Das Böse liegt im Augenwinkel
„Mandy und die Mächte des Bösen“ (Staffel 1)
Mit einer blutigen Rune und monotonen Gesängen versuchen Mandys Ex-Freund und ein paar Nachbarn im Waschkeller der Wohnanlage, einen Dämon zu beschwören. Er soll ihre geheimen Wünsche erfüllen. Die amateurhafte Magie entfacht tatsächlich einen Sturm. Der Putzmittelschrank springt auf und macht den Weg zwischen Monolithen und waberndem Nebel in den Nachtgarten einer Zwischenwelt frei. Dort herrscht Nuksi in Gestalt eines Death-Metal-Sängers, der selbst nicht gerade frisch wirkt. Das mit den Wünschen geht klar, sagt er – hetzt aber einen grauen Ektoplasmawirbelsturm los. Wer dem Dämonengeflüster zustimmt, wird zum Diener und Dämonen. Dann sammelt Nuksi auch noch Herzen, um die angebetete Namrael, die durch ein Portal zu ihm spricht, zu beschwören. Sobald er genug Herzen im Altar gesammelt hat, soll Mandy Namraels irdische Hülle werden. Soweit alles erst mal voll normal.
Normal ist auch die Wohnung, die Mandy mit Mutter Tiffany teilt. Die beiden tun so, als läge Mandy im Koma und vermarkten sie als Medium. Dabei leidet sie seit ihrem Sturz bei der letzten Halloweenparty unter Agoraphobie. Sie hat also Angst davor, die Wohnung zu verlassen. Mandy kämpft tapfer gegen diese Angst und traut sich erst sehr spät die eigenen vier Wände zu verlassen – wenn sie es überhaupt ist in diesem trashigen Verwirrspiel, wo sich alle in alle verwandeln können und müssen. Das erinnert an eine weitere noch ältere und umso genialere Familienserie, nämlich Die Märchenbraut (1980–1981), wo zuweilen schon mal alle Untertanen in Autos verwandelt werden. Als Drehort diente dann einfach der voll besetzte Parkplatz vor einem Schloss. Schlossartig mutet auch der Ort des Geschehens bei Mandy und die Mächte des Bösen an. Wohnung und Waschküche befinden sich in einer prächtigen Wiener Arbeitersiedlung, die der fiktive Architekt, Spiritist und Okkultist Otto van Janus in den 30er-Jahren entworfen haben soll. Man weiß nicht, ob er diese Welt je verlassen hat ...
Trailer Mandy und die Mächte des Bösen (Amazon Prime Video Deutschland, 28.09.2023)
Die Horror-Comedy Mandy und die Mächte des Bösen macht irgendwie einen selbstgebackenen Eindruck, was in diesem Fall keine Kritik sein soll. Möglicherweise ist der Produktionsprozess, den die Serie bei Amazon durchlaufen hat, kürzer und direkter als der von Stoffen, die sich etwa bei den öffentlich-rechtlichen Sendern durch einen Berg aus Bedenken von Producern, Redaktionen und gut vernetzter Regie fressen müssen. Das gibt der Serie eine gewisse Aktualität in Sprache und Kostümbild. Trotz der skurrilen und absurden Dialoge und der etwas bemühten Horroreinsprengsel ist die Handlung doch auch ernst und wird nicht für billige Scherze geopfert. Das gilt auch für die Protagonisten und die recht schrill anmutende Besetzung, die nie ihrer Würde beraubt werden. Mutter Tiffany („Macht doch alle was ihr wollt – ich mach jetzt die Wäsche.“) im besten Erwachsenenalter ist genauso cool oder uncool wie alle anderen. Ihre Romanze mit Oberkommissar Schäfer ist mit lakonischer Zartheit geradezu hingehaucht. Die Wohnungsnachbarin Gretel („Das Böse liegt im Augenwinkel.“), die das obere Ende des Best-Ager-Alters repräsentiert, ist sogar die Coolste im Cast und wird ebenso wenig wie die anderen Charaktere verraten, um Komik zu generieren. Naja ... vielleicht ein ganz bisschen Tante Babs oder ihr neuer Freund Robbie, ein brutaler Fußballfan mit Flecktarnhose.
