Ein Jahr nach der Affäre um Patricia Schlesinger

Was aus den Reformversprechen geworden ist

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Im Juli 2022 wurden die ersten Vorwürfe gegen die Intendantin des RBB, Patricia Schlesinger, laut. Nachdem sie zunächst alle Anschuldigungen abstritt, gab sie am 7. August 2022 schließlich ihren Intendantenposten auf. Seitdem hat der Druck auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk enorm zugenommen: Er muss sich neu strukturieren und weniger Geld ausgeben, um die Rundfunkgebühren in Grenzen zu halten. Ein guter Zeitpunkt, um zu schauen, welche Ideen es gibt und was bisher passiert ist.

Online seit 02.08.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/ein-jahr-nach-der-affaere-um-patricia-schlesinger-beitrag-772/

 

 

Am 23. Juni 2022 berichtete das Online-Magazin „Business Insider“, dass Schlesingers Mann Gerhard Spörl, ein früherer „Spiegel“-Journalist, für Beraterverträge mit der Messe Berlin 100 000 Euro erhalten habe. Das Problem: Der damalige Aufsichtsratschef der Messe, Wolf-Dieter Wolf, war gleichzeitig Verwaltungsratschef beim RBB und in dieser Funktion auch für die Kontrolle der Intendantin Schlesinger verantwortlich. Er hatte den Beratervertrag persönlich initiiert.

Die Medien witterten einen Skandal – es wurde vermutet, dass die Nähe zwischen Schlesinger und Wolf zu groß sei, als dass die Intendantin effektiv ihrer Kontrollfunktion nachkommen könne. Bald wurden weitere Vorwürfe laut: private Abendessen in der Wohnung Schlesingers auf RBB-Kosten, ein luxuriöser Dienstwagen mit zwei Chauffeuren – auch für den privaten Gebrauch – und eine teure Renovierung ihres Büros. Immer neue Enthüllungen führten zu wachsender Empörung. Schlesinger und der RBB beauftragten die Hamburger Anwaltskanzlei Lutz/Abel, für Aufklärung zu sorgen. Die Kanzlei kassierte dafür bis April 2023 1,6 Mio. Euro, woraufhin der Rundfunkrat des RBB den Auftrag am 18. Juli etwas plötzlich stornierte (vgl. Fuchs 2023).

Es folgte ein Rücktritt auf Raten: Am 4. August 2022 gab Schlesinger den ARD-Vorsitz auf. Vergleichbares hatte es in der Geschichte der ARD noch nie gegeben. Die Geschäfte übernahm vorübergehend Tom Buhrow, Intendant des WDR. Um einem möglichen Rausschmiss in der Sondersitzung des RBB-Rundfunkrats am 8. August 2022 zuvorzukommen, trat Schlesinger am 7. August als Intendantin zurück. Im RBB selbst gab es für sie wenig Unterstützung. Während die Gehälter der Mitarbeiter niedrig blieben, ging Schlesinger recht großzügig mit den öffentlichen Geldern um, indem die Intendantin sie für private Zwecke nutzte. Die Investigativjournalisten des RBB wirkten jedenfalls fleißig an der Aufarbeitung des Skandals mit (empfehlenswert dazu: Wagner 2023).
 

Schlesinger: letzter Sargnagel in der Diskussion um die Öffentlich-Rechtlichen?

Das Verhalten Schlesingers war Wasser auf die Mühlen der Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: „Noch größer, wenn nicht sogar irreparabel ist allerdings der Schaden für das Ansehen des RBB und die Reputation des gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Nicht nur den erklärten Gegnern von ARD, ZDF und Deutschlandfunk steht nun ein gewaltiges Arsenal von Beispielen zur Verfügung, was bei den Öffentlich-Rechtlichen im Argen liegt und warum dieses System nicht zu retten ist“, kommentierte der Tagesspiegel (Sagatz 2022).
 


Das Verhalten Schlesingers war Wasser auf die Mühlen der Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.



