Panorama der Grausamkeiten

Die zweite Staffel „Gangs of London“ auf Sky Atlantic

Uwe Breitenborn

Dr. Uwe Breitenborn ist hauptamtlicher Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), Dozent, Autor und Bildungsreferent bei der Medienwerkstatt Potsdam.

Programm Gangs of London
 Action, GB/USA 2022
SenderSky Atlantic, ab 20.10.2022

Online seit 26.10.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/gangs-of-london-panorama-der-grausamkeiten-beitrag-1124/

 

 

Teatime, Monarchie oder der Gewaltexzess der Serie Gangs of London – auf einiges aus dem Vereinigten Königreich kann man sich verlassen. Am 20. Oktober 2022 startete bei Sky die Ausstrahlung der zweiten Staffel des ambitionierten Gangster-Epos. Bereits die erste Staffel sorgte für Aufmerksamkeit, da sie mit einem furiosen und extremen Gewaltmix aufwartete, der durchaus einen neuen Standard in der Gewaltinszenierung etablierte (siehe Beitrag im Blogarchiv). Das setzt sich nun fort.
 

Im ganz großen Stil

Nach dem Zusammenbruch des Wallace-Dumani-Imperiums eskalieren Rivalitäten, und neue Banden versuchen, Fuß zu fassen. Wer wird die Macht in der Londoner Unterwelt, die immer auch die „Oberwelt" der „Investoren" ist, übernehmen? Von Anfang an dabei ist der eiskalte Killer Koba (Waleed Zuaiter), der von Asif (Asif Raza Mir) beauftragt wird, in der City aufzuräumen. Die spektakuläre Eingangsszene der Serie, in der Koba erstmals auftritt, ist durchaus verstörend. Das Gemetzel beginnt. Die Devise heißt auch hier: Jeder gegen jeden. Und alle gemeinsam.

In der neuen Staffel treffen wir auch auf alte Bekannte: Elliot (Sope Dìrísù) die Gebrüder Sean und Billy Wallace (Joe Cole und Brian Vernel) sind wieder am Start, ebenso wie ihre harte Mutter Marian (Michelle Fairley). Im Gestrüpp düsterer Beziehungen stecken sie allesamt in unlösbaren Konflikten, deren einzig legitime Lösung Gewalt ist. Menschen wie Automaten oder Algorithmen. Null Eins Null Eins. Klick Klick. Es gibt auch ein paar neue Gesichter, so zum Beispiel die französische Rapperin Jasmine Armando in ihrer ersten TV-Rolle oder Fady El-Sayed (Baghdad Central).

Wie schon in der ersten Staffel prägt der multiethnische Mix die Szenerie. Dabei ist es egal, ob kurdisch, englisch oder georgisch – beim Töten ist niemand zimperlich. Auch nicht die Inszenierung. Die darstellerischen Leistungen sind wieder exzellent, obwohl die Charaktere der zweiten Staffel weniger überraschend erscheinen, da ihre Rollen durch die erste Staffel recht klar definiert sind. Regisseur dieser Staffel ist Corin Hardy, Tom Butterworth ist Lead-Autor. Beide sind ebenfalls Executive Producer der Serie, die im Auftrag von Sky Studios produziert wurde. Die Hochwertigkeit der Produktion ist unübersehbar. War schon die erste Staffel der Serie, die von Regisseur Gareth Evans entwickelt wurde, nichts für zarte Gemüter, so wird in der zweiten noch eine Schippe draufgelegt.
 

Trailer Gangs Of London | Series 2 (Sky TV, 23.09.2022)



Das Gesterbe geht weiter

Wer will, kann Gangs of London wieder als kapitalismuskritische Parabel interpretieren. So wird ständig von den „Investoren“ geraunt, deren Wille geschehe. Es bleibt aber ein Klischee, eine Projektionsfläche für das, worum es eigentlich geht: eine düstere Gewaltorgie, die hier und da auch an Tabus kratzt. Den anonymen „Investoren“ wird in diesem Drama eine harte und vor allem konkrete Gangster-Machismo-Identität entgegengesetzt. Das Sterben ist nicht nur auf der Bildebene sehr konkret. Hervorzuheben ist die Soundebene, die dem ganzen Furor einen eindringlichen Charakter gibt: schniefen, grunzen, schreien, keuchen, röcheln, stöhnen. Körper werden hörbar demoliert. So entsteht ein naturalistisches, ja existenzialistisches Erlebnis, das gerade auch in seinen teils grotesken Gewaltspitzen erschüttert. Töten als körperlich harte Arbeit. Die Inszenierung der neuen Staffel steht auf drei Säulen: Gewalt, Sound und Machismo. Und das Gangstertum ist eine ernste Sache. Gelacht wird in dieser Serie kaum. Lebensfreude? Fehlanzeige. Kampf und düstere Mienen dominieren.
 


Freigegeben ab …
 

Der Serienplot wird wieder über die Episoden hinweg erzählt, dennoch bieten die einzelnen Folgen vorläufig abgeschlossene Teilaspekte, die zu späteren Zeitpunkten wieder aufgegriffen werden. Die atmosphärisch dichte Erzählung ist fokussiert auf intensive Höhepunkte und weniger auf entlastende Passagen. Die gesamte Serie kommt wieder als bildmächtiges Gewaltspektakel daher, das auf eine ernsthafte, realitätsnahe, aber auch zunehmend artifizielle Dramaturgie setzt, die im kriminellen Milieu Londons der Gegenwart angesiedelt ist. Die zumeist düstere Inszenierung weist wieder sehr drastische Gewaltspitzen auf, die zuweilen selbstzweckhaft und gewaltbefürwortend in Szene gesetzt sind. Formattypisch erscheint Gewalt in dieser Serie grundsätzlich als einzig legitimes Mittel zur Lösung von Problemen. Bei aller Künstlichkeit wurden diese Szenen zum Teil als desensibilisierend für unter 18‑Jährige eingeschätzt.

So sind Foltersettings und Morde zu sehen, die sich auf den Schauwert zynischer, teils grausamer Tötungen konzentrieren. Anderseits werden die Figuren durchschaubarer und voraussehbarer. Herannahende Niederträchtigkeiten werden vorbereitet und kommen nicht mehr überraschend. Auch wenn die Gewalthandlungen genretypisch exzessiv sind und zuweilen überchoreografiert wirken, haben sie oft einen spekulativen Grundton, der deutlich mit einer Faszination für die Gangsterkultur inklusive ihrer harten Klischees spielt. Eine gewisse Gewaltlust ist der drastischen Inszenierung nicht abzusprechen, auch wenn das Gewalthandeln in die Handlung plausibel integriert ist. Durch den fiktionalen Kontext, die teils klischeehafte Rollenzuordnung und die narrative Einbettung wird dies jedoch eingehegt. Zudem verharmlosen oder verherrlichen die Gewaltszenen in ihrer Drastik nicht die Gewalt, sondern zeigen sie in ihrer ganzen Grausamkeit.

Sieben der acht Episoden wurden für unter 18‑Jährige als sozialethisch desorientierend und gewaltbefürwortend (im Sinne einer Desensibilisierung) eingeschätzt. Nur eine Episode erhielt mit Schnittauflagen eine Freigabe ab 16 Jahren. Ab 18‑Jährigen wird aufgrund einer größeren Medienerfahrung und ‑kompetenz zugetraut, sich von den Gewaltexzessen distanzieren und diese Szenen einordnen zu können.

 

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

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Sendezeiten und Altersfreigaben

 

Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauer:innen mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1§ 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

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Jugendschutz bei Streamingdiensten