Zwischen Seesternen, Vulven und Wattestäbchen

Das 18. Pornfilmfestival Berlin im Kontext aktueller Pornografie-Diskurse

Nicola Döring

Prof. Dr. Nicola Döring ist Psychologin und leitet das Fachgebiet „Medienpsychologie und Medienkonzeption“ an der Technischen Universität Ilmenau. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören u.a. Gender- und Sexualforschung im Zusammenhang mit alten und neuen Medien.

Das Pornfilmfestival Berlin ist erwachsen geworden: Es fand vom 24. bis 29. Oktober 2023 zum 18. Mal statt. Das sorgfältig kuratierte, internationale Festivalprogramm umfasst jedes Jahr etwa 30 Langfilme sowie 100 Kurzfilme und erreicht ein Publikum von gut 8 000 Personen. Es geht der Veranstaltung darum, sich kritisch-konstruktiv mit der Mediengattung Pornografie zu befassen und diese mit künstlerischem, pädagogischem, politischem und ethischem Anspruch weiterzuentwickeln. Wie gut gelingt das?

Online seit 20.12.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/zwischen-seesternen-vulven-und-wattestaebchen-beitrag-772/

 

 

Explizite Sexfilme werden seit über 100 Jahren produziert (vgl. Williams 1989). Legalisiert ist visuelle Pornografie in Deutschland und anderen westlichen Ländern seit rund 50 Jahren. Zwar dürfen Pornos grundsätzlich nicht im Fernsehen laufen, aber im Internet sind sie über diverse Pornografie-Plattformen und soziale Medien seit gut 20 Jahren breiten Bevölkerungskreisen jederzeit kostenfrei zugänglich. Der technische Kinder- und Jugendmedienschutz kann den Zugang zur global verbreiteten Internet-Pornografie einschränken, nicht aber komplett verhindern (vgl. Schellenberg/Mikat 2022). Die meisten Pubertierenden in Deutschland kommen daher heute mit Pornografie in Kontakt – teils ungewollt, oftmals aber auch gewollt.
 

Pornografie-Kompetenz für Jugendliche

Dementsprechend wird seit mindestens zwei Jahrzehnten gefordert, den erzieherischen Kinder- und Jugendmedienschutz bezüglich Pornografie zu verbessern (vgl. Döring 2022). Das heißt, es wird in der Sexual- und Medienpädagogik dazu aufgerufen, die Pornografie-Kompetenz der jungen Menschen zu fördern, damit sie wissen, wie sie ungewollter Konfrontation aus dem Wege gehen können und wo sie bei Problemen mit Pornografie Hilfe finden. Zur Pornografie-Kompetenz gehört zudem die Fähigkeit, pornografische Darstellungen hinsichtlich ihrer Produktionsbedingungen, Inhalte, Wirkungen und rechtlichen Rahmenbedingungen sachgerecht einzuordnen. Auf inhaltlicher Ebene wird hier vor allem die Notwendigkeit betont, sexuell noch unerfahrenen Jugendlichen zu vermitteln, inwiefern und warum der im Porno gezeigte Sex anders beschaffen ist als der Sex im Alltag (vgl. Döring 2011c, 2022).

Eine solche sexualbezogene Medienkompetenzbildung soll jungen Menschen keine Erwachsenenthemen überstülpen. Vielmehr geht es darum, Jugendliche altersgerecht und geschlechtersensibel dort abzuholen, wo sie mit ihren jeweiligen pornografiebezogenen Erfahrungen stehen.


Vielmehr geht es darum, Jugendliche altersgerecht und geschlechtersensibel dort abzuholen, wo sie mit ihren jeweiligen pornografiebezogenen Erfahrungen stehen.“


Es sollte bewusst auf ihre vielfältigen Fragen eingegangen werden, anstatt sie mit dem gleichermaßen aufregenden wie verwirrenden und teilweise auch abschreckenden Thema Pornografie alleinzulassen.
 

