Elon Musk und das Durcheinander bei Twitter

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Lange galt Elon Musk für viele Menschen als Genie. Bis vor Kurzem war er der reichste Mensch der Welt. Weil er sich um die Freiheit der Meinungsäußerung Sorgen machte, kaufte er Twitter. Dort übernahm er den Chefposten, richtete aber in kurzer Zeit ein derartiges Chaos an, dass selbst seine Follower*innen auf Twitter für seinen Rücktritt stimmten.

Online seit 03.01.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/elon-musk-und-das-durcheinander-bei-twitter-beitrag-772/

 

 

Der Südafrikaner Elon Musk, der als 16-Jähriger nach Kanada auswanderte und inzwischen auch einen Pass der USA besitzt, wo er sich am meisten aufhält, ist als unternehmerischer Tausendsassa bekannt: Begonnen hat er mit dem Bezahldienst PayPal, bekannt geworden ist er mit der Elektroautomarke Tesla. Darüber hinaus gründete er 2002 das Weltraumunternehmen SpaceX, mit dem er den Weg zum Mars antreten will und mit dem er satellitengestützte Internetverbindungen weltweit ermöglicht – gegenwärtig auch in der Ukraine, wo die terrestrische Infrastruktur weitgehend lahmgelegt ist.

Musk erklärte in der Comedyshow Saturday Night Live, in der er sich auch über sich selbst lustig machte, dass er unter einer leichten Form des Asperger-Syndroms leide und dass sein Gehirn nach besonderen Regeln funktioniere: „Musk erklärte in dem Zusammenhang, er sei die erste Person mit dem Asperger-Syndrom in der Show – ‚oder zumindest die erste Person, die das zugibt‘. Laut US-Medien könnte es das erste Mal überhaupt gewesen sein, dass Musk öffentlich darüber sprach. Auf seine milde Form von Autismus zielte auch der Satz: ‚Ich kann Menschsein gut im Emulationsmodus abspielen.‘ Emulatoren sind normalerweise Programme, die einen Computer oder ein Betriebssystem nachbilden.“ (Spiegel Kultur 2021)
 

Elon Musk Reveals He Has Asperger’s In ‘SNL’ Monologue (Access Hollywood, 09.05.2021)



Erst für die Demokraten, jetzt für Trump

Auch in die Politik hat sich Musk immer wieder eingemischt. Während er zunächst verkündete, die Demokraten zu wählen, erklärte er im Mai 2022, nun die Republikaner zu unterstützen – der damals noch reichste Mann der Welt bezeichnet inzwischen die Demokraten als „Partei der Spaltung und des Hasses” (Welt 2022), die Elite-Uni Yale sei das „„Epizentrum des geistigen Woke-Virus, das versucht, die Zivilisation zu zerstören‘ […] Musk schrieb auch, dass nun mit einer ‚Kampagne schmutziger Tricks‘ gegen ihn zu rechnen sei und suggerierte, dass diese mit seinen politischen Äußerungen zusammenhänge.“ (Ebd.)

Musk unterstützt nun Donald Trump. Als dessen Twitter-Account wegen offensichtlicher Fake News gesperrt wurde, machte sich Musk ernsthafte Sorgen um die Meinungsfreiheit. Um solche Eingriffe in Zukunft zu verhindern, kündigte er im April den Kauf des Nachrichtendienstes an, was er dann nach einigem Hin und Her einschließlich eines Gerichtsstreits schließlich am 27. Oktober 2022 auch für einen Kaufpreis von rund 44 Mrd. US-Dollar realisierte. (ZDF 2022)
 

Chaos bei Twitter

Viel Geschick bewies er dabei bisher nicht. Er feuerte mehrere Topmanager, unter ihnen auch den bisherigen Twitter-Chef Parag Agrawal, Finanzvorstand Ned Segal und die Chefjuristin Vijaya Gadde. „Mindestens einer der Manager sei aus der Firmenzentrale herausgeführt worden, schrieb die ‚New York Times‘ unter Berufung auf informierte Personen.“ (Tagesschau 2022) Auch von den übrigen 7.500 Mitarbeiter*innen musste oder wollte jede*r Zweite gehen, was nicht ohne Folgen für das Unternehmen blieb. Musk setzte sich neben Tesla und SpaceX nun auch bei Twitter auf den Chefsessel und kündigte den Umbau des Unternehmens zu einer Multifunktions-App nach dem Vorbild der in Asien beliebten App WeChat an, eine Kombination aus Social-Media-Bezahl- und Mobilitäts-App. (Ebd.)

