Jugendgefährdend oder durch Meinungsfreiheit geschützt?

Elternratgeber gegen Transgeschlechtlichkeit landet auf dem Index

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Am 14. September 2023 hat die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) eine Broschüre auf den Index gesetzt, die weder Gewalt noch Sexualität oder Drogen verharmlost, sondern sich als Ratgeber für Eltern ankündigt: Sie sollen, so die Empfehlung, ihre Kinder „deprogrammieren“ (BzKJ, S. 23), wenn sie sich als trans* bezeichnen. Es gäbe nur zwei Geschlechter. Wer sich weder als Mann noch als Frau fühlt oder sein biologisches Geschlecht nicht als sein eigentliches empfindet, sei einer medialen Kampagne auf den Leim gegangen.

Online seit 27.11.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/jugendgefaehrdend-oder-durch-meinungsfreiheit-geschuetzt-beitrag-772/

 

 

Die Broschüre von Stefanie Bode und Rona Duwe ist eine Übersetzung und Zusammenfassung eines Buches der US-Amerikanerin Maria Keffler. Der deutsche Titel: Wegweiser aus dem Transgenderkult – Elternratgeber. Die Schrift wurde auf der Website der feministisch orientierten Initiative LASST FRAUEN SRECHEN! zum Download angeboten. Die Grundbehauptung des Buches: Es gebe nur zwei biologische Geschlechter und keine „wahren Transsexuellen“ (Wehninger 2023), sie seien vielmehr das Ergebnis einer Ideologie, eines Kultes, hinter dem auch finanzielle Interessen stünden.

Die Broschüre formuliert Empfehlungen, wie Eltern mit ihren Kindern umgehen sollen, wenn diese dem „Kult“ verfallen zu sein scheinen. Das Ziel: Trans* Jugendliche sollen deprogrammiert und auf ihr biologisches Geschlecht zurückgeführt werden (vgl. Bode/Duwe, S. 24, zit. nach BzKJ 2023, S. 6). Der Erziehungsratgeber interpretiert diese gewachsene Toleranz in einer Art Verschwörungshypothese als das Ergebnis einer interessengesteuerten Kampagne, einer „Transagenda“ (Bode/Duwe, S. 31, zit. nach BzKJ, S. 18).
 

KJM stellt Indizierungsantrag bei Bundesprüfstelle

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ist Teil der BzKJ und wird in der Regel auf Antrag tätig. Antragstellerin im Falle des Elternratgebers war die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), die nach § 21 Abs. 2 Jugendschutzgesetz (JuSchG) neben den Obersten Landesjugendbehörden, den Jugendämtern und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend antragsberechtigt ist. Die Bundesprüfstelle schloss sich der Position der KJM an und nahm die Broschüre am 14. September in die Liste der jugendgefährdenden Schriften auf.

Das Indizierungsverfahren ist ein gerichtsähnlicher Prozess. Die für das Medium Verantwortlichen haben das Recht, ihre Argumente im Indizierungsverfahren schriftlich oder mündlich vorzutragen. Nach § 18 JuSchG können Medien in die Liste aufgenommen werden,

die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden“ (§ 18 Abs. 1 JuSchG).

Allerdings darf ein Medium nicht wegen seines „politischen, sozialen, religiösen oder weltanschaulichen Inhalts“ oder wenn es „der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre dient“ indiziert werden (ebd., Abs. 3 Nr. 1 & 2).

Über die Indizierung entscheidet in der Regel ein Gremium aus zwölf Personen, das die relevanten gesellschaftliche Gruppen abbildet, wie Träger der Jugendhilfen, Lehrerschaft und Kulturvertreter. Stimmen zwei Drittel des Gremiums für eine Indizierung, wird das Medium in die Liste der jugendgefährdenden Schriften aufgenommen. Dies hat zahlreiche Vertriebsbeschränkungen zur Folge, um möglichst zu verhindern, dass Jugendliche damit in Kontakt kommen. Derlei Medien dürfen nicht beworben werden und Filme, die in der Videofassung indiziert sind, dürfen nicht im Fernsehen ausgestrahlt werden.
 

