Medienregulierung und Lebenswirklichkeit

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Chefredakteur von tv diskurs.

Im Editorial der tv diskurs 86 ärgert sich Chefredakteur Joachim von Gottberg über Werbemails.

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 4/2018 (Ausgabe 86), S. 1-1

Vollständiger Beitrag als:

Mediennutzer sollen nicht in Unwissenheit Dinge zulassen, die sie später bereuen könnten. Da die Erhebung von Daten für Onlinegeschäfte und Internetnutzung unerlässlich ist, sind die Anbieter gesetzlich verpflichtet, die Zustimmung des Kunden einzuholen. Das ist richtig gedacht und gut gemeint. Aber wie werden solche Zustimmungsverpflichtungen in der Lebenswirklichkeit wahrgenommen? Wer beispielsweise einen Flug buchen will, bekommt als Erstes die Nachricht, dass Cookies benutzt werden und man dem zustimmen soll. Aber wer weiß schon genau, was Cookies für den eigenen Rechner bedeuten und worin Vorteile oder Gefahren liegen? Am Ende des Buchungsprozesses muss man noch auf das Kästchen: „Ich stimme den allgemeinen Geschäftsbedingungen zu“ tippen. Kaum jemand hat aber vermutlich jemals die Möglichkeit genutzt, vor der Zustimmung die allgemeinen Geschäftsbedingungen tatsächlich durchzulesen. Stattdessen sind alle genervt, weil man das Geschäft abschließen will und gar keine andere Wahl hat, als sein Häkchen bei „Zustimmen“ zu hinterlassen.

Allerdings haben die Nutzer keine Kontrolle darüber, was mit den einmal abgegebenen Daten tatsächlich geschieht. Selbst wenn man einer Weitergabe zu Werbezwecken nicht zustimmt, wird man mit Werbemails überschüttet. Das Häkchen für „Abmelden“ ist, wenn überhaupt, meist nur mit der Lupe zu finden. Ob dm, Rossmann, Nivea oder Zara: Man findet „unsubscribe“ unter der Mail, wenn man aber draufklickt, heißt es, der Server werde nicht gefunden. Es ist schwer zu sagen, ob die Unternehmen selbst von diesen Werbeaktionen wissen. Und hat man sich angeblich erfolgreich abgemeldet, kommen die Werbemails kurze Zeit später trotzdem wieder. Der MediaMarkt Club erfreut den Nutzer beispielsweise mit der Botschaft: „Gratuliere, Sie haben 500,00 Euro gewonnen“. Damit man das Geld tatsächlich bekommt, soll man noch einige Angaben machen. Letztlich erhält man keine 500,00 Euro, sondern darf nur an einem Gewinnspiel teilnehmen. Die Daten sind aber herausgegeben, und bald treffen von dritten Firmen Werbemails ein. Wo auch immer ich meinen Klick mache: Ich bin inzwischen fast sicher, dass es im Hinblick auf den Umgang mit meinen Daten praktisch irrelevant ist.

Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) wird Werbung per E-Mail (per „elektronischer Post“) als unzumutbare Belästigung angesehen, wenn sie ohne ausdrückliche Einwilligung des Adressaten verschickt wird. Aber es gibt natürlich auch Ausnahmen. Werbemails sind erlaubt, wenn die Adressaten bei dem Unternehmen schon einmal etwas gekauft und dabei ihre E-Mail-Adresse hinterlassen haben, wenn für ähnliche Produkte geworben wird und wenn die Kunden der Verwendung ihrer E-Mail für Werbezwecke nicht widersprochen haben bzw. nicht darauf hingewiesen wurden, dass sie jederzeit widersprechen können.

Die gesetzlichen Regelungen basieren im Prinzip auf der Überlegung, dass möglichst viel erlaubt sein soll, wenn die Nutzer nur damit einverstanden sind und sie sich über die Hintergründe informieren können – wenn sie wollen bzw. wenn sie sie überhaupt verstehen. Die Unternehmen spekulieren wahrscheinlich darauf, dass mangels ernsthafter Alternativen auf „Zustimmen“ geklickt wird. Das ganze System ist wenig effektiv und besitzt einen hohen Nervfaktor, was die Sympathie für Medienregulierung kaum steigern dürfte. Allerdings gilt das Gleiche für die Produkte, die sich den Kundeninnen und Kunden derart unerwünscht und aggressiv präsentieren. Manche mögen personalisierte Werbung für einen großen Vorteil des Internets halten, aber wenn man beispielsweise online Wein bestellt hat und dieselbe Firma mit der gleichen Rebe bei einem großen Prozentsatz der Internetaktivitäten als personalisierte Werbung auftaucht, bekommt man leicht das Gefühl, man würde für einen Alkoholiker gehalten. Was bringt es, wenn man auf etwas aufmerksam gemacht wird, was man bereits gekauft hat und es damit zweifellos bereits kennt?

Ihr Joachim von Gottberg