Den Twitter-Werbekunden verkündete Musk, „[d]ie Plattform müsse warm und einladend für alle sein“ (ebd.). Viele befürchten jedoch, dass unter Musk Hassrede und Desinformationen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zunehmen könnten. Die Plattform hat sich bereits verändert. Viele Journalist*innen oder Politiker*innen haben sich von Twitter verabschiedet, es geht dort inzwischen vor allem um die Plattform selbst.

Auch mit der Meinungsfreiheit nimmt es Musk nicht so genau: Plötzlich wurden die Accounts von sechs Journalist*innen gesperrt, darunter ein CNN-Journalist: Sie hatten alle kritisch über Musk und Tesla berichtet. Konkret ging es bei der Sperrung aber um die Berichte über einen automatisieren Twitter-Account, in dem die Flugdaten des Privatjets von Musk offengelegt wurden.

Allerdings wurde nicht der Account selbst gesperrt, sondern der von Journalist*innen, die über diesen Account berichtet hatten. Nach Ansicht von Musk würde damit gegen die „Doxing-Rules“ (Schenten/Splanemann 2022) verstoßen, die das Veröffentlichen privater Daten verbieten. Obwohl die Sperrungen der Accounts nach ein paar Stunden wieder aufgehoben wurden, drohen Musk nun presserechtliche Konsequenzen, da er selbst die Sperrung nicht begründet hat. Sowohl die EU als auch die Bundesregierung haben angekündigt, Musk zu beobachten, ob er möglicherweise gegen das 2021 beschlossene Gesetz über digitale Dienste verstößt, das der Medienfreiheit dienen soll. (Ebd.)

Auch der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands, Frank Überall, kritisierte die Sperrungen: „Es sei ‚zum Teil wirklich Wildwuchs, was bei Twitter gemacht wird‘ […] Hassrede und Hasseinträge werden ihm zufolge auf der anderen Seite von Musk teils nicht strafrechtlich verfolgt. Er habe nun offenbar ‚aus einem persönlichen Befinden‘ gehandelt.“ (rbb24 2022)
 

Rücktrittsforderungen

Inzwischen wurde der Ruf immer lauter, Musk möge vom CEO-Posten bei Twitter zurücktreten. Als Konsequenz hat er seine 122 Mio. Follower auf Twitter abstimmen lassen: 57,5 % von ihnen waren für seinen Rücktritt, 42,5 %dagegen. In einer ähnlichen Abstimmung hat er schon mal darüber abstimmen lassen, ob Donald Trump seinen Account zurückerhalten sollte. Dem wurde zugestimmt – allerdings ist der Account passiv, Donald Trump hat inzwischen einen eigenen Dienst aufgebaut, auf dem er sich verbreitet. Musk hat nun angekündigt, den Chefsessel bei Twitter zu räumen, unter der Voraussetzung, dass sich jemand findet, „der dumm genug ist, den Posten zu übernehmen“ (Schenten/Splanemann 2022). Da Musk aber die meisten Twitter-Anteile besitzt, wird er auch danach sicherlich noch einigen Einfluss auf die Plattform nehmen. Angeblich sei Musk auch vom Emir von Katar zum Rücktritt aufgefordert worden, der ebenfalls einen Anteil von 385 Mio. US-Dollar an Twitter hält. (Ebd.)
 

Rückgang der Werbeeinnahmen

Die negative Presse und das Durcheinander bei der Übernahme haben zu einem erheblichen Rückgang der Werbeeinnahmen bei Twitter geführt. Von den deutschen Dax-Unternehmen haben sich Volkswagen mit all seinen Marken und die Allianz-Versicherung von Twitter zurückgezogen. „Andrea Malgara, Managing Partner bei der großen Medienagentur Mediaplus, empfiehlt Firmen, alle Werbeaktivitäten auf Twitter vorerst auszusetzen und die aktuelle Lage zu beobachten. ‚Insbesondere auf digitalen Medien beeinflusst das Umfeld stark, wie die eigentliche Werbung wahrgenommen wird.‘ Beobachter hätten über das Wochenende festgestellt, dass sich wieder mehr Nutzer angemeldet haben, die früher gesperrt worden waren, die Zahl der polarisierenden und extremistischen Tweets habe zugenommen“ (Jahn/Scheppe 2022).

Twitter ist auf die Werbeumsätze angewiesen, „Von 5,1 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr 2021 machte das Unternehmen 89 Prozent mit Werbeanzeigen“ (ebd.).