Ein solch umfangreiches und komplexes System zu reformieren, dürfte allerdings schwierig werden: „Mit 18 öffentlich-rechtlichen Fernseh- und 74 Radioprogrammen, ihrer Onlineauftritte und der Angebote in den sozialen Netzwerken, wirkt der ÖRR überdimensioniert. Jede Landesrundfunkanstalt hat jeweils einen eigenen Info-, Kultur- und Jugendsender, im Fernsehen konkurrieren mehrere Kultur- und Infoprogramme miteinander, in den Dritten gibt es viele ähnliche Sendungen mit gleichen Themen, wie etwa auch Jan Böhmermann in seiner Sendung ‚ZDF Magazin Royale‘ festgestellt hat. Schon länger steht das Programm in der Kritik: redundant, irrelevant, nicht jung genug. Einerseits in unfairer Konkurrenz zu privaten Anbietern von Information, andererseits nicht konkurrenzfähig in Sachen Unterhaltung. Die Öffentlich-Rechtlichen sollen ein Angebot für alle machen, doch viele Sendungen richten sich an ein älteres Publikum. Die Zuschauer von ARD und ZDF haben ein Durchschnittsalter von 64 bzw. 65 Jahren – Tendenz steigend. Selbst die Jugendsender One und ZDFneo werden vor allem von Menschen mit einem Durchschnittsalter zwischen 57 und 60 geschaut.“ (leg/Baetz 2023)
 

Jeder muss zahlen, ob er ARD und ZDF nutzt oder nicht

Seit 2013 muss die Rundfunkgebühr von jedem, der beim Einwohnermeldeamt eingetragen ist, bezahlt werden, unabhängig davon, ob er öffentlich-rechtlichen Rundfunk nutzt oder nicht. Dieses System ist in Deutschland sehr unbeliebt. 2022 haben ARD und ZDF 8,57 Mrd. Euro eingenommen. Rund 70 % der Bevölkerung finden die Rundfunkgebühr in der jetzigen Höhe von 18,36 Euro zu hoch (vgl. Business Insider 2022). Dabei scheint die Ablehnung vor allem bei den Wählern konservativer Parteien besonders hoch zu sein, so das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die von „Business Insider“ in Auftrag gegeben wurde: „Die Umfrage ergab außerdem, dass die Zustimmung für die Höhe des Rundfunkbeitrags insbesondere von der SPD- und Grünen-Wählerschaft kommt. 39 Prozent der SPD-Wähler finden den Beitrag angemessen. Bei den Grünen-Wählern sind es 42 Prozent. Trotzdem zeigt sich auch innerhalb dieser Gruppe die Unzufriedenheit mit der Beitragshöhe. 52 Prozent der SPD-Wählerschaft und 48 Prozent der Grünen-Wählerschaft finden die Höhe des Beitrags unangemessen. Besonders deutlich wird die Unzufriedenheit mit der Beitragshöhe bei der CDU- und der AfD-Wählerschaft. Denn:

75 Prozent der CDU-Wähler finden die Beitragshöhe unverhältnismäßig, während es bei AfD-Wählern 94 Prozent sind.“ (Ebd. 2022)


Wie viel Gebühr darf’s denn sein?

Welche Gebühren für angemessen gehalten werden, zeigt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag der „BILD“-Zeitung: 39 % der Befragten würden am liebsten gar keine Gebühren mehr zahlen, 13 % würden bis zu 4,99 Euro abgeben, während 16 % 9,99 Euro für akzeptabel hielten. Zehn Prozent wären höchstens bereit, 14,99 Euro zu zahlen, sechs Prozent bis zu 18,35 Euro (vgl. Wachs 2023). Vor diesem Hintergrund sind weitere Erhöhungen politisch nur schwer durchsetzbar. „BILD“ formuliert es so: „Pikant: ARD-Bosse um Intendant Kai Gniffke (62) planen, den Rundfunkbeitrag deutlich auf bis zu 25,19 Euro monatlich rauf zu knallen. Die Erhöhung um bis zu 6,83 Euro ist laut ‚Business Insider‘ für den Zeitraum von 2025 bis 2028 geplant. ABER: Nur fünf Prozent der Bürger wären bereit, noch mehr als jetzt für ARD, ZDF und Co. zu bezahlen.“ (Ebd.)
 