Der Schrecken des Nachtgartens, der wie die gesamte Szenerie ein bisschen wie ein Theaterstück oder gar ein Weihnachtsmärchen wirkt, ist innerhalb der Narration real. Der im Nachtgarten herrschende Nuksi, der das mit dem „herzergreifend“ leider sehr ernst meint, gibt Mandys eigentlich voll normalen Leben, wie auch wir es alle kennen, eine romantische Wildheit und Tiefe. Bei Buffy – Im Bann der Dämonen (1997–2003) lag das langweilige Sunnydale ja zufälligerweise auch genau über dem Höllenpfuhl, von wo aus das Böse die Weltherrschaft übernehmen wollte, obwohl es in dem kleinen Kaff nicht mal eine brauchbare Boutique gab.
Ektoplasmarauch, Megalithensplitter, meist offscreen herausgerissene Herzen – nichts von diesem Horror kann es dabei mit dem realistischen Horror der Halloweenparty aufnehmen. In einer alten Fabrik feiern die Protagonisten, bis Mandy und Jessie über eine Brüstung stürzen und ins Koma fallen. Die Dinge, die dort passiert sind und in Rückblenden erzählt werden, haben den höchsten Produktionswert und überbieten Nuksis Fantasyalbernheiten bei Weitem. Da geht es um Eifersucht, Vertrauen und Schwangerschaft. Es geht darum, man selbst zu sein und gesehen und gemocht zu werden. Freundschaft und Verrat – echte Horrorthemen eben. Und die werden in der Serie so abgehandelt, dass Jugendliche sich darin verorten und mit den Protagonisten leiden können – und dabei verstehen, dass ihre eigenen Probleme nicht hoffnungslos sind. Einen besonderen Vorteil hat die Serie für Jugendliche obendrein: Sie wird ihnen ganz allein gehören – denn Eltern werden sie hassen.
Die vorliegende Serie setzt auf schrille Dialoge, um Heiterkeit zu evozieren. Protagonisten und Settings entsprechen einer modernen Bürgerlichkeit, die durch Klamauk entlarvt wird. Die Verknüpfung der Protagonisten mit der Dämonenwelt von Nuksi erweitert das Format ins Horror- und Fantasy-Genre und offenbart überdies beständig Fiktionalität.
Freigegeben ab …
Der FSF lagen acht Episoden und somit die gesamte erste Staffel zur Prüfung vor. Sie wurden bis auf die erste Episode für das Hauptabendprogramm (Ausstrahlung ab 20:00 Uhr), verbunden mit einer Altersfreigabe ab 12 Jahren, freigegeben und vor allem mit Blick auf eine mögliche nachhaltige Ängstigung diskutiert. Das Herausschneiden und Überbringen blutiger Herzen befand die Mehrheit im FSF-Prüfausschuss als zu drastische Anleihe im Horrorgenre, weshalb eine Freigabe ab 16 Jahren und für das Spätabendprogramm erfolgte.
Die schrille dialoglastige Handlung sowie die Künstlichkeit der durch Klamauk gebrochenen Horrorszenen wirken in den folgenden Episoden ausreichend entlastend, auch für die jüngeren Zuschauenden im Hauptabendprogramm. Überdies navigieren die divers gezeichneten Identifikationsfiguren angstfrei und selbstsicher durch die Handlung. Starke weibliche Heldinnen sowie die von Fantasyelementen und genregerechten Übertreibungen geprägte Inszenierung bieten hinreichende Distanzierungsmöglichkeiten für ab 12-Jährige.
Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.
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> Sendezeiten und Altersfreigaben
Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauer:innen mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.
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> Jugendschutz bei Streamingdiensten