Auch für Musk selbst hat die wirtschaftliche Schwäche von Twitter Folgen: Er ist nicht mehr der reichste Mann der Welt. Um den Kaufpreis für Twitter zu finanzieren, musste er einen großen Teil seiner Tesla-Aktien verkaufen. Das hat ein Loch in die Kasse gerissen. Ferner ist der Kurs der Tesla-Aktie eingebrochen, weil viele Aktionäre Musk nicht zutrauen, alle seine Unternehmen gleichzeitig zu steuern: „Vom Börsenstar zum Aussteiger-Papier: Der Kurssturz der Aktien von Tesla hat sich kurz vor Weihnachten noch einmal beschleunigt. Mit einem Verlust von weiteren 8 Prozent auf 126 US-Dollar fielen die Tesla-Aktien am Donnerstag in den USA auf das tiefste Niveau seit zwei Jahren. Allein im Dezember summieren sich die Verluste auf 30 Prozent. Seit Januar 2022 hat Tesla bereits mehr als 65 Prozent an Wert verloren: Zu Jahresbeginn hatte die Tesla-Aktie noch bei 400 US-Dollar notiert. Zwei Drittel der Marktkapitalisierung von Tesla haben sich bereits in Luft aufgelöst.“ (Manager Magazin 2022)

„Auch laut dem Fachblatt ‚Forbes‘ hat Musk viel Vermögen verloren. In diesem Jahr habe es zeitweise bei 219 Milliarden US-Dollar gelegen, heißt es dort, inzwischen betrage es noch 146 Milliarden US-Dollar. Viele Anleger kritisieren, Musk habe beim Kurznachrichtendienst Twitter Schlagzeilen gemacht und darüber Tesla vernachlässigt. Auch Musks Ankündigung vor Weihnachten, in den kommenden zwei Jahren wohl keine Tesla-Aktien mehr zu verkaufen und die Führung bei Twitter abzugeben, sobald er einen geeigneten Nachfolger gefunden habe, konnte die Investoren kaum besänftigen.“ (Spiegel Wirtschaft 2022).
 

Musk is the message

Das Medieninteresse an Musk ist allerdings ungebrochen. Im Medienmagazin Breitband wird der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen gefragt, ob es nicht besser wäre, über Personen wie Musk und Trump nicht mehr so häufig zu berichten. „Dabei handele es sich auch um keine Verletzung des Neutralitätsauftrags von Journalismus, meint der Medienwissenschaftler. Denn es sei ohnehin unmöglich, nicht auszuwählen, worüber berichtet wird. Wichtig sei nur, die Entscheidungsprozesse darüber, was einen Nachrichtenwert hat, transparent zu machen. Denn man könne ja begründen, warum man nicht jede Provokation und Zündelei abbilden wolle.“ (Linß/Böttcher 2022)
 

Quellen:

Jahn, T./Scheppe, M.: Trotz der Boykotte: Viele deutsche Unternehmen werben weiter auf Twitter. In: Handelsblatt, 07.11.2022. Abrufbar unter: www.handelsblatt.com

Linß, V./Böttcher, M.: Musk, Trump und Co. Die Kunst der Nicht-Berichterstattung. Bernhard Pörksen im Gespräch mit Vera Linß und Martin Böttcher. In: Breitband, 17.12.2022. Abrufbar unter: www.deutschlandfunkkultur.de

Manager Magazin: Aktie im Ausverkauf. Kurssturz von Tesla beschleunigt sich. In: Manager Magazin, 22.12.2022. Abrufbar unter: www.manager-magazin.de

rbb24: DJV kritisiert Sperrung der Twitter-Konten von US-Journalisten. Interview mit Frank Überall. In: Info-Radio, 16.12.2022. Abrufbar unter: www.inforadio.de

Spiegel Kultur: Elon Musk bei „Saturday Night Live“ – „Dachtet ihr wirklich, ich wäre ein gechillter, normaler Kerl?, In: Spiegel Kultur, 09.05.2021. Abrufbar unter: www.spiegel.de

Spiegel Wirtschaft: Bericht von „Bloomberg“. Musk verliert offenbar 200 Milliarden US-Dollar Vermögen. In: SPIEGEL Wirtschaft, 31.12.2022. Abrufbar unter: www.spiegel.de

Schenten, A.K./Splanemann, L.: Räumt Elon Musk jetzt den Twitter-Posten? In: rbb 24 Inforadio, Newsjunkies, 21.12.2022, Abrufbar unter: www.inforadio.de

Tagesschau: Führungskräfte entlassen. Musk schließt Twitter-Kauf ab. In: tagesschau, 28.10.2022. Abrufbar unter: www.tagesschau.de

Welt: Ablenkungsmanöver? Elon Musk bezeichnet US-Demokraten als „Partei des Hasses“. In: Welt, 19.05.2022. Abrufbar unter: www.welt.de

ZDF: Beziehungsdrama in acht Akten. Chronologie: So lief die Twitter-Übernahme. In: ZDF heute, 28.10.22. Abrufbar unter: www.zdf.de