Herausforderungen sexualbezogener Medienbildung

Forderungen nach sexualbezogener Medienkompetenzbildung für Jugendliche laufen jedoch dort ins Leere, wo erwachsene Ansprechpersonen nicht willens oder in der Lage sind, das Thema Pornografie pädagogisch sachgerecht aufzugreifen. Eltern geben in Umfragen mehrheitlich an, dass sie sich äußerst unwohl damit fühlen, mit ihren Kindern über Pornografie (und das vor allem bei Jungen damit eng verknüpfte Thema Selbstbefriedigung) zu sprechen. Daher wünschen sie sich eine gute schulische Sexualaufklärung. Doch auch pädagogische Fachkräfte weisen das Thema oft von sich. Denn nicht nur verlangt die pädagogische Behandlung des komplexen und schambehafteten Themas Pornografie besonders gute Kommunikationsfähigkeiten. Gefragt sind auch differenzierte Sachkenntnisse auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstandes sowie eine gründliche Klärung der eigenen Haltung zu Pornos. Sonst laufen pädagogische Bemühungen Gefahr, dass die Fachkräfte letztlich nur ihre eigenen Vorurteile, Ängste und Moralvorstellungen an die Jugendlichen weitergeben, anstatt sie zu befähigen, jeweils altersgerechte, selbstbestimmte Entscheidungen über ihren Umgang mit sexuellen Medienangeboten zu treffen.


Voraussetzung für die Förderung der Pornografie-Kompetenz der Jugendlichen ist somit die Entwicklung der Pornografie-Kompetenz der Erwachsenen und insbesondere der pädagogischen Fachkräfte.“


Voraussetzung für die Förderung der Pornografie-Kompetenz der Jugendlichen ist somit die Entwicklung der Pornografie-Kompetenz der Erwachsenen und insbesondere der pädagogischen Fachkräfte. Diverse pädagogische Fachtagungen und Fortbildungen widmen sich daher inzwischen regelmäßig dem Thema Pornografie. Ebenso hat sich der seit jeher polarisierte Pornografie-Diskurs in der Öffentlichkeit weiterentwickelt (vgl. Döring 2011a, 2011b): Die Anti-Porno-Position kursiert weiterhin und gewinnt in manchen rechtskonservativen, religiösen und radikalfeministischen Kreisen neuerdings verstärkten Zuspruch. Die Anti-Porno-Position lehnt Pornografie mit Verweis auf ihre schädlichen Wirkungen pauschal ethisch ab. Sie versteht Pornografie als eine „falsche“ – nämlich unrealistische, beziehungslose, leistungsorientierte, frauenfeindliche oder gar gewaltförmige – Darstellung von Sexualität. Diese würde das Publikum in seinen sexuellen Vorstellungen und Verhaltensweisen negativ beeinflussen. Darüber hinaus würde Pornografie von einer milliardenschweren Industrie unter fragwürdigen Bedingungen produziert und vermarktet.
 

Pornofilmfestivals als Ausdruck eines pornopositiven Diskurses

Dieser Sichtweise gegenüber steht die Pro-Pornografie-Position, die einzelne Missstände in der Branche nicht leugnet, aber davon ausgeht, dass sexuell explizite und erregende Mediendarstellungen durchaus einvernehmlich produziert und in gesunder, lustvoller und sogar empowernder Weise von Einzelpersonen und Paaren genutzt werden können. Eine wachsende Zahl an wissenschaftlichen Studien, die positive Pornografiewirkungen bei Erwachsenen und Jugendlichen belegen, unterstützen diese Position. Im queer-feministischen Kontext wird eine pornopositive Position seit den 1980er-Jahren vertreten und geht mit eigener alternativer Pornografie-Produktion einher (vgl. Williams 1989; Döring 2019). Diese Tradition wird nach wie vor in Buchpublikationen bekräftigt (z. B. Oeming 2023, Pappel 2023) und kommt auch in einer beachtlichen Zahl an Festivals in aller Welt zum Ausdruck, die alternative Pornofilme zeigen und diskutieren.

Dazu gehört das im Jahr 2006 von dem Filmemacher und ‑produzenten Jürgen Brüning gegründete Pornfilmfestival Berlin (PFFB). Es wird ehrenamtlich durch ein internationales Team von Filmemacher*innen, -theoretiker*innen, -produzent*innen und Journalist*innen organisiert. 2023 fand das PFFB zum 18. Mal statt. Hauptspielstätte ist das älteste Kino Deutschlands, das Moviemento in Berlin-Kreuzberg. Ein Teil der Filme wird zudem im ebenfalls traditionsreichen Babylon gezeigt. Erreicht werden im Schnitt rund 8 000 Zuschauer*innen in den Vorführungen vor Ort sowie über das Online-Streaming-Angebot des Festivals.
 