Bundesverfassungsgericht stärkt die Öffentlich-Rechtlichen und die KEF

Die Rundfunkgebühr muss zwar von den Landtagen beschlossen werden, doch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat durch sein Urteil, dass die politische Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern sei, die Entscheidungskompetenz der Politik stark eingeschränkt. Die letzte Erhöhung der Rundfunkgebühr im Jahr 2020 hat das Land Sachsen-Anhalt abgelehnt, wodurch die Anhebung nicht zustande kam, weil diese einstimmig beschlossen werden muss. Dagegen klagten ARD und ZDF erfolgreich beim Bundesverfassungsgericht: Die Länderparlamente dürfen nur mit stichhaltiger Begründung die Vorschläge der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) ablehnen, und zwar einstimmig (vgl. BVerfG 2021).
 

Sechs Länder gegen Anhebung der Rundfunkgebühr

Das Bundesverfassungsgericht muss sich um Wählerstimmen keine Gedanken machen. Politiker hingegen sorgen sich, dass eine weitere Erhöhung der Rundfunkgebühr die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die der eigenen Partei einschränken könnte, insbesondere nach der Geldverschwendung beim RBB. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke stemmte sich als Erster gegen eine mögliche Erhöhung des Rundfunkbeitrags zur Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandradio (vgl. Huber 2023). Andere folgten bald: „‚Aus heutiger Sicht erscheint eine Anhebung des Rundfunkbeitrages ab 2025 politisch nicht vermittelbar‘ – auf diese Resolution haben sich Ende Juni die Fraktionsvorsitzenden von CDU und CSU in den Landesparlamenten geeinigt. […] Laut Nachrichtenagentur epd sind darüber hinaus insgesamt sechs Landesregierungen gegen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags: Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg, Niedersachsen, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern.“ (Herbstreuth et al. 2023)
 


Politiker […] sorgen sich, dass eine weitere Erhöhung der Rundfunkgebühr die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die der eigenen Partei einschränken könnte.



Aber es wird nicht nur über den Stopp weiterer Erhöhungen nachgedacht: „Der Medienkritiker Imre Grimm würde sich […] wünschen, dass der Rundfunkbeitrag sinkt. ‚Weil die bisherigen Sparbemühungen und auch die Skandale beim RBB für mich gezeigt haben, dass den Sendern die radikale Neuausrichtung ihrer selbst nicht aus eigener Kraft und ohne Schranken gelingt – klare Schranken aus der Politik oder aus der Gesellschaft‘, sagt der Ressortleiter Gesellschaft beim Redaktionsnetzwerk Deutschland. ‚Es geht nicht um eine Verschlechterung der Situation, es geht um eine erhöhte Akzeptanz in der Gesellschaft.‘“ (leg/Baetz 2023)
 

Vorschläge von ARD und ZDF

Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich ändern muss und die Rundfunkgebühren mittelfristig nicht mehr so fließen werden wie bisher, ist auch den Anstalten selbst deutlich geworden. Und das trotz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Art Heiligenschein verpasst hat: Die haushaltsbezogene Rundfunkgebühr wurde 2018 für verfassungskonform erklärt. Dieses Urteil hat das höchste deutsche Gericht damit gerechtfertigt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Funktionsfähigkeit der Demokratie grundlegend sei und somit allen diene: „In der Möglichkeit der Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in seiner Funktion als nicht allein dem ökonomischen Wettbewerb unterliegender, die Vielfalt in der Rundfunkberichterstattung gewährleistender Anbieter, der durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen Orientierungshilfe bietet, liegt der die Erhebung des Rundfunkbeitrags als Beitrag rechtfertigende individuelle Vorteil. Zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat beizutragen, wer die allgemein zugänglichen Angebote des Rundfunks empfangen kann, aber nicht notwendig empfangen muss.“ (BVerfG 2018)
 


Man muss sich die Frage stellen, ob Deutschland mit ARD und ZDF weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender will.