Die Autorinnen wollen klagen

Im Interview mit The Epoch Times kündigt Stefanie Bode, Mitautorin des sogenannten Elternratgebers, an, gerichtlich gegen die Indizierung vorzugehen. Bode:

Während der Befragung wurde uns vorgeworfen, wir würden Transsexualität negieren. Ich habe immer wieder gesagt, dass die Idee der wahren Transsexualität ein soziales Konstrukt, ein Mythos, eine Überzeugung, ein Glaube ist. Ich zweifle an, dass man im falschen Körper geboren werden kann.“ (Wehninger 2023)

In einer Pressemitteilung die auf der Website der zweiten Autorin, Rona Duwe, zu finden ist, heißt es weiter: „Die Broschüre ist nicht an Kinder und Jugendliche gerichtet, sondern an Eltern. In der Stellungnahme zum Indizierungsantrag begrüßten Stefanie Bode und Rona Duwe aber, dass auch Jugendliche sich mit einer Perspektive auseinandersetzen können, die sie in Selbst- und Körperakzeptanz unterstützt und sie darin bestärkt, dass sie im richtigen Körper geboren sind. Sie halten es auch weiterhin für wichtig, dass Eltern diese Perspektive vermittelt wird und dass ihnen Methoden gezeigt werden, wie sie mit dem z.B. durch soziale Medien oder Peergroups verstärkten Empfinden ihrer Kinder, im falschen Körper geboren sein zu können und daher in körperschädigende Maßnahmen einzusteigen, umgehen können.“ (Duwe 2023)

Die Broschüre richtet sich indirekt gegen das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag, das zum Jahresende vom Bundestag verabschiedet werden soll. Das Gesetz soll trans*, nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen die Änderung ihres Vornamens und Geschlechtseintrages im Personenstandsregister vereinfachen. (Vgl. Westkämper 2022)

Die Voraussetzungen für einen operativen Eingriff bleiben dagegen streng. Bevor trans* Jugendliche zur Geschlechtsangleichung die verschiedenen Hormontherapien beginnen können, stehen psychotherapeutische Beratungen an (vgl. Felchner 2020). „Dies alles geschieht, um sicherzustellen, dass es sich bei dem Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung nicht nur um eine Phase handelt. […] Erwachsene benötigen zwei Gutachten, die bestätigen, dass sie transsexuell sind, sowie eine Anzeige der Notwendigkeit einer Geschlechtsumwandlung von einem Arzt, der im Bereich der Transsexualität erfahren ist und mit dem Patienten schon längere Zeit zusammengearbeitet hat.“ (Ebd.) Operative Geschlechtsangleichungen sind sehr selten, haben aber zwischen 2012 und 2022 von 883 auf 2 600 Operationen zugenommen (vgl. Statista 2023).
 

Die Begründung der Prüfstelle

Inzwischen liegt die Begründung der Bundesprüfstelle für die Indizierung vor. Darin schließt sie sich der Argumentation des Antragstellers an: „Das Handlungskonzept zielt darauf ab, junge trans*Menschen [sic!] losgelöst von individuellen Eigenschaften allein auf der Grundlage der behaupteten Zugehörigkeit zu einem ‚Kult‘ als fremdbestimmt und hilfsbedürftig darzustellen. Dadurch wird der Eindruck erweckt, junge trans*Menschen [sic!] seien Opfer ideologischer Indoktrination und zur reflektierten Meinungs- und Willensbildung nicht fähig. Dies hat zur Folge, dass kein Raum für eine rationale und an den individuellen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen ausgerichtete Auseinandersetzung gegeben wird.“ (BzKJ 2023, S. 6) Zwar weist die Broschüre darauf hin, dass die Interpretation eines Kultes nur eine Möglichkeit von vielen ist, allerdings sind alle von ihr angeführten alternativen Erklärungsmodelle im Zusammenhang mit der Transgeschlechtlichkeit negativ konnotiert: Es könnte sich um eine psychische Krankheit handeln, eine Religion, oder der Ausdruck einer Männerrechtsbewegung sein (vgl. Bode/Duwe, S. 1-2, zit. nach BzKJ 2023, S. 7). In jedem Falle wird Transgeschlechtlichkeit dabei nicht als integraler Teil einer Persönlichkeit anerkannt. Die Geschlechtszugehörigkeit wird in der indizierten Broschüre als ausschließlich biologisch, „binär und unveränderbar“ verstanden. Im Gegensatz dazu sei die Persönlichkeit „fluide und vielfältig.“ (Bode/Duwe, S. 5, zit. nach BzKJ 2023, S. 3)

