum Glück lässt sich dieser Entwicklung beizeiten vorbeugen; zum Beispiel mit einer Unterrichtseinheit von So geht Medien. Die Medienkompetenzplattform von ARD, ZDF und Deutschlandradio stellt Lehrern, Schülern und allen anderen Interessierten auf ihrer Website Material für politische Bildung und Medienkompetenz zur Verfügung; das Spektrum reicht vom Entlarven von Fake News über die Regeln des Urheberrechts bis zu Informationen über Journalismus und Medienberufe.

Zum Thema „Extremismus“ hat das IZI in Zusammenarbeit mit der LMU eine gezielte Medien­kompetenzeinheit entwickelt. Dazu gehört unter anderem ein Video, in dem die Journalistin Christina Wolf beschreibt, wie die entsprechenden Organisationen vorgehen. Auch erwachsene Internetnutzer können auf diese Weise lernen, dass sich die Botschaften gern hinter scheinbar harmlosen Beiträgen zu Themen aus den Bereichen „Jugend“, „Lifestyle“ oder „Mode“ verbergen; oft lassen sich nur anhand von Absendern wie #volk oder #ichbindeutsche Rückschlüsse auf die wahren Motive ziehen. Als Beispiel präsentiert Wolf den Beitrag Natur stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Dahinter stecke die Facebook-Seite Stacheldrahtzieher, die den Nationalsozialismus verherrliche. Götz verweist auf Medizin mit Herz: „Wer würde hinter diesem Namen einen salafistischen Verein vermuten?“ Jugendliche müssten also nicht nur lernen, gezielt auf die Absender zu schauen, „sie müssen auch wissen, wie sie die Listen extremistischer und verfassungsfeindlicher Organisationen des Verfassungsschutzes finden.“

Diese „Wolf im Schafpelz“-Strategie ist offenbar typisch: Viele Extremisten, heißt es im Video, gäben sich nett, sozial und sympathisch. Gerade rechtsradikale Organisationen arbeiten zudem gern mit professionell gemachten Rechtsrock-Videos. Da YouTube und Facebook so programmiert sind, dass man immer mehr vom gleichen bekommt, kann sich rasch eine entsprechende Filterblase bilden.

Da Facebook bei den meisten Jugendlichen mittlerweile „out“ ist, wird nun Instagram als bevorzugte Plattform genutzt, aber an der Methode hat sich nichts geändert. Wolf ruft die Nutzer daher auf, sich entsprechenden Kanälen und Absendern zu „entfolgen“, extremistische Inhalte grundsätzlich nicht mit einem „Like“ zu versehen und Diskriminierungen oder Gewaltaufrufe umgehend den jeweiligen Netzwerkbetreibern zu melden.

Mithilfe der Unterrichtseinheit sollen die Schüler lernen, dass Extremisten jedweder Art die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie abwerten und ihre politischen Ziele notfalls auch mit Gewalt durchsetzen. In einem zweiten Schritt sollen sie mit Hilfe eigener Internetrecherche sowie entsprechender Arbeitsblätter die Strategien der extremistischen Akteure erkennen und einordnen.
 

Unter dem Radar

Das Hintergrundwissen für die Thematik liefert die Untersuchung Verdeckter Extremismus, offener Hass?, durchgeführt vom LMU-Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung. In der IZI-Zeitschrift TelevIZIon (erscheint Ende 2018) beschreiben Carsten Reinemann und Claudia Riesmeyer die Ergebnisse ihrer Studie. „Die Akteure“, sagt Riesmeyer, „nutzen das Internet auf vielfältige und ziemlich kreative Weise, um Jugendliche gezielt anzusprechen, zu mobilisieren, zu rekrutieren und gegebenenfalls zu radikalisieren.“ Dabei spiele neben Messengerdiensten vor allem YouTube eine immer wichtigere Rolle, denn dort könne man seine Botschaften „schnell, billig und oftmals auch unter dem Radar“ veröffentlichen und Jugendliche sehr zielgenau erreichen.

