Das Fernseharchiv: Der Fall ANKE LATE NIGHT

Christian Richter

Dr. Christian Richter ist Medienwissenschaftler und Referent für Medienbildung am Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg. Sein Forschungsschwerpunkt ist u.a. die Programmgeschichte des Fernsehens.

„Was bei mir ein bisschen anders ist: Ich bin eine Frau […].“1 Mit diesen Worten beschrieb Anke Engelke in einem Interview, worin sich ihre neue Show von der Harald Schmidt Show unterscheiden würde. Von dieser hatte sie im Mai 2004 den werktäglichen Sendeplatz um 23.15 Uhr in SAT.1 übernommen und damit zugleich das Erbe, ein erfolgreiches deutsches Late-Night-Format präsentieren zu müssen. Dies sollte ihr nicht gelingen, denn nach rund fünf Monaten und 78 Folgen wurde Anke Late Night vorzeitig eingestellt.

Printausgabe tv diskurs: 26. Jg., 1/2022 (Ausgabe 99), S. 78-79

Vollständiger Beitrag als:

 

Dass ausgerechnet Anke Engelke für die Moderation einer Late-Night-Show ausgewählt wurde, war insofern beachtlich, als dieses Genre traditionell in männlicher Hand liegt. Selbst in seiner amerikanischen Heimat durfte in seiner rund 70-jährigen Geschichte bis heute keine Frau durch eine der großen Shows im Hauptprogramm führen. Entsprechend erhob die Produktionsfirma Brainpool Engelke zur „ersten Frau weltweit mit einer Late-Night-Show“2. In diesen Chor stimmte sogleich der damalige SAT.1-Senderchef Roger Schawinski ein, der verlauten ließ, Engelke sei „[…] nicht nur Deutschlands witzigster, sondern auch sein vielseitigster weiblicher Star“3. Doch so sehr die Weiblichkeit der Gastgeberin hervorgehoben wurde, so sehr dominierten Männer die Geschichte(n) rund um die Show.

Hier ist zunächst Harald Schmidt zu nennen, an dessen Maßstäben sich Engelke bis zu ihrem Abschied bewerten lassen musste. Obwohl sie in der Presse übereinstimmend als talentiert, klug und witzig galt, gelang es ihr nie, sich von der zugesprochenen Übermacht ihres männlichen Vorgängers zu emanzipieren. Einen gewichtigen Beitrag leistete hierbei ihre Show selbst, in der das tradierte männliche Konzept adaptiert und ohne maßgebliche Änderungen in Bezug auf Inhalt, Ablauf, Humor und Ästhetik übernommen wurde. Die Presse war sich schnell einig, dass Anke Engelke durch die starre Formatierung der Sendung „in ein Korsett gezwängt werde, das ihr nicht passt“4 und das ihre eigentlichen Talente abschnüre. Oder wie Wolfgang Röhl und Johannes Röhrig es im „Stern“ ausdrückten: „Solange sie Frau Schmidt spielt, kann sie nur verlieren.“5

Kurz vor dem Start wettete zudem Rudi Carrell bei seinem Auftritt in der Talkreihe Beckmann einen Betrag von 10.000 Euro darauf, dass die Show ein Misserfolg werden würde. Der ebenfalls anwesende Engelke-Freund Olli Dittrich hielt dagegen und erfuhr später von Roger Schawinski Unterstützung, der weitere 20.000 Euro für Engelke einsetzte. Dieser übergriffige Vorfall, bei dem drei Männer über den Kopf einer Frau auf deren (Miss‑)Erfolg wetteten, verursachte zwar ein enormes mediales Echo, erhöhte aber zugleich den ohnehin riesigen Druck auf Engelke.

Anfangs schien sie wenigstens den Quotenerwartungen standhalten zu können. So erreichte die erste Ausgabe am 17. Mai 2004, in der mit Bastian Pastewka, Sting, Stefan Raab und Max Mutzke ausschließlich Männer auftraten, mit einer Sehbeteiligung von 2,46 Mio. Menschen und einem Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe von 27,8 % hervorragende Werte. Doch schnell sanken die Zahlen und rutschten so weit ab, dass der Sender nach rund zwei Monaten gezwungen war, die Werbepreise im Programm zu senken. Rudi Carrell, der seine Wette mittlerweile zwar zurückgezogen hatte, fühlte sich dennoch bestätigt und triumphierte in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung: „Sie steht da wie ein Streichholz in der Olympia-Halle, Riesendekoration, kleine Frau. […] Sie soll aufhören. Es war von Anfang an falsch, es zu machen.“6

Nach einer dreiwöchigen Sommerpause kehrte die Show mit einem umgebauten Studio und einem überarbeiteten Konzept zurück. Ziel war es, sie künftig „weiblicher“ und „ein bisschen kleiner, ein bisschen wohnlicher für Anke Engelke“7 zu gestalten. Dafür wich häufig auch der von Engelke nie geliebte Monolog zu tagesaktuellen Themen. Selbstironisch zelebrierte das Team diesen Neustart mithilfe rosafarbener T-Shirts, auf denen stand: „Anke Late Night – klein. weiblich. gut“. All das vermochte die Produktion jedoch nicht mehr zu retten.

