Jugendliche misstrauen den Medien

Medienvertrauen hängt deutlich mit Vertrauen generell zusammen

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Eine Studie der Universität Bielefeld hat untersucht, wie hoch bei Kindern und Jugendlichen das Vertrauen in die Medien ist. Ergebnis: Das Misstrauen ist hoch. Als Grund für die vermuteten Falschdarstellungen werden konkrete Interessen der Medienmacher verantwortlich gemacht.

Online seit 19.09.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/jugendliche-misstrauen-den-medien-beitrag-1122/

 

 

Eine Studie der Universität Bielefeld ging der Frage nach, inwiefern Kinder und Jugendliche dem Informationsangebot der Medien trauen. Das Ergebnis ist alarmierend: 75,8 % der Jugendlichen misstrauen demnach Zeitungen, 71,6 % misstrauen Journalist*innen generell. Interessant: Das Misstrauen in die Medien ist bei Mädchen erheblich höher ausgeprägt als bei Jungen, bei Jugendlichen höher als bei Kindern.

Auch den Einrichtungen des Staates scheinen sie eher skeptisch gegenüberzustehen. Nur 53,9% der Jugendlichen haben Vertrauen in die Bundesregierung, dagegen vertrauen immerhin mehr als drei Viertel der Jugendlichen der Wissenschaft (76,1 %), den Gerichten (76,2 %) und der Polizei (79,9 %).

Mehr als ein Drittel der Jugendlichen (37,9 %) vermutet, dass Medien absichtlich Informationen zurückhalten, 32,8 % glauben, dass sie vor allem ihre eigenen Meinungen verbreiten. Studienleiter Prof. Holger Ziegler schätzt als besonders bedrohlich ein, dass nicht nur der Wahrheitsgehalt medialer Informationen infrage gestellt wird, sondern dass vermutet wird, hinter diesen vermuteten Falschinformationen stehe eine bewusste Absicht. Er sieht darin eine gefährliche Tendenz zum Verschwörungsglauben.

Die Studie wurde 2022 im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung von der Universität Bielefeld durchgeführt. Insgesamt wurden 831 Kinder zwischen 6 und 11 Jahren und 751 Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren im städtischen Umfeld dazu befragt, wie vertrauensvoll sie auf sich selbst, auf andere und auf die Zukunft unserer Gesellschaft blicken. (vgl. Bepanthen-Kinderförderung 2022) „Meldungen von Klimawandel und Armut, Fake News und Krieg können Angst machen und hinterlassen Spuren. Eine Möglichkeit, darauf zu reagieren, ist, diese Informationen in Zweifel zu ziehen, sich zurückzuziehen und anderen zu misstrauen – auch den Medien.“ (tagesschau 2022)

Das Vertrauen in die Medien hängt auch stark davon ab, ob der*die betreffende Jugendliche ein positives Selbstbild hat: „Wer vertraut, glaubt ein Stück weit, dass er in sich und andere vertrauen darf und blickt damit zuversichtlich in die Welt. Ein hohes Maß an Vertrauen ist in der Regel von einem optimistischen Blick auf sich selbst und emotionaler Lebenszufriedenheit begleitet.“ (Bayer Vital GmbH).

Hinsichtlich des Vertrauens der 12- bis 16-Jährigen in sich selbst offenbart die Studie, dass über ein Viertel von ihnen (eher) nicht für jedes Problem eine Lösung (27,2 %) findet, 26 % wissen (eher) nicht, wie sie mit einer neuen Sache, die auf sie zukommt, umgehen können. Knapp ein Drittel der Jugendlichen gibt an, Schwierigkeiten zu haben, ihre Pläne und Ziele zu verwirklichen (32,1 %). 41,7 % der Jugendlichen fühlen sich zumindest manchmal nutzlos und 61,5 % haben oft Angst, Sachen falsch zu machen. Die Studie kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass 24,5 % der befragten Jugendlichen nur ein geringes Selbstvertrauen aufweisen.

Darüber hinaus korrespondiert das hohe Misstrauen gegenüber Medien mit einem mangelnden Vertrauen in andere Menschen (63,6 %). Fast jede*r zweite Jugendliche (46,3 %) hat schon selbst erfahren, dass man sich auf andere nicht verlassen kann. 39,6 % geben an, (eher) nicht davon überzeugt zu sein, dass die meisten Menschen gute Absichten haben.

Mit Blick auf die Zukunft variiert das Vertrauen der Jugendlichen stark: Sie haben insgesamt mehr Vertrauen in ihre eigene Zukunft als in die Zukunft der Gesellschaft. Dennoch hat ein Viertel der Jugendlichen der Aussage, ob sie ihre Zukunft immer optimistisch sehen, gar nicht oder eher nicht zugestimmt (25,8 %). 47,3 % der 12- bis 16-Jährigen blicken dagegen positiv auf ihre persönliche Zukunft. Weniger zuversichtlich zeigen sich die Jugendlichen im Hinblick auf die Zukunft der Gesellschaft: nur 19 % sehen für die Gesellschaft eine positive Zukunft, 34,8 % bewerten die Zukunft der Gesellschaft dagegen pessimistisch. Viele der Befragten sorgen sich um den Klimawandel (74,1 %), um Umweltverschmutzung (69,3 %), um Krieg (66,4 %) und um Armut (61,1 %).