Auf jeden Fall hält es die Broschüre für fatal, wenn Eltern die Überzeugung ihrer Kinder, trans* zu sein, akzeptieren und einer Namensänderung oder gar geschlechtsangleichenden Maßnahmen zustimmen würden. Die Prüfstelle der BzKJ fasst das Anliegen der Broschüre wie folgt zusammen: „Ziel der Eltern müsse die Deprogrammierung von Kindern und Jugendlichen sein, die in die Fänge dieses Kultes geraten seien. Hierbei wird nicht vor dem Rat Halt gemacht, Kinder und Jugendliche von ihrem sozialen Umfeld zu isolieren bzw. dieses gezielt zu steuern, gezielt auf Geschwister und Verwandte einzuwirken […].“ (S. 16) Es würde dazu geraten, Kinder notfalls von Schule und medizinischen Einrichtungen fernzuhalten (vgl. ebd.).

Konkret heißt es in der Broschüre: „Es ist wichtig, die Destruktivität dieses Kults zu verstehen. Der Kult ist eine systematische und geplante Gehirnwäsche der Kinder und der Gesellschaft zum Zweck der Erreichung politischer und finanzieller Ziele. Um ein Wachstumsmarkt zu sein, muss diese Ideologie an immer mehr Menschen verkauft werden“. (Bode/Duwe, S. 7, zit. nach BzKJ 2023, S. 16)
 

Trans-Sein: Das Konstrukt eines Kultes?

Das Gefühl, trans* zu sein, sei ein psychisches Konstrukt, das aus einem gesellschaftlichen Kult heraus entstehe und in den letzten Jahren zugenommen habe. „Der Transgenderkult zielt auf vulnerable Kinder und Jugendliche. Viele Kinder, die auf den Transgenderkult anspringen, zeigen unterschiedliche psychiatrische Diagnosen, z.B. Autismus, ADHS, Trauma/PTBS, Depressionen, Ängste, Selbstverletzungen oder Suizidgedanken.“ (Bode/Duwe, S. 7, zit. nach BzKJ 2023, S. 17) Experten wie der Kinder- und Jugendpsychiater Georg Romer weisen darauf hin, dass es bei den gehäuften psychischen Problemen von trans* Menschen meist um traumatische Folgeerscheinungen handelt. Sie rührten aus der Empfindung her, einen Körper zu haben, der nicht mit der eigenen Identität zusammenpasse, es handele sich also um sekundäre Phänomene. (Vgl. Führer 2021)

Weiter heißt es in der Broschüre: „Selbst Schulen haben sich inzwischen mit skrupellosen ÄrtzInnen [sic!] und AktivistInnen verbündet und fördern die Ideologie – auch hinter dem Rücken der Eltern.“ (Bode/Duwe, S. 7, zit. nach BzKJ 2023, S. 18) Auch erfahrene Therapeuten würden sich von diesem Kult vereinnahmen lassen: „Es ist schwierig, einen Therapeuten zu finden, der nicht transaffirmativ ist, auch weil es – auch in Deutschland – bereits Gesetze für PsychotherapeutInnen gibt, die eine andere Haltung und Herangehensweise zumindest in einen strafrechtlichen Graubereich stellen (siehe das in Deutschland 2020 verabschiedete ‚Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen‘). Sei dir sicher, dass es dennoch viele kritische PsychotherapeutInnen gibt, deren Arbeit jedoch von der aktuellen politisch forcierten Transagenda beschnitten wird.“ (Bode/Duwe, S. 31, zit. nach BzKJ 2023 S. 18)
 

Diskriminierung und Angriff auf die Selbstbestimmung

Die Prüfstelle sieht in dieser Aussage eine Diskriminierung und einen Angriff auf die Selbstbestimmung der Betroffenen:

Menschen aus dem Umfeld des Kindes werden eingeteilt in Protagonisten und Antagonisten. Alle Leute, die man kenne, sollten entsprechend kategorisiert werden (S. 21 f.).

