Das Zusammenspiel von Wissenschaft, Politik und Medien

Die Universität Magdeburg untersucht die Wissenschaftskommunikation in der Coronakrise

Selten war die Politik auf die Expertise von Wissenschaftler*innen so angewiesen wie während der Coronakrise. In den Medien trafen beide Seiten aufeinander. Die Universität Magdeburg hat untersucht, wie diese Interaktion gelungen ist und was wir daraus lernen können.

Online seit 30.01.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/das-zusammenspiel-von-wissenschaft-politik-und-medien-beitrag-1122/

 

 

Das Virus war neu und unbekannt. Am Anfang mussten die Expert*innen Kenntnisse aus Epidemien mit anderen Viren auf Corona übertragen und kamen zuweilen zu unterschiedlichen Interpretationen. Sie verließen für eine Weile den wissenschaftlichen Elfenbeinturm und wurden vorübergehend zu Medienstars.
 

Politisches Handeln und wissenschaftlicher Rat

Die Politik hatte es nicht leicht: Sie musste handeln und diverse Risiken vom Gesundheitsschutz bis zu wirtschaftlichen Pleiten managen. Dabei war sie zu sehr weit reichenden Maßnahmen gezwungen, die wie noch nie seit der Gründung der Bundesrepublik die Freiheiten der Bürger einschränkten – von Maskenpflicht, Ausgangsperren, Restaurant- und Behördenschließungen bis zu Besuchsverboten in Krankenhäusern oder Altenheimen. Die Bürger*innen mussten damit leben, auch mit der Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren oder erhebliche wirtschaftliche Einbußen zu erleiden. Für Jugendliche, die weder die Schule noch die Universität oder Partys und Konzerte besuchen konnten, waren die Entbehrungen besonders hoch. Es ist also nicht verwunderlich, dass in einer solch massiven Krise viele Menschen die Gefahren des Virus nicht wahrhaben wollen oder dahinter Verschwörungen finsterer Mächte vermuten.
 

Das neue Verhältnis von Politik und Wissenschaft

Wie hat das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik funktioniert? Diese Frage haben Sprachwissenschaftler*innen der Fakultät für Humanwissenschaften der Otto‑von‑Guericke‑Universität in Magdeburg in dem Forschungsprojekt Zwischen Elfenbeinturm und rauer See – zum prekären Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik und seiner Idealisierung am Beispiel der Coronakrise untersucht. Zwischen November 2020 und Dezember 2022 wurde mit finanzieller Unterstützung der Klaus-Tschira-Stiftung eine große Datenbasis mit medialen Auftritten besonders prominenter Wissen­schaftler*innen erstellt und untersucht. Die Datenbasis besteht aus den massenmedialen Auftritten von neun besonders präsenten Wissenschaftler*innen, unter anderem Melanie Brinkmann, Christian Drosten und Hendrik Streeck. Neben Zeitungsartikeln haben vor allem die Polit-Talkshows die oben genannten Experten eingeladen. Die Talkshows waren daher besonders geeignet, um daraus Analysematerial mit den drei relevantesten Akteuren zu generieren.Während Politik und Medien eingespielt sind, war diese Fokussierung auf die Wissenschaftler*innen neu. Das Projekt sollte herausfinden, ob die Politik die Wissenschaft vereinnahmte und instrumentalisierte und warum es seitens der Wissenschaftler*innen immer wieder zu Abgrenzungen kam.
 

Zu Besuch bei Christian Drosten: „Der Horror ist vorbei, die Pandemie noch nicht ganz“ (faz, 13.01.2023)



Nichtwissende Experten

„Zum Beispiel sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Beginn der Pandemie offen mit bestehendem, aber überwindbarem Nichtwissen umgegangen; dies wurde – auch im weiteren Verlauf der Pandemie – immer wieder von der Politik dazu genutzt, Verantwortung abzugeben beziehungsweise zur Rechtfertigung fehlender politischer Maßnahmen herangezogen“, konstatiert die Projektmitarbeiterin Dr. Sina Lautenschläger von der Uni Magdeburg. „Auch in der medialen Berichterstattung wurde diese transparente Kommunikation des Nichtwissens und eines bis dato unvollständigen Wissensstandes genutzt, um die Glaubwürdigkeit und den Nutzen von wissenschaftlicher Forschung in Frage zu stellen.“ (Universität Magdeburg 2023)

Der Projektleiter, der Germanist Prof. Dr. Kersten Sven Roth, sieht für die Zukunft notwendige Konsequenzen:

Die Ansprüche, die zum Beispiel seitens der Politik an die Wissenschaft gestellt werden, müssen klar beschrieben werden und nicht dazu führen, Aufgaben oder gar Verantwortung auszulagern. (Ebd.)

Der in der Wissenschaft notwendige transparente Umgang mit Nichtwissen sei für Politiker*innen ungewohnt und schwer auszuhalten, so Roth. „Insgesamt waren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihre neue Rolle in der Pandemie und die damit verbundenen kommunikativen Anforderungen und Kommunikationssituationen vor dem Auge der Öffentlichkeit in vielen Fällen nicht vorbereitet“, fasste er die Ergebnisse zusammen. (Ebd.)
 

Wer hat das Sagen in der Pandemie?

Die Virolog*innen hätten von Anfang an eine klare Abgrenzung zur Politik kommuniziert, sie hätten sich bemüht, Ergebnisse zu liefern, die Politik hätte daraus die Konsequenzen ableiten müssen, erklärt Dr. Lautenschläger. „Dennoch diskutierten die Massenmedien darüber, wer in der Pandemie eigentlich das Sagen hätte und schrieben den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine große politische Entscheidungsmacht zu.“ Eine Tatsache, die sich laut der Linguistin vor allem in den Polit-Talkshows gezeigt habe. „In diesen wurden die Forschenden von den Moderatorinnen und Moderatoren dazu gedrängt, politische Bewertungen abzugeben.“ (Ebd.)

Im Frühjahr plant die Forschungsgruppe auf der Grundlage des Projekts einen Leitfaden für die Wissenschaftskommunikation vorzulegen.

Quellen:

epd: Uni Magdeburg gibt Forschungskommunikation in Corona-Zeit gute Noten. In: epd medien Nachrichten, Nr. 14a, 19.01.2023. Abrufbar unter: w.epd.de

Universität Magdeburg: Pressemitteilung: Das prekäre Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik. In: Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, 19.01.2023. Abrufbar unter: www.ovgu.de
 

Weitere Informationen:
Wissenschaftskommunikation in Massenmedien
Joachim von Gottberg in mediendiskurs.online, 30.11.2022

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