Dieser Heiligenschein ist durch den Skandal beim RBB schnell verblasst. Als erster Interner warb am 2. November 2022 Tom Buhrow im Hamburger Überseeclub für radikale Veränderungen, allerdings als Privatmann und nicht als ARD-Vorsitzender, der er damals war. „Man müsse sich die Frage stellen, ob Deutschland mit ARD und ZDF weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender wolle. ‚Wenn nicht: Was heißt das?‘, sagte Buhrow. ‚Soll einer ganz verschwinden und der andere bleiben? Oder sollen sie fusionieren, und das Beste von beiden bleibt erhalten?‘ Auch über die Anzahl der Regionalprogramme, Spartenkanäle, Orchester und Sendeanstalten müsse man diskutieren. ‚Wollen die Beitragszahler das? Wollen sie es in dieser Größenordnung?‘“ (WDR 2022) Buhrow schlug vor, über eine Zusammenlegung der Mediatheken nachzudenken (vgl. Stern 2022).
 

Lob und Tadel für Buhrow

Bundesfinanzminister Christian Lindner begrüßte die Anregungen Buhrows. Auch Kai Gniffke, Intendant des SWR, befand es für richtig, „Dinge zu überdenken, die […] lange für unantastbar gehalten“ wurden (WDR 2022). Dass der von Buhrow vorgeschlagene runde Tisch dafür der richtige Weg sei, bezweifelte er allerdings: „Das kann Jahre dauern. Diese Geduld habe ich nicht. Meine Sorge ist, dass in dieser Zeit der Reformeifer erlahmt.“ (Ebd.)

Heike Raab, Leiterin der Rundfunkkommission der Länder, zeigte sich allerdings verwundert: „Dort waren alle Intendantinnen und Intendanten erst am 19. Oktober eingeladen und sollten ihre Reformvorschläge einbringen, doch Buhrow legte seine Pläne dort nicht dar. Raab kritisiert: ‚Statt der Ländergemeinschaft, die den Reformdruck klar zum Ausdruck gebracht hat, live zu berichten, wohin die Reise geht, geht Herr Buhrow in den Übersee-Club, sagt, ‹Mein Feld ist die Welt›, und berichtet im Alleingang, wie er sich die Revolution vorstellt.‘“ (Hulverscheidt/Tieschky 2022)

Jan Böhmermann warf Buhrow in seiner Show ZDF Magazin Royale vor, mit seinen Vorschlägen erst zu einem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit getreten zu sein, an dem eine Reform unumgänglich sei: „Huch, plötzlich brauchen wir eine Revolution. Tolle Idee, Thomas Buhrow. Eine Revolution von oben, was soll da schiefgehen? Ne, ne, ne. Wer gute Leute schlecht behandelt, der bekommt eben schlechtes Programm.“ (Böhmermann 2022) Neben der inhaltlichen Kritik wirft Böhmermann den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vor, immer mehr Tätigkeiten auf freie Mitarbeiter zu verlagern, die dadurch in prekäre Arbeitsverhältnisse gerieten. „Dem ZDF-Verwaltungsrat warf Böhmermann mangelnde Staatsferne vor. Mehrere Ministerpräsidenten sind Teil des Rats. Sowieso seien viele Kontrollgremien nicht divers genug besetzt, so Böhmermann.“ (Schmitt 2022)
 

Jung, divers & mega Programm: der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ZDF Magazin Royale, 04.11.2022)



Es gab aber auch Unterstützung für Buhrows Ideen: „Der Vorstoß […] für grundlegende Reformen der öffentlich-rechtlichen Sender hat in der Politik ein überwiegend positives Echo gefunden. Die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und Thüringen, Reiner Haseloff (CDU) und Bodo Ramelow (Linke), signalisierten noch am Donnerstag Zuspruch. Zugleich forderten sie eine breite Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Beteiligung der Bürger. Die Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder, Heike Raab (SPD), bekräftigte ebenfalls die Bereitschaft zu umfassenden Reformen. Grundsätzliche Zustimmung zu Buhrows Initiative kam auch von Berliner Medienpolitikern.“ (epd medien 2022)
 