Die Beziehungen des Kindes zu Protagonisten sollten gefördert, die anderen unterbunden werden. Dem Kind solle die Liste aber nicht gezeigt werden. Die Broschüre fördert hierdurch einen strikten Dualismus und unterteilt beispielsweise auf Seite 30 ‚erweiterte Familienmitglieder‘ danach, ob sie das Verhalten des Kindes bejubeln und dazu gratulieren oder auf der anderen Seite ihr Unverständnis äußern. Im Sinne einer dualistischen Gut-Böse-Zeichnung werden erstere als ‚gehirngewaschen‘ eingruppiert.“ (BzKJ 2023, S. 18)

Der Bericht der Prüfstelle stellt auch eine gewisse Widersprüchlichkeit der Ratschläge fest und zitiert dafür aus der Broschüre: „‚Beende nicht die Kommunikation. Spreche mit deinem Kind über seine Gefühle. Verwehre ihm nicht seine Freunde. Verweigere ihnen nicht, sich überhaupt mit dem Thema zu beschäftigen. Konstruiere keinen Krieg gegen das Kind‘ (S. 36). Unmittelbar danach folgt jedoch: ‚Lass es nicht unbeaufsichtigt mit Menschen, die dich unterminieren.‘ Bei den Tipps zur Kommunikation ist zu lesen: ‚Sag beim ersten Kontakt etwas Positives‘, ‚In Krisenmomenten: Sage ihnen nicht, was sie machen sollen, sondern frage sie, was sie brauchen‘ (S. 16). Im Kontext mit anderen Aussagen erscheinen diese Empfehlungen aber eher als Manipulation und Gesprächsstrategie und weniger als akzeptierende und dem Kind zugeneigte Verhaltensweisen, die die kindlichen Bedürfnisse und Wahrnehmungen anerkennen. Es handelt sich um Kommunikationstipps im Rahmen der Broschüre zugrundeliegenden Deprogrammierungsstrategie. Eltern wird die Botschaft vermittelt, sich aus unerschütterlicher Liebe zu dem Kind gegen den sog. Transkult stellen zu müssen. Die Möglichkeit, dass das Kind tatsächlich trans ist, wird nicht in Erwägung gezogen.“ (Ebd., S. 19)
 

Fragwürdige Handlungsempfehlungen

Das Gremium der BzKJ sieht in den Verhaltenstipps eine Nähe zu sogenannten Konversationstherapien, mit denen beispielsweise Homosexuelle zur Heterosexualität bekehrt werden sollen. Solche Therapien sind seit 2020 zumindest für Minderjährige verboten: „Konversionsbehandlungen (sogenannte ‚reparative Verfahren‘, beispielsweise konversionstherapeutisch ausgerichtete Gesprächstherapien) zielen darauf ab, die sexuelle Orientierung oder selbstempfundene geschlechtliche Identität einer Person zu ändern oder zu unterdrücken […].“ (Ebd., S. 20) Der Ratgeber ziele mit seiner Strategie der Deprogrammierung aber genau darauf ab. Für die Wirksamkeit solcher Ansätze gäbe es allerdings keine wissenschaftlich validen Nachweise. (Vgl. ebd.)
 

Orientierungssuche während des Jugendalters

In der Begründung der Prüfstelle wird auf die Sichtweise der Entwicklungspsychologie verwiesen, wonach die Phase der Adoleszenz von psychischer Unsicherheit gekennzeichnet ist. In diese Phase fallen Entwicklungsaufgaben wie die Loslösung vom Erziehendenhaus und eine Orientierungssuche mit einem hohen Bedürfnis nach Zugehörigkeit sowie der Suche nach der eigenen Identität (vgl. ebd.). „Dabei dienen auch bzw. gerade hinsichtlich der Thematik Sexualität Medien als Informationsquellen, zur Festigung sexueller Kognitionen, Werte, Normen, Einstellungen und Verhaltensweisen, zur Suche nach Rollenvorbildern sowie zur Bildung einer sexuellen Identität. Medieninhalte sowie mediale Akteurinnen und Akteure erfüllen eher als bisherige Bezugspersonen (aufgrund der Ablösung vom Erziehendenhaus) eine prägende Informations- und Orientierungsfunktion.“ (Ebd., S. 22-23)

„Aufgrund der umfangreichen pubertären Umstrukturierungsprozesse“ sei das Bilden sozialer Kategorien, auch in Form von Gruppen, maßgeblich, um die eigene Identität zu formen (ebd., S. 23).