Sachlich konzentrierte Stimmung beim Pornfilmfestival Berlin

Beim Pornfilmfestival Berlin laufen jedes Jahr etwa 30 Langfilme und 100 Kurzfilme rund um das Thema Sexualität. Dabei werden nackte Körper und sexuelle Aktivitäten oftmals explizit und in Großaufnahme gezeigt, wie es dem Genre entspricht. Das zweite definierende Kriterium der Gattung Pornografie, die sexuelle Erregung des Publikums, bleibt eher auf der Strecke. Denn viele Filme im Festivalprogramm verfolgen das Ziel, mit den tradierten Darstellungsmustern von Sexualität zu brechen. Diese kritischen, künstlerischen, pädagogischen, politischen und ethischen Ambitionen alternativer Pornos konterkarieren nicht selten die schnöde Geilheit des Publikums.


Denn viele Filme im Festivalprogramm verfolgen das Ziel, mit den tradierten Darstellungsmustern von Sexualität zu brechen. Diese kritischen, künstlerischen, pädagogischen, politischen und ethischen Ambitionen alternativer Pornos konterkarieren nicht selten die schnöde Geilheit des Publikums.“


Dementsprechend herrschte im Kinosaal bei den Vorführungen auch in der Regel keine knisternde, erotisch aufgeladene Atmosphäre, wie Außenstehende vielleicht vermuten mögen. Vielmehr war die Stimmung in dem hinsichtlich geschlechtlicher und sexueller Identitäten, Altersgruppen und Nationalitäten bunt gemischten Auditorium eher sachlich und konzentriert. Alle Filme hatten genaue Inhaltskennzeichnungen wie beispielsweise B (Bisexuell), D (Dokumentarfilm), FT (Fetisch), H (Hetero), L (Lesbisch) und/oder X (Explizite Sexszenen). Aufkommendes Unbehagen angesichts besonders herausfordernder sexueller Details entlud sich gelegentlich in Gelächter. Szenen, die einen stärkeren Lust- als Kritikfokus hatten, ernteten enthusiastischeren Applaus. Ansonsten fokussierte man sich auf den intellektuellen Austausch: Zu fast allen Filmen waren Produzent*innen, Regisseur*innen und/oder Darsteller*innen für aufschlussreiche Frage- und Antwortrunden vor Ort. Hier kam u. a. zur Sprache: Wie gut wurden die Darsteller*innen bezahlt? Verliefen die expliziten Sexszenen gemäß Skript oder improvisiert? Hatte die Produktionsfirma „cum shots“ eingefordert, also Szenen die den Samenerguss festhalten? Gab es bei Food-Sex-Szenen mit Sahnetörtchen vegane Optionen?
 

Von friedlichen Seesternen bis zum Gewaltporno

Für den Kurzfilmwettbewerb hatte die Jury neun Filme aus neun Ländern ausgewählt. Eröffnet wurde der Wettbewerb mit dem brasilianischen Film Grindhouse Pussycat. Gezeigt wird die sexy gestylte Protagonistin, wie sie im Oldtimer durch die Stadt cruist und immer wieder junge Anhalterinnen mitnimmt, die sich dann gefesselt und geknebelt im Kofferraum wiederfinden, bevor sie in einer Werkstatt sexuell missbraucht und gemessert werden. Am Ende wirft die Protagonistin ein blutgetränktes Bündel an den Straßenrand und steigt wieder in ihren Wagen. Der mit aggressiver Musik unterlegte Schwarz-Weiß-Stummfilm treibt sexuelle Gewaltfantasien auf die Spitze, ohne dass Männer mitspielen.

Es folgte der chilenische Film Estrellarse. Er zeigt in Großaufnahme ineinander verschlungene Seesterne und überblendet sie mit farblich harmonierenden Aufnahmen ineinander verschlungener, nackter menschlicher Körper. Zwölf Minuten lang ziehen sich diese ruhigen, friedlichen, kreatürlichen Bilder hin. Man fragt sich derweil, ob hier womöglich der Film selbstironisch seinerseits „den Seestern macht“, entsprechend der Slang-Bezeichnung für passiv-langweiliges Verhalten im Bett, bei dem man einfach auf dem Rücken liegt und alle Gliedmaßen von sich streckt.
 

Weit ab vom Mainstream-Porno: Coronatest-Sex und Konsensaushandlung

In der französischen Produktion Wrong Holes Only werden ausgiebig und ausschließlich Nasenlöcher mit Wattestäbchen und Zahnzwischenräume mit Zahnsteinkratzern penetriert, untermalt vom hysterischen Gelächter der beiden Protagonistinnen. Das Publikum reagierte auf dieses Angebot, den traditionellen Sex in Richtung Coronatest-Sex und Zahnreinigungs-Sex weiterzuentwickeln, geradezu körperlich gequält. Gleichzeitig wurde anerkannt, wie wichtig es sei, die Komfortzone der bisherigen Sehgewohnheiten auch einmal zu verlassen.