Zur Strategie gehöre auch die Suchmaschinenoptimierung, um bei bestimmten Suchbegriffen oben in den Trefferlisten aufzutauchen. Bei der Onlinesuche nach einem unverfänglichen Begriff landeten Nutzer dann möglicherweise auf den Websites extremistischer Akteure oder Organisationen.

Zu den bedenklichen Ergebnissen der Studie gehört die Erkenntnis, dass viele Jugendliche nicht in der Lage sind, diese Botschaften zu dechiffrieren. Die Forscher unterscheiden zwischen vier Typen:

  • Da sind zunächst die Unbedarften, „die nahezu keinen bewussten Kontakt mit extremistischen Botschaften angeben“, weil ihnen dieser Kontakt nicht bewusst sei. Sie machen mit 49 % die größte Gruppe aus und kommen im Alltag kaum mit Politik in Kontakt. Weil es ihnen an politischem Interesse und Wissen mangelt, besitzen sie gar nicht die Kompetenz, Extremismus zu erkennen oder extremistische Inhalte zu problematisieren.
  • Immerhin 33 % der Jugendlichen gelten als informiert. Diese Jugendlichen verfügen laut Riesmeyer über eine hohe Politik- und Medienkompetenz, haben einen kritischen Blick auf die Medien und sind bemüht, sich möglichst vielfältig und qualitätsbewusst zu informieren.
  • 11 % werden von den Forschern als „reflektiert“ eingestuft. Diese Gruppe nutzt Medien zwar weniger aktiv, ist aber an aktuellen Ereignissen interessiert und daher in der Lage, extremistische Inhalte zu erkennen.
  • Als problematisch bewerten die Wissenschaftler die Gruppe der Gefährdeten (7 %). Sie kommt in einem breiten Spektrum von Medien mit extremistischen Inhalten in Kontakt, aber die Inhalte werden in der Regel nicht als extremistisch erkannt. Diesen nur mäßig an Politik interessierten Jugendlichen fehle „ein kritischer Blick auf die Quellen“, weshalb sie extremistische Inhalte unreflektiert in die Schublade „normale Politik“ einordneten. Im Zusammenspiel mit Identitätskonflikten könne der intensive Kontakt mit extremistischen Inhalten „negative Folgen haben, gerade dann, wenn es zu Abstumpfungseffekten kommt oder extremistische Inhalte durch das Wiedererkennen bestimmter Personen und Botschaften eine positivere Bewertung erfahren.“
     

Vermittlung von Normen und Werten

Die Forscher resümieren, es sei von großer Bedeutung, die allgemeine Politik- und Medienkompetenz zu fördern, um die Urteilsfähigkeit zu schärfen. Dazu gehört nach Ansicht von Reinemann auch „eine Normen- und Wertevermittlung für das gesellschaftliche Zusammenleben, um gleichzeitig das Zugehörigkeitsgefühl Jugendlicher zu stärken“. Das umfasse neben Medienkompetenz und der „Fähigkeit zur Quellenkritik in alltäglichen Rezeptionssituationen“ auch ein grundsätzliches Interesse an Politik. Dazu zähle nicht zuletzt die Kenntnis jener Werte, die die freiheitliche Grundordnung prägten: Jugendliche würden „extremistische Inhalte nur dann auch als negativ und problematisch bewerten, wenn sie ein entsprechendes Wertegerüst besitzen, das zu einer Ablehnung extremistischer Positionen führt“. Für Götz ist der Ort, an dem diese Wertevermittlung stattfinden soll, die Schule. Viele Lehrer sind allerdings jetzt schon bei Onlinethemen überfordert. Die IZI-Leiterin nimmt sie trotzdem in die Pflicht:

Diskussionen zu aktuellen politischen Themen, Hintergrundwissen zur demokratischen Grundbildung und kritische Medienkompetenz im Umgang mit sozialen Netzwerken sollten selbstverständlicher Teil des Unterrichts sein.“


Anmerkung

Extremismus im Netz ist auch Thema der IZI-Jahrestagung, die am 28. November 2018 in München stattfindet. Weitere Informationen unter www.izi.de.