Vor allem lässt sich die Geschichte von Anke Late Night nicht ohne Roger Schawinski erzählen, den damaligen Geschäftsführer von SAT.1, der sich bis zuletzt als großer Unterstützer der Show inszenierte. Noch vor ihrem Start hatte er sie öffentlich zu seiner „wichtigsten und prestigeträchtigsten neuen Sendung“ erklärt und prophezeit, dass sie der Ort werde, „wo Angela Merkel ihre Kanzlerkandidatur bekannt gibt“8. Von derartigen Überhöhungen, die vor allem nicht zu erfüllende Erwartungen schürten, nahm Anke Engelke stets Abstand und betonte, es gebe „[…] wirklich Wichtigeres auf der Welt als meine neue Sendung“9. Doch als die Reichweiten sanken, wandelte sich Schawinskis anfängliche Euphorie zu fordernden Ratschlägen. So empfahl er, Engelke müsse „[…] Rituale einführen, wie Harald Schmidt es auch gemacht hat. Die dicken Kinder von Landau oder seine Chinesen – in dieser Art bräuchte Anke Engelke auch etwas.“10 Auf diese Weise erteilte er ihr nicht nur einen öffentlichen Tadel, sondern sprach ihr durch den erneuten Abgleich mit ihrem männlichen Vorgänger endgültig eine Eigenständigkeit ab.

Den finalen Todesstoß erhielt das Format, als Schawinski Anfang Oktober 2004 in einem Interview mit dem Branchendienst „Kontakter“ eine indirekte Drohung aussprach: „Wir haben viel Stehvermögen bewiesen. Sollten wir allerdings irgendwann gemeinsam mit Anke feststellen, dass wir auf der Stelle treten, müssen wir uns entscheiden.“11 In seinem Buch Die TV-Falle. Vom Sendungsbewusstsein zum Fernsehgeschäft wird er später behaupten, dass dieser Satz falsch interpretiert wurde und er nicht entschieden hatte, die Produktion zu beenden. Vielmehr wird er Anke Engelke als unsichere, launische und beleidigte Person beschreiben, die selbst den Glauben an ihre Show verloren und unter Tränen um eine Einstellung gebettelt habe. Angeblich mit den Worten, die auf absurde Weise einen metaphorischen Kreis schließen: „Aber ich kann nicht mehr. Nach all dem kann ich nicht mehr. […] Ich bin doch eine Frau.“12
 

Anmerkungen:

1) Badische Zeitung: „Ich bin die kleine Fee“. BZ-Interview: Anke Engelke über ihre Late-Night-Show, die heute Abend startet. In: Badische Zeitung, 17.05.2004. Abrufbar unter: https://www.badische-zeitung.de

2) Brainpool GmbH: Programme/Shows/Anke Late Night. In: Brainpool.de. Abrufbar unter: https://www. brainpool.de

3) Vgl. Huber, J.: Lady als Kracher. In: Der Tagesspiegel, 24.12.2003. Abrufbar unter: https://www. tagesspiegel.de

4) Süddeutsche Zeitung: Ein Korsett, das nicht passt. In: Süddeutsche Zeitung, 31.08./01.09.2004. Abrufbar unter: https://www. sueddeutsche.de

5) Röhl, W./Röhrig, J.: Anke Engelke. Frau Schmidt saust ins Quoten-Tal. In: stern.de, 20.06.2004. Abrufbar unter: https://www.stern.de

6) Lückerath, T.: Rudi Carrell rät Anke Engelke: „Sie soll aufhören“. In: DWDL.de, 25.05.2004. Abrufbar unter: https://www.dwdl.de

7) Alberti, M., Unterhaltungschef von SAT.1, im Interview mit J. Huber. In: „Unsere Geduld ist absolut zulässig“. In: Der Tagesspiegel, 05.08.2004. Abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de

8) Vgl. Anm. 5

9) Vgl. Anm. 1

10) Der Spiegel: Late-Night-Pleite. Sat.1 setzt Anke ab. In: Spiegel.de, 05.10.2004. Abrufbar unter: https://www. spiegel.de

11) Frankfurter Allgemeine Zeitung: Aus für „Anke Late Night“. „Schade, es hat Spaß gemacht“. In: FAZ. net, 05.10.2004. Abrufbar unter: https://www.faz.net

12) Schawinski, R.: Die TV-Falle. Vom Sendungsbewusstsein zum Fernsehgeschäft. Zürich 2007, S. 44