Die deutsch-spanische Koproduktion Asphyxia dagegen bleibt beim guten alten Analsex und präsentiert ihn in einer Variante mit erotischer Atemkontrolle. Zu sehen sind zwei Männer, wobei der eine erstmals Atemkontrolle mittels um den Kopf gewickelter Frischhaltefolie ausprobiert. Der Film zeigt unverkrampft und selbstverständlich, wie vor dem Sex Konsens ausgehandelt wird, was der Leidenschaft beim Ficken keinen Abbruch tut.


Der Film zeigt unverkrampft und selbstverständlich, wie vor dem Sex Konsens ausgehandelt wird, was der Leidenschaft beim Ficken keinen Abbruch tut.“


Der Film ist durch seine Explizitheit und Dynamik geeignet, das Publikum zu erregen und zu berühren, und liefert dabei gleichzeitig Handlungsempfehlungen für die sichere Umsetzung von Kinks. Damit hebt er sich vom Mainstream-Porno ab, in dem Konsensaushandlungen, körperliche Vorbereitungen und Sicherheitsmaßnahmen meist ausgeblendet bleiben.
 

Weites Spektrum: Porn Shorts, Parodien und Dokus

Diese vier Beispiele aus dem Kurzfilm-Wettbewerb illustrieren das Spektrum der Bemühungen, pornografische und sexuelle Konventionen im alternativen Pornofilm zu überwinden. Wrong Holes Only gewann am Ende den Kurzfilmpreis für seine Neuinterpretation der sexuellen Penetration, eine klare Kopf- und sicherlich keine Bauch- oder Unterleibsentscheidung der Jury.

Die Lang- und Kurzfilme im Programm griffen eine Vielzahl von Themen und Motiven auf. Es gab Vorführungen von Horror Porn Shorts ebenso wie von Sex Work Shorts, Generations Shorts, Fetish Porn Shorts, Eco Porn Shorts oder Art & Experimental Porn. Bei den Langfilmen waren Parodien auf Superheldenfilme (Captain Faggotron Saves the Universe) ebenso vertreten wie pornografische Varianten britischer Adelsserien (Ashton Manor).

Der Dokumentarfilm Artem & Eva ist eine deutsch-französisch-estländische Koproduktion unter Beteiligung von ARTE und daher bis Januar 2026 in der ARTE-Mediathek verfügbar. Der Film begleitet über ein Jahr hinweg die junge russische Amateurdarstellerin Eva Elfie. Zusammen mit ihrem Freund Artem dreht sie einen Amateurporno, um ihr Studium in Moskau zu finanzieren. Doch dann wird sie zum Star unter den Amateur*innen, gewinnt einen Award für ihren auf der Mainstream-Plattform PornHub ausgespielten Content und sammelt Millionen von Fans auf Instagram und TikTok. Der Dokumentarfilm verfolgt ihren Aufstieg von der Hobbyistin zum Profi. Dieser Aufstieg wird begleitet vom wachsenden Unmut ihres Freundes, der sich – wie in heterosexuellen Beziehungen nicht selten – am Erfolg seiner Partnerin und ihrer damit wachsenden Unabhängigkeit stört. Der bei der Vorführung anwesende Produzent erläuterte dem vollbesetzten Kinosaal, warum der Film letztlich auch ein „Anti-Putin-Film“ sei. Er spiegele den Ausbruch aus patriarchalen Traditionen und auch die Abwendung von Putins Russland. Vor allem aber gibt der Film der Darstellerin Eva Elfie eine Stimme, indem er unaufgeregt ihr Leben und ihre Persönlichkeit zeigt, ohne sie als Sexarbeiterin zum Opfer oder zum Vamp zu stilisieren.