Durch Medieninhalte wie den Indizierungsgegenstand können Rezipierende in ihrer eigenen Sexualitätsfindung und Geschlechtskonstruktion beeinflusst werden, aber auch in ihren Einstellungen gegenüber Personen mit einer anderen sexuellen Orientierung als der eigenen.“ (Ebd.)


Verstörend für Rat suchende Jugendliche

Als besonders jugendgefährdend stuft die Prüfstelle ein, dass die Broschüre Diskriminierung propagiert. Diese richtet sich vor allem gegen Jugendliche, die sich aufgrund ihres eigenen Empfindens über Transsexualität informieren möchten. (Vgl. ebd.) Auch die Tatsache, dass die Broschüre als Elternratgeber daherkommt, reduziere das Gefährdungspotenzial nicht: „Im Gegenteil mag der Blick auf die Elternperspektive in diesem höchst persönlichen, sensiblen und das Eltern-Kind-Verhältnis unmittelbar berührenden Themenbereich gerade für Kinder und Jugendliche eine interessante Perspektive sein. Die Eltern-Kind-Beziehung hat überragenden Einfluss auf die weitere Entwicklung des Kindes. Ob sich Kinder in ihrem unmittelbaren familiären Umfeld auch in ihrer sexuellen Entwicklung und Selbstbestimmung angenommen fühlen, ist für diese selbst eine grundlegende Frage. So geben etwa 45 Prozent der LGBTQ*-Jugendlichen in Deutschland an, Angst vor Diskriminierung in ihrer eigenen Familie zu haben.“ (Ebd.)

Die Prüfstelle konstatiert, dass Jugendliche, die meinen, trans* zu sein, durch die Broschüre nicht nur vermittelt bekämen, „dass sie von ihren Eltern in ihren Bedürfnissen keine Akzeptanz und Anerkennung erwarten dürften, sondern auch, dass mit ihnen etwas nicht stimme. Sie seien offenbar nicht nur einer Art Sekte verfallen, sondern hätten mit hoher Wahrscheinlichkeit eine gestörte Wahrnehmung und ein störungsbehaftetes Verhalten. Das Gremium sieht hierin die Würde junger trans* Menschen als im Kern verletzt und befürchtet gravierende psychische Schäden bis hin zur Förderung von Selbstmordgedanken […], wenn die Inhalte der Broschüre zur Anwendung kämen.“ (Ebd.) Allein schon der Lektüre des „Ratgebers“ wird vom Gremium das Potenzial zugesprochen, „Kinder und Jugendliche […] über das Wesen ihres sexuellen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu desorientieren. Im Grunde werden sie dazu angehalten, auf ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu verzichten, ihre sexuelle Identität zu unterdrücken und sie unterdrückende Maßnahmen zu akzeptieren.“ (Ebd.)
 

Ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit?

Wie oben bereits erwähnt, dürfen Schriften nicht wegen ihres politischen, sozialen, religiösen oder weltanschaulichen Inhalts indiziert werden. Dienen sie der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, schützt sie das ebenfalls vor der Liste. Darauf stützt sich auch der Anwalt der Gegenseite. Er erklärt, durch die Indizierung sollte eine bestimmte Meinung unterbunden werden. Der BzKJ-Bericht über die Gegenposition: „In der Broschüre stünde der empathische und liebevolle Umgang mit dem Kind im Vordergrund. Dies belege folgendes Zitat: ‚Deine ersten Schritte sollten daher sein: 1. Versichere dem Kind, dass Du es liebst, egal was passiert.‘ Zugleich werde das Kind darin gestärkt, sein biologisch gegebenes Geschlecht anzunehmen und auch in Entwicklungsstadien, die von Zweifel und Identitätssuche geprägt sein könnten, aufrechtzuerhalten. Dazu wird folgendes Zitat angeführt: ‚Jeder Mensch verdient Würde: Menschen, die sich mit ihrem Geschlecht und Körper unwohl fühlen, sollen mit Freundlichkeit und Respekt behandelt werden.‘“ (Ebd., S. 9)