Geringer Reformeifer

Viel verändert hat sich bisher allerdings nicht. Immerhin ist der Vorschlag von Buhrow, eine Art runden Tisch einzurichten, durch den Zukunftsrat inzwischen umgesetzt worden – viel zu hören war von diesem jedoch noch nicht und die Hoffnungen sind auch innerhalb der Sender verhalten: „Der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke nannte den Zukunftsrat in Tutzing einen ‚wichtigen Schritt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk‘. […] Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGRA) sprach dagegen von einer ‚verpassten Chance‘, da im Zukunftsrat keine Programmmacherinnen und Programmmacher und damit ‚niemand aus dem ‹Maschinenraum› der Anstalten‘ vertreten sei.“ (Grimberg 2023)

ARD und ZDF zusammenzulegen wäre unter Spargesichtspunkten wahrscheinlich eine effektive Maßnahme. Es würde ebenfalls Kosten sparen, die dritten Programme zu vereinen und sie lediglich zu einer begrenzten Zeit, etwa zwischen 18 und 20 Uhr, mit spezifischen Regionalprogrammen zu bespielen. Aber wie viele Arbeitsplätze würde das kosten und was würde mit den Mitarbeitern geschehen? Wer sollte die aus den möglichen Kündigungen entstehenden finanziellen Forderungen begleichen? Notwendig wäre wohl ein langfristiges Konzept. Finanzielle Mittel für einen solchen Prozess müssten frühzeitig angespart und notfalls mit Steuermitteln bezuschusst werden.
 

Reduzierung der Radiosender?

Die Öffentlich-Rechtlichen verfügen über eigene Radiosender, die auch noch Werbung schalten und privaten Sendern damit das Leben erschweren. Den Privaten ist das ein Dorn im Auge: „Marco Maier, Vorsitzender des Fachbereichs Radio und Audiodienste des VAUNET […]: ‚Der Gesetzgeber muss umgehend einen Neustart bzw. eine Neuordnung im dualen System einleiten. Dafür sollte auch der Zukunftsrat die Belange des Privatradios bei seiner Arbeit angemessen berücksichtigen, denn im Radio ist das Ungleichgewicht zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Anbietern im Angebotsumfang und dem Finanzierungsrahmen besonders stark ausgeprägt. In der aktuellen Wettbewerbssituation müssen für beitrags- bzw. beihilfefinanzierte Angebote deshalb klare Grenzen definiert werden. Ein ‚Weiter so‘ bei Umfang und kommerzieller Ausrichtung öffentlich-rechtlicher Radio- und Audioprogramme führt unweigerlich zum Verlust privater Medienvielfalt in den Bundesländern.“ (VAUNET 2023)
 

Zusammenlegung von Anstalten

Es gibt auch die Idee, kleinere Sender, etwa Radio Bremen oder den saarländischen Rundfunk, die vom Finanzausgleich innerhalb der ARD leben, mit größeren Sendern zusammenzulegen. Ähnliche Verbunde gibt es bereits im Bereich des NDR, des MDR, des RBB oder des Südwestdeutschen Rundfunks. Allerdings beschränken sich die Reformvorschläge meist auf formale oder rechtliche Ergänzungen. Die Bereitschaft zu einer radikalen Veränderung, die Tom Buhrow im November 2022 bezeugt hat, ist bisher kaum zu erkennen. Der Medienrechtler Dieter Dörr ist zwar auch für eine tiefgreifende Änderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, seine zentrale Forderung ist aber eher allgemein: „Ausgehend von dem Befund, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der digitalen Welt nicht entbehrlich sei, sondern wichtiger als je zuvor, widmet sich Dörr aktuellen Positionen in der Reformdebatte. So hält er gesetzgeberische Vorgaben für den Funktionsauftrag der Sender für unumgänglich, auch wenn diese stets Gefahr liefen, in Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Vorgaben zu geraten. Der Medienrechtler verweist dabei auch auf den – häufig vernachlässigten – Aspekt des europäischen Beihilferechts, das eine möglichst präzise Beschreibung des Auftrags verlange.“ (Ridder 2023)
 


Die Bereitschaft zu einer radikalen Veränderung ist bisher kaum zu erkennen.



