Der lange Abschied

RBB-Intendantin Patricia Schlesinger tritt nach öffentlicher Kritik zurück

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Die Intendantin des Regionalsenders Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und Vorsitzende der ARD Patricia Schlesinger tritt auf Druck der Öffentlichkeit im August 2022 von ihren Ämtern zurück.

Online seit 08.08.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/der-lange-abschied-beitrag-1122/

 

 

Am 23. Juni 2022 tauchte im Onlinemagazin „Business Insider“ der erste Vorwurf auf: Compliance-Untersuchungen innerhalb der Berliner Messe waren auf Beraterverträge von 100.000 € mit dem Ehemann von Patricia Schlesinger, dem ehemaligen Journalisten des „Spiegel“, Gerhard Spörl, gestoßen. Der Aufsichtsratschef der Messe, Wolf-Dieter Wolf, der gleichzeitig Verwaltungsratschef beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und in dieser Funktion auch für die Kontrolle der Intendantin Schlesinger verantwortlich war, hatte den Beratervertrag persönlich angeschoben. Die Medien witterten den Skandal und recherchierten. Mehr und mehr entstand der Eindruck, dass zwischen der Intendantin des RBB, Patricia Schlesinger, und der Spitze des RBB-Verwaltungsrats eine Nähe bestand, die die Kontrollfunktion des Verwaltungsrats reduzierte und einen relativ laxen Umgang mit den Geldern des Senders auch für Privatzwecke ermöglichte (vgl. Bräuner/Schallenberger 2022). Konkret ging es um die Bewirtung von Gästen in der Privatwohnung Schlesingers. Bei diesen Treffen sei auch ihr Mann anwesend gewesen. Insgesamt waren es neun Abende, bewirtet wurden zwischen drei und elf Gästen, der Durchschnittspreis für die Verpflegung pro Person belief sich auf 69,20 €. Der Vorwurf: Hier wurden private und dienstliche Belange vermischt. Darüber hinaus wurden auch die Beraterverträge kritisiert, die ihren Mann betrafen (vgl. ebd.).

Wie bei Skandalen üblich wurden alle Vorwürfe von Schlesinger abgestritten oder heruntergespielt. Gleichzeitig machten sich, auch das war vorhersehbar, mehrere Medien auf, um nach weiteren Verfehlungen Ausschau zu halten. Bald ging es auch um ihr üppiges Gehalt von inzwischen 303.000 €, das nach der ersten Amtszeit um 16 % angehoben worden sei. Und bereits 2021 habe sie zusätzlich einen Bonus von 20.000 € erhalten, so „Buisness Insider“: „Der RBB sagt zu der Höhe: nichts. Stattdessen erklärt ein Sprecher: ‚Die ARD weist für die Intendantinnen und Intendanten die Grundvergütung aus, das tut auch der RBB. Variable Gehaltsanteile für außertariflich bezahlte Führungskräfte sind im RBB seit Jahren gängige Praxis. Das Modell und die praktische Umsetzung sind nicht intransparent, sondern wurden mit der Personalberatung Kienbaum entwickelt und mit dem Verwaltungsrat abgestimmt, zu weiteren Details äußern wir uns nicht.‘“ (ebd.)

Angeblich seien die Sondervergütungen in Verbindung mit dem neuen „Digitalen Medienhaus“ gezahlt worden: „Dabei handelt es sich um das umstrittene Prestige-Projekt, für das Berater engagiert wurden, die Verwaltungsratschef Wolf zuvor empfohlen hatte und mit denen der Immobilienunternehmer geschäftliche Beziehungen pflegt. Um das Bonusziel von 100 Prozent zu erfüllen, musste ein RBB-Direktor aber keine großen Erfolge vorweisen. Es reichte, Schlesinger eine ‚Wirtschaftlichkeitsbetrachtung für die Großinvestition‘ zu präsentieren.“ (ebd.)

Auch ihre Nutzung des Dienstwagens – ein Audi A8 mit Massagesitzen, der normalerweise 145.000 € gekostet hätte, den der Hersteller allerdings mit einem Rabatt von fast 70 % angeboten habe –, geriet ins Visier der Kritik. In Frage steht, so „Business Insider“, ob die Versteuerung des Dienstwagens als geldwerter Vorteil ordnungsgemäß erfolgte. Für Schlesinger sind zwei Chauffeure im Einsatz, die sie laut Arbeitsvertrag auch privat nutzen kann. Auf Anfrage, ob Dienstwagen und Chauffeure als geldwerter Vorteil versteuert werden, antwortete ein Sprecher des RBB, zu steuerlichen Themen keine weiteren Angaben machen zu wollen. (ebd.)

„Business Insider“ wirft Schlesinger außerdem vor, mit ihren E-Mails lax umgegangen zu sein. Ähnlich wie einst Hillary Clinton habe sie auch für dienstliche Mails ihren privaten Account genutzt. Damit habe sie eine Regel verletzt, die in der RBB-Dienstanweisung „Informationsmanagement“ klar formuliert sei: „Dienstliche Kommunikation hat über dienstliche Kommunikationswege (zum Beispiel RBB-E-Mail-Postfach) zu erfolgen.“ (ebd.)

Amt und Privatleben würde bei Schlesinger häufig verschwimmen, so „Business Insider“. Schlesinger und der RBB-Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf seien für „Vetternwirtschaft, Verschwendung und Maßlosigkeit“ (ebd.) verantwortlich. Wie in solchen Fällen üblich wiesen Schlesinger und Wolf die Anschuldigungen zurück. Schlesinger will weitermachen, „angeblich um die Aufklärung der Affäre zu unterstützen“ (ebd.).

