Die ewige Last der Thronfolge

Das Prequel „House of the Dragon“

Jürgen Dünnwald

Jürgen Dünnwald hat Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie Völkerkunde und Anglistik studiert. Er verfasst Drehbücher für Fernsehfilme und -serien, moderiert Museumsausstellungen und gibt Workshops für Kinder und Jugendliche.

Programm House of the Dragon
 Fantasy, USA 2022
SenderJoyn/ProSieben, ab 08.01.2024

Online seit 09.01.2024: https://mediendiskurs.online/beitrag/die-ewige-last-der-thronfolge-beitrag-1124/

 

 

 

Manche sollen, können aber nicht. Andere könnten, kommen aber nicht so weit. Wenige steigen ganz aus und täuschen gleich ihren Tod vor, um lieber mit ihrer Flamme ins Private davonzusegeln. Zwischen Königsmund, Winterfell und Drachenstein scheint die Klärung der Herrschaft über das alte Adelsgeschlecht der Targaryen, dem House of the Dragon, auf ewig ein Provisorium. Die Querelen schleppen sich über Jahrzehnte und viele Generationen, und die oft gleichklingenden Namen der am großen Tauziehen beteiligten Adelssprosse tragen zusätzlich zur Verwirrung der Verhältnisse bei – sehr zur Freude der Fans, die genau wegen solcher Verzerrungen und Übertreibungen realer Historien das Fantasygenre schätzen.

Das Spiel mit allzu ähnlichen Namen spiegelt dabei nicht nur das zyklische Auf und Ab der politischen Ränke, sondern deutet auch den Inzest an, der sich im gesamten Game-of-Thrones-Universum als liebgewonnene Tradition in mehr als eine Dynastie eingeschlichen hat. Doch oft genug werden dessen Konsequenzen durch außereheliche sexuelle Eroberungen wieder aufgehoben – manchmal ist es allerdings auch eine Vergewaltigung, die unter den Teppich gekehrt wird. Ganz im Sinne der düster-sarkastischen Game-of-Thrones-Romanvorlage Das Lied von Eis und Feuer von George R. R. Martins. Wer in dieser Welt ohne Mitleid eine funktionierende Beziehung sucht, muss pragmatisch sein. Selten geht es um die große Liebe, meistens eher ums blanke Überleben. Da kann schon die bloße Existenz von Kuckuckskindern ein mörderisches Risiko darstellen und in einen Weltenkrieg eskalieren. Auf dem traumwandlerischen Weg dorthin erlaubt die Serie einen ernüchternden Blick in die Abgründe ständig überkompensierender toxischer Männlichkeit.
 

Trailer House of the Dragon (Warner Bros. DE, 26.10.2022)



Der eigentliche Sündenfall liegt lange zurück und wird eher beiläufig erzählt: Ein Familienmitglied des House of the Dragon wird in der Thronfolge übergangen – weil sie eine Frau ist. Wäre der Stern der Targaryen nicht gesunken, wenn Cousine Rhaenys der Thron zugesprochen worden wäre statt dem über die Jahre dahinsiechenden Viserys? Schritt für Schritt vergiften Fehlentscheidungen, Missverständnisse und ganz banale Animositäten das Schicksal des Herrscherhauses.

Anders als im großen Panorama der Vorgängerserie wird der Ausschnitt im Prequel eher eng kadriert. Es bleibt in der Familie. Das ist schlimm genug: gewaltstrotzende Turniere, heimtückische Morde und blutgetränkte Schlachtfelder. Das alles vor schwarzromantischer Kulisse, eine Welt der Ritter und Piraten, der einsamen Burgen und mühsam gebändigter Drachen. Weit entfernt vom Alltag unserer Gefilde. Und doch auch ein Zerrspiegel all der Dinge, die bei uns schiefsitzen: Geschlechterverhältnisse, Herrschaftskompetenzen, Machtmissbrauch, Egoismus. Nichts, was 12-Jährige nicht wiedererkennen könnten. Sie begreifen auch, dass nicht alles schwarz oder weiß ist. Sie wissen, dass Heldinnen und Helden Fehler machen und eine dunkle, oft unterdrückte Seite haben können. Drachenblut fließt in ihren Adern. Aber was bedeutet das für den Jugendschutz?
 


Freigegeben ab …
 

Beantragt war die Freigabe im Hauptabendprogramm und ab 12 Jahren für alle vorgelegten Folgen der ersten Staffel. Die Einschätzung der Prüfausschüsse changierte zwischen 12 und 16, je nach Wirkungsvermutung einzelner, zum Teil grotesker oder blutiger Gewaltspitzen. Manche Gewalttaten, auch der einen oder anderen Identifikationsfigur, wurden der exotischen Rahmung zugeordnet. Sie passen zur morbiden Grundstimmung der Familiensaga und zeigen auch Jüngeren verständlich den moralischen Verfall dieser Gesellschaft an. Eine übermäßige Gewaltbefürwortung wurde in diesem eher melancholischen Kontext nicht gesehen. Dennoch war die zentrale Frage immer wieder, ob Jugendliche die Vielzahl von physischen Bedrohungssituationen und Übergriffen – auch zwischen nahen Verwandten, Eheleuten, Vertrauten – klar genug als abschreckende Beispiele und als kritikwürdig auffassen würden. Auch wurde diskutiert, ob sich durch den vielfachen Tabubruch nicht doch ein starkes spekulatives Moment und darüber eine Trivialisierung von Diskriminierungen und Gewalterfahrungen einstellen. Gegen diese Vermutung einer potenziellen Desensibilisierung wurden in den Diskussionen allerdings einige entlastende und distanzierende Faktoren angeführt. Die Übertreibung dramatischer Momente kann vor der Folie einer fantastischen Märchenwelt mit einer deutlich realitätsfernen Rechtsvorstellung in ihrer Fiktionalität erkannt werden und ruft nicht zwingend problematische Transfereffekte hervor. Im Gegenteil wurden gerade in den Schicksalsschlägen der weiblichen Charaktere starke Impulse zur Entwicklung von Empathie für die ständig benachteiligten und dabei auf bewundernswerte Weise widerstandsfähigen Figuren gesehen.

Für die Ausstrahlung im Hauptabendprogramm (ab 20.00 Uhr) wurden in einzelnen Episoden Gewaltspitzen durch Schnitte minimiert. Dies betraf Szenen, in denen der Body-Horror doch eine voyeuristisch-spekulative Tönung erhielt und das Leiden der Opfer allzu plakativ in den Vordergrund gerückt wurde. So ist die Darstellung einer Gesellschaft am Abgrund auch für Kinder bzw. Jugendliche ab 12 Jahren ohne zu befürchtende Entwicklungsbeeinträchtigung gestaltet. Die langen dialoglastigen und melodramatischen Passagen dieser fantastischen Zeitreise sorgen für ausreichend Entspannung und Kontemplation.
 

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

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Sendezeiten und Altersfreigaben

Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauer:innen mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

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Jugendschutz bei Streamingdiensten