Entscheidend für die Anfälligkeit gegenüber Verschwörungstheorien scheint auch die ökonomische Situation der Familien, in denen sie aufwachsen, zu sein: 38,2 % der Befragten aus Familien mit unterdurchschnittlichem sozialökonomischen Status neigen zu Verschwörungstheorien, bei Familien mit überdurchschnittlichem sozialökonomischen Status sind es nur 9,2 %. Auch die Eltern haben einen hohen Einfluss auf das Vertrauen der Jugendlichen in Medien oder Institutionen. Wenn Eltern selbst öffentlichen Einrichtungen nicht vertrauen, wird dieses Misstrauen auch von 39,2 % der Jugendlichen aus diesen Haushalten geteilt und sie neigen zu Verschwörungstheorien. (vgl. Bepanthen-Kinderförderung 2022)

Die Glaubwürdigkeit der Medien hängt zudem stark von der bevorzugten Mediennutzung ab: „Ebenso gibt es einen Zusammenhang von Medienkonsum und Verschwörungsneigung. Von den Jugendlichen, die ihre Informationen bevorzugt aus den sozialen Medien beziehen, zeigen 37,6 Prozent eine starke Verschwörungsneigung. Von den Jugendlichen, die sich überdurchschnittlich viel über öffentlich-rechtliche Medien informieren, sind dies nur 5,4 Prozent.“ (Bayer Vital GmbH)

Eine gesunde Skepsis gegenüber Medien ist grundsätzlich nicht das Problem und entspricht einer durchaus gewünschten Kritikfähigkeit, so Ziegler: „Wir unterscheiden hierbei zwischen Skepsis und Verschwörungsneigung. Eine gesunde Skepsis hinterfragt Informationen, die wir erhalten. Das ist sinnvoll und nützlich im Leben. Stellen wir aber nicht nur den Wahrheitsgehalt einer Information in Frage, sondern vermuten wir, dass uns – in diesem Fall – die Medien absichtlich Informationen verschweigen und manipulieren wollen, dann bewegen wir uns in einem gefährlichen Bereich von Verschwörungsglauben.“ (ebd.)

Für den Vertrauensschwund werden nicht ausschließlich die Medien verantwortlich gemacht, sondern es gibt offenbar eine Verbindung zwischen Medienvertrauen und persönlicher Selbstzufriedenheit. Die These, dass man Medieninformationen umdeutet oder als unglaubwürdig ablehnt, wenn sie schwer beherrschbare Ängste erzeugen, zeigt, dass die Glaubwürdigkeit nicht nur von der Seriosität der Medien abhängt, sondern auch davon, was Rezipient*innen glauben wollen oder nicht. Auch das Ergebnis, dass die Rezipient*innen von sozialen Medien stärker Verschwörungstheorien anhängen als jene, die sich eher im öffentlich-rechtlichen Fernsehen informieren, ist insofern nachzuvollziehen, als wahrscheinlich in sozialen Medien sehr viel mehr gegensätzliche und oft wenig glaubwürdige Informationen verbreitet werden.

Über Twitter wurde an der Studie heftige Kritik geübt: Sie gelte vor allem für den städtischen Raum, außerdem seien die Fragen zu allgemein gestellt, sodass die Aussagekraft der Antworten einen hohen interpretatorischen Anteil hätte (vgl. Freiwald 2022). Bent Freiwald wirft der Studie gravierende handwerkliche Mängel vor. Der Studienleiter, so Freiwald, habe auf die Kritik reagiert und ergänzt, dass die tatsächlich gestellten Fragen erheblich differenzierter als in der Folie seien. Allerdings sind diese Fragen nicht zugänglich.

Der Kern des Ergebnisses der Studie könnte wohl zutreffen: Vieles deutet darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen der Medienrezeption einerseits und dem Selbstvertrauen, der familiären Situation sowie den Zukunftseinschätzungen andererseits gibt – wer insgesamt Menschen misstraut und schlechte Erfahrungen mit seiner Umgebung gemacht hat, überträgt dieses Misstrauen auch auf die Medien. Das bedeutet, dass sich die Medienpädagogik nicht allein auf das Verständnis von Medien konzentrieren darf, es geht immer auch um die Interaktion medialer Inhalte mit der Persönlichkeit der Rezipient*innen.
 

Quellen:

Bayer Vital GmbH: Bepanthen-Kinderförderung und Universität Bielefeld veröffentlichen Vertrauensstudie 2022.In: Presseportal.de vom 30.08.2022, abrufbar unter: https://www.presseportal.de/

Bepanthen-Kinderförderung: Vertrauensstudie 2022:Angst vor der Zukunft? Jugendliche zwischen gesunder Skepsis und gefährlicher Verschwörungsneigung. Abrufbar unter: https://www.bepanthen.de/

Freiwald, B.: Tweet vom 31.08.2022: „Gestern wurde eine neue Studie veröffentlicht, bei der über 1.500 Kinder und Jugendliche befragt wurden. Sie misstrauen den Medien, glauben an Verschwörungsmythen, hieß es von der taz bis zur ZEIT. Dabei hat die Studie gravierende handwerkliche Mängel. Ein Worst-Of ????“. In: Twitter, @BentFreiwald vom 31.08.2022, abrufbar unter: https://twitter.com/.

tagesschau: Studie der Universität Bielefeld: Medien-Misstrauen bei Jugendlichen wächst. Beitrag vom 30.08.2022, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/