In einem elfseitigen Brief an den Brandenburger Landtag nahm Schlesinger zu den Vorwürfen Stellung, ohne allerdings allzu konkret zu werden. Zu dem Vorwurf, ihr Mann habe einen Beratervertrag bei der Messegesellschaft heißt es dort: „Für die geschäftlichen Beziehungen ihres Ehemannes, die nichts mit dem RBB zu tun haben, ist die Intendantin nicht rechenschaftspflichtig.” (RBB 24 2022)

Schlesinger, die mindestens bis Ende 2022 regulär den ARD-Vorsitz innegehabt hätte, trat am 4. August von dieser Funktion zurück. Begründung: Ihre Hauptaufgabe sähen sie und der RBB nun vor allem darin, die gegen sie erhobenen Vorwürfe aufzuklären (vgl. Tagesschau). Ein solcher Schritt ist in der Geschichte der ARD einzigartig. Ihre Nachfolge übernimmt Tom Buhrow, Intendant des WDR (ebd.).

Bald stellte sich die Frage, ob eine Intendantin, die mit solchen Vorwürfen zu kämpfen hat und sich um deren Aufklärung intensiv kümmern muss, in der Lage sei, einen Sender effektiv zu führen. Darüber hinaus war ihre Autorität nach innen und nach außen geschwächt. Der RBB hat mit der Aufklärung des Falls die Hamburger Kanzlei Lutz/Abel beauftragt. Bis das Ergebnis vorliegt, wird es aber wohl Ende September werden, ganz davon abgesehen von der Frage, was dieses Gutachten kostet und wieviel Mitarbeiter des Senders dafür abgestellt werden müssen.

Im RBB selbst gab es wenig Unterstützung für Schlesinger. Ihr lockerer Umgang mit dem Geld des öffentlich-rechtlichen Senders für private Zwecke steht im Widerspruch zu massiven Sparmaßnahmen im Programm und den Gehältern der Mitarbeitenden. So vertrat auch der Personalrat des RBB die Auffassung, die gegenwärtig geplante Aufklärung sei lückenhaft: „Mit dem Hinweis auf Fragen von Interviewpartnern und Freunden (‚Was ist denn bei euch los?‘) wird angemahnt, dass die laufende juristische Aufklärung nicht geeignet sei, die Gemüter zu beruhigen. ‚Unsere Krise macht deutlich, dass im RBB vieles nicht funktioniert. Wir vermissen eine ganz gehörige Portion Fingerspitzengefühl – bei der Intendantin, in der Intendanz, im Direktorium, aber auch in Teilen des Verwaltungs- und des Rundfunkrats.‘“ (Ehrenberg 2022) Eine derart öffentliche Kritik aus dem eigenen Hause ist schon ungewöhnlich, so der Vorsitzende des Journalistenverbandes, Frank Überall, im inforadio des RBB: „Ich habe es noch nie erlebt, dass sich die Freienvertretung und auch der Personalrat nicht nur kritisch geäußert haben, sondern auch an die Öffentlichkeit gewandt haben und sinngemäß formuliert haben: Wir schämen uns.“ (Überall 2022)

Forderungen, Schlesinger solle auch die RBB-Intendanz aufgeben, wurden immer lauter. Der Rundfunkrat des RBB hatte sich für Montag, dem 08.08.2020, zu einer Sondersitzung über dieses Thema verabredet. Mit ihrem Rücktritt am 7. August kam sie einem möglichen Rausschmiss zuvor. Sie hinterlässt ihrem Nachfolger nicht nur eine Menge Schulden, die unnötigerweise durch die Planung eines „Digitalen Medienhauses“ entstanden sind, das nun aber wahrscheinlich nicht gebaut wird. „Noch größer, wenn nicht sogar irreparabel ist allerdings der Schaden für das Ansehen des RBB und die Reputation des gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Nicht nur den erklärten Gegnern von ARD, ZDF und Deutschlandfunk steht nun ein gewaltiges Arsenal von Beispielen zur Verfügung, was bei den Öffentlich-Rechtlichen im Argen liegt und warum dieses System nicht zu retten ist“, kommentiert der Tagesspiegel (Sagatz 2022).

Quellen:

Bräuner, V./Schallenberger, L.: Luxus-Büro, Verdacht auf Spesenbetrug, Berater-Aufträge für ihren Mann: Wie es zum Doppel-Rücktritt von Patricia Schlesinger kam. In: Business Insider, 08.08.2022. Abrufbar unter: www.businessinsider.de

Ehrenberg, M. : RBB-Personalrat kritisiert juristische Aufklärung im Fall Schlesinger. In: Der Tagesspiegel, 06.08.2022. Abrufbar unter: www.tagesspiegel.de

RBB 24: Patricia Schlesinger tritt vom ARD-Vorsitz zurück. In: rbb 24 Brandenburg Aktuell, 05.08.2022. Abrufbar unter: www.ardmediathek.de

Sagatz, K.: Riesenarsenal an Argumenten für Gegner. Der Fall Schlesinger schadet den Öffentlich-Rechtlichen gewaltig. In: Der Tagespiegel, 08.08.2022. Abrufbar unter: www.tagesspiegel.de

Tagesschau: Reaktion auf Vorwürfe – RBB gibt Vorsitz innerhalb der ARD auf. In: tagesschau 20:00 Uhr, 04.08.2022 (ab 11. Min.). Abrufbar unter: www.youtube.com

Überall, F.: DJV-Chef Überall: „Schlesinger-Rücktritt war der richtige Schritt“. In: rbb 24 Inforadio, 08.08.2022. Abrufbar unter: www.inforadio.de

Wehmeier, J. C.: Geheim-Bonus, frisierte Spesenabrechnungen und ein RBB-Chauffeur für den Ehemann: Neue Dokumente belasten Patricia Schlesinger. In: Business Insider, 08.08.2022. Abrufbar unter: www.businessinsider.de