Vor allem aber gibt der Film der Darstellerin Eva Elfie eine Stimme, indem er unaufgeregt ihr Leben und ihre Persönlichkeit zeigt, ohne sie als Sexarbeiterin zum Opfer oder zum Vamp zu stilisieren.“


 

Indie-Pornos und die Veränderung des Marktes

Interessante kulturelle Einblicke vermittelte weiterhin das Format Filmemacher*in / Darsteller*in im Fokus, in dem unter anderem das Label Istanbul Life präsentiert wurde, das insofern als Indie-Label gelten kann, als es nicht zur Mainstream-Industrie gehört. Als Sub-Label des Filmstudios Trimax im Jahr 1998 gegründet, verfolgte Istanbul Life das Konzept, erstmals in der Türkei Hardcore-Filme mit türkischen Darsteller*innen zu drehen. Der in Deutschland lebende Gründer Sevket Şahin erklärte dem Publikum, wie sein Team und er es vor einem Vierteljahrhundert schafften, in Istanbuler Sexclubs Darsteller*innen zu rekrutieren und heimlich schnell am Strand zu drehen, bevor sie erwischt werden konnten. Denn Pornodrehs waren und sind in der Türkei verboten. Diese Produktionsbedingungen mögen erklären, warum in manchen der gezeigten Szenen die Protagonist*innen sich ausgerechnet auf steinigen Klippen räkeln und die Tonspur gänzlich von Möwenschreien dominiert ist. Neue Dreharbeiten fänden allerdings seit Jahren nicht mehr statt. Es sei nicht mehr rentabel, mit der Filmcrew in die Türkei zu fliegen, Darsteller*innen zu engagieren, zu drehen und zu schneiden für insgesamt rund 5 000 Euro pro Film. Die könne man heutzutage nicht mehr einspielen. Es sei wirtschaftlicher, für 1 000 Euro die Lizenz eines US-Pornos zu erwerben und diesen online zu vermarkten.

Alternative Porno-Labels, wie sie beim Pornfilmfestival präsentiert wurden, müssen sich auf die Digitalisierung einstellen, haben aber zunehmend kommerziellen Erfolg. Das zeigt sich daran, dass das Festival ohne staatliche Zuschüsse auskommt und von finanzkräftigen Sponsoren aus der Branche finanziert wird. Das Sponsorenverzeichnis kann Interessierten als Sprungbrett dienen, um alternative Pornografie-Angebote zu erkunden, die jedoch im Unterschied zum Mainstream-Angebot meist kostenpflichtig sind.

Ein Beispiel ist das Label Hardwerk, das unter ethischen Produktionsbedingungen und mit filmisch hohem Anspruch Gruppensex-Szenarien dreht – vom 2Bang (klassisch bekannt als Dreier) bis zum Gangbang. Hardwerk unterstützte das Pornfilmfestival 2023 als Sponsor, war aber auch mit einer eigenen Produktion vertreten, nämlich dem pornografischen Musikvideo Träume. Die witzige Parodie auf Schlagermusik mitsamt den lustvoll-fröhlichen 2Bang-Sexszenen begeisterte das Publikum.


Die witzige Parodie auf Schlagermusik mitsamt den lustvoll-fröhlichen 2Bang-Sexszenen begeisterte das Publikum.“


Zu erwerben sind die einzelnen Hardwerk-Produktionen für rund 20 Euro pro Film. Dass alternative Pornografien wirtschaftlich Fuß fassen, zeigte auch das parallel zum Pornfilmfestival stattfindende Branchen-Event Adult Industry Only. Dort vernetzten sich Produzent*innen und Darsteller*innen und tauschten sich über Zukunftsperspektiven aus, etwa den Einfluss von Social-Media-Plattform­algorithmen und Künstlicher Intelligenz auf den Wirtschaftszweig.
 

Das Pornfilmfestival als Diskurs- und Vernetzungsort

Für die Sexual- und Medienpädagogik ist es wichtig, die Entwicklungen des Genres im Auge zu behalten und nicht bei der altbekannten Kritik am Mainstream-Porno stehen zu bleiben. Das Pornfilmfestival Berlin bietet ein Forum, um mit Pornoproduzent*innen und Darsteller*innen zu sprechen anstatt nur über sie. Einzelheiten zum Programm sowie zahlreiche Filmtrailer sind der eingangs genannten Festivalwebsite zu entnehmen, die in ihrem Archiv auch frühere Jahrgänge des PFFB dokumentiert. Zudem wird zum Weiterrecherchieren eine nützliche Zusammenstellung von Pornofilmfestivals in aller Welt bereitgestellt.

