Änderungen bei „mediendiskurs“.

Joachim von Gottberg gibt die Chefredaktion ab

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Joachim von Gottberg verabschiedet sich als Chefredakteur und blickt zurück.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 4/2023 (Ausgabe 106), S. 1-1

Vollständiger Beitrag als:

Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) wurde vor ziemlich genau 30 Jahren gegründet. Die damals neuen privaten Sender erreichten durch den Ausbau von Kabel und Satelliten immer mehr Zuschauer und wurden allmählich zu einer ernsthaften Konkurrenz des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Ihre Inhalte waren neu: Die Unterhaltung war laut, bunt und schrill, bei Tutti Frutti zogen sich Frauen nach nur schwer verständlichen Regeln aus, Gewalt und Sex wurden detaillierter dargestellt. Der Medienpsychologe Jo Groebel analysierte 1993 in seiner Studie Gewaltprofil des deutschen Fernsehprogramms Sendungen des öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehens nach Toten und Verletzten, die pro Sender in einer Stunde zu sehen waren. Ein privater Sender war Spitzenreiter. Der Zuschauer konnte – vorausgesetzt er hatte in einer Stunde alle Programme gleichzeitig verfolgt – 70 Tote sehen. Die Resonanz war riesig, Pädagogen und Politiker befürchteten eine Normalisierung des Tötens und ein Anwachsen realer Gewalt bei Jugendlichen. Manche Sexfilme bewegten sich haarscharf an der Grenze zur Pornografie: Man hatte die Sorge, Jugendliche könnten bei der Rezeption den Eindruck gewinnen, zwischengeschlechtliche Beziehungen bestünden ausschließlich aus der Befriedigung der sexuellen Lust, zwischenmenschliche Gefühle und Verantwortung würden ausgeklammert.

Da die Landesmedienanstalten aufgrund des Zensurverbots in Art. 5 des Grundgesetzes erst im Nachhinein tätig werden konnten, entschieden sich die Sender, motiviert durch die Bundesländer, die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) aufzubauen. Sie nahm am 1. April 1994 ihre Arbeit auf, ich war der erste Geschäftsführer. Die Öffentlichkeit war skeptisch, ob die Sender es schaffen würden, sich selbst effektiv zu kontrollieren. Für die FSF war es wichtig, Glaubwürdigkeit zu schaffen und ihre Kriterien und die wissenschaftlichen Grundlagen für eine rationale Argumentation im Jugendschutz zu entwickeln – oft wurden Jugendschutzentscheidungen vor allem aus subjektiven Vermutungen heraus begründet.

Das war der Grund, warum wir 1997 die Fachzeitschrift tv diskurs gründeten: Wir wollten einen fairen Dialog mit Medienpädagogen, Medienpsychologen und Medienwirkungsforschern sachlich und verständlich abbilden. Aus tv diskurs wurde 2022 mediendiskurs, um den Änderungen in der Medienlandschaft Rechnung zu tragen. Schon früh haben wir europäische Jugendschutzinstitutionen zusammengebracht, denn es war klar, dass durch das Internet schon bald Video on Demand an nationalen Grenzen nicht mehr haltmachen würde. Ideen, eine gemeinsame europäische Jugendschutzstelle zu gründen, scheiterten aber an den weit auseinandergehenden Ansichten über Gefährdungskriterien: So zeigte sich etwa, dass ein Aufklärungsfilm für Kinder aus dem Tagesprogramm des dänischen Fernsehens in Großbritannien als Pornografie eingestuft worden wäre. Auch bei Gewaltdarstellungen gab es große Unterschiede: Beispielsweise wurde der Film Rambo II (ab 18 Jahren) später in Deutschland indiziert, in Frankreich jedoch lief er ab 12 Jahren im Kino.

Inzwischen hat sich die Medienrezeption immer mehr in Richtung der Streamingdienste verlagert, von einer logischen länder- und medienübergreifenden Regelung sind wir aber immer noch weit entfernt. So muss in Deutschland weiterhin jeder offensichtliche Kinderfilm vor dem Kinostart von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) freigegeben werden. Fernsehsender müssen bei Inhalten, die nicht der FSF vorgelegt worden sind, Beanstandungen von Landesmedienanstalten befürchten. Anbieter audiovisueller Inhalte im Internet können ihre Inhalte dagegen selbst einstufen – obwohl das lineare Fernsehen immer mehr Zuschauer an die Streamingdienste verliert. Die Bemühungen, dieses Ungleichgewicht aufzulösen und ein kompatibles, gleichberechtigtes System zu schaffen, werden durch mediendiskurs weiterhin publizistisch begleitet werden.

Ich habe 2019 die Geschäftsführung der FSF an meine langjährige Kollegin Claudia Mikat übergeben, war aber in den letzten fünf Jahren noch für mediendiskurs zuständig. Mit nun 71 Jahren werde ich diese Tätigkeit zum Ende des Jahres abgeben. mediendiskurs wird sich weiterentwickeln, die Schwerpunktthemen im Jugendschutz haben sich von Wirkungsdiskussionen über die Darstellungen von Gewalt und Sex mittlerweile vervielfältigt – genauso wie die Landschaft der Inhalteanbieter. Diese Entwicklungen sinnvoll zu gestalten, sollte das Ziel aller Beteiligten sein. Das ist aber aufgrund von 16 für die Mediengesetzgebung zuständigen Ländern, drei Selbstkontrollen, 14 Landesmedienanstalten und einer Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) ein schwieriger Prozess. Ich setze auf Vernunft. In diesem Sinne verabschiede ich mich von Ihnen.

Ihr Joachim von Gottberg