Einfach nicht totzukriegen

Die Miniserie „Tales of the Walking Dead“

Matthias Struch

Matthias Struch studierte Kunstgeschichte und Neuere Geschichte. Er ist Hauptamtlicher Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. und Sammlungsleiter im Deutschen Historischen Museum.

Programm Tales of the Walking Dead
 Horror, USA 2022
SenderMagentaTV, ab 19.02.2023

Online seit 21.02.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/einfach-nicht-totzukriegen-beitrag-1124/

 

 

Dieses selbstreferenzielle Moment ist schon irgendwie amüsant. The Walking Dead (TWD) ist einfach nicht totzukriegen. Wie ihre Untoten scheint auch die Serie selbst nicht sterben zu können, weder serienimmanent noch durch den Abbruch der Comicvorlage oder gar sinkende Zuschauer*innenzahlen. Selbst die Entscheidungen des deutschen Kinder- und Jugendmedienschutzes in der Gestalt von FSF und FSK und dessen mitunter massive Eingriffe wie Sendeunzulässigkeit aufgrund schwerer Jugendgefährdung (endgültiges Aus durch Tod) oder Schnittauflagen (Amputationen, Kopf ab) oder eine fast kinderfreundliche Hauptabendprogramm-Freigabe ab 12 Jahren konnten dem dauerhaften Interesse an 11 Staffeln und 177 Einzelepisoden von 2010 bis 2022 nichts anhaben. (Auf die Funktion von TWD als Hilfeformat – und damit seine lebensgeschichtliche Dimension für den Fall einer Zombie-Invasion – war ich an dieser Stelle schon einmal eingegangen.

Insofern ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass mit Tales of the Walking Dead (TTWD), USA 2022, ein neues Spin-off produziert worden ist, das nun einige bereits ausführlich erzählte Geschichten der Mutterserie ergänzt, anderen scheinbar zu kurz gekommenen Momenten und Dimensionen etwas Raum zu geben versucht oder einmal andere Erzählformen, Themen und Dramaturgien wie Paranormal Activity, Mystery und Haunted House, Zeitschleifen und Road Trip, Thriller und Serienkiller, Film Noir oder Naturdokumentation versucht.

TTWD beginnt in seinen ersten beiden Episoden stark und fresh, zeigt Lust am erzählerischen Experiment und an Ironie und Humor – auch schwarzem; das Fehlen von letzterem war ja eine der wesentlichen Qualitäten von TWD. Das Bierernste weicht einer Form von Heiterkeit, ohne das existenzielle Drama ganz zu vergessen. Selbst die Liebe darf leichtfüßig Einzug halten und der souveräne Joe in Episode 1 die Erfahrung machen, dass es allein vielleicht einfacher ist, zu zweit deutlich komplizierter, aber auch merklich schöner. Und all das ohne die dann doch selbst im Stadium der Liebe irgendwie immer schmerzverzerrten und angestrengten Gesichter von Daryl und Carol und Ezechiel und Rick und Michonne und all den anderen. Selbst Sex – ganz im Gegensatz zur literarischen Vorlage so gut wie ausgespart in TWD – gibt es nun.
 

Pre-Trailer Tales of the Walking Dead, Staffel 5 (Magenta TV, 02.02.2023)



Doch bei all dem Neuen oder Anderen wollen die sechs abgeschlossenen Episoden den bekannten und sicheren Handlungsrahmen und seine visuelle Umsetzung dann doch nicht verlassen, was ihnen die weithin übliche Spätabendprogramm- und Ab‑16-Freigabe einbringt. Denn noch immer endet der direkte körperliche und interagierende Kontakt von Menschen mit einem Walker tödlich für die eine Seite – notwendigerweise durch Zerstörung des zentralen Nervensystems in welcher Form auch immer – und transformierend für die andere, die menschliche. Noch immer gibt es Nischen und Reservate, in denen normales Leben fast ohne Bedrohung möglich scheint, doch allein mit der Entdeckung dieser naht die Zerstörung der Binnenparadiese. Und auch die Themen bleiben mitunter sehr ähnlich. So fühlt man sich manchmal an die ersten Staffeln der Mutterserie erinnert, als beispielsweise die Handhabung der Todesstrafe und ihre Unmöglichkeit umfassend diskutiert und eine klare Haltung eingenommen wurde, eine Haltung, die dann in späteren Staffeln bei einzelnen, müde gewordenen und desillusionierten Helden einem pragmatischeren, fatalistischeren oder gar technokratischen Zugriff wich. Und ohne zu spoilern, bekommt auch das schon immer erkennbar schwer belastete Verhältnis zwischen Lydia und ihrer Mutter Dee, die spätere, grausame Alpha, eine weitere glaubhafte Erklärung.

TTWD ist sicherlich etwas für Kenner*innen, von TWD, kommt aber irgendwie auch wie eine Staffel Einzelepisoden von American Horror Story daher. Und beides ziemlich gut und sicher rezipierbar spät am Abend.
 


Freigegeben ab …
 

Die Serie enthält serien- und genretypische blutige Zombieangriffe, Kampfszenen und Tötungen, die von ab 16‑Jährigen innerhalb der Zombie-Dystopie eingeordnet und als Extrem- bzw. Ausnahmesituation erkannt werden können. Eine Übertragung auf die Lebenswelt von Jugendlichen bzw. eine etwaige Desensibilisierung oder eine problematische, normalisierende oder befürwortende Haltung hinsichtlich Gewalt werden aufgrund der offensichtlichen Fiktionalität des in sich geschlossenen Szenarios nicht vermutet. Die klare Verortung im Genre ermöglicht es 16‑Jährigen, die bereits über eine breite Medien- und Genrekompetenz verfügen, hinreichend Distanz aufzubauen. Viele Gewaltdarstellungen sind zudem artifiziell, wodurch die bildliche Drastik relativiert wird. Auch das Risiko einer nachhaltigen Ängstigung wurde für ab 16‑Jährige nicht gesehen, da Zuschauer*innen dieser Altersgruppe aufgrund ihres Entwicklungsstandes bereits in der Lage sind, sich auch von intensiveren Gewaltdarstellungen und Inhalten mit hohem Spannungsniveau zu distanzieren.
 

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Weiterlesen:
Sendezeiten und Altersfreigaben

Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauer:innen mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1§ 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

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Jugendschutz bei Streamingdiensten