Dass das Pornografie-Thema in den letzten Jahren salonfähiger geworden ist, erscheint aus der Anti-Porno-Perspektive als problematische „Pornografisierung“ unserer Kultur, während aus Pro-Porno-Perspektive eine Enttabuisierung die Chancen erhöht, Pornografie-Kompetenz auszubauen und das verfügbare Pornografie-Angebot zu erweitern. Ganz auf dieser Linie agierte Jan Böhmermann, der in seiner Fernsehsendung ZDF Magazin Royal im März 2022 einerseits Missstände bei den Mainstream-Pornoplattformen kritisierte, andererseits aber auch den ersten öffentlich-rechtlichen alternativen Porno vorstellte. Er hatte sich dazu mit der Pornoproduzentin und Darstellerin Paulita Pappel vom oben genannten Indie-Label Hardwerk zusammengeschlossen. Sie führte die Regie des 15-minütigen Clips mit dem ironischen Titel FFMM straight/queer doggy BJ ORAL orgasm squirting ROYALE (gebührenfinanziert). Im begleitenden Gespräch mit Böhmermann erläutert Pappel, dass die Gebührenfinanzierung es ihr erlaubt habe, einen alternativen Porno zu produzieren, ohne auf Klickerfolge zu spekulieren. Der Clip kann – im Unterschied zu anderen alternativen Pornos – nach Anmeldung kostenfrei über die Plattform Lustery angeschaut werden. Was ihn vom Mainstream-Porno unterscheidet sind u. a. die ästhetische Qualität, die natürlichen Körper mit behaarten Vulven, die sichtbare Anwendung von Kondomen, Lecktüchern und Handschuhen, die fluiden sexuellen Rollen mit selbstverständlichen mann-männlichen Sexszenen sowie die fröhlich-intime Stimmung zwischen den vier Protagonist*innen. Konzeptuell ist das alles schlüssig und ein durchaus interessantes Kontrastprogramm zum Mainstream-Porno. Die hier bewusst gesetzten neuen Normen (etwa bezüglich maximaler Safer-Sex-Maßnahmen) sind freilich ihrerseits kritisch zu reflektieren. Denn sie können, jenseits der Präferenzen der Darstellenden, nicht nur als aufklärend, sondern beispielsweise auch als angstmachend verstanden werden. Am Ende ist vor allem die Erkenntnis wichtig, dass Pornografie keine einheitliche und auch keine unveränderliche Mediengattung ist.
 

Anmerkung: Eine erste, etwa halb so lange Version dieses Textes ist in der Zeitschrift für Sexualforschung (Georg Thieme Verlag) erschienen, abrufbar unter: https://doi.org/10.1055/a-2215-9152


Literatur:

Döring, N.: Der aktuelle Diskussionstand zur Pornografie-Ethik: Von Anti-Porno- und Anti-Zensur- zu Pro-Porno-Positionen. In: Zeitschrift für Sexualforschung, 24, 1/2011a, S. 1-48. Abrufbar unter: www.thieme-connect.de (letzter Zugriff: 08.12.2023)

Döring, N.: Pornografie im Internet: Fakten und Fiktionen. In: tv diskurs, Ausgabe 57, 3/2011b, S. 32-37. Abrufbar unter: www.mediendiskurs.online (letzter Zugriff: 08.12.2023)

Döring, N.: Pornografie-Kompetenz: Definition und Förderung. In: Zeitschrift für Sexualforschung, 24, 3/2011c, S. 228-255. Abrufbar unter: www.thieme-connect.de (letzter Zugriff: 08.12.2023)

Döring, N.: Linda Williams’ „Hard Core“. Der Klassiker der Pornografie-Forschung wird 30 Jahre alt. In: Zeitschrift für Sexualforschung, 32, 1/2019, S. 39–47. Abrufbar unter: www.thieme-connect.de (letzter Zugriff: 08.12.2023)

Döring, N.: Sex, Jugend und Pornografie: Wie soll man pädagogisch damit umgehen?In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis, 67, 3/2022, S. 94-99. Abrufbar unter: www.kjug-zeitschrift.de (letzter Zugriff: 08.12.2023)

Oeming, M.: Porno. Eine unverschämte Analyse. Hamburg 2023

Pappel, P.: Pornopositiv. Was Pornografie mit Feminismus, Selbstbestimmung und gutem Sex zu tun hat. Berlin 2023

Schellenberg, S./Mikat, C.: Die harten Inhalte finden sich auf Webseiten, nicht in Apps. Claudia Mikat im Gespräch mit Stefan Schellenberg. In: mediendiskurs, Ausgabe 100 2/2022, S. 52-57. Abrufbar unter: www.mediendiskurs.online (letzter Zugriff: 08.12.2023)

Williams, L.: Hard Core. Power, Pleasure and the “Frenzy of the Visible”. Berkley, CA 1989