Ferner wies er darauf hin, dass die gegenwärtigen wissenschaftlichen Theorien zu dem Thema diametral auseinandergingen. In der Broschüre „werde von Grundannahmen ausgegangen, die rechtlich, wissenschaftlich und gesellschaftlich legitim seien. Denn wenn dies nicht der Fall wäre, wären die Annahmen, es gebe mehr als zwei Geschlechter, das Geschlecht sei performativ determiniert etc., ebenfalls als diskriminierend und jugendgefährdend zu bewerten. Mehrere Broschüren und Publikationen gingen von solchen Annahmen aus und gäben Hilfestellungen, wie man ein Kind jenseits von ‚patriarchalischen Geschlechtskonstruktionen‘ geschlechtsneutral erziehen könne. Nach diesen Ansichten, müsse das gesellschaftlich tradierte Geschlechtsbild ‚zerschlagen werden‘“. (Ebd.)

Die Prüfstelle hingegen moniert, dass in der Broschüre eine einzige Perspektive praktisch als Wahrheit dargestellt würde und alle anderen Positionen damit abzulehnen seien. Das stelle einen Verstoß gegen das u. a. aus Artikel 3 und 4 Grundgesetz ersichtliche Toleranzgebot und den Grundsatz der Gleichheit der Rechte aller Menschen dar.

Solche Medien sind in der Lage, grundlegende ethische Werte der demokratischen Gesellschaftsordnung wie Toleranz und Respekt gegenüber den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und vor anderen Lebensweisen zu untergraben.“ (Ebd., S. 12-13).

 

Eine Frage der Abwägung

Zwischen den Bedenken des Jugendschutzes und einem vermeintlichen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit muss also abgewogen werden. dabei kann man durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Es können also Wetten abgeschlossen werden, ob die Klage der Autorinnen Erfolg haben werden.

 


Anmerkung der mediendiskurs-Redaktion: Wir benutzen bewusst den Stern in trans*. Dieser soll als Platzhalter möglichst viele Personen inkludieren, also neben trans* männlich und trans* weiblich für alle weiteren Geschlechtsidentitäten stehen.


 
Quellen:

Bode, S. / Duwe, R.:Wegweiser aus dem Transgenderkult. Elternratgeber. Fulda 2023. (Nicht selbst eingesehen.)

Bundeszentrale für den Kinder- und Jugendschutz (BzKJ): Entscheidung Nr. 6390 vom 14.09.2023. In: Bundesanzeiger AT 30.10.2023. Abrufbar unter www.bundesanzeiger.de (letzter Zugriff: 24.11.2023)

Duwe, R.: Kostenlose Elternbroschüre „Wegweiser aus dem Transgenderkult“ wird als jugendgefährdend indiziert. In: RONALYZE, 16.09.2023. Abrufbar unter ronaduwe.substack.com (letzter Zugriff: 24.11.2023)

Felchner, C.: Geschlechtsumwandlung. In: FOCUS Gesundheit Arztsuche, 05.08.2020. Abrufbar unter focus-arztsuche.de (letzter Zugriff: 24.11.2023)

Führer, S.: Geschlechtsangleichung bei Kindern und Jugendlichen. „Transidentität ist Schicksal“. In: Tacheles, 02.01.2023. Abrufbar unter www.deutschlandfunkkultur.de (letzter Zugriff: 24.11.2023)

Jugendmedienschutzgesetz(JuSchG): Jugendschutzgesetz. Abrufbar unter www.gesetze-im-internet.de (letzter Zugriff: 24.11.2023)

Statista: Anzahl von Operationen zur Geschlechtsumwandlung in Deutschland in den Jahren 2012 bis 2022. In: Statista, 04.10.2023. Abrufbar unter de.statista.com (letzter Zugriff: 24.11.2023)

Wehninger, R.: Auf die „Schwarze Liste“ gesetzt. „Wir geben nicht auf“: Transgender-Elternratgeber als „jugendgefährdend“ eingestuft. In: THE EPOCH TIMES, 17.09.2023. Abrufbar unter www.epochtimes.de (letzter Zugriff: 24.11.2023)

Westkämper, A.: Selbstbestimmungsgesetz. Ampelplan: Alle Menschen sollen Geschlecht und Vornamen künftig selbst festlegen dürfen. In: RND.de, 30.06.2022. Abrufbar unter www.rnd.de (letzter Zugriff: 24.11.2023)