Immerhin gibt der ab dem 1. Juli 2023 geltende neue Medienstaatsvertrag den Sendern mehr Handlungsfreiheit bezüglich ihrer Spartensender: Sie können eingestellt oder ins Internet verlagert werden. „[…] Kai Gniffke möchte eine Onlineplattform als Gegengewicht zu den internationalen Streaming-Anbietern etablieren. ‚Die ARD will in den kommenden Jahren mehrere Hundert Millionen Euro in die Entwicklung von Technologie investieren‘, sagte er bei einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie in Tutzing. ‚Dabei geht es zunächst um den Ausbau des gemeinsamen Streaming-Netzwerks mit dem ZDF.‘“ (leg/Baetz 2023) Gniffkes Plan: „Kein anderes Medienhaus in Deutschland verfügt über so viel attraktive Informationsangebote, Dokumentationen und fiktionale Produktionen wie die ARD. Natürlich können und müssen wir auch da noch stärker werden, etwa im Bereich Serien. Wichtiger beim Streaming ist aber das Thema Nutzerfreundlichkeit. Hier haben bislang die großen amerikanischen Tech-Firmen die Nase vorn. Es geht um klare Empfehlungslogiken, um brillante Player, um komfortable Suche – da müssen wir noch eine Schippe drauflegen. Also sind Investitionen in die Technik notwendig, sofern sie nicht schon im Streaming-Netzwerk mit dem ZDF abgedeckt sind.“ (Janke 2023)
 

Sparen am Programm

Der Kommunikationswissenschaftler Michael Schaffrath hat eine weitere Idee zur Kostenreduzierung: „‚Ich würde es sehr begrüßen, wenn ARD und ZDFbeim Fußball sparen würden‘, sagte der Professor der TU München der Deutschen Presse-Agentur. Der Medienexperte erklärte seine Sicht: ‚Fußball ist mittlerweile angesichts der exorbitant gestiegenen Ablösesummen und Spielergehälter ein ruinöses Geschäft, das immer stärker von der Alimentation anderer lebt. Hauptfinanziers im internationalen Fußball sind irgendwelche Scheichs und national ist es vor allem das Fernsehen.‘ […] Die ARDverfügt nach eigenen Angaben zwischen 2021 und 2024 über einen Sportrechte-Gesamtetat von durchschnittlich rund 237,5 Millionen Euro pro Jahr. Das ZDFbeziffert rückblickend die Kosten der TV-Rechte, die im ‚Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2021 jährlich rund 155 Millionen‘ betrugen. Sie seien der ‚größte Kostenblock im Gesamtaufwand für die Sportberichterstattung‘ von 201 Millionen pro Jahr.“ (RND 2023)

Sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Unterhaltung also den Privaten überlassen? „Als das Rundfunksystem aufgebaut wurden, existierten weder Smartphones noch soziale Netzwerke, Streaming-Dienste oder das Internet – zumindest aus Sicht der breiten Öffentlichkeit. Die Möglichkeiten zur Unterhaltung im Alltag waren also stark eingeschränkt. Deswegen planten die Verantwortlichen einen großen Teil des Rundfunkbeitrags dafür ein, Zuschauern Unterhaltung zu bieten. Unter Unterhaltung verstand man dabei insbesondere ‚Kabarett und Comedy, Filme, Serien, Shows, Talkshows, Spiele und Musik‘. Mittlerweile existieren jedoch unzählige weitere Unterhaltungsmöglichkeiten, die ein durch den Rundfunkbeitrag finanziertes und nicht optionales Unterhaltungsprogramm überflüssig machen. Denn unerlässlich wären mit Blick auf die […] vierte Gewalt lediglich Sendungen wie Reportagen und Berichterstattungen, Dokumentationen, Informationssendungen und politische Talkshows. Weitere Programmpunkte könnten derweil in ein abo- oder werbefinanziertes Modell überführt werden, was eine große finanzielle Entlastung für die Beitragszahler bedeuten würde. Denn der Aspekt der staatlichen Einflussnahme spielt hier keine Rolle.“ (Sandler 2023)
 


Als das Rundfunksystem aufgebaut wurden, existierten weder Smartphones noch soziale Netzwerke, Streaming-Dienste oder das Internet […]. Die Möglichkeiten zur Unterhaltung im Alltag waren also stark eingeschränkt.



