Chefin im Ring

Die Dokuserie „Badass – Women of Wrestling“ überrascht mit sportlichen Höchstleistungen und feministischen Ansagen

Sibylle Kyeck

Sibylle Kyeck studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Neben ihrer Prüftätigkeit für die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) arbeitet sie als freiberufliche Journalistin und Lektorin.

Programm Badass – Women of Wrestling
 Dokumentation, D 2023
SenderRTL+ , seit 07.02.2024

Online seit 07.02.2024: https://mediendiskurs.online/beitrag/chefin-im-ring-beitrag-1124/

 

 

Hulk Hogan, The Undertaker oder Macho Man: Für viele ist Wrestling nicht mehr als ein schlecht gealtertes 1980er- und 1990er-Phänomen. Frauen finden in diesem White-Trash-Universum nach landläufiger Meinung nur als übersexualisierte Bunnys im Bikini statt. So weit das Klischee. Doch Wrestling ist viel mehr als eine schrullige Macho-Show in grellem Scheinwerferlicht. Und auch bei den Damen hat sich einiges getan. Das zeigt die neue sechsteilige RTL+-Dokumentation Badass – Women of Wrestling. Denn was sich nach Haudrauf-TV mit Fremdscham-Garantie anhört, entpuppt sich schnell als modernes Dokuformat mit einer gehörigen Prise Female Empowerment.

Das liegt vor allem an den drei Protagonistinnen. Da wäre Laura aka „Baby Allison“, die zu den besten deutschen Wrestlerinnen zählt und sich in Japan, dem Land des Frauen-Wrestlings, beweisen möchte. Newcomerin Paula aka „Loki“ will sich einen festen Platz im Ring sichern, muss aber erst einmal das Verlieren lernen. Und dann ist da noch Jazzy, die als „Alpha Female“ 20 Jahre lang weltweite Erfolge gefeiert hat und jetzt als Promoterin arbeitet. Ihre Mission: das Frauen-Wrestling ganz nach vorne bringen. Kunstvoll bemalte 180 Zentimeter Lebensgröße, das Weiß der Augen pink tätowiert: Jazzy ist eindeutig die schillerndste Protagonistin. Doch das war nicht immer so, denn das echte Leben von „Alpha Female“ begann als Findelkind auf den Treppenstufen einer Kirche. Trotzdem hat sie es geschafft, vom schüchternen Mädchen zur starken, erfolgreichen Frau zu werden, die sich in einem Männersport durchgesetzt hat – ohne sich nachhaltig sexualisieren zu lassen. Jazzys Erfolgsstory klingt nach einem modernen Märchen mit feministischem Unterton, das zum Nachmachen einlädt. Gesagt, getan, denn letztlich erzählen auch Laura und Paula eine Version dieser Geschichte.
 

Jazzy aus Badass – Women of Wrestling (Foto: RTL/Pascal Bünning)


Alle drei Frauen möchten als Sportlerin akzeptiert werden und sie wehren sich daher bis heute aktiv gegen Sexismus und Stereotype aller Art. Und das durchaus mit Erfolg, wie im Umgang mit den männlichen Protagonisten deutlich wird. Hier dominieren Respekt, Professionalität und Augenhöhe. Das sah vor einigen Jahren noch ganz anders aus. Denn was #MeToo für die Filmbranche war, war #SpeakingOut 2020 für die Wrestlingszene. Innerhalb kürzester Zeit meldeten sich weltweit unzählige Betroffene, um von belästigendem Verhalten und sexuellem Missbrauch zu berichten. Auch Jazzy hat zu Beginn ihrer Karriere Erfahrungen mit sexuellen und körperlichen Übergriffen gemacht. Doch sie hat sich nicht einschüchtern lassen und kämpft bis heute weiter – nicht nur im Ring.

So liefert Badass – Women of Wrestling neben spektakulären Kampfszenen auch eine starke Botschaft und schafft den Spagat zwischen spannender Sportdoku und authentischem Porträt. Es wird deutlich, dass Wrestling viel Training und harte Arbeit ist – und wie viel Professionalität nötig ist, um im Showkampf zu bestehen. Und dass es neben starken Frauen auch ganz neue Männertypen im Ring gibt, die man hier nicht unbedingt erwartet hätte. Hat man vor dem Schauen der Doku ein bestimmtes Bild vom Wrestling im Kopf, so wird es sich danach garantiert geändert haben. Denn die Doku schafft es, abseits aller Trash-Klischees und ganz nebenbei den besonderen Zauber dieses merkwürdigen Sports zu vermitteln.
 


Freigegeben ab …
 

Der FSF lagen vier Episoden des Formates zur Prüfung vor, die mit Blick auf eine mögliche Gewaltbefürwortung bzw. ‑förderung diskutiert wurden. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob auch jüngeren Kindern zuzutrauen ist, das Geschehen distanziert wahrzunehmen und ohne Beeinträchtigung verarbeiten zu können – vor allem in Hinblick auf die Kampfsequenzen. Beim Wrestling handelt es sich ähnlich wie beim Boxen um inszenierte Gewalt, von der gerade für junge Zuschauende durchaus ein großer Anreiz ausgehen kann. Doch das Format geht hier einen sehr konsequenten Weg abseits von voyeuristischen Haudrauf-Exzessen.

Die Dokumentation vermittelt deutlich, dass es beim Wrestling um einen fairen Sport mit klaren Regeln geht – und nicht um Gewalt. Auch das choreografierte Showelement der Kämpfe wird immer wieder betont. Selbst wenn einige Ringszenen auf den ersten Blick rabiat wirken, sind diese Momente ganz bewusst ausreichend kurz inszeniert und meist von Interviewsequenzen unterbrochen, die das Geschehen einordnen. So entfalten sie keine nachhaltige problematische Wirkung. Außerdem nehmen die Kämpfe im Gesamtkontext nicht den Hauptteil der Dokuserie ein. Diese fokussiert sich klar auf die drei Frauen und ihre persönliche Entwicklung. Zudem bietet das Format viele positive Ansätze rund um Fairness, Respekt, Selbstdisziplin und Gleichberechtigung, die bereits für eine junge Altersgruppe eine Bereicherung darstellen können. Vor allem Mädchen werden ermutigt und bestärkt, ihren ganz eigenen Weg zu gehen.

Der Prüfausschuss sprach sich aus diesen Gründen bei drei der vier vorgelegten Episoden für das Tagesprogramm in Verbindung mit einer Altersfreigabe ab 12 Jahren aus. Eine der Folgen wurde für das Hauptabendprogramm (ab 20:00 Uhr) freigegeben. Grund hierfür ist der Einsatz vermeintlich unfairer Mittel in einer Kampfszene, was erst von älteren Kindern und Jugendlichen adäquat eingeordnet werden kann.
 

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Weiterlesen:
Sendezeiten und Altersfreigaben

Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauer:innen mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

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Jugendschutz bei Streamingdiensten