Für Gniffke gehört Unterhaltung allerdings mit zum Auftrag, dieser sei „klipp und klar: Wir sind für gesellschaftlichen Zusammenhalt da und für demokratischen Diskurs. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Menschen nicht nur Informationen zugänglich machen – das ist der journalistische Kern –, sondern dass wir auch den Austausch von Meinungen ermöglichen, den Dialog mit den Nutzerinnen und Nutzern. Auch dieser Aufgabe werden wir uns widmen. Es geht vor allem um den Kampf um Aufmerksamkeit. Wir werden dem öffentlich-rechtlichen Auftrag nicht gerecht, wenn Menschen ihre durchschnittlichen drei Stunden Mediennutzung am Tag nur auf sozialen Medien aus den USA und China verwenden, deren Algorithmen für Nutzende nicht nachvollziehbar und undurchsichtig sind.“ (Janke 2023)
 

Fazit

Seit der Gründung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat sich viel verändert. Aus Angst vor einer Gleichschaltung der Medien, wie sie während der Nazizeit möglich war, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes die Zuständigkeit für die Medien in die Hände der Länder gelegt. Das ist heute wohl nicht mehr nötig – aber werden die Länder die Rundfunkkompetenz abgeben? Da es am Anfang nur die ARD und später noch das ZDF gab, war der Binnenpluralismus von großer Bedeutung, der durch die Rundfunkräte mit pluralistischer Besetzung gewährleistet werden sollte. Im Zeitalter des Internets mit unendlich vielen Informationsquellen aus aller Welt haben sich beide Absichten relativiert.

Die Rundfunkgebühr wurde eingeführt, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk politikfern zu gestalten. Allerdings ist der Anteil von Politikern in den Rundfunkräten noch sehr hoch. Dies sah auch das Bundesverfassungsgericht so und hat in seinem Urteil von 2014 den Anteil der Politiker an den Rundfunkräten auf ein Drittel begrenzt (vgl. BVerfG 2014).

Die Erhebung einer Haushaltsabgabe in der gegenwärtigen Höhe, die regelmäßig angehoben werden könnte, ist den Bürgern, die ARD, ZDF und Deutschlandradio nicht nutzen, angesichts des heutigen umfangreichen und in der Regel kostenlosen medialen Angebots, nicht mehr zu vermitteln. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk braucht aber Akzeptanz und Glaubwürdigkeit.

Die Sender sollten daher anstreben, mit einer Rundfunkgebühr auszukommen, welche die Mehrheit der Nutzer bereit sind, zu bezahlen. Hier sollte die Politik klare Vorgaben schaffen: Es ist kaum zu erwarten, dass die Sender selbst in der Lage sind, dieses Ziel durch Umstrukturierungen, Einsparungen oder Fusionierungen zu erreichen. Da es sich aber um ein ausgesprochen kompliziertes System handelt, in dem neben den zahlreichen Sendern und ihren mehr als 25 000 Mitarbeitern noch die KEF und die Landtage mitentscheiden müssen, wird dies sehr lange dauern – zuletzt müssen alle Änderungen auch noch dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes standhalten können. Wichtig ist, dass dieser Prozess nicht verschlafen wird.  
 

Quellen:

Böhmermann, J.: Jung, divers & mega Programm: der öffentlich-rechtliche Rundfunk. In: ZDF Magazin Royale, 04.11.2022. Abrufbar unter: www.youtube.com (letzter Zugriff: 01.08.2023)

Bundesverfassungsgericht (BVerfG 2014): Urteil vom 25.03.2014. In: Bundeverfassungsgericht, 25.03.2014. Abrufbar unter www.bundesverfassungsgericht.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

Bundesverfassungsgericht (BVerfG 2018): Vorschriften zur Erhebung des Rundfunkbeitrags für die Erstwohnung und im nicht privaten Bereich verfassungsgemäß. Pressemitteilung Nr. 59/2018 vom 18. Juli 2018. In: Bundesverfassungsgericht, 18.07.2018. Abrufbar unter www.bundesverfassungsgericht.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

Bundesverfassungsgericht (BVerfG 2021): Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden zum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag. Pressemitteilung Nr. 69/2021 vom 5. August 2021. In: Bundesverfassungsgericht, 05.08.2021. Abrufbar unter www.bundesverfassungsgericht.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

Business Insider: Repräsentative Umfrage: Mehr als zwei Drittel der Deutschen finden die GEZ-Gebühren nicht angemessen. In: Business Insider, 22.08.2022. Abrufbar unter www.businessinsider.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

epd medien: Viel Zuspruch für Buhrows Vorstoß zu ARD-ZDF-Reform. In: epd medien, 04.11.2022. Abrufbar unter: w.epd.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

Fuchs, T.: RBB stoppt interne Untersuchung durch Anwälte: Diese Kanzleien verdienten an der Affäre um Ex-Intendantin Patricia Schlesinger. In: Business Insider, 18.07.2023. Abrufbar unter: www.businessinsider.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

Grimberg, S.: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Was macht der Zukunftsrat?. In: MDR-Medien – 360 G, 04.05.2023. Abrufbar unter www.mdr.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

Herbstreuth, M./Tieschky, C. im Gespräch mit B. Köster: „Irrationale“ Debatte über Rundfunkbeitrag. In: Deutschlandradio, 04.07.2023. Abrufbar unter www.deutschlandfunk.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

Huber, J.: Dietmar Woidke zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Keine Beitragserhöhung, Obergrenze bei Intendantengehältern. In: Tagesspiegel, 09.01.2023. Abrufbar unter: www.tagesspiegel.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

Hulverscheidt, C./Tieschky, C.: Öffentlich-Rechtliche. „Eine vertane Chance“. In: Süddeutsche Zeitung, 03.11.2022. Abrufbar unter: www.sueddeutsche.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

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Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Fußball mittlerweile ruinöses Geschäft“. So viel geben ARD und ZDF für Sportrechte aus – Experte übt Kritik. In: RedaktionsNetzwerk Deutschland, 19.07.2023. Abrufbar unter: www.rnd.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

Ridder, M: Nachbessern erwünscht. Dieter Dörr über die Reform von ARD und ZDF. In: epd medien, 09.06.2023. Artikel online nicht mehr abrufbar.

Sagatz, K.: Riesenarsenal an Argumenten für Gegner. Der Fall Schlesinger schadet den Öffentlich-Rechtlichen gewaltig. In: Tagesspiegel Online, 08.08.2022. Abrufbar unter: www.tagesspiegel.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

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Schmitt, A.: ZDF-Moderator Jan Böhmermann. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist scheiße“. In: RedaktionsNetzwerk Deutschland, 06.11.2022. Abrufbar unter: www.rnd.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

Stern: Rede vor Hamburger Überseeclub. WDR-Intendant Tom Buhrow: ARD und ZDF zusammenlegen? – Warum nicht! In: Stern, 03.11.2022. Abrufbar unter: www.stern.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

VAUNET: Privatradios fordern Neustart im dualen System: „Klare Grenzen für Umfang und kommerzielle Aktivitäten von ARD-Radio- und Audioangeboten definieren“. In: Vaunet, 20.07.2023. Abrufbar unter vau.net (letzter Zugriff: 01.08.2023)

Wachs, C.-V.: Fette Schelle für die Zwangsgebühr. So wenig wollen die Deutschen für ARD und ZDF bezahlen. In: Bild, 11.04.2023. Abrufbar unter: www.bild.de (letzter Zugriff: 01.08.2023)

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